XXII. In der Wanne

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Die Blutspritzer auf Krabats Wangen waren noch nicht vollends getrocknet, als er keuchend durch die Korridore des Palastes sprintete.

Eine Katatsrophe.
Die letzten Stunden waren eine absolute Katatsrophe gewesen.
Noch immer schmeckte er den Schmauch, spürte das Prickeln der Elektrizität und hörte Dmitri Lissipows schallendes Lachen in den Ohren, als er über die Marmorfliesen hetzte.

Noch einmal beschleunigte er seine Schritte.

Überraschte Dienstboten stolperten ihm aus dem Weg, da kollidierte er schon mit der Tür zu Vasilys Gemächern und brauchte mehrere Anläufe, bis seine zittrigen Finger die Tür etsperrten und das Holz unter seinen Fingern nachgab.

Er stolperte herein, gierig nach Luft schnappend und mit schwirrendem Schädel.
Doch es war still.
Still und leer.

Hier im Salon - der gerne mal die Antichambre spielte- war der vertraute Sessel vor dem Kamin unbesetzt. Das Feuer darin erloschen und selbst hinten, wo ein Bogengang ins Arbeitszimmer führte, schwappte ihm nur Stille entgegen.

Er wurde leicht panisch.
"Hoheit?", quietschte er.
Krabat hörte aber nur aus einem angrenzenden Raum ein leises Platschen und Rauschen, dann ein abgedämpftes:"Krabat?"

Er stutzte - und wäre fast in hysterisches Gelächter ausgebrochen.
Das... Das Badezimmer? Vasily war im Badezimmer?

"Krabat, was ist denn-", drang es nur weiter durch das Holz. "Nun komm doch her!"

Er haderte. Noch immer polterte das Herz wild in seiner Brust und sein Kopf war Nebel, da taumelte er schon zur vertrauten Tür, striff sich noch geistesabwesend die schmauchverschmierten Stiefel von den Füßen, dann trat er ein.
Sofort schlug ihm eine Wolke aus Dampf und Hitze ins Gesicht, als sich warmer, glatter Stein gegen seine Fußsohlen pressten.

"Hoheit?, wisperte er erneut und wäre wohl fast in das in den Boden eingelassene Becken geplumpst, tauchte da nicht der blasse Körper des Zarewitsch aus dem dampfenden Wasser auf.

Sofort blieb er kerzengerade stehen - und Schamesröte schoss brennend in seine Wangen.
Oh, war er froh, dass das Wasser milchig war.
Oh bei den Narecnitsy war er froh, dass es milchig war-

"Bei den drei, Krabat", schnitt da Vasilys Stimme durch die schwüle Luft. "Was- Was ist- Bist du verletzt?"

Der Sturmbote brachte es nur zustande, den Kopf zu schütteln.
Und als er Vasily da so im Wasser sah, als die Ruhe dieses Ortes so in seine Knochen kroch und das Adrenalin abebbte, sank er einfach am Beckenrame nur kraftlos auf die Knie.

Mit einem Mal fühlte er Vasilys feuchte, warme Hand auf seiner Wange, als er begann, die Blutspritzer von seinem Gesicht zu tupfen.

"Alles ist gut. Alles ist ja gut", wisperte er sanft und tätschelte ihn.
"Erzähl mir einfach, was passiert ist."

Die Worte sprudelten nur so aus ihm hervor, als Krabat erzählte.
Von dem ausgebrannten Waisenheim.
Von Khasan.
Von der Swesda.
Von Lissipow.

Lange schwieg der Zarewitsch, dann meinte er leise:"Komm her."

"Wie bitte?"

"Komm einfach her. Zu mir. Ins Wasser", wiederholte Vasily nur.

Die Scham glühte noch heißer auf Krabats Wangen.
"Das - Das ist wohl kaum angemessen. Ich bin kaum angemessen. Ich bin doch nur-"

"Genug", fiel Vasily ihm ins Wort. "Du bist genug. Mehr als das."

Zögernd beugte Krabat sich etwas vor, da griff der Prinz schon nach seiner Uniform und nestelte an den goldenen Knöpfen.
Der Magier erstarrte bei der Berührung.
Etwas flimmerte ganz heiß in seinem Magen.
"Was-Was tun Sie da?", hauchte er, brachte kaum einen Ton herausm

"Du kommst mir nicht in dieser Aufmachung in die Wanne, mein Lieber."

"Aber- Aber-"

"Sieh dich doch nur an, du bist doch ganz rußverschmiert!" Bei den Worten glitt schon die Uniformjacke von seinen Schultern. Das Leinenhemd darunter fiel sogleich Vasilys gierigen Finger zum Opfer. "Außerdem ist sind das Wasser gut für dich. Es ist viel passiert. Ruh dich aus."

Oh, er würde sich definitiv nicht ausruhen können.
Nicht hier.
Nicht im Wasser. Nicht mit Vasily. Nicht so ganz und gar ... so ganz und gar...
Die Haare auf seinem Nacken stellten sich bei dem Gedanken auf.

Doch Krabat wehrte sich nicht, als Vasilys Arme sich um ihn legten und ihn ins Wasser zogen.
Selbst wenn er gekonnt hätte... Ein beschämter Teil wollte nicht einmal widersprechen, als sich die warmen Wogen an seine Haut schmiegten, als der scharfe Geruch der Öle in seine Nase zog und als-

Sogleich rutschte er aus, tauchte unter und Wasser füllte seine Lunge.
Japsend und strauchelnd brach er wieder an die Oberfläche und spie einen Schwall seifiger Flüssigkeit aus, da drückte der Zarewitsch ihn enger an die Brust.

"Achtung", meinte Vasily nur. "Es ist tiefer, als es aussieht."

Krabat nickte nur, noch immer etwas benommen, da manövrierte der Prinz sie schon auf ein kleines, im seichteren Wasser liegende Erhöhung aus Stein, auf den sie sich setzen könnten.

Er erschauderte sogleich, als sich ihre Knie berührten- und wäre dann fast in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Stattdessen zuckten seine Mundwinkel nur hilflos.

"Krabat?", fragte Vasily nur irritiert, doch sein Gardist deutete nur auf eine Schaumwolke, die auf dem Wasser glitt und auf deren Spitze eine kleine, bemalte Porzellanschnecke thronte.
Wortlos setzte er sie Vasily wie ein Schaumkrönchen auf den Kopf.

"Ich wusste ja, dass du vor mir auf die Knie fällst", spöttelte der daraufhin schmunzelnd. "Aber mein Lieber, dass du mir gleich eine Krone auf-"
Die Freude verschwand augenblicklich.
Stattdessen forderte er nur:
"Was ist denn das?"

"Was ist was?", meinte Krabat nur, da packte ihn der Zarewitsch bei den Schultern und drehte ihm leicht um.
Sogleich berührte er die Seite des Sturmboten und Krabat zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.

Sein Blick fiel nach unten.
Von seinen Rippen aus bis hin zu seinem Becken war seine Haut aufgeschrammt und roh. Das Blut war hinfortgespült, auch war es keine Fleischwunde, trotzdem hatte sich eine seltsam gelbliche Flüssigkeit gebildet.

"Krabat", meinte Vasily mahnend. "Was ist passiert?"

Der schüttelte nur irritiert den Kopf.
"Es gab ein Handgemenge", murmelte er mit belegter Stimme. "Als ich vom Dach gesprungen bin... Ich habe es nicht einmal gemerkt."

"Ich kann den Arzt-"

"Es ist ein Kratzer", widersprach Krabat hastig. Zu hastig. "Ein Nichts."

Er würde da mit Alkohol rangehen müssen. In seinem Zimmer hatte er noch eine halbe Flasche davon stehen.
Von dem hochprozentigen aus der Apotheke.
Allein bei dem Gedanken an den stechenden Schmerz verzog er die Lippen.

Seufzend schüttelte der Prinz den Kopf.
Vorsichtig - fast schon so, als wäre Krabat so zerbrechlich wie das kleine Schneckchen aus Porzellan- glitten Vasilys Fingerspitzen über seine Schulterblätter, während er andächtig begann, ihn zu massieren. Ganz langsam.

Krabat stieß einen zischelnden Atemzug aus.
Am liebsten hätte er geschnurrt wie ein Kätzchen.

So geschah es sogar, dass sich Krabats verspannte Muskeln etwas lockerten und die Außenwelt in seinen Geist drang.

Er spürte das Kitzeln der letzten Sonnenstrahlen des Tages auf seiner Nase, wie sie durch die schillernde Fensterfront des Baderaums fielen.

Ihr Licht malte glutfarbene Muster auf die dutvarischen Tropenpflanzen, die man hier in kunstvollen Töpfen aufgestellt hatte.
Hinter dem Glas aber erkannte er die Zinnen und Türme der Stadt.
Die goldenen Zwiebelhaube der Kathedrale, die letzten Fetzen des weißen Gemäuers des Familienmausoleums der Zarendynastie, sogar der dunkle Stein der obersten Wehrmauer der Zitadelle an den alten Stadtmauern, die die Oberstadt von neu erschlossenen Gebieten trennten.
Und Himmel. Rosafarbener Himmel so weit das Auge reichte.

Das Proletenmoloch aber ließ nur eine zarte Rauchfahne am Horizont erahnen.
Es war seltsam dort, ein Ort ohne Himmel. Nur Rauch.
Nicht einmal Zuhause war es so gewesen.
Im Gegenteil, Zuhause hatte er auf genau den selben Himmel gesehen, hatte die selben Sterne jeden Abend vergeblich gezählt und die selbe Sonne hinter den Bergketten untergehen sehen.
Das hatte es leicht gemacht, sich in das wirkliche Zuhause zu träumen, wo er hingehörte, nicht in die Verbannung, in die er geboren wurde.
Doch wann immer er die Augen senkte war er nicht in Sremenien, sondern starrte in die graue Steppe.

Das Land seiner Ahnen kannte er nur aus den Erzählungen seines Vaters am prasselnden Feuer, wenn die Scheite knackten, die Nacht kalt war und die Sehnsucht besonders groß.
Dann hatte sein Papa immer eine Hand ausgestreckt, zuckte mit seinen Fingern und Bilder tanzten in den Flammen.
Syman hatte zu erzählen begonnen, während Krabat und seine Schwestern dicht an dicht gedrängt lauschten.
Er beschwörte gewaltige Klippen und das salzige Rauschen des Meeres, blühende, satte Felder soweit das Auge reichte und Türrahmen, die mit blauen Runen angestrichen waren. Kein ewig gleiches Heidekraut, keine Bergketten am Horizont, die sich wie ein Käfig um sie schlossen, keine Zwangsarbeit für alle über dem sechzehnten Lebensjahr.

Er fragte sich, ob sie heute Abend wieder auf den Holzstämmen vor ihrer schiefen Hütte saßen, Kräutertee tranken und dem Flammenspiel beiwohnten.
Er fragte sich, ob das Geld, das er ihnen jeden Monat schickte, auch wirklich ankam.
Er fragte sich, ob Lenka es diesen Winter zu weit getrieben hatte und ausgepeitscht wurde. Er hoffte einfach, dass sie nie Wind von dem revolutionären Geist der Hauptstadt bekam - oder Nachrichten darüber wie üblich erst Monate zu spät in den frostigen Norden vordrangen.
Und ein kleiner egoistischer Teil von ihm fragte sich, ob sie an ihn dachten.

Obwohl das Wasser heiß auf seiner Haut brannte, wurde ihm mit einem Mal eiskalt.

"Meine Eltern", setzte er langsam an. Er flüsterte fast, als wünschte er, Vasily würde ihn nicht hören.
Doch natürlich tat er das.
Der Zarewitsch richtete sich sogleich ein bisschen auf.
"Was ist mit ihnen?"
Eine unausgesprochene Frage aber lag noch auf seinem Gesicht.
Seit wann sprichst du mit mir über deine Familie?

Noch einmal atmete er zischend ein, dabei lagen Vasilys Fingern wie heiße Kohlen auf seinen Schultern.
"Sie sind genau in so einer Situation verhaftet worden. Damals", setzte er langsam an. "So wie heute. Mit diesem... diesem Massenaufmarsch. Sie haben auf die Menschen geschossen. Einfach auf sie geschossen. Auf die eigenen Leute. "
Er schluckte.
"Ich habe Angst, Vasily."

Krabat traute sich nicht einmal mehr, den Zarewitsch anzusehen.
Stattdessen starrte er in den Himmel.
Den rosafarbenen Himmel.
Jetzt aber schien er ihm blutrot.

Wären seine Eltern echte Revolutionäre gewesen, sie wären nicht einmal mehr verbannt worden, man hätte sie aufgeknüpft.
Natürlich, es war noch immer selbstbverschuldet. Sie verdienten das.
Sie alle verdienten es.
Er verdiente es.
Krabat hatte für die Sünden seiner Ahnen gebüßt und er tat es noch immer. Falls nötig, würde er sein eigenes Blut für den Zarewitsch vergießen, sei es auch nur, um dieses Urverbrechen wieder gutzumachen.
Und doch... Und doch wollte er nicht, dass diese Menschen das gleiche Schicksal fanden wie er.

Die Berührung warmer Arme, die sich von hinten um seinen Oberkörper schmiegten, vertrieb die Kälte aus seinen Knochen.
Noch im selben Atemzut striff Vasilys minziger Atem seine Ohren, während seine Hand zögernd über Krabats Schulter fuhren.
Sie stoppten auf dem grotesken Narbengeflecht.
Dem Brandzeichen seines Familienwappen.
Der doppelköpfige Feuervogel.

"Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen", würgte der Zarewitsch da hervor. "Damals. Aber auch heute. Ich hätte wissen müssen, dass es eskaliert. Hätte wissen müssen, dass ich fehlschlage. Ich hätte dich beschützen sollen."

Krabat widersprach sofort.
"Das ist meine Pflicht. Meine Veranwtortung. Ich bin ihr Gardist. Wenn ich Sie belasten sollte..."

Warme, feuchte Lippen pressten sich auf das vernarbte Schulterblatt.
Krabat erstarrte. Die Worte zerfielen in seinem Mund zu Asche.

Sanft löste sich Vasilys Mund von seiner Haut, als er ansetzte:
"Was für ein Zar soll ich denn bitteschön werden, wenn ich nicht einmal den Menschen beschützen kann, der mir wichtig ist?"

Der mir wichtig ist.
Der Mensch, der mir wichtig ist.
Die Worte sickerten wie Blei in seine Adern.
Krabat drehte sich um, drehte sich zu Vasily und sah in seine weichen, nussbraunen Augen.
Ihre Nasenspitzen berührten sich fast - und Vasily legte seine Rechte auf Krabats Wange.
Sein Atem roch nach Pfefferminz.
Weil er zu viel naschte, erinnerte sich Krabat. Und nie auf seine Mutter hörte.

Die Finger auf seinem Gesicht waren wie Feuer.
Es war nicht das erste Mal, dass sie sich nah waren. Natürlich nicht.
Krabat hatte sich in brenzligen Situationen schon vor ihn geworfen, hätte sich sogar auf Vasily geworfen, um ihn zu schützen, wenn seine Krankheit das nicht zu einem Todesurteil machen würde.
Ja, manchmal, wenn die Nächte klirrend und einsam waren, da teilten sie sich sogar Vasilys Bett, lagen nebeneinander.
Und dann... dann wachten sie manchmal dicht an dicht gedrückt nebeneinander auf.
Es war vollkommen harmlos. Ein Resultat Vasilys Lesestunden, die er Krabat erteilte und manchmal so überzog, dass sie einfach nebeneinander einschliefen.
Aber nie hatte er gedacht...Nie hatte er es für möglich gehalten... Nie zu hoffen gewagt...

Das hier jedoch war anders.
Er spürte es mit jedem Donnern in seiner Brust.
Ihm war heiß und kalt zugleich.
Jeden Moment wollten seine Rippen aufplatzen.

Vasilys Finger glitten da sein Gesicht herab und verschwanden in dem dunklen, feuchten Haaransatz in Krabats Nacken.
Irgendwie schafften sie das unmögliche und rückten näher zusammen.

Er war sich jedem Kontakt bewusst.
Knie, Nase, Hände, Nacken, seine Arme auf Vasilys Schulter.

Krabat schloss die Augen und wartete.
Wartete auf das verräterische Kitzeln auf seinen Lippen, das sich leicht auf ihn herabsenkte, dieser Phantomabdruck-

Scheppernd krachte die Tür auf.
Krabat riss die Augen auf und den Kopf herum, Vasily tat es ihm gleich und da sahen sie den prächtig livrierten Dienstboten, der mit Silbertablett und immer größer werdenden Augen in den Raum geplatzt war.

Sein Gesicht war erst weiß, dann scharlachrot und schließlich grau.
"Verzeihung", nuschelte er, die Augen fixiert auf diese Posse vor ihm. "Vielmals Verzeihung. Vielmals."

"Es- Es ist nicht so, wie es aussieht!", bekam Krabat gerade noch über die Lippen gepresst, da schlug die Tür schon wieder zu und der Lakai war zurückgewichen.

Rot vor Scham versank Krabat im Wasser.
Wo er gerade eben noch gewesen war, blubberten nur noch Bläschen an die Oberfläche.

Frisch aus der Wanne be like:

Das ist genau Vasilys Blick, wenn man ihn auf diesen Vorfall anspricht.

Wir vergessen einmal getrost, dass ich diese Pose von einem Bild von Iwan dem Schrecklichen und Boytoy Fjodor Basmanow habe.
Das wäre kein guter Look für Vasja und Krabat :'D
Opritschnina? Nein danke.

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