XVII. Spielfigur

▪︎ ▪︎ ▪︎

Nach Valon hatte Zilli die Kälte nicht mehr gespürt.
Eigentlich hatte sie fast gar nichts mehr gespürt.
Ihre Hände waren taub, Schnee nur noch feucht, Wind vielleicht schneidend und unangenehm, aber er ließ sie nicht mehr fröstelnd zurück.

Also war es nicht weiter verwunderlich, dass sie ohne schweren Armeemantel vollkommen reglos in der offenen Droschke mit dem Schwanenemblem saß, während Straßenzüge aus Villen, Palais und Lustgärten in einem Schweif aus Gold und Weiß nur so an ihnen vorbeirauschten.

Und trotzdem... zum ersten Mal seit langem fühlte sie das Prickeln der Aufregung in ihren Fingerspitzen.

"Passiert das öfter?", hakte sie bei dem kleinen, rundlichen Dienstboten der Schwolent nach, der in einen Pelzmantel gewickelt direkt ihr gegenüber platziert worden war. "Dass die Madame willkürlich Unbekannte zu sich zitiert, meine ich?"

Aber der Lakai schwieg sie bloß eisern an.
Zilli schürzte die Lippen.

"Wieso hat sie mich eingeladen?" Diesmal schärfer.

Stille.

"Wissen Sie", log Sie munter drauf los. "Manch einer behauptet, die Madame wäre nur so reich, weil Sie mit dem Kaiser schläft."

Was für eine Reaktion sie sich auch immer erhofft hatte, sie blieb aus. Ihr starrte nur die selbe, leere Leinwand eines Gesichts entgegen.

Innerlich kapitulierte sie und wandte ihren Blick demonstrativ ab.
Mittlerweile hatten sie das Zentrum der Oberstadt erreicht, denn die Prachtboulevards öffneten sich zu einer gewaltigen, blanken Fläche überzogen mit kleinen Zierbrunnen.
Umso höher aber ragte die Hauptattraktion auf, in deren Rücken sich ein auslandender Tempel und Kolonnaden erstreckte: Die Ruhmeshalle.

Vor ihr herrschte und wachte ein Koloss.

Die Bruktiana war Schutzpatronin und Repräsentation der Nation gleichermaßen.

Sie war eine Statue, in Bronze gegossen, thronend auf einem hellen Marmorsockel, der allein so hoch wie ein Mann und breit wie drei Ochsen war.
Ihr Haupt war gekrönt mit Eichenlaub und während ihre Linke auf dem Rücken des Löwen neben ihr ruhte, reckte sie ihre rechte Hand in die Höhe. Ihren Fingerspitzen entfloss eine rauschende Flamme - das ewige Feuer.
Tiefblau verfärbt und heißer als alles, was ein gewöhnlicher Ofen je erreichen konnte.

Selbst vor Valon, vor der... Veränderung war Zilli nie in der Lage gewesen, eine Flamme in einem solchen Zustand auch nur kurzfristig zu stabilisieren.
Sie schnaubte. Bei ihrer umfassenden Schulbildung ja kein Wunder.

"Die Bruktiana ist ebenfalls ein Werk der Madame. Einer ihrer eindrucksvollsten", meldete sich da eine schnarrende Stimme und Zilli zuckte zusammen.
Der Dienstbote, realisierte sie da.

"Nein", stellte Zilli bloß fest. "Die verehrteste Madame Schwolent hat die Errichtung nur bezahlt. Entwickelt - und wirklich ausgeführt - haben es andere. Das ist ein Unterschied."

Ihr Vater war es gewesen. Er und seine Kollegen, die monatelang an diesem ausgeklügelten, magischen Mechanismus gearbeitet hatten.
Aber wie allzu oft vergaß die Geschichte die Namen der Magier, solange sie nicht die Schurken für andere spielen durften.

Unwillkürlich knackte sie mit den Knöcheln.
Zilli würde nicht zulassen, dass sie das gleiche Schicksal ereilte. Der Sieg bei Valon gehörte ihr. Ihr und ihren Mistreitern.

Die Bruktiana wich aus ihrem Sichtfeld und die Pferde schnauften in den nächsten Prachtboulevard.

Zilli erkannte Schwolents Heim auch ohne das der Diener es ankündigte.
Es war zu Beginn des Krieges durch jede Zeitschrift gewandert: Schwolent, die mit ihrem kometenhaften Aufstieg das größte, teuerste Haus der ganzen Stadt erworben hatte.

Das Kurhaus Astor sah dagegen aus wie ein Armenhaus.

Es war keine Villa, auch kein Palais, sondern einfach nur...groß. Und doch platzte die Dekadenz aus jeder Ritze.
Stuck, Sandstein, Gold, zahllose Säulen und noch mehr Ornamente.
Der Anblick ließ einen schwindeln.
Kitsch, realisierte Zilli da. Das Haus war reiner Kitsch. Und potthässlich. Selbst die zwei gigantischen Schwäne aus Perlmutt, die den Eingang flankierten, waren nichts als teure Geschmacklosigkeit.

Doch die Droschke hielt nicht.
Mit immer größer werdenden Augen merkte Zilli nur, wie sie in eine Gasse für Dienstboten einbogen und schließlich in einem dunklen, feuchte Innenhof stoppten.
Der Lieferanteneingang, zweifelsfrei.
Hier, wo sich kein Blick hin verirrte, waren die Fassaden nackt und simpel.

Ein Schnauben drang aus ihrer Kehle.
"Ach, schämt sich Ihre Madame so sehr für mich? Oder möchte Sie den Haupteingang einfach nicht von mir beschmutzt wissen?"

Missmutig verzogen sich die Lippen des Dieners.
"Dies dient lediglich der Diskretion. In Ihrer Nachsicht meinte die Madame, Sie würden Anonymität vorziehen."

"Diskretion", echote sie gedehnt, doch der Lakai rührte sich keinen Milimeter.

Zilli musste keine Geistermagierin sein, um diese Lüge auf einer Meile Entfernung zu riechen.
Sie wusste, wann man sie auf ihren Platz verwies. Wann eine Einschüchterung gesprochen wurde.
Wie ein Diener oder Ware behandelt zu werden war Zeichen genug.

Aber das hier war kein Gezeter wert.

Ihre Hand wanderte zum Jantar, klopfte wie zum Gebet dreimal auf das rubinfarben schimmernde Karfunkel, dann riss sie Tür auf und trat in den Abend.

Unwillkürlich packte sie den Gehstock fester, den man ihr zähneknirschend wieder überlassen hatte, dann stapfte sie hinter den trippelnden Schritten des Lakaien her.
Die Fliesen des Dienstbotentrakts waren trüb und gesprungen, selbst die Tapeten waren fleckig und ein strenger Geruch nach Schimmel wehte durch den Korridor.
Allein eine Tür aus poliertem atamanischen Holz hob sich von der Tristesse ab. Selbst der Knauf schimmerte golden, ebenso die Scharniere.
Der Lakai erkor es als ihr Ziel, denn er meinte bloß:"Nach Ihnen, Major."

Im nächsten Moment riss er die Tür bereits auf. Sofort strömte der Geruch von Duftwasser, Zigarrenqualm und Alkohol in Zillis Nase.

Zillis Erfahrungen mit Puffs hielten sich nun wirklich in Grenzen, aber Schwolents Salon war ihre direkte Vorstellung eines Edelbordells.
Seien es die roten Samtvorhänge, die plüschigen Sofas und Sessel oder einfach nur der erdrückende Gestank nach überteuertem Parfum.
Vielleicht lag es daran, dass man hier seine Seele verkaufte.

Doch wer war Freier, wer Hure? Man konnte es hier schwer sagen.

Offiziere mit dem goldenen Streifen des Generalstabs an den Hosen reihten sich direkt an Politiker, famose Künstler - und Historiker.
Professor Acula lehnte sich gerade über einen der Tische und unterhielt sich angeregt mit einer jungen Offizierin, die - allein bei dem Anblick wurde ihr schwindelig- den Löwensternorden trug.
Den hatte nicht einmal Kabisius besessen.

Sie wollte herumwirbeln und den Lakaien zur Rede stellen, aber er war verschwunden. Leise klickend fiel die Tür hinter ihr zu und sie blieb vollkommen einsam in diesem bevölkerten Raum zurück.

Sie gehörte hier nicht her. Sie war ein Fremdkörper.
Die Erkenntnis kroch in ihre Adern wie Blei.
Zillis Finger krampften sich um Stock, aber sie fand keinen Halt. Im Gegenteil, denn mit jeder verstreichenden Sekunde kamen ihr die bronzen geflochtenen Schulterstücke eines Majors und der orangerote Uniformrock einer Feuermagierin schäbiger vor.

Unschlüssig kratzten ihre Sohlen über den Boden, dann stapfte sie aus dem Bauch heraus einfach in Richtung Professor.

"Professor Acula!", grüßte sie betont leger, dabei schrillte ihre Stimme eine gute Oktave zu hoch.
Sei es das Quietschen oder die plötzliche Ansprache, doch Aculas sprudelnder Wortfluss stoppte und er wirbelte herum.
Für einen Moment schien sogar seine Gesprächspartnerin bei der einkehrenden Stille aufzuatmen, keinen Wimpernschlags später hatte sie aber schon die Flucht ergriffen und war zu ihren Kameraden geeilt.

"Palinquas!", stieß der Professor aus und riss die Arme in die Höhe. "Hier hätte ich Sie nun wirklich nicht erwartet. Sie sind ja ein schönerer Anblick, als der Fund einer zweitausend Jahre alten Mumie!"

Sie entschied sich, dieses Kompliment gekonnt zu ignorieren.
Es war doch ein Kompliment... oder nicht?

"Ich mich ehrlich gesagt auch nicht", murmelte sie stattdessen bloß, schüttelte dann den Kopf und musste das Haupt in den Nacken legen, um in Aculas Gesicht blicken zu können. "Sie sehen... erholter aus."

Das letzte mal war sein halber Bart und Augenbrauen verkohlt gewesen. Scheinbar hatte sich das Haar in der letzten Woche wenigstens halbwegs erholt, oder der Professor kannte einen sehr guten Perückenmacher.

Scheinbar letzteres - denn als er schnaubte, flatterte sein Schnauzer bedrohlich. Aber das übertünchte seine Flut aus Worten noch im selben Herzschlag.
"Erholt? Die letzte Woche war alles andere als erholend! Bei den drei, nachdem uns alles in Valon um die Ohren geflogen ist, musste ich die gesamte Ausstellung neu organisieren. Meine ganze Berufsehre wiederherstellen, jawohl! Die arme Kabisius aber erst! Ich hatte ja zuerst befürchtet, dass Ihr euch jetzt die gleiche Grube teilen müsstet."

"Ich hatte mehr Glück. Irgendjemand musste da ja die Arbeit erledigen", erwiderte sie nur.

"Wo sie das sagen...Da fällt mir ein, ich habe einmal fünf Enzyklopädien zur modischen Veränderungen während der großen Beschwichtigung geschrieben und-"

"Sie sind ein wiklich beachtlicher Historiker", wimmelte sie ihn ab, da verzog er sogleich die Lippen.

"Historiker! Wirklich, welch beschränktes Weltbild! Also ich bin auch noch Archäologe, Fluchkundler, Chronist, Kurator-"

"-und ein wahrhaftig guter Freund, nicht wahr, Julius?", flötete eine Stimme hinter ihnen und Zilli zuckte automatisch zusammen.
Die Dame, die sich nun auch vollends in ihr Blickfeld schob, war zweifelsfrei die Herrin des Hauses.

Eigentlich war Despina Schwolent eine unscheinbare Frau. Ungefähr Mitte vierzig, Haare und Augen von der Farbe Karamells und mit einer leicht schiefen Nase. Der ein oder andere hätte sie vielleicht sogar als hübsch erachten können, aber Aufmachung änderte alles.

Perlenschnüre wanden sich schimmernd durch ihr Haar, rote Seide und Chiffon bedeckten ihre Glieder, ließen sie grazil und geschmeidig wirken. Selbst ihr Parfum roch teuer.
So erstrahlte sie in ihrem Palast wie eine Göttin.
Schwolent war hier die Herrscherin, nicht die Anwesenden Grafen, Fürsten und Generäle.

"Wenn Sie mich nun entschuldigen würden?", klimperte sie ihm zu. "Ich glaube, ich werde Ihre Freundin entführen müssen."

Für einen Moment schien der Professor so, als würde er bald in lustvolles Nasenbluten ausbrechen. Selbst eine viertausend Jahre alte Mumie fände er sicherlich nicht so beeindruckend wie die Fabrikantin.

Und mit einer Natürlichkeit als wären sie jahrelange Freundinnen, hakte sie Zilli bei sich unter und führte sie durch den Salon hindurch.
Was oder überhaupt ob Acula etwas erwiderte, hörte sie nicht mehr, als Schwolent ihr nahezu verschwörerisch zuraunte:
"Fräulein Palinquas, nicht? Komm, setzen Sie sich zu uns. Das ist nur passend für meinen Ehrengast."

All ihre Nackenhaare stellten sich bei diesen Worten auf.

"Ich glaube, die Militärgendarmerie würde mich momentan auch als Ehrengast bezeichnen", knirschte sie zurück.
Schwolent lachte bloß hell auf.

Hinter ihnen setzte ein Streichquartett an.
Ein ganzes, verdammtes Streichquartett.

In einen Anflug aus Wagemut löste sie sich von Schwolent, deutete einen Handkuss an und raunte:"Wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, mich in Ihre Tanzkarte einzutragen?"

Wenn die feine Gesellschaft spielen wollte, so konnte sie das auch.

Belustigung zuckte durch Schwolents dunkle Iriden, doch dann bot sie Zilli die Hand an.
"Mein nächster Tanz wäre frei."

Wortlos lehnte Zilli ihren Gehstock an die Seite, nahm Schwolents linke Hand und legte ihr ihre rechte unterhalb ihres Schulterblatts.
Ihr krankes Bein schien für den Bruchteil einer Sekunde unter ihr wegbrechen zu wollen, doch schon im nächsten Wimpernschlag hatte sie Balance gewonnen, indem sie ihr Gewicht auf die gesunde Seite verlagerte.

Keinen Augenblick später glitten sie bereits über die Tanzfläche und Zilli führte Schwolent in die erste Figur.
Auch sie war eine Tochter des Bürgertums, auch sie kannte die Spielregeln.

"Ich muss gestehen", spöttelte die Fabrikantin leise. "Sie sind sehr fesch in Ihrer Uniform. Was wäre es eine Schande, würden Sie sie verlieren. Obwohl - " Sie legte ihren Kopf neckisch schief. "- die Epauletten eines Generals würden Ihrem Gesicht schmeicheln."

Zilli versteifte sich.
Statt etwas zu erwidern, platzte ihr nur die Frage über die Lippen, die sie nachts wach hielt:
"Wieso bin ich hier? Ich bin weder adäquat für solche Epauletten noch für diesen Ort. Was wollen Sie also von mir?"

"Mein Kind-", setzte die Fabrikantin an, aber wurde von Cäcilie unterbrochen.

"Ich bin seit fast zehn Jahren kein Kind mehr."

"Natürlich, Fräulein Palinquas. Wer könnte das bezweifeln? Kinder reformieren nicht einfach Taktiken und stürzen den Generalstab in eine Krise."

"Was -Wie meinen Sie das?"
Intuitiv stockte Zillis Füße. Sie strauchelte, aber Schwolent fing sie geschickt auf und riss die Führung im Tanz an sich.

"Genug", entgegnete die Fabrikantin bloß, tief über Zilli gebeugt. "Ob Sie es wollen oder nicht, aber Sie sind adäquat für diesen Ort. Sie sind es in dem Moment geworden , als Sie sich auf Kabisius Grab wie eine Usurpatorin aufgeführt haben."

"Ich habe Kabisius Vermächtnis eher verteidigt, als es mit Füßen getreten. Ich habe Ihre Division gerettet", presste sie hervor, dabei wusste sie nicht einmal, ob sie log, die Wahrheit sprach oder sich einfach nur selbst salbte. "Diese Vorwürfe sind konstruiert."

"Andere Offiziere würden Ihnen da widersprechen. Deutlich konservativere Offiziere. Für die sind Sie ein Emporkömling, eine Magierin noch dazu, die den Platz einer der Ihren geraubt und jegliche bekannte Taktik verschmäht hat. Und Sie haben sich nicht nur erdreistet, alle Regeln zu brechen, Sie haben zu allem Überfluss auch noch gewonnen. Nicht wegen, sondern trotz Adel und Doktrin. Ihre Handlungen haben deren gesamte Machtbasis in Frage gestellt."
Ein schmales Lächeln erklomm Schwolents Gesicht.
"Glücklicherweise gehöre ich nicht zu diesen Personen."

"Also was?", Sie konnte ein Schnauben nicht unterdrücken, trotzdem bebten ihre Finger und Lippen."Wollen Sie mir Hilfe anbieten?"

Schwolent schüttelte Ihren Kopf. "Keinesfalls. Hier gibt es keine Freunde, keine echten zumindest. Bloß temporäre Interessen."

Zillis Brauen senkten sich.
"Eine Transaktion also?", brachte sie hervor. "Sie glauben also wirklich, durch mich Gewinn zu erzielen?"

"Meine Liebe, ich mache immer Gewinn. Verluste gibt es in meiner Welt nicht."

"Und was für einen Gewinn erwarten Sie von mir?"

Ihre rot bemalten Lippen verzogen sich zu einer blutigen Fratze. Jetzt waren sie sich ganz nah.
"Vielleicht werden Sie zu einer Tragödie, die mich köstlich amüsieren wird. Vielleicht werde ich aber bald das Prestige besitzen, die nächste Kriegsheldin zu protegieren."

"Kriegsheldin?" Ein kratziges Lachen sprudelte über ihre Lippen. "Meinten Sie nicht noch gerade, die ganze Generalität verabscheut mich?"

"Auch die Generalität wird sich eingestehen müssen, dass man sich Niederlagen und Ressentiments irgendwann nicht mehr leisten kann. Und was katalysiert gesellschaftliche Veränderung mehr als ein Krieg?"

"Krieg ist das schmutzigste Geschäft von allen", warf Zilli ein, aber Schwolents Lächeln wurde nur breiter, als die Fabrikantin hinzufügte:

"Und gleichzeitig das gewinnbringendste."

Die Musik stoppte.
Erst jetzt bemerkte Zilli, wie sehr ihre Hände zitterten.

Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt.
Krieg dich ein, Palinquas, zischte sie sich innerlich selbst zu. Aber als ein Dienstbote ein Tablett voller Gläser mit Gretgold balancierte und ihnen anbot, leerte sie ein Glas in einem Zug, stellte es ab und nahm sich sofort das nächste.

Wortlos hob Schwolent eine Braue.
"Komm, setzen wir uns", forderte sie Zilli bloß auf und schob sie sanft in einen der vielen Sessel. Neben ihnen hörte sie eine Gruppe Künstler im Bann der grünen Fee versinken. Sie musste nicht einmal zu ihnen blicken, um die smaragdfarbene Flüssigkeit und den Zucker zu erkennen. Ihr lautes Delirium sprach für sich.
Zilli wäre jetzt gerne an ihrer Stelle.

"Aber Sie haben mich nicht hierhergeholt, um mir das alles zu erzählen, nicht wahr?", brachte sie über die Lippen. Sie fühlten sich noch immer rau und trocken an. "Was möchten Sie?"

"Ihnen einen Einblick geben. Nennen wir es einen Vertrauensvorschuss."
Schwolents Hand verschwand in den Wickeln ihres Kleides und zog dann einen Zettel hervor, den sie Zilli überreichte.

Zögernd faltete sie ihn auf und runzelte die Stirn.

Soldag, Ufer des Kristallsee, alte Gerichtslinde. Sonnenuntergang

"Sie werden dort auf meinen getreuen Diener Lazarus treffen", raunte sie ihr zu. "Es gibt Geheimgänge. Älter als das Beruner Schloss. Sie führen in den Gläsernen Saal, wo sich der Generalstab trifft. Dann können Sie hören, was man da über Sie zu sagen hat. Ich habe da meine Kontakte."

"Aber-"
Warum das Alles?, wollte sie verlangen, da knallten die Türen auf, Schwolents Kopf wirbelte herum und Säbel und Orden klirrten mit einem Mal in der Luft.
Mit dem Pathos eines Zeremonienmeisters verkündete ein Dienstbote:"Ihre Hoheit, Prinzessin Ernestine von Cotha-Lauenbach."

Noch bevor Zilli die Neuankömmlinge sah und das Krachen der Militärstiefel verstummte, blitzte ein strahlendes Lächeln über Schwolents Gesicht.

"Myhardasch Alvete, Hoheiten", sprach die Fabrikantin im Singsang der Edelsprache Hoch Tyreu, nur um ein
"Myhardasch Alvys, Madame" zu ernten.

Gerade noch rechtzeitig schaffte es Zilli aufzuspringen, die Hacken ineinanderzuschlagen und zu salutieren, denn vor Schwolent baute sich die Thronerbin des Kaiserreichs Bruktien und des Königreich Teutin auf, dessen Teilarmee von niemand geringeren geführt wurde als ihrer Prinzessin, einem Generalleutnant des Heeres.

Aber sie war nicht allein, musste sie perplex feststellen.
Direkt dahinter, fesch frisiert und mit einer Zigarillo zwischen den Lippen, stand niemand anderes als der Baron von Zyssen.
Der Generalin, der ich diene, hatte er ihr erzählt. Dass es sich dabei um eine imperiale Prinzessin handelte, hatte er gekonnt verschwiegen.
Nur, dass er gerade aussah, als würde er am liebsten auf der Stelle sterben.

Ein Empfinden, das Zilli automatisch teilte, als sie blassblaue Augen auf sich ruhen spürte.
Die Prinzessin hätte sie ebenso gut in einem Gletschersee ertränken können. Ebenso fatal waren ihre Worte, als sie die Nase rümpfte und sprach:
"Das ist also die Gesellschaft, mit der Sie sich neuerdings umgeben? Sagen Sie, haben wir Sie in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt, Madame?"

Für den Bruchteil eines Moment meinte Zilli zu sehen, wie Schwolents Lächeln wankte.
"Also bitte", setzte sie an. "Wenn ich Ihnen doch wenigstens meine neue Gesellschaft vorstellen dürfte. Die-"

"Nein, dürfen Sie nicht", schoss es im Stakkato zurück. Noch immer lag ihr der Kommandoton eines Generals auf den Lippen.

Dann machen Sie doch lieber Gesellschaft mit einer Kanonenkugel, wollte Zilli zischen, biss sich aber auf die Unterlippe. Nicht einmal sie war leichtsinnig genug, sich mit der Thronerbin anzulegen. Also schluckte sie ihren Stolz einfach hinab und schielte stattdessen zum Baron.

Doch als sie eine gequälte Miene sah, begriff sie endlich.
Der Geschmack nach Blut, das leichte karminrote Schimmern in seinen Augen, das Herumschleichen in der Oberstadt - es machte alles Sinn.
Dafür musste sie nicht einmal die neue Uniform sehen, mit der er hier offiziell auftrat.
Trotzdem drückte der rubinfarbene Waffenrock der societas sanguinis ein Siegel auf ihren Verdacht.

Dann spürte sie es wieder.
Der Geschmack von Blut, der sich auf ihre Zunge legte und sogleich wieder entglitt. Fast schon flimmernd. Viel zu schwach für einen wirklichen Zauberer.
Der Baron war auch kein Mischling, sondern ein Neumondmagier. Ein Katzengoldmensch.
Einer der raren Zauberern, die bei rein menschlichen Eltern geboren wurden. Meist so kränklich, dass die wenigsten dieser Wenigen überlebten - und die Hälfte von denen wurde zivilisiert ertränkt.

Ihre Blicke kreuzten sich, doch beschämt richtete der Baron prompt seine Augen nach unten.

Der arme Mistkerl, schoss es ihr durch den Kopf. Was hatte er getan, um diesen schrecklichen Posten zu verdienen?
Oder eher gefragt:
Was hatte die Prinzessin verbockt, dass man ihr einen Magier als Adjutant aufhalste?

Und doch.... Auf den zweitem Blick, so direkt nebeneinander, sahen sich die beiden Herrschaften mit ihren blonden Locken und geraden Nasen verdächtig ähnlich aus.
Der kranke, jüngste Spross der kaiserlichen Familie. Die Blutschande. So hatte man das doch immer genannt.

"Nun, Hoheiten, ich bin zumindest froh, euch in meinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen!", fuhr Schwolent einfach fort.
Zilli schluckte.
Hoheiten.
Plural.
Und ein Baron war definitiv keine Hoheit.
Zumindest ein Elternteil teilten sie sich scheinbar.
"Ihr habt mich immerhin schon so lange nicht mehr mit eurer Anwesenheit beehrt."

Natürlich, es hätte Gerüchte gegeben. Immer schon. Das Wechselbalg, der Bastard, der Magier.
Die kaiserliche Zensur hatte zwar das ärgste stoppen und die wagemutigen Schreiber in den Kerker verbannen können, aber auch Prinzen entkamen nicht der rigorosen Uniformierung der Magier und dem Fallbeil des höfischen Tratschs.

Die Augen des Barons - oder eher des Prinzen - hoben sich.
Als sich diesmal ihre Blicke streiften, wich er nicht aus, sondern zuckte fast schon entschuldigend mit den Schultern. Doch Zilli versuchte sich an einem Lächeln.
Sie beide hatten sich wohl Nacht verstecken müssen.

Die Lippen der Prinzessin schürzten sich.
"Zumindest einige von uns waren zu sehr mit unseren Pflichten okkupiert, um uns zu amüsieren."
Ihr Blick durchbohrte daraufhin Kuno, der einfach nur weiter in sich zusammenzufallen schien.

"Und wir sind dankbar, dass alle Kinder unseres Souverän so eifrig für das Wohl unserer Nation arbeiten."
Zilli hatte die Worte gesprochen, noch ehe sie es hatte stoppen können. Gleichzeitig hatte sie demonstrativ eine Hand auf Kunos Schulter gelegt.

Die hellen Augen der Prinzessin verengten sich.
"Jeder kämpft auf seine Art", knirschte sie, dann richtete sich ihr Blick auf Schwolent. "Egal ob bei oder hinter der Front. Was täte Bruktien nur ohne die treue Industrie?"

"Den Krieg verlieren?", schlug Zilli vor, aber ihr Humorversuch stieß auf irritierte Mienen. Allein der Prinzbaron musste schmunzeln, buchstabierte dann aber stumm: "Rhetorische Frage."

"Also", löste die Hausherrin das peinliche Schweigen. "Aber wisst Ihr, was schöner wäre als all der Alkohol und Festmähler? Mein lieber Prinz, Sie sollen doch ein bezaubernder Pianist sein. Wollen Sie uns nicht den Abend etwas mit Musik versüßen?"

Licht flatterte bei dieser Bemerkung über Kunos Antlitz.
"Das findet sich durchaus auf der langen Liste meiner Talente", flötete er und machte Anstalten, sich auf en Klavier am Rande des Salons zuzubewegen, da klammerte sich die Hand seiner Schwester eisern um sein Knöchel und sie zischte etwas für Zillis ungebildete Ohren Unverständliches auf Hoch Tyreu.

Er erwiderte etwas in dem selben melodischen Singsang, aber auf die scharfe Entgegnung seiner Schwester zuckte er nur zusammen und sank missmutig in einen der Sessel.

Während sich die kaiserlichen Geschwister aber zankten, hatte sich Zilli zu Schwolent vorgebeugt.
Sie wisperte nur ein einziges Wort:"Warum?"

Das Lächeln der eigenartigen Dame schien spitzer zu werden, nahezu wölfisch.

"Ich bin eine Geschäftsfrau, Palinquas, ich investiere. Und Sie sind eine besonders vielversprechende Partie."

Automatisch verzog Cäcilie Ihre Lippen.

Hohes Risiko, hoher Erfolg.

Shout out an Fiete, dass er das Brüderchen noch im betrunkenen Zustand mit dem falschen Namen angesprochen hat.

Ernestine could never

#FieteforKaiser

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top