VI. Der Anfang vom Ende

"Die einzige Sache, die die Fürstentümer Bruktiens mehr hassen als einander, sind die Mitreaner."
-ehemaliger teutisch -bruktischer Ministerpräsident von Puttburg

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Aus zusammengekniffenen Augen starrte Valentin Saphir die schmale Klinge des Stiletts an, die in kreisenden Bewegungen über seiner Hand schwebte.

Das Ding musste bereits so alt sein wie er selbst, es hatte Blut und Krieg geschmeckt - und nicht wenig davon ging auf seine Kosten.

Den eigenen Wert und somit den der ganzen Zaubererschaft beweisen, das war in den letzten Dekaden zu seiner erdrückenden Last geworden, der bereits zahllose zum Opfer gefallen waren. Mal metaphorisch, als er ihre Karrieren und Hoffnungen begraben hatte, mal faktisch, als Stahl sprach.

Er schüttelte steif seinen Kopf und seine Magie ließ die Klinge zurück in seine Hand fallen.
Was auch immer er tat, jeder würde es auf den Rest der Zauberer projizieren, er spielte immerhin den Spiegel einer gesamten Parallelgesellschaft.
Stürzte er sich in seine alte Uniform, die nicht einmal eine wirkliche war, würden Magier in Dutvar, Morokew und Saint-Mitre angekreidet werde.
Ließe er seine jetzigen Kriegsanstrengungen fallen, litten die Magier Zuhause.
Und er hatte Fritz geschworen, sein Erbe und Land zu verteidigen.
Weniger als Perfektion war nicht genug.

Oder hatte dieser Oberst nicht recht? War er einfach nur feige geworden? Zu zögerlich?

"Exzellenz?" Die helle Stimme eines jungen Gefreiten ließ ihn aufschrecken.
Der Blonde Bursche stand zittrig im Türrahmen und wippte auf den Fußballen, während seine Hände einen Schutztalisman umklammerten.
"Die Frau Generalmajorin Kabisius will Sie sehen. Wir müssen aufbrechen. Jetzt."

"Ja, ja natürlich", schob er schnell hinterher und richtete sich von dem geblühmten Chintz seines Sessel auf.
In derselben Bewegung ließ er das Stilett in einer Lederhalterung unter seinem Ärmel verschwinden.
Man wusste ja nie, was kommen konnte.

Morgengrauen hatte Valon in diesiges Zwielicht gehüllt und noch immer streckte der Nebel seine weißen Finger in den Kurpark aus, wo sich Kabisius und ihre Entourage versammelt hatten.
Sie wirkten verloren in diesem Meer verblühter Gärten und stillgelegten Brunnen und als Saphir begleitet von dem Gefreiten in ihre Mitte trat, stieß selbst die Generalin eine erleichterten Frostwölkchen aus.

"Sie wissen, wie Sie uns zum Waldersee bringen können?"

Valentin nickte, während er ergänzte:"Sind Sie denn bereit?"

Die vier Soldaten, die ihn, Kabisius und ihren Adjutanten begleiteten, tauschten verhaltene Blicke aus, doch ihre Kommandeurin schmetterte jegliche Zweifel mit einem "Lasst es hinter uns bringen" ab.
Damit streckte er seine beiden Hände nach ihnen aus und wenige Sekunden später hatten sich Regierungsmitglied und Militärs gepackt wie verängstigte Kinder, die in Schatten und Einsamkeit durch einem besonders bedrohlichen Wald schlichen.
Ein Walt aus Säbelspitzen und Bajonetten.

Zischend atmete er aus und für einen Moment explodierte es Silber hinter seinen Lidern.
Die Zwischenwelt rauschte in Schlieren an ihm vorbei, Szenen und Ausschnitte, Seelen und Geister, alles verwischte in einem Wirbel aus Farben, doch der Rest seiner Begleiter musste hier in erstickender Blindheit gefangen sein.

Im nächsten Wimpernschlag schmatzte Matsch unter ihren Sohlen und Valentin verzog angewidert die Lippen.

Er hatte sie nah an den See gebracht. Zu nah für seinen Geschmack.
Rauschend spülte das mattgraue Wasser um ihre Schuhe, tote Fische trieben an den Rändern des schlammigen Gewässern und alles wurde gekrönt vom schwefelgelben Himmelsgewölbe.
Das Juwel dieser Szenerie war ein Block aus Beton, den lediglich Schlitze für Maschinengewehre durchbrachen und auf dem der einzige wirkliche Farbfleck prangte:
Die Trikolore von Saint-Mitre.
Weiß, Violett, Gold und darauf eine Schwertlilie.

"Haben wir auch eine Flagge mitgebracht? So aus Prestigegründen?", hörte er Kabisius ihrem Adjutanten zuraunen und als der den Kopf schüttelte, fauchte sie:"Das erste Opfer des Krieges sind scheinbar kompetente Mitarbeiter!"

Erzürnt rauschte sie mit klapperndem Pallasch und Orden davon, ihre Schar aus Begleitern hechtete der Blonden sofort hinterher, dabei schlitterten sie über den Schlamm wie Entenküken hinter ihrer Mutter.
Allein Saphir blieb gemächlich schlendernd zurück, gemeinsam mit dem pauswängigen Gefreiten, der unter der Last seines Tornisters ächzte, gefährlich strauchelte und das Gewehr umklammerte wie einen Fremdkörper.

Mit schiefgelten Kopf nahm er sich dem Jungen an, der wohl das Opfer der jüngsten Einziehung von Rekruten gewesen sein musste und hakte sich bei ihm ein, um ihn so unauffällig bei seiner schweren Last zu stützen.
So hatte er es oft mit den jungen Magiern getan, die allein und verloren vor der Schwelle seines Landguts angespült wurden. Die Hilfe brauchten. Eine Stütze. Wenn die ganze Welt grausam und kalt geworden war, hatte Valentin versucht, einen Ort der Wärme zu schaffen, damit niemand mehr so leiden musste, wie er es in seiner Jugend getan hatte.
Zumindest diese Hoffnung, Sicherheit und Schutz schenken zu können, hatte ihn davon abgehalten, in den selben frostigen Abgrund zu stürzen, der ihnen allen drohte.

Sofort zuckte das halbe Kind zusammen.

"Wie heißt du?", versuchte Valentin das Unbehagen zu bannen, während sie aus der übergroßen Pfütze stiegen und auf das schattige Maul des verlassenen Bunkers zusteuerten.

Sichtbar schluckte der andere, nur um zu stottern:"Fi-Fiete Rattnik, Exzellenz."

"Nett, deine Bekanntschaft zu machen, Fiete", nickte der Geheimrat ihm zu und klopfte ihm leicht auf die Schulter.
"Das wird schon. Mach dir nicht mehr Angst als nötig."

Für jemanden, der Lüge von Wahrheit zweifelsfrei auseinanderhalten konnte, war Valentins Lächeln überraschend überzeugend.
Dabei glaubte er sich nicht einmal selbst.

Im nächsten Atemzug verschluckten sie die grauen Wände, Valentin ließ den Jungen los und sie sahen sich Angesicht in Angesicht mit vier bis an die Zähne bewaffneten Gurkha-Soldaten der Dutvari.
Die Klingen ihrer Khukuris glänzten bedrohlich, eine stumme Warnung an all jene, die den drei Personen auf ihrer Seite des Tisches nur ein Haar krümmen wollten.
Bloche, sein Flügeldadjutant und die Dutvari-Generalin.

Leicht deutete der Politiker eine Verbeugung vor ihm sowie der Kommandeurin an, bevor meinte:"Mein General, Eure Hoheit, unter anderen Umständen würde ich es als durchaus angenehm empfinden, Sie wiederzusehen. Deswegen schmerzt es mich, gestehen zu müssen, dass Sie Ihre Aufgabe momentan meisterlich erledigen."

Shruti Devi Kunwar war vieles. Zweifelsfrei eine beeindruckende Persönlichkeit der Dutvari mit ihrer Haut wie Bronze und Augen aus Onyx, eine renommierte Runengelehrte noch dazu und die präsumptive Maharani und Maharaj Kumari ihres Königreichs.
Doch auf den Kontinent Marlar war sie nicht als Prinzessin, sondern als Verbannte aus ihrer Heimat und Kommandeurin der Legion Nishta zurückgekehrt.
Seltsamerweise trug sie aber ein goldenes Tuch aus - er blinzelte verwirrt- bruktischer Seide um ihren Hals. Es wirkte wie in Geschenk.
Doch welcher Bruktik würde einem Feind so ein kostbares Geschenk machen, das eigentlich für einen Geliebten gedacht war?

"Ich hätte es mir auch anders gewünscht", erwiderte die schlaksige Frau am Rechten Ende des Tisches, "Aber umso mehr erfreut mich Ihr Lob. Ihre Seite muss ja wissen, wie gut unsere Klingen sind. Solange eimige wenige diese überlebt haben, natürlich."

Valentin wollte gerade den Mund öffnen , da unterbrach ihn das Rollen von Bloches Stimme.
Sein Bruktisch war sichtlich eingerostet, Vokale und Konsonanten flossen schrill ineinander, trotzdem hörte der Geheimrat ein:"Exzellenz, wir wissen ja alle, dass es in Ihrer Natur liegt, den Diplomaten zu spielen, aber das hier ist Krieg."

Geflissentlich nickte Valentin.
"Natürlich. Bitte, ich übergebe das Wort gerne an die Militärs."

Der zog mit zustimmenden Nicken nur eine Zigarette aus seinem silbern blitzenden Etui, steckte sie zwischen die Lippen und forderte seinen Adjutanten auf:"Wenn Sie so freundlich wären?"

Aber bevor der junge Mann sein Feuerzeug aus seiner Uniform nesteln konnte, hatte Valentins seines galant hervorgezogen und hielt das Flämmchen unter den Tabak.

"Auf eine gute Zusammenarbeit."
Beinahe klang er schon zynisch.

Die Aussicht, in diesem Moment direkt in den Geist des feindlichen Generals abzutauchen und ihm all diese pikanten Geheimnisse zu entlocken, die weitaus mehr Leben und Tod entscheiden konnten als die drei Schicksalschwestern es je getan hatten, kribbelte in diesem Moment verführerisch in Valentins Fingerspitzen.
Doch es war nicht nur das Lamentieren seiner eigenen Moral, die ihn abhielt, sich bloß zu krallen,was so zuckrig süß vor ihm lag. Dass es sich dabei nämlich prinzipiell um ein Kriegsverbrechen handelte, war so lange nebensächlich, wie ihn keiner dabei bemerkte. Und um das zu umgehen hatte er nämlich genug Vertrauen in seine Magie. Normalerweise. Aber jetzt war es anders.

Auch ohne Anstrengung spürte er den dumpfen Druck der Runen, die nutzloses Metall in potenziell tödliches Adamium verwandelten. Der Todfeind jedes Zauberers, der seine Magie einfach an dem Geist seiner Gegenüber abprallen ließ. Wo Gedanken sein mussten, rutschte er nur an einer Gletscherwand herab.
Allein Valentins Gespür für die Wahrheit täuschte nichts.
Doch das reichte nicht, um in diesen Käfig gesperrt mit ausgehungerten Löwen zu überleben.
Er musste gestehen, die feindliche Allianz war makellos vorbereitet.

"So, dann raus mit der Sprache", postulierte Kabisius knapp mit ihrem unverwechselbaren Charme. "Was wisst ihr, das wir nicht wissen?"

Die Lippen Duponts kräuselten sich zu einem schmalen Lächeln.
"Ist das nicht witzig?", wandte er sich an seinen Flügeldadjutanten, einen Mittdreißiger, der ähnlich seinem Vorgesetzten allein durch seinen sorgfältig gepflegten Spitzbart aus der Durchschnittlichkeit stach. "Können Sie etwa glauben, dass die Kabisius es nicht weiß? Man würde meinen, jemand mit Ihrer Erfahrung würde wissen, wie man lügt."

Mit einem Schlag sackte Saphirs Herz herab.
Wahrheit klirrte durch Bloches Worte, stichfest und klar.
Und doch hatte Kabisius nichts als Wirklichkeit in den Mund genommen, um ihr Unwissen kundzutun.
Automatisch verkrampfte sich der Hohlmuskel in seiner Brust.
Was war Wahrheit schon außer persönlicher Überzeugung?
Erzählte jemand eine Lüge, nicht wissend, das es eine war, war dafür den Sprecher dann nicht die Wahrheit?

Valentin wollte einschreiten und setzte an:"Reißen Sie sich am Riemen. Beide Seiten sind Opfer dieser feigen Sprengfallen-"

Das Lachen des mitreanischen Generals riss ihm die Worte aus dem Mund, dann spuckte Bloche direkt vor ihre Füße.
"Wir beide waren Opfer? Was für Opfer musstet Ihr denn schon bringen? Bei uns war es ein Lazarett. Ein ganzes Lazarett, in Stücke gerissen und aufgegangen in Asche und Rauch. Hunderte unschuldige Leben, einfach ausgelöscht. Und ihr? Die Großverzauberin Lamisque hat gespürt, dass es eure vordersten Schützengräben kaum tangiert hat. Keine einzigen Körper musstet ihr zu Grabe tragen. "

Kabisius Hand krachte auf den Tisch und das Holz bebte bedrohlich unter ihrem Schlag, noch während sie die Zähne fletschte.
"Wollen Sie etwa andeuten, wir würden irgendwie von dieser Lage profitieren? Wenn das alles ist, was Sie zu sagen haben, gehen wir jetzt!"

"Nicht nur andeuten", zischelte es zurück. "Aber bevor Sie gehen, beantworten Sie mir eine Frage."

Die Generalin stoppte in Ihrem Aufstehen und Ihre Augenbrauen kräuselten sich, doch Bloche lehnte sich einfach mit einer tödlichen Ruhe zurück.
Mit zusammengepressten Lippen angelte Valentin nach dem Flackern der Magie in seinen Gliedern, zog sie zu einem knisternden Ball der Macht zusammen.

Doch der Mitreanern wartete nicht einmal auf eine Antwort, stattdessen schnitt seine Stimme durch Luft und Fleisch:
"Haben Sie auch nur für eine Sekunde geglaubt, wir würden Ihre Lüge abkaufen? Ihre erbärmlich Entschuldigung für einen Anschlag? Was eine durchschaubar Vertuschung Ihrer Machenschaften. Aber wenn Sie dachten, wir würden einfach hinnehmen, wie Sie bei Ihrem Rückzug diese hinterlistigen Fallen legen, die nur Unschuldige treffen, dann liegen Sie falsch." Wie auf Kommando hoben die Gurkhas bei diesen Worten ihre Waffen.
"Wir in Saint-Mitre vergessen noch verzeihen, und wir suchen Vergeltung für diese feige-"

Valentin ließ ihn seinen Monolog nicht beenden.
Mit einem Satz schnellte er nach vorne, seine Linke schoss in die Höhe, Magie blitzte auf und die bewaffneten Gurkhas donnerte gegen die Wand.
Im selben Atemzug streckte er die freie Hand nach Kabisius aus, seine Fühler bereits in der Zwischenwelt und dem eigenen Stützpunkt versinkend, da schnellte Shrutis Hand in ihre Uniform und schleuderte eine Wolke aus glänzendem Puder in die Luft.
Nur für den Bruchteil eines Moments konnte man über die erstaunliche Schönheit des silbernen Nebels staunen, anmutig wie ein Ensemble aus Tänzerinnen, dann krallten sich die winzigen Partikel des Adamiums in seine Haut und alles explodierte in grellem Schmerz.

Ein spitzer Schrei schrillte aus seiner Kehle und strauchelnd wich er zurück. Heiserkeit brannte in seinem Mundraum, gefangen in blinder Panik stolperte der Magier über seine eigenen Füße.

Er stürzte, ein dumpfer Laut erschütterte seine Ohren, aber er fühlte den Boden nicht -nur die erdrückende Wand aus Pein. Und dieses schmerzende Fehlen pulsierender Magie um ihn. Leere, ausgefüllt mit seinem frenetischen Kreischen.

Wangen, Finger, Augen - alles stand in Flammen, Glut bohrte sich in ihn, bis er bei lebendigem Leib gekocht wurde.
Die Welt versank und er ging mit ihr unter. Seine Magie beschnitten, seinen Sinnen beraubt verkrampfte sich jede Faser seines Körpers, er zuckte, wand sich um diesen Alptraum zu entkommen. Doch es gab kein Aufwachen.
Fahrig krallten seine Finger nach dem Stoff seiner Hose, hoffend, flehend an alle Götzen und Hirngespinste, dass dort nicht dieser Staub der Verderbnis gelandet war.
Valentin rieb das Adamium von seinen Händen, wälzte sich schlotternd herum, dann knallte ein Schuss durch das schlierige Weiß seines Sichtfelds, ein markerschütternder Schrei klirrte in seinen Ohren.
Kabisius!
Dann ein Röcheln. Etwas gurgelte. Jemand gurgelte.
Schlagartig bedeckte der Gestank von Metall den Raum wie ein Leichentuch und sogleich schlug Valentin der warme Atem eines Fremden ins Gesicht.

Er zögerte nicht.
Schon als sich eine schwere Pranke um seinen linken Arm schloss, hatten seine Finger das Stilett gezogen und rammten es mit dem Mut der Verlorenen ins Nichts.

Stoff und Haut gaben unter dem Stahl nach, heiße Flüssigkeit ergoss sich auf seine Finger, doch er zog es heraus und stach noch einmal zu.
Und noch einmal.
Und noch einmal.
Blut traf auf sein Gesicht und strampelnd wälzte er die steife Masse von sich.

Boden drückte gegen seine glitschigen Hände, er stemmte sich hoch, wankte und krachte gegen den Türrahmen.
Irgendwo heulten Verwundete auf, zittrig hob er das Messer und zwang seine Magie, ihn nach vorne zu katapultieren.

Der Sog der Zwischenwelt packte ihn, wollte ihn durch den Raum zerren, da peitschte ihn das Glühen des Adamium zurück.
Der Magier krümmte sich in den Qualen, als sich das Diesseits gegen ihn presste wie der Schlag eines Hammers.

Eiskalt rann es ihm den Rücken herab.
Er war verloren.
Blind und schutzlos in einem Gemetzel - oder eher einer Hinrichtung.

Keine Sekunde später traf ihn ein Ellenbogen in die Seite, riss ihn aus seiner wankenden Balance.
Boden schlug ihm entgegen und er würgte ein Husten hervor.

Nicht aufgeben, redete er sich ein, nicht aufgeben.
Nicht nach all diesen Jahren.

Sein Verstand klammerte sich an die ferne Magie eines Hägglmoo, eine Spur der Vergangenheit, doch das war egal.
Wann war egal, wieso war egal, allein das wo zählte.
Denn wo ein Hägglmoo gewesen war, war auch Wasser.
Und Wasser löschte das Feuer unter seiner Haut.

Ohne auch nur aufzustehen robbte er sich über den Beton, Stahl klirrte hinter ihn und Schmerz peitschte seinen Rücken, jeder Meter versprach eine nahende Kugel in den Schädel und Degen in die Seite, aber in Valentins Kopf existierte nur das Adamium.

Stein wurde vom kühlenden Matsch abgelöst, seichte Wellen schwappten um seine Finger und selbst der Gestank nach totem Fisch schreckte ihn nicht ab, tiefer zu kriechen.
Ekel existierten nicht mehr, nur noch dieses rettende Nass.
Gerade wollte er die sengenden Splitter abspülen, da donnerte ein Schuss über das verdorrte Land.

Zuerst spüllte Valentin den Impuls, der seine Schulter nach vorne schleuderte, ihn kopfüber ins Wasser sacken ließ, dann loderte ein beißender, fressender Schmerz durch ihn.
Seine Lippen öffneten sich in einem stummen Schrei, und sofort strömte faules Wasser in Mund und Nase, reizte die Augen, verbannte die Luft.

Er wollte hochkommen, sich aus dem Schlamm befreien, aber Muskeln und Gelenke existierten nicht mehr.
Das war also sein Grab.
Eine tote Pfütze.

Noch ehe er Gefallen an dieser Ironie hatte finden können, klammerten sich Finger um seinen Kragen und zerrten ihn aus dem Wasser.

Prustend schnappte er nach Luft. Frostige Süße dehnte schlagartig seine Lungen und küsste seine Wangen.
Alles während seine Füße hilflos über dem Boden baumelten und die Welt ein loses Meer aus blassgrauen Schemen blieb.

Doch eine Sache Stich klarer aus seinem Würgen und Japsen hervor.
Es war die heisere Stimme von Bloche.

"Das Spiel ist aus, Saphir."

"Sie machen einen großen Fehler", gurgelte er hervor und mit jeder Silbe hustete er mehr von dem abgestandenen Wasser aus.

Aber Bloche legte bloß seinen Kopf schief.
"Wenn die Toten wirklich auf Kabisius Rechnung gehen, dann habe ich gerade einer Kriegsverbrecherin ihr gerechtes Ende gegeben - und wenn nicht, dann habe ich gerade eine mächtige Feindin ausgeschaltet und die bruktischen Armee in Anarchie gestürzt."

▪︎ ▪︎ ▪︎

Fietes Sohlen flogen über Morast und Dreck, als er mit keuchendem Atem und zitternden Fingern über das Land jagte.
Einfach weg.
Weg vom Waldersee, weg von den Mitreanern, weg von all dem Grauen.

Doch egal wie sehr der Bunker hinter ihm zusammenschrumpfte, wie stark auch die Schreie verblassten, in seinem Kopf hallten sie noch immer wieder.

Der Geheimrat, wie er zuckend zu Boden ging, sein Kamerad mit der rot sprießenden Blüte auf der Stirn und Kabisius, die Augen geweitet, die Lippen verzerrt und die Kehle in einem sauberen Streich aufgeschlitzt.

Noch immer klebte das Blut am ihm.
Sein Blut, ihr Blut, das Blut des erdolchten Gurkhas, auf dem er ausgerutscht war...
Der junge Mann wusste es nicht, wollte es nicht wissen.
Er konnte nur erschaudern - nicht einmal Tränen konnte er mehr Weinen. Sein Wasser war verbraucht und sein vorheriges Heulen auf seinen Wangen zu Salz erstarrt.

Und doch wirkte alles so unreal, so fern, so als müsste es jeden Moment wieder ungeschehen sein.
Es konnte ja nicht einmal sein, nein, durfte nicht!

Das hatten sie ihm doch so Zuhause nicht gesagt.
Sie hatten ihm Prophezeiungen von Abenteuern und Heldentaten gemacht, sein eigener Lehrer hatte seine Abschlussklasse eingeschworen auf den glorreichen Dienst für Kaiser und Heimatland, nicht auf solche... solche Blutbäder.
Jetzt wollte er einfach nur Heim, zu Mama und Papa, seiner kleinen Schwester. Diese Art von Abenteuern wollte er nicht.

Nun waren aber alle tot, allein Saphir hatte er noch lebend gesehen, aber das musste nichts heißen.
Entweder sie verscharrten ihn direkt neben seiner Kommandeurin oder legten ihn in Ketten.
Ein tränenloses Schluchzen entwich ihm, ließ ihn stolpern.

Wieso war er dann verschont geblieben? Kein Heldentod hatte er bekommen, nur die Überlebenschance eines Glücklichen, einen Fluchtweg.

Sollte er sich darüber schämen?
Momentan spürte er aber nur rasende Erleichterung. Und Heimweh. Dieses schreckliche Heimweh.

Dabei wusste er nicht einmal, wieso er noch atmete, sich zwischen Schuld und Glück entscheiden musste.

Hatten ihn die drei Schicksalsschwestern beschützt?
Oder war das alles nur ein gerissenes Spiel der Mitreaner? Wollten sie vielleicht sein Überleben, weil seine Erfahrungen nur den Horror Kabisius ganzer Truppe verstärken würde? War das alles bloß kalte Kriegstaktik?

Nein, beschloss er prompt.
Es war der Geheimrat. Er hatte ihn beschützt! Zumindest hatte er ihn nicht angeschrien und geschlagen wie der Spieß der Kompanie.
Vielleicht war es das silberne Sigill, das er ihnen gegeben hatte? Aber das war bei Kontakt mit dem silbernen Staub verbrannt und hatte die anderen mit ins frühe Grab begleitet...

Doch egal was es war, ob Schutz, Zufall oder blankes Kalkül, das dem jungen Rattnik das Leben bewahrt hatte, sein Bericht würde die Geschichte ganz Glamariens verändern.

Äh...yay, Eskalation !
Richtig sympathisch sind die Mitreaner in Akt 1, nicht?
Aber da der Teil ja strenggenommen auch aus bruktischer Sicht beschrieben wird, lasse ich mir das mal selbst durchgehen.*hust*
(Wie war das noch einmal mit Author's Note und Zeichen schlechten Stils:'D?)

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