V. Von Verrat und Waffenstillstand

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Betrachtete man Valentin Saphir allein für wenige Sekunden, so konnte man zweifelsfrei verstehen, woher die Ondits kamen, dass er und der erste Kaiser Bruktiens Ernst Friedrich I. weitaus mehr gewesen waren als politische Partner und Verbündete gegen die Große Ausmerzung.

Niemand konnte leugnen, dass sein Gesicht hübsch, wenn nicht sogar einnehmend war.
Auf diesen Zügen hatte jedoch seine Herkunft aus dem von Morokew eroberten Khanat Khayagdsan eine Unterschrift gelassen.
Die dunklen, epikanthischen Augen und die abgeflachte Nase verrieten sie, trotzdem zeichnete ihn die goldene Amtskette als Staatsdiener Bruktiens aus.

Cäcilie konnte für Saphir aber nur inständig hoffen, dass diese Liebschaft erst eingesetzt hatte, nachdem der Kaiser die Reformen gegenüber den Zauberern begonnen hatte und nicht während das Leuchten der Scheiterhaufen in ganz Bruktien heller aufgeflammt waren als je zuvor.

Doch egal was auch in der Vergangenheit war - Liebe, Verzweiflung, vielleicht auch beides - es hatte dazu geführt, dass Saphir am Höhepunkt seiner Macht erstrahlte und Kabisius unter gehobenen Brauen musterte.
Augenblicklich zog die Generalin ihre Finger aus dem Handkuss zurück.

"Sie!" Ihr Fauchen weckte die Anwesenden aus ihrem Schock. "Sie!"

Beinahe fürchtete Zilli schon, Kabisius' Klauen würde auf eine der blassen Wangen donnern, stattdessen prasselten nur Wörter wie Munition auf den Magierfürsten herab.

"Ich habe keine Zeit für diese Floskeln. Verantworten Sie sich endlich!"

Saphirs dunkle Brauen zuckten bei den Worten in die Höhe.
"Ich soll mich verantworten? Bei allem Respekt, aber in Ihrem Frontgebiet wird eine magische Reaktion ausgelöst, die jedem Zauberer bis Morokew ins Mark schneidet und Sie sind scheinbar unfähig, dem den nötigen Ernst zu widmen. Ist das nun auch schon wieder meine Schuld oder sind Sie diesmal etwas kreativer?" Kabisius schnappte nach Luft, aber Saphir hob abwehrend die Hand.

"Keine Sorge, ein Geist hat mir bereits geflüstert zu welchen ... charmanten Worten Sie gegriffen haben. Ihr Liebreiz eilt Ihnen voraus", meinte er nur, ließ sich an einem der Tische nieder und angelte eine Krokantpraline von einem Dessertteller.

Er war nicht einmal gekleidet wie ein Mensch.
Die Spitzen seiner Stiefel krümmten sich in die Höhe, allein der Gehrock hielt sich noch grob an die Modevorstellung, doch dessen Inneres?

Sein Innenfutter erlaubte einen den Blick in den Kosmos. Es war keine Stickerei, auch keine gewöhnlichen Ziersteine, denn die Gestirne flackerten nur so auf dem dunklen Stoff.

Vorsichtig wagte Zilli sich zu räuspern.
"Die Schule von Idolon", erinnerte sie die Anwesenden an den eigentlichen Grund dieses... idyllischen Treffens. "Die Explosionen entstammen dieser Disziplin. Ihrer Disziplin."

Er sah zu ihr hoch - und Überraschung blitzte in seinen Augen.
"Unmöglich. Ich halte die Grimoires und Dokumente von Idolon sicher verschlossen. Bis auf mich und meine Schüler... niemand hat Zugriff darauf."

"Also", fiepte der Professor. "In den letzten Jahren wurden so einige verlorene Materialien aus der Zeit vor der Großen Ausmerzung exkaviert. Es ist auch Material der alten Schule von Idolon darunter. Das meiste wird zwar von Regierungen beschlagnahmt, aber-"

"Möglich", fiel Kabisius ihm ins Wort und wischte jeglichen Protest mit einer Geste zur Seite. "Aber wir müssen uns auch der sehr wahrscheinlichen Möglichkeit widmen, dass der Übeltäter sogar unter Ihren Magiern ist. Ihren Schülern."

Für einen winzigen Augenblick klammerten sich Saphirs Finger um seine Handgelenke - und Zilli konnte unter den seidenen Ärmeln blasse Narben erkennen.

"Tatsächlich achte ich auf die moralische Integrität meiner Schützlinge, danke der Nachfrage. Ihre Sorge berührt mich zutiefst." Für einen Moment weichte Schmerz die Maske seines Gesichts auf.

"Wissen Sie was", schnarrte Kabisius. "Sie sollten eher dankbar sein, dass Sie auch nur einen Fuß in den Palast setzen dürfen. Weil alles was ich hier gerade vor mir sehe, ist ein erbärmlicher Magier, der sein eigenes Exil verschuldet hat, weil er dämlich genug war, die aufständischen Bauern und Magier in Iurikow als mehr zu sehen, als das sie eigentlich waren: Letzter Gossendreck."

Saphir öffnete den Mund, aber kein Laut entwich ihm.
Die Türflügel knallten auf, Gläser klirrten und eine blutjunge Soldatin mit wirren Locken und keuchendem Atem stolperte herein.
Sie wollte gerade zu einem soldatischen Gruß ansetzen, da schnauzte Kabisius bereits: "Was wollen Sie?"

Mehrere Sekunden lang blinzelte die Soldatin die anwesenden Offiziere bloß perplex an, da brach es schon atemlos aus ihr hervor: "Eine Depesche ist eingegangen. Für Sie. Gerade eben erst-"

"Von wem?"

Das Mädchen schluckte und quietschte hastig: "Die Mitreaner. Brigadier Bloche persönlich hat sich gemeldet, erst in Neu Berun. Es ist sofort an Sie weitergeleitet worden..."

Zilli war nicht die einzige, der die Kinnlade beinahe herabklappte.
Saint-Mitre und Bruktien hatten seit etwas mehr als einem Jahr jeglichen Kontakt, Handel, ja sogar Briefverkehr gekappt. Allein über die Botschaft des neutralen Rosvelds war so etwas wie ein Austausch möglich.

"Was will Bloche?", donnerte Kabisius, ihre Knöchel traten weiß unter ihrer Uniformjacke hervor.
"Einen Separatfrieden zu meinen Bedingungen bietet er sicher kaum an. Bekenntnis zu dieser Explosion? Drohungen?"

Die Botin zögerte, schluckte wiederholt heftig und widersprach:"Es ging um eine Explosion magischer Herkunft im Hinterland der mitreanischen Armee. Um etwas, das Sie Jahrritt nennen. Ihre Magier haben eine ähnliche bei uns wahrgenommen."

"Jahrritt?", fragte Kabisius Saphir.

"Eine Fluchkrankheit", erklärte er mit schmerzlich verzogenen Lippen. "Keine Medizin und keine Blutmagie kann sie behandeln. Meistens ein einjähriges Fieber, vorausgesetzt, man überlebt dieses eine Jahr. Die Chancen sind dafür sind - höflich formuliert- gering. Ist der Zauber stark, kann die Seuche einen in wenigen Sekunden dahinraggen."

Mit einem Mal fiel es Zilli wie Schuppenvon den Augen.

"Silfie", murmelte sie leise, da merkte sie schon Kabisius bohrenden Blick auf sich.
Automatisch straffte sie ihre Schultern.
"Silfie, die Sekundantin von Frowin, hätten Sie heute eigentlich ein Treffen mit Ihr haben sollen?"

Kabisius blinzelte überrascht.
"Es hätte ein Treffen mit den Offizieren gegeben. Heute Nachmittag, aber Sie war nicht anwesend."
Die Generalin stieß ein Zischen aus. Sie war blass um dir Nase geworden.

"Die Sekundantin von Frowin, Sie war Trägerin des Fluchs. Unser Duell war kurzfristig. Sie hätte eigentlich gar nicht bei uns sein sollen."
Zilli schluckte.
"Sie hätte in einer dieser Offizierstreffen von Ihnen sein sollen, nicht an diesem Duellplatz, nicht wahr? Inmitten anderer Kommandeure?
Sie war eine Waffe, eine unwissende, verfluchte Waffe. Sie hätte unsere gesamte Führungsschicht auslöschen sollen."

"Also...", setzte die Rothaarige an, während sie noch immer verloren zwischen Tür und Angel hing.

"Sie können gehen", winkte Kabisius ab, doch die Soldatin verharrte.

"Da war noch was", ergänzte sie zögerlich. "Bloche verlangt ein Treffen mit der Führungselite der Division. Er möchte eine Aufklärung der Vorfälle."

"Ein Treffen?", echote Kerinsk. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass seine noch vor wenigen Minuten volle Cognacflasche bereits zur Hälfte geleert war.
Ihr Blick glitt herab. Eine Hand hatte der Oberst unter dem Tisch zu einer zitternden Faust geballt.

"Nicht, dass Sie zur Führungselite der Division gehören", brummte die Generalin.

"Am Tränensee. Sie nennen ihn Lac de Larmes. Er liegt im Niemandsland. Morgen früh schon."

Kabisius Zähneknirschen hallte zwischen ihnen, dann spuckte sie regelrecht aus: "Zarger, haben Ihre vorgeschobenen Beobachter dort verdächtige Aktionen gesehen? Andeutungen für eine Falle vielleicht?"

Ihr Adjutant, der wie selbstverständlich geblieben war, meinte bloß: "Nein, Madame. Der blieb unberührt."

"Gut, geben Sie Befehle, dieses Gebiet weiter scharf observieren zu lassen, aber machen Sie es ja unauffällig", wies sie ihn an und ihr verbliebenes Auge pinnte wieder die Botin an die Wand.

"Es wäre nicht das erste Mal, dass wir uns mit feindlichen Generälen zu Verhandlungen treffen", gab Kabisius zu bedenken und ein schmales Lächeln zupfte an ihren Lippen.
"Und ich habe gerade vortreffliche Inspiration erhalten."

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Saphir zusammenzuckte.
"Sie denken daran, ihn umzubringen", meinte der leise - und niemand entging das silberne Schimmern, das bei diesen Worten in seinen Augen blitzte. "Sie wollen nicht verhandeln, Sie wollen die Chance nutzen, Bloche und die mitreanische Führungselite umzubringen. War das die Inspiration?Diese arme Silfie?"

"Woher wissen Sie-"

"Ihre Gedanken. Selbst die sind laut", gab der Magier nur zurück und die Generalin verengte ihr Auge.
Neben sich hörte Zilli es knacken und sah, wie sich Kerinsk Hände in die Stuhllehne krallten. Sie waren weiß angelaufen.

"Es war eine Erwägung", gab Kabisius zurück. "Uns wird sich niemals wieder eine solche gute Gelegenheit geben, so viele mitreanische Offiziere auf einem Schlag zu erwischen. Ihr militärischer Widerstand wäre gebrochen. Und all das nur, wenn ich eine handvoll ihrer Generäle töte. Warum nicht das tun, was man uns antun wollte?"

"Und es wäre unserer Untergang. Was denken Sie, würde die Rache an unseren Leuten in Kriegsgefangenschaft sein? Wollen Sie nie wieder Vertrauen für Waffenstillstands- oder gar Friedensverhandlungen? Wie denken Sie, wirkt so ein offener Hinterhalt auf die wenigen Verbündeten, die wir noch haben?"

"Dieser Krieg wird nicht mit Worten und Beschlüssen gewonnen, Saphir, sondern mit unserem Blutzoll. Daran ändern auch Ihre telepathischen Klauen nichts."

Der Magier öffnete den Mund, doch Statt einer Antwort tönte nur das Quietschen von Holz auf Marmor durch den Raum, als Kerinsk hochschnellte, aufsprang und einen Schritt Richtung Geheimrat machte.

"Spielen Sie ja nicht den Heiligen, Sie Scharlatan!" Er spuckte Saphir vor die Füße.
"Was wissen Sie schon von Frieden?"

Mit den Worten machte er auf dem Absatz kehrt, einen erstarrten Saphir zurücklassen.
Krachend fiel die Tür hinter ihm zu - und erst langsam taute Zilli auf.

Ein leises Lachen drang aus Kabisius Richtung. "Der ist jetzt Ihr Problem, Palinquas. Was war denn noch einmal Ihre Strafe? Beeilen Sie sich, oder Kerinsk explodiert auch noch!"

"Verdammt!", zischte Zilli. "Verdammt!"

Ohne Abschied kehrte sie den restlichen drei den Rücken und strauchelte Kerinsk hinterher.
Das letzte, was sie hörte, war die Euphorie des Professors:
"Oh, das ist ja fast wie in dem Schöpfungshymnus der Zwerge, als König Laurin-"
Seine Stimme riss ab.

Jeder Schritt war Schmerz, aber sie kämpfte sich durch die Pforte und raffte unter dem Blick der überraschten Kürassiere nach ihrem Gehstock.
Frostige Nachtluft schlug ihr entgegen, als sie die Treppe herabsprang, Augen fixiert auf den Umriss des kleinen Mannes, dessen dunkle Silhouette sich scharf gegen die gasbeleuchtete Prachtstraße abhob.
Sie beschleunigte ihre Schritte.

"Oberst, warten Sie", rief sie ihm noch zu und packte nach seiner Schulter.

Stahl blitzte im fahlen Mondlicht.
Bevor sie reagieren konnte, schlitzte Kerinsk Messer ihren Handschuh und Haut auf.
Die Klinge versengte ihre Finger.
Keuchend stolperte sie zurück.
Bunte Flecken tanzten vor ihren Augen, als ihre Hand... ihre Hand sich anfühlte, als müsse sie gleich schmelzen.
Als wäre sie schon jetzt nicht einmal mehr Teil ihres Körpers.
Hämisch blitzte das perlmutt schimmernde Messer mit der Runengravur ihr entgegen.
Adamium, realisierte sie mit geweiteten Augen.
Ein Stahl gefertigt, um Magier zu verletzen und einzusperren.
Oder um sie zu töten.

"Palinquas?", stieß Kerinsk aus und blinzelte. Seine Augen waren glasig. Wie in Trance.

"Palinquas, Sie- Was tun Sie hier?"

Sein Blick fiel auf ihre Hand, jetzt fest gepresst an ihre Brust, dann auf sein krummes Messer.
"Sehen Sie, was Sie nur angestellt haben!"

"Was ich angestellt habe?" , quietschte Zilli zurück, dann schüttelte sie den Kopf.
Jeglichen Respekt verschwand in dem Brennen ihrer Haut.
"Bei den falschen Heiligen, seit wann wollen Sie mich abstechen?"

"Ich - Ich- Es tut-"

Seine Worte würgten ab, dann donnerte er:"Ich muss mich nicht vor einem Major verantworten. Vor allem nicht vor Ihnen. Und erst recht nicht, wenn dieser- " Er spuckte aus. "Wenn seine Exzellenz Saphir diesen Ort verdirbt."

"Aber..." , setzte Zilli an, brachte aber keinen weiteren Ton hervor.

Das stoppte Kerinsk Tirade aber nicht im Geringsten. Im Gegenteil.
"Woher soll ich überhaupt noch wissen, was real ist, wenn so jemand hier ist? Was Erinnerungen sind und was nicht? Wann das Innerstes nach außen gekehrt wird?"

Erst langsam fand sie ihre Stimme wieder.
"Der Geheimrat hat noch nichts getan, das nahelegt, dass er so etwas jemals-"

"Er nicht, aber seinesgleichen!"
Er deutete auf sein Gesicht.
Das Gesicht, dessen geschmolzene Haut gleich Wachs an seinem Schädel klebte.

"Ich sollte den Moiren auf den Knien rutschend danken, dass ich damals in Iurikow den Flammenbastarden in die Hände gefallen bin, nicht solchen Seelenfressern wie ihm!"

Er presste seine Lippen fest aufeinander.
"Nicht, wie es meine Kameraden damals sind."
Er drehte ihr den Rücken zu und ging.

So stand Zilli nur da, umklammerte ihre verwundete Hand und konnte nur perplex zusehen wie Kerinsk in die Nacht stapfte.
Nun stand sie hier.
Allein.
Und Kerinsk verschwand aus dem goldenen Kegel der Gaslampen.
Verschluckt vom Angesicht der Welt.
In der Ferne hörte sie einen Motor aufheulen.
Das Vaporzibil.
Verdammt, das Vaporzibil!
Sie machte einen Satz nach vorne, da knirschte schon Reifen auf Pflaster, als das Gefährt in die Nacht entfloh.
Absolut großartig.
Sie blickte auf den Gehstock.

Es war das Geschenk ihrer Eltern nach ihrer Verwundung.
Sie mussten ein halbes Vermögen dafür aufgebracht haben, immerhin schlang sich am oberen Ende ein Knauf aus goldenen Chrysanthemen um den schlanken, schwarzen Stock.
Ihr Vater hatte einen zweiseitigen Brief beigelegt. Voller Sorge.
Ihre Mutter aber nur eine kurze Notiz:
Stirb nicht, Cäcilie.

Ein Stockdegen wäre dafür nützlicher gewesen.
Augenblicklich zuckten ihre Mundwinkel.

Vielleicht sollte sie es ja einmal in den Freudenhäusern versuchen und dort übernachten.
Sicherlich hatten die noch ein Zimmer für die Nacht frei.
Sie schnaubte.
Bei ihrem Glück würden sie wohl selbst die Huren rauswerfen.
Was war sie eigentlich?
Eine lausige Kuratorin, deren Karriere an die Einziehung in die Kriegsakademie gescheitert war?
Ein Bastard, da die Ehe zwischen Menschen und Magiern erst Jahre nach ihrer Geburt legitimiert wurde?
Sie packte an ihr Jantar, den Anhänger auf ihrem Herzen.
Eine schrecklichen Liebhaberin noch dazu?

Ihre Hand verkrampfte sich.
Da war Frust. Da war Zorn. Da war Hilflosigleit.
Und die Sehnsucht, all das aus ihrem viel zu kleinen Körper entweichen zu lassen.

Sie donnerte ihren Fuß gegen die Lampe - und stolperte prompt fluchend zurück.
Zilli trat noch einmal nach, wahrscheinlich ihre Zehen jetzt wirklich brechend.
Aber es war kein Knallen, das sie hörte, sondern ein leises Glucksen hinter sich.

"Darf man Ihnen helfen oder sollte ich lieber nicht dieses höchst komplexe Ritual unterbrechen?"

Sie erkannte die Stimme.
Valentin Saphir.

"Letzteres", brachte sie scherzend hervor und wandte sich zu ihm. Dabei war ihre Stimme noch immer einen Ton zu brüchig. "Immerhin sind Blutrituale und Baden in den Eingeweiden von Jungfern aus der Mode gekommen. Da muss man sich eben anderweitig behelfen."

Der Geheimrat blinzelte, dann zuckte ein wankendes Lächeln über sein Gesicht.

"Ich befürchte, Sie haben Recht. Um die Weltherrschaft zu planen, ist es leider auch schon zu spät. Ich benötige meinen Schönheitschlaf."

"Vielleicht ist das nur eine dreiste Vermutung, aber müssten Sie dafür nicht in einem Bett liegen, nicht draußen die klirrende Kälte genießen? Ich empfehle auch Kissen. Und heiße Schokolade."

Und er lachte. Ein dezentes, glasklares Lachen.
Ihr schwindelte es.
Es war ein seltsames Gefühl, hier zu stehen.
Direkt vor einem Mann, der ganze Seiten in Geschichtsbüchern füllte, dessen reine Existenz ihr Leben seit Geburt bestimmte und festzustellen, dass er eigentlich nur ein kleiner Mann mit hübschem Lächeln und traurigen Augen war.

Er war kein Mensch, aber in dem sanften Licht der Laternen wirkte er menschlicher als Kabisius und Kerinsk es je getan hatten.
Doch da versiegte das Lachen und er meinte nur: "Ihre Hand."

Zilli blickte an sich herab.
Zwar blutete sie nicht, aber die Finger waren noch immer steif, gegen ihre Brust gepresst und zu einer unnatürlichen Klaue verformt.

"Ein Unfall", meinte sie bloß. "Mit Adamium."

Mein neuer Vorgesetzter hat mich in einem Anfall versucht, mit einem Messer zu filetieren, wirkte vielleicht nicht wie die professionellste Antwort.

"Ein Unfall?" Beinahe meinte man schon, die gehobenen Brauen müssten unter Saphirs ordentlichen schwarzen Locken verschwinden.
"Lassen Sie mich einmal sehen."

Schnell überbrückte er die Distanz zwischen ihnen, griff nach ihrer verletzten Hand - und zuckte schlagartig zusammen.

"Ihre Magie-", stieß er irritiert aus, aber seine Zunge schien keine passenden Worte Formen zu können.
Das hatte sie lange Zeit auch nicht gekonnt.
Konnte es jetzt nicht einmal wirklich.

"Ich bin keine Feuermagierin", würgte sie hervor, doch die Scherben setzten sich nicht in ihrem Kopf zusammen. Stattdessen schnitten sie nur in ihr Fleisch. "Nicht mehr zumindest."

Sofort benetzte das Ferne Hallen von Schmauch und Blut Zillis Zunge, lang verklungene Schreie klingelten in ihren Ohren und ein Knoten schnürte ihre Brust zusammen.

"Ich weiß", meinte er nur. "Das ist kein Grund für Gram. Auch ist es keine Schande."

Aber in Saphirs Augen stand eine weitere, viel schrecklichere Wahrheit geschrieben.

Wie zur Sicherheit drückte er ihre Hand, aber sie fühlte es nicht, nicht wirklich zumindest.
Zilli hatte diese Wahrheit nämlich schon lange im Herzen getragen.
Seit Valon.
Seit ihrem Tod.

Das Kurhaus wurde immer nahezu vollkommen still, wenn die Menge aus schnatternden Offizieren vertrieben und ihre eigenen Untergebenen in ihren Kammern verschwunden waren.

Dann blieb nur noch Kabisius zurück

Das Flackern der Petroleumlampen spiegelte sich in den Orden und Knöpfen ihrer Uniform, während das Rot des geplünderten mitreanischen Weins schwer in ihrem Glas schwappte.
Aber heute zitterten ihre Finger, selbst als sie diese noch fester um den Becher krampfte.

Dabei kannte kein Sprössling der Kabisus-Familie Angst, erst recht nicht, wenn sie es hoch in die Hierarchie der Armee brachten, nahezu in Reichweite des Kaisers und seiner Kamarilla aus Offizieren. So nah, einen Fingerbreit entfernt, und doch eine Ewigkeit fort.

Aber das spielte keine Rolle.

Nichts davon.

Sie kannte genug Kameraden, die an ihrem Ehrgeiz gescheitert und statt in Geschichtsbücher in Vergessenheit gestrandet waren. Dieselben Narren, die dachten, sie wären für etwas besseres bestimmt. Die, die sich anders als sie nicht demütig ihrer Aufgabe widmeten.

Und wenn sie ehrlich war, wollte sie gar nicht an den Hof, solange dieser voller lügender und heuchelnder Schranzen war, die selbst Saphir harmlos, ja aufrecht erscheinen lassen würden.

Allein der Name dieses Scharlatans ließ sie erschaudern -und sie verachtete sich dafür.

Sie war eine Autoritätsperson, eine Generalmajorin, eine Freifrau. Jemand, der sich nicht vor einem mickrigen Geheimrat, der noch nie ein Offizierspatent, ja auch nur eine richtige Uniform besessen hatte und regelrecht Mätresse eines ehemaligen Königs gewesen war, fürchten sollte.
Das Schnauben blieb ihr aber im Halse stecken.

Sie hatte sich nackt gefühlt, als dieser... dieser Malefikant ihre Gedanken gelesen hatte wie ein Buch. Schneller noch. Währenddessen hätte sie nicht einmal davon gewusst, wie viel er aus ihr herausquetschte, hätte er es nicht ausgesprochen. Niemand sollte eine solche Macht haben. Absolut niemand.
Und doch war ihr Innerstes nach außen gekehrt worden.

Ihre narbengesichtige, liebe Palinquas, hatte sie es etwa auch bemerkt? Hatte er ihr alles erzählt, ihre Geheimnisse, ihre Schande?
Sie schien ihr loyal, so loyal wie jemand wie sie sein konnte und doch...

Automatisch zuckte Kabisius Hand zu ihrer Augenklappe.

Hatte er ihr von Alexandrines Feigheit erzählt?

Doch sie war damals noch so jung gewesen. Fast noch ein verängstigtes Kind. Gerade am Anfang ihrer Karriere, im letzten der unzähligen Kriege gegen Saint-Mitre.

Doch selbst nach fast 35 Jahren wäre dieses Wissen, allein das Gerücht ihrer versuchten Fahnenflucht, genug, um ihre Karriere und somit ihr ganzes Leben zu ruinieren.

Alles würde wie ein Kartenhaus über ihr zusammenbrechen. Und sie? Sie würde in dem Schutt begraben werden.
Allein der Gedanke daran stürzte sich wie ein ausgehungertes Tier auf sie.

Disziplin.

Disziplin war das einzige Mittel gegen Furcht, gegen Feigheit, aber heute Abend, halb angetrunken und im Angesicht einer Katastrophe, riss ihr Leben eine Lücke in die Soldateska.

Ihre Glieder zitterten, es schwindelte ihr, die Schreibstube schien zu eng, der Prunk erstickend-
Ratschend riss sie sich die Augenklappe aus dem Gesicht, sprang auf und ihre Schritte donnerten über das Parkett.

Sie brauchte Luft, dringend.

Korridore zogen an ihr vorbei, Gold und Marmor verschwammen zu einer zähen Masse, sie riss eine Tür auf und im nächsten Moment jagte ihr eisige Winterluft Leben in die Wangen, füllte ihre Lungen und ihren Geist mit abkühlender Wohltat.

Das Rasseln ihres Atems drosselte sich und sie blickte in das lichtlose Meer der Nacht. Die Gaslampen brannten nicht mehr, allein den Gardinen mancher Freudenhäuser entschlüpfte ein Funke.

Sofort rümpfte sie die Nase. Das war immer eine Seite von Kriegen gewesen, die sie anwiderte. Es gab einen Unterschied zwischen Kollateralschäden, nötigen Opfern und sinnloser Ausbeutung feindlicher Zivilbevölkerung.

Gerade wollte sie mit dem Kopf schütteln und sich wieder zurückziehen, bevor jemand herausspähen und ihren Schwächeanfall bemerken konnte, da erblickte sie eine vertraute, schmächtige Gestalt auf der Mauer neben dem Kurpark hocken.

Sie musste nicht den schwarzen Schopf oder die Amtskette sehen,die Silhouette reichte aus.

Ihr Entschluss, zurückzukehren wuchs und schwand gleichzeitig exponentiell in abwechselnden Wellen, doch dann- als würde er ihre Anwesenheit sogar spüren- wandte Saphir seinen Kopf in ihre Richtung.

Jetzt gab es kein Zurück mehr - das gab es für Kabisius ohnehin nicht.

"Sollten Sie sich nicht lieber mit Laken und heißer Schokolade vergnügen?", eröffnete sie kaltschnäuzig, als sie sich betont soldatisch näherte, betont furchtlos.

Ein kleines, silbernes Lichtchen aus Magie entflammte und Saphir hob leicht seine Brauen, als er erwiderte: "Leider sind die Laken hier nicht seidig genug."

Bei den Worten traute sie ihm sowohl Sarkasmus als auch Ernst zu. Manchmal, in solchen kleinen Momenten, beneidete sie den Geistermagier fast um seine Fähigkeit, Lüge von Wahrheit trennen zu können. Aber natürlich nur fast.

Das machte es nahezu verständlich, warum Ernst Friedrich I. ihn nicht verbrannt, sondern bei all den Intrigen bei Hofe behalten hatte.

Sich so etwas jedoch direkt noch ins Bett zu holen... Das stand auf einem ganz anderen Blatt.
Dieses Vertrauen und Freiheit waren zwar schön und gut, aber Kontrolle war besser. In jederlei Hinsicht.

"Wenn morgen etwas schiefgehen sollte", vertrieb sie den bitteren Gedanken aus ihrem Kopf. "Dann sind Sie unser Weg hinaus. Bei jedem kleinsten Detail, dass Bloche uns ins Messer laufen lässt, holen Sie uns zurück."

Sie sah ihn nicken, dann schon nahezu zögerlich seinen Kopf zu ihr umdrehen.

Noch immer irritierte sie der Blick aus seinen dunklen Augen, doch ob auch ihn die klaffende Narbe ihres Oculus ihn erschaudern ließ, merkte man ihm nicht an.

"Was heute vorgefallen ist, Hochwohlgeboren-", setzte Saphir an, doch automatisch sprudelte ihr ein abschätziger Laut über die Lippen.

Was sollte das werden? Eine Entschuldigung?

"Oh, lässt sich die Exzellenz etwa dazu herab, um Vergebung zu betteln? Wollen Sie mir etwa zustimmen?" Zynismus ätzte durch ihre Worte, aber seine Miene blieb steinern neutral.

"Tatsächlich nicht. Ich bereue es nicht, zumindest wegen Ihnen, eher wegen dem Oberst."

"Machen Sie sich um den keine Sorge. Unter der ganzen Arroganz ist der doch nur ein verunsichertes Wrack, das früher oder später implodieren musste."

"So denken Sie also über Ihre Untergebenen?"

"Nein", korrigierte sie ihn. "So rede ich über Offiziere, die das Leben meiner Untergeben gefährden. Kerinsk ist ein armer, alter Schlucker, der nie hätte eingezogen werden sollen. Aber ist es das, was Sie mir sagen wollten?Dass Sie sich stur im Recht sehen?"

Leicht schüttelte er den Kopf.

"Das Treffen. Ihr geplanter Hinterhalt. Ich-"

"Er wird nicht stattfinden", schlug sie ab und echte Überraschung flimmerte über seine Züge.

"Wieso?"

Zähneknirschend schluckte sie die Schande eines "Sie hatten Recht" herab, stattdessen meinte sie bloß.

"Die Taktik ist gut, aber das Risiko zu hoch. Nicht einmal die Kosten eines potentiellen Fehlschlags und die Vorzüge eines Gelingens sind verhältnismäßig."

Das ließ auch seinen Mund zucken. Möglicherweise aber auch, weil zumindest ein Teil der tonnenschweren Last von Saphirs Schultern bröckelte.

"Danke."

Er... er bedankte sich bei ihr?
Sie erschauderte.

Dabei regte sich in ihrer Magengrube ein seltsames, zwickendes Gefühl.

Sie kannte es nicht - und wollte es definitiv auch nicht näher kennenlernen.

"Wollen Sie mir nicht zum Abschluss dieses Tages die Perlen Ihrer telepathischen Ausbeute bei Hofe anbieten?", übertünchte sie den Zephyr der Unsicherheit. "Den ein oder anderen Skandal über diese neureiche Fabrikantin Schwolent hätte ich gerne von Ihnen aufgeschnappt. Diese Bourgeoisie schleicht sich ja fast schon parasitär in den Adel."

"Ein Glück, dass man mich damals zum Baron ernannt hat. Sonst müsste ich noch befürchten, gerade Sie könnten mich nicht mögen. Was sollte ich dann nur tun?"

Unwillkürlich musste auch Kabisius schmunzeln.

"Knappe Hundertfünfzig Jahre machen Sie noch nicht zum Altadel, Exzellenz. Aber wenn Sie irgendwelche Informationen über den Generalstabschef von Lukasch haben, sollten Sie damit vielleicht nicht bis nach dem Krieg warten."

Mit einem Mal schrieb sich ein fast schon kümmerlicher Ausdruck auf sein Gesicht, der selbst ihr ständiges Mokieren stoppen ließ, als der Magier schließlich erwiderte:

"Er hat Angst. Genau wie Sie. Genau wie ich. Genau wie wir alle."


Ganz ehrlich, dieses Kapitel hatte mich fast überzeugt, die Geschichte an den Nagel zu hängen.
Glücklicherweise erreichte mich der Vorschlag, etwas aus Kabisius-Sicht zu schreiben, was im Endeffekt dazu beigetragen hat, dass ich jetzt fast schon zufrieden hiermit bin.
Naja, aber langsam musste der Lagebesprechung-Plot abgeschlossen werden. Die Leute hier labern einfach zu viel :'D

Ich weiß ja nicht.

Dafür, dass ihr es bis hier geschafft habt, bekommt ihr hübsche Gifs xD

Valentin, wie er Kabisius Gedanken beglubscht:

Ist Wronskij ein nicht ganz so toller Mensch? Jup.
Hat er trotzdem so viel Swag, dass ich endlos viele Gifs habe? Jup.

Was Kabisius denkt, was Magier tun:

Was Magier wirklich tun:

Valentin, nachdem man seine Schoki klaut:

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