Szene ②


Wenige Stunden später war die Aufregung vorbei. Sobald die Polizei eingetroffen war, hatte Jim die Freunde der Reihe nach nach Hause gebracht. Nun stand er mit Jasper in der Küche und die beiden suchten sich ein Abendessen zusammen.

Jasper war nicht hungrig. Der Blutgeruch, der sich zuvor im Wald wie ein Lauffeuer ausgebreitet hatte, lag ihm noch immer in der Nase.

Auch wenn er nicht wirklich nah zu Hans Verhaags Leiche getreten war, hatte er unschöne Bilder im Kopf. Viele davon brachten ihn zu Malea zurück, die sie vor ein paar Wochen in einer ähnlichen Position gefunden hatten.

„Worüber denkst du nach, mein Sohn?", fragte Jim und trank einen Schluck Wasser. Er hatte sich gar nicht die Mühe gemacht, nach einem Glas zu suchen. Die Glasflasche klirrte, als er versuchte, sie seicht auf den Tisch abzustellen.

Auch bei ihm saß der Schock tief. Nur weil man Polizist war, fand man nicht jeden Tag eine Leiche. Noch dazu ging Jim der Fall sehr nahe, immerhin waren sowohl er als auch sein Sohn involviert.

Außerdem war Hans Verhaag vor langer Zeit einmal ein Freund von ihm gewesen.

„Es geht mir gerade alles irgendwie zu schnell, und dann doch nicht schnell genug", gestand Jasper. „Vielleicht dauert es keine drei Wochen, und wir finden schon wieder die nächste Leiche. Aber gleichzeitig muss uns das doch alles irgendwann mal zu einem Ergebnis bringen. Wer hat denn nun wirklich all diese Menschen getötet?"

Jim seufzte tief und lange. „Ich weiß es nicht. Und so wie es aussieht, wird uns Hans Verhaag nicht helfen können. Am Tatort wurde nichts Auffälliges gefunden. Das haben mir meine Kollegen gerade berichtet. Sie hoffen, dass im Labor Fingerabdrücke oder andere Spuren gesichert werden können."

Schuldbewusst dachte Jasper daran, wie sie vorhin Lilia dazu ermutigt hatten, den Tatort zu inspizieren. Anscheinend hatte sie irgendwas gefunden, denn als sie wieder auf die Freunde gestoßen war, hatte sie sich unauffällig an die Seite geklopft.

Was auch immer es war, Jasper würde es früher oder später an seinen Vater zurückgeben müssen. Sicher würde das eine Menge Ärger mit sich bringen. Immerhin hatten die Freunde ein Beweisstück geklaut.

Trotzdem hoffte er, glimpflich davonzukommen. Zur Not könnte man die Tat auf den Schock schieben, in dem sich die Jugendlichen zur Zeit der Tatortinspektion befunden hatten. Immerhin dachte Jasper jetzt schon wieder ganz anders von ihrer riskanten Aktion. Es war echt hirnlos und leichtsinnig gewesen, Beweisstücke von einem Tatort zu entwenden.

Hoffentlich war Lilias Fund die Arbeit und den Ärger wert, und es würde sie bei ihren Untersuchungen weiterbringen.

„Was macht ihr, wenn ihr wieder keine Spuren sichern könnt?", fragte Jasper und griff nach der Wasserflasche. „An Lanis und Maleas Körper habt ihr doch nichts gefunden."

„Das ist nur halb richtig. Malea war so sauber, als sei sie vorher noch einmal gewaschen worden. Aber an Lani haben wir Fingerabdrücke gefunden."

„Wirklich? Das hast du mir gar nicht erzählt." Jaspers Brust zog sich zusammen.

Jim schob seine lästige Brille nach oben, die er genau wie sein Sohn viel zu selten trug, und fuhr sich über die Augen. Er sah unglaublich müde aus. „Bis eben hatte ich auch nicht geglaubt, dass es nochmal wichtig werden würde."

„Von wem waren denn die Fingerabdrücke?"

„Hans Verhaag." 

„Ah." Jasper verstand. Deshalb hatte sein Vater nichts gesagt.

„Wir dachten, damit wäre der Fall eigentlich schon bewiesen. In den Akten hatten wir ihn quasi schon für schuldig am Tod seiner Töchter erklärt."

„Doch jetzt bist du dir nicht mehr sicher." 

Jim schüttelte den Kopf. Die Haare waren ebenso blond wie die seines Sohnes und wippten im Tack hin und her. „Er kann sie natürlich immer noch getötet haben, aber er hat sich auf jeden Fall nicht selbst umgebracht. Irgendwer hat ihn erschossen."

„Denkst du, es war wieder die gleiche Pistole? Deine Pistole?" Das hatte sich Jasper selbst schon gefragt.

„Möglich. Aber das wird alles die Autopsie zeigen. Vielleicht hat er ja auch vorher Pillen eingeworfen, die ihn umgebracht haben. Und erst, als er bereits Tod war, hat jemand auf ihn geschossen. So hätte es auf den ersten Blick ausgesehen wie Mord, dabei war es keiner."

Jasper stützte seinen Kopf auf den Tisch ab. Das war dann doch eine größere Überlegung, für die es gerade keinen Platz in seinen Gedanken gab. Sie brauchten jetzt nicht solche Überlegungen starten, wenn ihnen die Autopsie alle Fragen würde beantworten können.

„Ich glaube, ich gehe ins Bett", erklärte Jasper und stand auf. „Gute Nacht."

„Gute Nacht. Schlaf gut. Wenn was ist, ruf mich. Ich bin da." Jim verabschiedete seinen Sohn mit einer dicken Umarmung.

„Schon gut." Jasper löste sich schnell und ging die Treppe nach oben. In ihm brodelte es. Zu viele Fragen waren noch immer unbeantwortet.

Er legte sich in sein Bett, doch fand keine Ruhe. Irgendwann reichte es ihm, und er schaltete sein Handy ein. Er hatte ein paar neue WhatsApp-Nachrichten von seinen Freunden.


Fria Roncal:

Was hast du vorhin gefunden Lilia?


Benno Relotius:

Ja, sag schon! Was war es?


Lilia Hohn:

Eine Kamera und einen Zettel.


Benno Relotius:

Was steht drauf?


Fria Roncal:

Und was ist auf der Kamera?


Lilia Hohn:

Die habe ich noch nicht angemacht. Darum kümmere ich mich morgen. Meine Familie lässt mich nicht allein und ich kann mich schlecht damit ins Wohnzimmer setzen.

Auf dem Zettel steht: Findet den Förster, sonst werden Lanis und Maleas Blut zu eurem Blut.


Fria Roncal:

Super, schon wieder diese Botschaft!

Und was soll unser Förster jetzt damit zu tun haben?


Benno Relotius:

Vielleicht ist er der Mörder?


Fria Roncal:

Ich kenne den Förster. Er heißt Günter Draus, und er ist super freundlich. Niemals würde er in seinem „heiligen" Wald die Natur durch Blutspritzer schänden.


Hier endete die Unterhaltung, doch Jasper sah im oberen Feld, wie seine Freunde bereits weitere Nachrichten tippten. Schnell antwortete er.


Jasper Wittig:

Stimmt! Wir haben den Förster doch mal bei einem Wanderausflug besucht. Der ist total versessen in seinen Wald.


Lilia Hohn:

Wir dachten auch, Hans Verhaag wäre ein netter Mann. Man kann uns irgendwie viel zu leicht täuschen ...


Benno Relotius: 

Ja, vielleicht lagen wir falsch. Hans ist ein Arsch. Oder vielleicht lagen wir doch richtig und er hat seine Töchter trotz aller Beweise nicht ermordet. Dann ist er kein Arsch. Man weiß es nicht.


Fria Roncal:

Ich denke schon. Bis dahin war die Geschichte schlüssig, nur sein Tod ergibt irgendwie keinen Sinn.


Lilia Hohn:

Abwarten. Ich gucke mir morgen an, was auf der Kamera ist, und dann treffen wir uns. Alles Weitere besprechen wir dann. In Ordnung?


Benno Relotius: 

Klar! Gute Nacht.


Fria Roncal: 

Denkt an Gänseblümchen!


Jasper Wittig: 

Warum das?


Fria Roncal: 

Für schöne Träume.


Lilia Hohn: 

Ich werde es versuchen.


Benno Relotius: 

Ich auch. Danke Fri!


Jasper Wittig: 

Ihr seid echt bescheuert! Aber das ist gut so. Euch auch eine gute Nacht!


Irgendwie war Jasper nun beruhigt. Seinen Freunden ging es gut und Lilia hatte eine Kamera gefunden, auf der sich möglicherweise Beweisstücke befanden.

Vielleicht würden sie das Rätsel doch bald gelöst haben. 

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