Szene ⑤
Es war doch noch zu einem Streit gekommen. Nachdem Lilia versucht hatte, Regen in Tabu zu erklären und dafür ‚It's raining men' gesungen hatte, waren Jasper und Fria aufeinander losgegangen.
„Das ist doch das Wort auf Englisch!"
„Aber eine andere Form!"
„Du hast doch keine Ahnung!"
„Und du kannst nicht verlieren!"
Das alles waren nur Bruchteile ihrer Diskussion gewesen.
Benno hatte in der Situation schnell abgeschaltet und sich lieber mit Suzanne unterhalten, während Lilia versucht hatte, ihren Fehler wieder gut zu machen.
Sie hatte die Tabu-Karten genommen und sie Fria zugeworfen. Eigentlich, um Fria damit aus dem Konzept zu bringen, doch stattdessen hatte sie ihre Freundin damit noch wütender gemacht.
Dann hatte sie auf das Bein von Jasper geschlagen, um ihn zu beruhigen. Dieser hatte ihr jedoch nur einen genervten Blick geschenkt.
Schlussendlich war Fria auf den Balkon gegangen, um sich dort zu beruhigen. Nach kurzer Zeit war sie zurückgekommen und hatte sich unter Tränen bei Jasper entschuldigt. Wirklich langte konnte sie nie sauer auf ihren besten Freund sein.
Benno war an Auseinandersetzungen zwischen Jasper und Fria schon gewöhnt, doch für Sue waren sie neu. Als er auf dem Weg nach Hause neben ihr herlief, erzählte er ihr von weiteren, sinnlosen Streits, die er und Lilia sich schon hatten anhören müssen.
Manchmal fragte man sich, warum die beiden überhaupt befreundet waren. Doch dann sah man wie Jasper liebevoll eine neue Kamerahalterung für seine beste Freundin bastelte, oder Fria für ihn eine Dokumentation über seine Forschungsergebnisse zusammenschnitt. So oft, wie sie sich stritten, so sehr lieben sie sich auch.
Die Freunde waren vor kurzer Zeit gemeinsam aus dem Wald gekommen und Lilia, Fria und Jasper hatten sich bereits an Straßenkreuzungen des kleinen Städtchens verabschiedet.
Benno lief mit Suzanne allein weiter. Er hatte versprochen, sie nach Hause zu bringen, und erst dann zum Hotel seiner Eltern zu gehen.
„Einmal haben sich Jasper und Fria um einen Papierball gestritten. Malea wollte ihn wegwerfen, der Mülleimer stand direkt neben ihr. Doch die beiden verlangten gleichzeitig, den Ball zu einem Papierflieger umzuformen und diesen dann in den Papiermüll fliegen zu lassen", erklärte Benno gerade. „Nach einer ewigen Diskussion hat Malea den Ball einfach in die Tonne fallen gelassen. Damit war das Thema erledigt."
Sue kicherte. „Die zwei sind echt merkwürdig. Aber ich finde sie auch sehr nett."
„Wem sagst du das. Ich habe mein ganzes Leben mit ihnen verbracht. Wenn sie zu nichts zu gebrauchen wären, wäre ich schon längst abgehauen."
„Aha. Also nutzt du sie nur aus?", fragte Sue belustigt.
„Natürlich", antwortete Benno und man hörte ganz klar die Ironie heraus. Seine Augen wanderten über das Mädchen, was neben ihm lief.
Ihre Haare fielen ihr heute wieder golden über die Schultern und im schlechten Licht der Nacht schienen sie zu leuchten. Gerade schob Sue ihre Brille nach oben und schnupperte währenddessen die frische Abendluft.
Benno musste lachen. Es sah unfassbar niedlich aus, wie sie da ging und die Nase kräuselte. „Warum lachst du?"
„Warum schnupperst du wie eine kleine Maus?" Er streckte die Hand aus und berührte damit ihre Finger. In seinem Bauch sammelten sich tausend Schmetterlinge. Benno ahnte, dass ein Moment, auf den er Wochen hin gefiebert hatte, nun kurz bevorstand.
„Ich bin nur immer wieder fasziniert, wie sauber und frisch die Luft hier auf dem Land ist." Suzannes Blick wanderte zu ihren ineinander verschränkten Händen nach unten. „Ich glaube, mein Tapetenwechsel hat mir gutgetan."
Auf Bennos Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, was bis zu seinen grünen Augen reichte. „Das denke ich auch."
Die Luft war wirklich unglaublich warm und duftend in dieser frühen Herbstnacht. In der Nähe der Häuser Jesingens roch es nach den ersten Kürbissuppen und Lavendeltees.
Durch die leichte Wolkenfront sah man Sterne am Himmel und die Laute nachtaktiver Tiere drangen durch den Wald.
Benno atmete tief und gleichmäßig, während er das schöne Mädchen vor sich betrachtete. Durch ihre runde Brille waren Sues braune Augen auch auf ihn gerichtet.
Ihre Finger waren noch immer ineinander verschränkt und schienen aufeinander festgebrannt zu sein. Keiner der beiden dachte daran, sich vom anderen zu lösen.
Bennos Mund öffnete sich leicht, als Suzanne einen kleinen Schritt auf ihn zu trat. Hatte er Glück? Würde sein Traum, der seit vielen Wochen in seinem Kopf herumgeisterte, endlich wahr werden?
Wieder trat Sue einen Schritt auf ihn zu und Benno hielt es nicht länger aus. Er durchbrach den Abstand zwischen ihnen komplett und drückte seine Lippen auf ihre.
Suzannes Mund war angenehm weich und Benno hätte sich sofort darin verlieren können.
Doch sie zog sich viel zu schnell wieder zurück, grinste ihn an und sagte: „Danke für den schönen Abend. Wir sehen uns morgen." Dann drehte sie sich um und lief davon.
„Ich wollte dich doch nach Hause bringen!", rief Benno ihr hinterher und konnte dabei noch immer nicht realisieren, was gerade passiert war.
„Es ist nur noch eine Straße. Die schaffe ich allein", antwortete Sue und winkte noch einmal, bevor sie hinter einer Straßenbiegung verschwand.
Verdutzt blieb Benno an Ort und Stelle zurück, noch immer fühlte er den leichten Druck fremder Lippen auf seinen eigenen.
War das gerade wirklich passiert? Und warum hatte ihn Suzanne dann so plötzlich stehen lassen?
Sie hatte gelächelt, also war ihr die Situation nicht unangenehm gewesen. Sie hatte doch sogar den ersten Schritt gemacht. Oder? Er konnte sich nicht erinnern.
Benno schüttelte sich, um seine Gedanken zu sortieren. Doch egal wie er es drehte und wendete, so richtig wollte er es nicht verstehen.
Auf seinem Weg nach Hause dachte er an nichts anderes. Noch wusste er nicht, wie und ob er seinen Freunden davon erzählen sollte. Sie würden ihn doch sicher auslachen. Immerhin war einer seiner wichtigsten Momente des Lebens ein Reinfall gewesen.
Der erste Kuss.
Doch eigentlich war Benno zufrieden damit, wie es gelaufen war. Er hätte niemandem lieber seinen ersten Kuss geschenkt als Suzanne. Nie zuvor hatte er sich so zu einem Menschen hingezogen gefühlt.
Knirsch. Ein leises Geräusch ließ Benno aufschrecken. Er befand sich kurz vor dem Hotel. Am Ende des Weges konnte er schon seine Haustür ausmachen.
Um ihn herum zog sich eine Reihe von Bäumen, die den Eingang zu den träumenden Wäldern markierten. Von hier starteten viele Wanderwege und Benno kannte sie alle auswendig.
„Wer ist da?", fragte er eben so leise, wie er das Geräusch vernommen hatte. Vielleicht war es ja nur ein Tier.
„Malea starb umsonst."
Drei Wörter.
17 Buchstaben.
Dann ein erneutes Knirschen, wie von trockenen Ästen.
Benno sah, wie eine schwarzgekleidete Person hinter einem Baum hervorkam und davonrannte.
Die Angst packte ihn. Wer war das? Wo kam sie her? Was wollte sie von ihm?
Benno war sich ganz sicher, eine weibliche Stimme herausgehört zu haben. So hoch schaffte es nicht einmal ein Sänger zu sprechen.
Doch wenn nicht Hans Verhaag hinter dem Baum gestanden hatte, was nach dem Knacken Bennos erste Vermutung gewesen war, wer war es dann?
Und warum hatte sie darauf gewartet, Benno mit ihrer Botschaft zu überfallen?
Malea starb umsonst.
Malea starb umsonst? Benno schnaubte. Ach wirklich? Davon könnte er ein Lied singen.
Verwirrt drehte sich der junge Pianist um seine eigene Achse und machte sich auf den Weg in sein Wohnhaus. Hoffentlich lauerten keine weiteren Kapuzengestalten hinter den Bäumen. Benno hatte absolut keine Lust mehr auf kryptische Botschaften.
Jetzt waren ihm sogar seine Glücksgefühle von vorhin abhandengekommen. Der Kuss mit Suzanne lag in weiter Ferne.
Stattdessen wiederholte sein Kopf immer wieder die drei Worte der Fremden.
Malea starb umsonst.
Warum interessierte sich die Person dafür? Was wusste sie darüber? Auf welcher Seite stand sie? Das galt es herauszufinden.
Benno hatte keinen Plan, wo er anfangen sollte. Ihm blieb nur eine Stimme. Drei Wörter. Siebzehn Buchstaben.
Was ein Glück, dass sich der junge Pianist in seiner Freizeit so viel mit Musik beschäftigte. Die Klangfarbe der Stimme fraß sich in sein Hirn wie eine Schnecke durch ein Salatblatt.
Nie würde er die Stimme vergessen und egal, was sie bei ihrer nächsten Begegnung sagte, er würde sie wieder erkennen.
Er würde sie finden.
Dessen war er sich sicher.
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Hey! Mit diesem Cliffhanger endet Episode Acht. Habt ihr schon eine Vermutung, wer die Kapuzengestalt gewesen sein könnte?
Langsam nähern wir uns dem Staffelfinale und ich freue mich schon sehr darauf, es zu schreiben.
Liebe Grüße!
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