Szene ⑤


Fria war wenige Stunden später auf dem Weg zum Reiterhof. Nachdem sie am Morgen mit Tilo geschrieben hatte, war sie fest davon überzeugt, heute die Pferdeszenen für ihren Film zu drehen.

Tilo hatte ihr versichert, dass Mala, sein Pferd, bereit für sie wäre. Also war Fria vor ein paar Minuten mit kompletter Kameraausrüstung aufgebrochen und schleppte sich jetzt einen Ast ab. Immer wieder zuckte sie panisch zusammen, weil sie vermutete, dass ihr eine Kamera, oder ein Stativ herunterfallen würde.

Ihre Eltern hatten leider keine Zeit gehabt sie zu fahren, weshalb sie den ganzen Weg zu Fuß hatte antreten müssen.

Endlich kam Fria beim Stall an und wurde sofort von Tilo begrüßt. Er war von Fria auf das viele Gepäck vorbereitet worden und stand mit einer Schubkarre bereit. Fria freute sich darüber, wie zuvorkommend er war.

„Danke", ächzte sie, als sie langsam ihr Equipment in die Schubkarre fallen ließ. „Ich bin fast zusammengebrochen."

„Dafür bin ich hier. Und natürlich für die Action."

„Wie geht es Mala?", fragte Fria noch immer erschöpft. Am liebsten würde sie sich erst einmal ausruhen. Doch die Arbeit konnte nicht warten.

Tilo umfasste die Griffe der Schubkarre und zog diese vor sich her, während er mit Fria über den Hof schlenderte. „Mala geht es gut. Wir wissen jetzt sogar, was die Pferde beim letzten Mal so verschreckt hat."

„Echt?", gespannt blickte Fria ihren Freund an. An das merkwürdige Verhalten der Pferde hatte sie gar nicht mehr gedacht. Und sie hätte nie erwartet, dass es dafür einen erklärbaren Grund geben würde.

Doch Tilo berichtete ihr: „Eine Reitlehrerin hat im Wald einen Laptop mit externen Lautsprechern gefunden. Diese waren auf eine so hohe Frequenz eingestellt, dass sie für das menschliche Ohr nicht mehr hörbar waren. Doch die Pferde hatte das Fiepen gestört, also sind sie wild umhergesprungen." 

Fria war schockiert. „Das ist furchtbar!"

Tilo nickte. „Aber wir wissen noch nicht, wer den Laptop dort platziert hat und ob es überhaupt Absicht war, unsere Tiere zu verschrecken."

„Bestimmt war es Absicht!", erwiderte Fria sofort. „Warum sollte man einen Lautsprecher im Wald vergessen?"

Tilo zuckte unwissend mit den Achseln. „Keine Ahnung. Wir haben es der Polizei gemeldet und diese hat versucht, sich darum zu kümmern. Doch gerade sind sie machtlos, da sich am Laptop keine Fingerabdrücke finden lassen."

„Dann war er ganz sicher absichtlich im Wald platziert!"

„Wahrscheinlich. Aber wie gesagt, wir können nichts unternehmen. Wir haben keine Ahnung, wer so etwas tun würde."

Fria hatte sich während des Gesprächs immer mal wieder umgesehen. Sie hatte die Pferde betrachtet, die ihr die Köpfe entgegenstreckten und das Personal und Reiter begrüßt, die ihr über den Weg gelaufen waren. Nun sah sie Tilo aber direkt an.
„Ich werde herausfinden, wer das war", versprach sie. Dann fügte sie hinzu: „Die Tat kann kein Zufall sein. Vielleicht war es der gleiche Mensch, der ... du weißt schon."

Der Lani ermordet hat.

Tilo nickte, ohne das Fria weitersprach. Er wusste, was sie meinte.

„Wenn du Hilfe brauchst, melde dich einfach. Mala und ich helfen gerne."

Fria lächelte. „Danke."

Tilo stellte ächzend die Schubkarre wieder ab. „Willst du schon mal zur Koppel vorgehen oder wartest du kurz auf mich? Ich muss noch schnell etwas holen gehen."

Fria sah ratlos hin und her. Ihr war es vollkommen egal. Dann sagte sie: „Ich warte hier auf dich."

„Alles klar, bin gleich zurück." Und Tilo ging in Richtung des Hauptstalles, in dem auch die meisten Geräte und die Schließfächer der Reiter untergebracht waren.

Wenige Minuten später erschien er wieder, nun in Begleitung eines Mädchens. Hatte Tilo sie mit etwas holen gehen gemeint? Wollte er die beiden bekannt machen?

„Hi, ich bin Kristina", begrüßte die junge Frau Fria fröhlich und hielt ihr ihre Hand hin.

Fria schüttelte sie ebenso begeistert. „Freut mich, dich kennen zu lernen. Ich bin Fria."

„Kristina ist neu hier im Stall. Sie war nicht mehr zufrieden mit den Aussichten, die ihr die Stallungen und das Reitpersonal aus dem Nachbarort bieten konnten, also ist sie jetzt hier", erklärte Tilo, während er in einen Apfel biss. Das musste er also so dringend holen. War mal wieder typisch, dass er nur ans Essen dachte.

„Willst du später mal professionell reiten?", fragte Fria gespannt.

Kristina seufzte. „Schön wär's. Aber dafür bin ich schon zu alt."

Fria betrachtete die junge Frau mit der dunklen Haut, die ellenlangen Beine und ihre grazile Figur. Besonders schön waren die Haare, die ihr locker und lockig bis zur Taille fielen. Sie konnte auf keinen Fall älter als zwanzig Jahre alt sein.

Kristina hatte wohl verstanden, warum Fria sie so musterte, weshalb sie lachte. „Ich bin neunzehn. Aber das ist für eine professionelle Zukunft in einem Sport leider schon zu alt. Trotzdem möchte ich hier mein Glück versuchen und mir so viel Wissen aneignen, wie ich nur kann. Vielleicht kann ich irgendwann mal Trainerin für die Nationalmannschaft werden."

„Das wäre cool!", sagte Tilo zwischen zwei Bissen. „Dann werde ich mir jedes Turnier ansehen gehen."

Fria nickte. „Ich auch!"

„Schön", sagte Kristina grinsend. Dann will ich euch mal nicht weiter stören." Langsam entfernte sie sich von Fria und Tilo, ging jedoch in die Richtung, die die beiden einige Sekunden später auch einschlugen.

„Kristina ist großartig, oder?" Tilos Augen strahlten.

„Ja", sagte Fria plump. „Sie scheint nett zu sein." Neugierig sah sie dem großen Mädchen hinterher, was selbstbewusst einige Meter vor ihnen ging. 

„Du musst sie unbedingt mal reiten sehen. Niemand beherrscht Galopp so gut wie sie."

„Schön." Fria fragte sich bereits einige Minuten später, ob Tilos Bewunderungen nie aufhören würden, denn er redete unentwegt von der schönen Frau. Endlich kamen sie an der Koppel an. Mala sah ihren Besitzer und lief ihm freudestrahlend entgegen.

„Hi meine Hübsche." Sofort hielt Tilo ihr den Rest des Apfels hin. Auch Fria streckte ihre Hand aus, um das Pferd zu streicheln. „Sie sieht wirklich glücklich aus heute."

Tilo nickte. „Ja, sie ist bereit der neue YouTube-Star zu werden. Wir haben extra geübt. Sobald ich laut ihren Namen rufe, galoppiert sie."

„Gut. Dann werde ich mal die Kamera aufstellen." Fria holte ihr Equipment aus der Schubkarre und befestigte die größte Kamera an einem Stativ. Außerdem hielt sie Tilo ein Konstrukt aus Action-Kamera und Bändern hin. „Kannst du versuchen, Mala das umzubinden? Dann könnte ich auch ein paar Aufnahmen aus der Perspektive des Pferdes benutzen." 

Tilo grinste. „Cool. Ich werde es versuchen. Aber eigentlich sollte es kein Problem sein. Mala liebt ihr Halfter."

Tilo kümmerte sich um sein Pferd, während Fria um die Koppel herum verschiedene Kameras positionierte. Gerade sah sie wieder, wie schön es war, dass ihre Eltern sie bei ihrem Hobby unterstützten. Ohne sie wäre Fria niemals an die ganze Ausrüstung gekommen.

„Fertig", verkündete sie ein paar Minuten später. „Die Filme laufen. Jetzt muss Mala losrennen und am besten animiert sie ein paar ihrer Freunde dazu, mitzumachen."

„Also gut. Mala ...", Tilo sah sein Pferd liebevoll an. „Lauf!"

Das Tier, nun mit Kamera und Geschirr am Kopf ausgerüstet, rannte los und wurde sofort von zwei Haflingern verfolgt. Fria lief begeistert auf und ab. „Das wird so toll aussehen!"

Doch Tilo schien ihr gar nicht zuzuhören. „Siehst du Kristina da hinten?"

Abrupt blieb Fria stehen und blickte in die Richtung, in die Tilo mit seinem Finger zeigte. Dort stand das Mädchen auf einem weißen Pferd, beide Arme von sich gestreckt. Der Schimmel galoppierte und schien sich nicht daran zu stören, dass ein Mädchen auf seinem Rücken stand.

Fria stieß staunend die Luft aus. „Wow. Aber was macht sie da?"

„Sie übt das Voltigieren."

„Das was?"

„Voltigieren. Da machst du beim Reiten Kunststücke." Tilo jubelte Kristina begeistert zu, als diese wenige Meter neben ihnen vorbeiritt. „Super!"

„Ist das nicht mega gefährlich?", fragte Fria ehrlich besorgt um die Gesundheit der jungen Frau.

„Ja, aber Kristina weiß, was sie tut. Sie hat jahrelang geübt, um es so gut zu können."

Fria war nicht überzeugt, ein Unfall konnte schnell passieren. Doch wie sagte man so schön? Man lebt nur einmal. Und das Leben konnte schneller vorbei sein, als einem lieb war.

So wie Lanis es gestern gewesen war.

„Na dann. Hoffen wir mal, dass sie nicht runterfällt." 

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