Szene ③


Fria und Jasper gingen an diesem Nachmittag im Wald spazieren. Die Sonne, die an Nachmittagen im Hochsommer in Deutschland so heiß brannte, war durch das schützende Blätterdach der Bäume gut zu ertragen. Dies war ein weiterer Grund, warum alle Freunde ihre Heimat in den träumenden Wäldern einem Leben in der Großstadt vorzogen.

Fria und Jasper hatten bei ihrem Spaziergang unterschiedliche Ziele vor Augen. Fria war noch immer traurig darüber, dass die Pferdeszenen für ihren Film nicht geklappt hatten, deshalb versuchte sie sich jetzt an harmlosen Naturaufnahmen. Jasper ging mit der festen Überzeugung in den Wald, Lani aufzuspüren. Er hatte die Intension, sie würde sich hier irgendwo verstecken. Woher dies kam, wusste er nicht. Dass Lani entführt worden war, war für ihn noch immer realistischer, als dass sie einfach aufgestanden und in den Wald gerannt war.

„Die Stelle würde sich prima für eine Kamerafahrt über den Boden eignen", erklärte Fria plötzlich und deutete auf die Steine unter sich.

„Wenn du das meinst." Jasper verstand nicht viel von Filmen, doch er liebte es, Frias fertige Produkte zu begutachten. Manchmal half er ihr mit merkwürdigen Konstruktionen, ihre Kamera gut und sicher zu positionieren.

Auch jetzt steckte das teure Exemplar in einem von Jaspers Bauwerken. 

Fria drückte auf den Aufnahmeknopf und hielt die Stahlkonstruktion mitsamt der Kamera nah an den Boden. Dann ging sie ein paar Schritte zurück und dann wieder vorwärts. Sie stoppte die Aufnahme und sah sich den Filmausschnitt an.

Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und als sie sich das Video ein zweites Mal ansah, quietschte sie aufgeregt. „Perfekt!"

Jasper kicherte. Er konnte Frias Enthusiasmus noch nicht ganz nachvollziehen. Bisher hatte ihn die junge Filmemacherin noch nicht in ihre Ideen eingeweiht. Er kannte weder einen Titel noch die Handlung ihres Kurzfilms und wusste eigentlich nur, dass Benno ihr wie immer die Musik komponierte.

Ach so, und über die Pferdeszene wusste er Bescheid. Aber in welchem Zusammenhang sie zum Rest des Filmes stand, hatte er keine Ahnung.

„Willst du mich mal aufklären, wovon dein Film handelt?", fragte er deshalb.

Fria schüttelte schnell den Kopf. „Auf keinen Fall. Das bleibt eine Überraschung. Benno habe ich auch nur von der Rahmenhandlung erzählt, damit er weiß, für welche Stimmung er Stücke komponieren soll."

„Und Lilia?"

Fria seufzte. „Als ob Lilia sich für meinen Film interessiert. Sie hat gerade andere Sorgen. Merkst du nicht, wie Maleas Unfall sie mitnimmt?"

„Doch klar. Aber ich dachte, vielleicht hast du gerade deshalb mit ihr darüber geredet. Um sie abzulenken."

„Keine schlechte Idee, aber nein. Hab ich nicht."

Stille. Plötzlich wusste keiner mehr, was er sagen sollte. Lilia war ein heikles Thema. Auch wenn sie jahrelang befreundet waren, wussten sie beide, dass sie nie richtig zu ihr durchgedrungen waren. Lilia wollte mit ihren Problemen alleingelassen werden, aber es war fraglich, ob dies gut für sie war. Fria und Jasper und vor allem Benno sehnten sich danach, dass ihre Freundin ihnen restlos vertraute. Doch das würde wohl in der nahen Zukunft nicht eintreffen.

Jasper konnte nicht aufhören, an Lilia zu denken. Auch wenn er gehofft hatte, die beruhigende Atmosphäre des Waldes würde ihm helfen, einmal durchzuatmen, stürzten ihn das Zwitschern der Vögel und das Summen der Bienen nur noch weiter in den Abgrund seiner Gedanken.

„Wie läuft es denn im Computerclub?", versuchte Fria das Gespräch wieder aufzubauen. Die Stille war ihr unangenehm, da ihr klar war, dass auch Jasper an Lilia dachte. „Du hattest doch von einem größeren Projekt gesprochen, was ihr gerade vorbereitet."

Sichtlich dankbar für die Ablenkung antwortete Jasper: „Stimmt, wir versuchen, ein eigenes, kleines Windrad zu entwerfen, was unserer Schule den Sprung auf die erneuerbaren Energien vereinfachen soll."

Fria lächelte. Das waren tolle Nachrichten. Außerdem wusste sie, wie viel Jasper der Schritt in eine grüne Zukunft bedeutete. Wenn sie sich nicht ganz irrte, war das Windrad sogar seine Idee gewesen. Sie glaubte sich an eine Skizze in seinem Zimmer zu erinnern.

„Das ist toll."

„Ja, oder? Herr Wesp war auch begeistert von der Idee. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob er sich wirklich über die erneuerbare Stromquelle, oder die Publicity freut, die die Schule und er als Schulleiter dadurch erhält, aber das kann mir auch egal sein. Was zählt ist das Windrad, was nächstes Jahr hoffentlich hinter der Schule seine Kreise zieht."

„Stimmt." Fria traute sich nicht, weitere Fragen zu stellen. Dafür kannte sie sich zu schlecht mit der Technik hinter diesen Dingern aus. Aber es freute sie, wie viel Spaß Jasper an diesem Projekt hatte und welche Wirkung es hoffentlich erzielte.

Hinter den beiden knackste ein Ast. Fria schrie auf. Damit hatte sie gerade nicht gerechnet. Sie war so in das Gespräch vertieft gewesen, dass sie ihre Umwelt einfach ausgeblendet hatte. Nur das Kitzeln von Gras, was sie hin und wieder an ihren Beinen gespürt hatte, hatte sie daran erinnert, dass sie gerade durch die träumenden Wälder spazierte.

Nun drehte sich Fria langsam um. Jasper tat es ihr gleich. Was würde sie erwarten?

Fria stutzte. Niemand war zu sehen. Kein Tier, kein Mensch. Nur Bäume, Moos und Sträucher.

„Haben wir uns das eingebildet?", fragte Fria verwirrt. 

„Ich denke nicht. Du hast es ja auch gehört", antwortete Jasper mit stockender Stimme. Auch er schien Angst bekommen zu haben.

„Denkst du, das war ein Mensch? Lani vielleicht?"

„Möglich." Jasper schluckte. Dann rief er mit lauter Stimme: „Hallo?" Vielleicht würde sich ja jemand melden.

Keine Antwort. Fria entspannte sich. „War wohl doch nur ein Tier."

„Merkwürdig." Jasper ging ein paar Schritte zurück und hob den Stock auf, von dem er vermutete, dass er gerade zerbrochen war.

„Was hast du damit vor?" Fria beschäftigte sich schon wieder mit ihrer Kamera. Wahrscheinlich hatte sie Angst, dass diese durch ihr Zusammenzucken auf den Boden aufgeschlagen war. Immerhin hing sie an einer langen Stahlkonstruktion. Doch während ihrer Inspektion musterte sie ihren Freund aufmerksam.

Jasper zuckte nur mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht. Vielleicht kann man unter dem Mikroskop irgendwas sehen."
„Dreck von einer Schuhsohle?", schlussfolgerte Fria.

„Möglich", stimmte Jasper ihr zu. „Aber das müsste ein großer Zufall sein. Wahrscheinlich war es doch einfach ein Tier."

„Hattest du gehofft, du würdest Lani treffen? Bist du deshalb mit in den Wald gekommen?"

„Ja", gestand er.

„Ey, jetzt bin ich aber enttäuscht. Ich dachte, du bist wegen mir hier."

Jasper verdrehte die Augen. „Natürlich wollte ich auch Zeit mit meiner langjährigen, guten Freundin Fria Roncal verbringen. Aber mein erster Gedanke galt Lani."

„Pfff", machte Fria daraufhin nur noch. Doch man sah, wie sie leicht lächelte. Natürlich nahm sie es Jasper nicht böse. Sie interessierte das verschwundene Mädchen ja auch. Es wäre schön gewesen, hätten sie es bei ihrem Waldspaziergang gefunden.

Jasper sah Frias Lächeln nicht, doch das brauchte er auch nicht. Er kannte Fria ewig. Er wusste, dass sie ihm nicht böse war. Stattdessen konzentrierte er seinen Blick auf eine weit vorausliegende Baumreihe. „Denkst du, Lani wird bald gefunden werden?"

„Das kann ich dir nicht sagen. Genau wie auf die Frage, wann Malea endlich aufwacht. Es kann morgen passieren, oder erst in eins zwei Monaten. Wir müssen wohl abwarten." 

Jasper spürte das Moos zwischen seinen Fingerkuppen und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich hasse abwarten. Warum kann man denn nichts dagegen unternehmen?"

Fria war endlich fertig mit der Inspektion an ihrer Kamera und ging näher an ihn heran. Sie hatte eben unauffällig auf die Uhr gesehen und feststellen müssen, dass es schon bald Abendessen bei ihr gab. Kai und Emil würden es ihr nicht verzeihen, wenn sie zu spät kam. Also half sie Jasper auf, der noch immer auf dem Boden kniete und sagte: „Du hast ja heute schon was unternommen. Du hast nach Lani gesucht. Aber jetzt sollten wir uns auf den Rückweg machen. Meine Familie macht sich sonst Sorgen. Wenn du willst, können wir morgen aber noch eine Runde gehen. Ich brauche eh noch ein paar Aufnahmen. Schmetterlinge wären gut."

„Na schön." Jasper steckte den Stock in seine Tasche und trat den Rückweg an. „Ich kümmere mich morgen um deine Schmetterlinge und du hilfst mir, Lani zu finden." 

Fria strahlte. „Deal." 

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