5.Kapitel: Die Macht der Schatten

Lu schien es, als werde es immer kälter im Raum. Es herrschte augenblicklich Stille. Alle starrten gebannt auf den toten Jungen. Eine Art schwarzer Nebel schien ihn zu umhüllen. Ein leises Rauschen und Knistern untermalte das Bild. „Was ist das?", kreischte Miss Terri spitz. Niemand vermochte zu antworten. Alle standen weiter da und sahen zu. Aus dem offenen Mund der Leiche kam ein seltsames Glitzern. Dieses formte sich zu Bildern. Es zeigten vermutlich Passagen aus seinem Leben. Man sah zwei Erwachsene die seine Eltern sein könnten. Man hörte leises Kinderlachen und fröhliches glucksen. Doch dieser Quell der Freude wurde von dem schwarzen Nebel umhüllt. Das Lachen erstarb. Die Bilder verblassten. Wie ein Wirbelsturm umschlang der Nebel förmlich die tote Person und es schien als sauge sie die Seele auf. Das Rascheln wurde lauter, das Knistern wurde vermehrt zu einem gruseligen Knacken. Die Lichter im Raum erloschen. Lu zitterte. Es wurde immer kälter. Lu tastete nach Lillys Hand. Lilly war wie sie völlig fassungslos und sie konnte sich nur noch schwer auf den Beinen halten. Der schwarze Nebel gebärdete sich und wurde immer mehr zu einem Schatten. Dieser schwebte bis an die Zimmerdecke. „Die Boten sind noch nicht bereit für die totale Schlacht, so vermehrt der Herrscher seine Macht", der Schatten sagte diese Worte als er immer blasser wurde. Es klang als sagten dies, tausende Stimmen gleichzeitig. Dann war plötzlich der Schatten weg. Das Licht ging wieder an und es wurde wohlig warm. Nur das leise Rauschen weilte noch einige Sekunden bei ihnen. Dann war auch dieses verschwunden. Die blicken wanderten von der Zimmerdecke zu dem Jungen. Seine Gestalt war ein einziges Grau. „Was ist gerade passiert?", fragte Lilly zitternd. Lu war ebenso ratlos. Sie konnte nicht sprechen, wieder einmal versagte ihr Körper ihr den Dienst. Miss Terri löste sich zuerst aus ihrer Starre nur um dann in Ohnmacht zu fallen. „Ich weiß es nicht", brachte Miss Daelwon mit brüchiger Stimme hervor. Roman, der sich neben die junge Lady gekniet hatte, blickte auf. Sein Gesicht sah um mehrere Jahre gealtert aus und seine Augen spiegelten seine Angst wieder. „Ist mit dem Herrscher etwa", weiter konnte er nicht reden. „Lilly und Lu, ihr verliert vorerst über diese Sache kein Wort verstanden? Der Junge ist tot, weiter nichts", sagte Miss Daelwon nun gefasster. Diese Worte trafen Lu wie einen Schlag. Sie hatte versagt. Sie hätte ihn retten können. „Ich war nicht stark genug", flüsterte sie leise zu sich selbst. „Ich habe ihn getötet" Lilly zog sie sanft aus dem Raum. Die beiden dachten nicht daran jetzt zum nächsten Klassenraum zu gehen. Sie liefen zielstrebig in ihr Zimmer. Auf ihrem Weg begegneten sie keinem, die anderen hatten Unterricht.

Im Zimmer angekommen setzte Lu sich mit einem seufzen auf das Bett. „Was habe ich falsch gemacht?" Ihr flüstern war kaum zu hören. Ihre Glieder waren so schwer geworden, sie war kaum in der Lage sich zu halten. Eine Art Klumpen saß in ihr drin und er breitete sich aus, sodass es ihr fast schmerzen bereitete. Er lähmte Teile ihres Körpers. Am liebsten wollte sie hier und jetzt alles was sich aufgestaut hatte loslassen. Doch vor Lilly wollte sie nicht anfangen zu weinen. „Hey, Mädels", die Tür öffnete sich nahezu lautlos und Mary trat ein. Sie blickte unsicher zu den beiden Mädchen. „Was ist passiert? Ihr seht so erschöpft aus", Marys dunkelblauen Augen blickten Lu sorgenvoll an. Lilly stand ruckartig auf. „Uns geht es gut", sagte sie fest und fixierte die Tür. Kurz bevor sie rausging drehte sie sich noch einmal um. Sie warf Lu einen Blick zu, den sie nicht zuordnen konnte. War da etwa Mitleid zu sehen? Würde sie umdrehen und bei den beiden bleiben? Sich mit ihnen aussprechen? Aber Lilly würde nie in Gefühlen ausbrechen. Lu wusste das, sie brauchte nicht einmal zu fragen. Sie hatte gar nicht auf Mary geachtet, weshalb sie sich kurz erschrak als die zierliche Mary sie fest in die Arme schloss. „Lass raus, was raus muss", Marys Stimme klang so warm und gefühlvoll. Nicht so wie der harte und manchmal frostige Klang, mit dem Lilly die anderen anherrschte. „Es...also ich", stammelte Lu. Sie spürte wie sich die Tränen in ihren Augen sammelten. Nicht weinen, nicht weinen, sprach sie sich selbst zu. Marys Umarmung machte es nicht besser. Lu fühlte sich so geborgen und sicher, sie könnte auf der Stelle losheulen. „Nichts sagen Liebes. Lass es einfach raus, es ist keiner hier", Mary streichelte Lu den Rücken und flüsterte ihr die Worte langsam und deutlich zu. Dann konnte Lu nicht mehr. Die erste Träne rann über ihre Wange. Dann folgten die zweite und ein ganzer Strom. Lu fühlte sich befreit, die ganze Last konnte sie loslassen. Sie hätte gerne Stunden in Marys Armen verbracht. „Ich habe ihn getötet", brachte Lu dann nach einer Ewigkeit heraus. „Du hast niemanden getötet Lu", flüsterte Mary beruhigend. „Wäre ich stärker, dann hätte er überlebt", schluchzte Lu. Mary streichelte ihr weiter den Rücken. „Lu, du kannst nichts dafür. Es waren doch andere Lehrer da oder?", Mary wartete die Antwort gar nicht ab. „Wenn er hätte überleben können, dann hätten sie etwas getan. Es lag also nicht an dir" „Ich hätte stärker sein müssen", Lu machte sich weiterhin Vorwürfe. „Komm ich zeig dir etwas, was dich auf andere Gedanken bringt", Mary löste langsam die Umarmung und Lu war fast ein wenig traurig darüber.

Sie ging mit Lu durch die vielen Gänge des Schlosses, die sich langsam mit Leben gefüllt hatten. Die schönen Verzierungen an der Decke und den Wänden, welche die glorreichen Errungenschaften zeigten, konnten sie auch nicht ablenken. Sie hörte das aufgebrachte tuscheln, überall vernahm man die Worte wie Tod oder Schattenkönig. Die Nachricht des Todes von dem Jungen, hatte sich wohl trotzt Miss Daelwons Anweisung verbreitet. Mary führte Lu zielsicher durch die Flure und schon bald waren sie an ihrem Ziel. Mary öffnete die Hintertür und eine warme Briese pustete Lu durchs Gesicht. Sie betrat einen Sandweg und es knirschte unter ihren Schuhen. Langsam kamen sie den Bäumen näher, ihre grünen Blätter wiegten sanft im Wind. „Ab jetzt sollten wir ein wenig leiser sein", sagte Mary mit gedämpfter Stimme. Lu bemerkte ihre leuchtenden Augen, Mary freute sich wohl schon. Der Sandweg wurde erdiger und bald dominierte trockener Waldboden. Einige Blätter segelten zu Boden. Lu kam es fast so vor, als schoben sich die Zweige und Äste auseinander um ihnen Platz zu machen. Mary bewegte sich nun schon fast lautlos und Luana gab sich alle Mühe ihr es gleich zu tun. Plötzlich raschelte es und ein Reh rannte völlig verängstig vor ihnen davon. Das braune Tier blieb aber einige Meter im sicheren Unterholz stehen und beobachtete die beiden. Das Fell musste sich seidig anfühlen, so sah es zumindest aus. Aus den wunderschönen dunkelbraunen Augen blickte das Reh sie an. Kurz verharrte es wie die beiden in seiner Starre, dann sprang es auch schon davon. Lu schüttelte kurz den Kopf. „Man kommt sich jedes Mal vor als wäre man paralysiert worden", Mary strich bei diesen Worten über ein zartes grünes Blatt. Daraufhin schüttelte der Baum seine schweren Äste. „Hat der Baum das gerade gespürt?", Lu konnte nur ungläubig in die Krone des Baumes blicken. „Die Vielfalt der Natur hält vieles vor uns versteckt, würden wir es ja doch wieder zerstören", mit einem seufzen lehnte Mary sich gegen den Baumstamm der alten Buche. Lu atmete einmal tief die Gerüche des Waldes ein. Sie waren so befreiend. Ihre Augen hörten schlagartig auf zu brennen und ihr Herz fühlte sich nicht mehr so schwer an. Es schien ihr, als blase der Wald ihr neues Leben ein. Sie genoss das Zwitschern der Vögel, ihre fröhlichen Lieder und das angeregte Streiten. Hier war wahrlich ein Ort, wo man loslassen konnte. „Warum sind hier eigentlich nicht so viele?", Lu war aufgefallen, dass sie keinen bisher gesehen hatte bis auf ihre Begleiterin. „Der Wald ist groß. Jeden Tag findet man ein neues Versteck. Allerdings sind viele unseres alters uninteressiert an der Natur. Sie feiern lieber Partys anstatt die Natur zu genießen. Nur noch wenige betreten diesen Ort" Lu konnte das überhaupt nicht nachvollziehen. Dieser Ort war wunderschön. Es wimmelte von Sträuchern, Bäumen und Blumen, wie ein Teppich und ein schützendes Dach vervollständigten sie das Bild der Vielfalt und der Vollkommenheit des Waldes. „Das hier ist mein Lieblingsplatz", Mary führte sie ein wenig durch das Unterholz zu einem kleinen Steinkreis. In der Mitte des Kreises stand eine einzige große Blume, sie war geschmückt mit blauen und türkisenen Blüten und ihre Blätter strahlten ein gesundes grün aus. Lu setzte sich gegenüber von Mary auf einen Stein. Seine Oberfläche war überraschend glatt und kühl. Mary bedeutete Lu sich die Blume anzusehen. Lu betrachtete diese und versank in ihrem Anblick. Die Blüten waren perfekt geordnet und doch so natürlich. Der Pflanzenstiel war bespickt mit kleinen grünen Blättchen und größeren dunkelgrünen Blättern. Lu streckte die Hand aus, wollte sie die kleinen Blätter anfassen. „Nicht!", kam es von Mary und Lu zuckte erschrocken zusammen. „Sie ist ein bisschen aggressiv Fremden gegenüber" Lu zog die Brauen hoch. Hatte sie richtig gehört. Eine Pflanze die aggressiv wurde. War Mary nicht mehr ganz dicht? „Sie sondert ein Gift aus, wenn sie Gefahr wittert. Es kann dir zwar nichts Ernsthaftes anhaben, aber es brennt fürchterlich", antwortet Mary ein wenig grinsend. „Du bist also ihre Freundin?", Lu musste sich zurückhalten um nicht gleich loszulachen. „Nein natürlich nicht. Ich habe schon öfter ihren Zorn zu spüren bekommen. Aber wenn zum Beispiel ein Vogel kommt, er scheint sich nicht zu verletzen", auch Mary musste ein wenig grinsen. Luana schaute Mary zufrieden an. „Danke dass du mir diesen Platz gezeigt hast. Ich fühle mich so viel besser jetzt. Darf ich denn öfter hier herkommen oder ist das dein..", Luana konnte gar nicht ausreden denn Mary verneinte sofort und sagte: „Du kannst jederzeit hierherkommen. Sky ist auch manchmal hier. Aber meistens abends" Lu bedankte sich erleichtert. „Wollen wir reingehen? Es gibt bald Abendessen. Das Mittagessen haben wir verpasst" Luana war verwundert und überlegte angestrengt. „Waren wir so lange weg?", fragte sie verdutzt. „An diesem Ort vergisst man die Zeit schnell. Eine der Tücken des Waldes", bei diesen Worten erhob sich Mary von ihrem Platz und führte Lu zielsicher aus dem Unterholz auf den kleinen Pfad. „Und? Schon ein Lieblingsfach?", fragte Mary. „Ich habe erst zwei gehabt. Da kann ich noch nicht entscheiden. Aber Roman scheint ein cooler Typ zu sein", antwortete Lu. „Ist er auch. Er ist unumstritten der beste Lehrer seit 5 Jahren" „Wie darf ich das jetzt verstehen?", Lu war erneut ratlos. Sie hatte echt noch ein wenig nachzuholen. „Am Ende des Schuljahres wählen die Schüler den besten Lehrer, der dann von den anderen Lehrern jeweils ein kleines Geschenk bekommt. Man schreibt auf die kleinen Zettel was er gut gemacht hat oder macht und daran orientieren sich die Lehrer. Naja manchmal" „Und wer ist der schlimmste Lehrer?" „Herr Robinson. Aber der betrifft uns glücklicherweise nicht. Er beaufsichtigt nur die Abschlussklassen", Luana und Mary schlenderten weiter und waren fast am Ende des Waldes als beide eine eigenartige Welle spürten. Es war ein Kribbeln, welches ihre Körper durchdrang. Beide blickten sich instinktiv an. „Ist das normal?", fragte Lu unsicher und betastete vorsichtig ihren Oberkörper. „Nein, das ist ganz und gar nicht normal", Marys Stimme war unnormal hoch und gleichzeitig irgendwie belegt. Lu spürte eine Art ziehen in ihrem Rücken. Sie drehte sich um und verspürte es nun nicht mehr so stark aber dennoch hatte sie das Gefühl, jemand wolle sie in den Wald ziehen. „Mary irgendwas will uns in den Wald ziehen", Lu keuchte angestrengt, die Macht wurde immer stärker. „Ich spüre was, oh nein", Mary erschrak. Lu wusste nicht was los war. Sie schaute Mary verzweifelt an, versuchte etwas in ihrem Gesicht zu lesen. Nun kam eisiger Wind auf. Er schien aus der Richtung zu kommen, aus der die Macht kam. Der Himmel schien sich gräulicher zu färben. „Die Schatten", schrie Mary nun spitz und tastete nach Luanas Hand, während sie gebannt und ängstlich zugleich in den Wald starrte. Gräuliche Fäden zogen wie Nebelschwaden aus dem Wald heraus. „Was ist hier los?", plötzlich tauchten Tara und Sky hinter den Mädchen auf. Ihnen schien es ähnlich zu gehen. „Spürt ihr es auch?", fragte Tara erstaunlicherweise ruhiger als die anderen es waren. „Ja, aber irgendwie scheint es nur uns zu betreffen", Sky strahlte die pure Panik aus und hielt verzweifelt ihren Bauch. Dann ertönte ein markerschütternder Schrei. „Nicht schon wieder", stöhnte Lu. Sie kannte diesen Schrei. Er war auch bei dem Jungen zu hören. Als teile diese Person dieselben Qualen wie er. „Wir müssen helfen", schrie Tara die anderen an, welche immer noch wie angewurzelt dort standen. Todesmutig griff Tara nach dem nächstbesten Ast und rannte in den Wald hinein, in die Richtung des Schreis. „Ich komme", rief nun auch Sky selbstbewusst und folgte ihrer Zimmergenossin, allerdings ohne Bewaffnung. Lu blickte Mary an. „Wir können sie nicht alleine lassen", begann Lu. „Wir wissen nicht was dort ist. Es ist mächtig. Sehr mächtig", gab Mary zurück. „Aber es ist in Gefahr", in Lu haderte es. Einerseits wollte sie sich nicht leichtfertig in den Tod stürzen, aber andererseits könnten ihre Freunde in Lebensgefahr schweben. „Mary wir müssen", der Rest ihres Satzes ging in einem erneuten Schrei unter. „Sky und Tara sind dort, ich werde nicht tatenlos zusehen", diese Worte ließen endlich auch Mary aus ihrer Starre erwachen. Lu nahm sie an die Hand und stapfte mit ihr in den Wald. Sie hatte keinesfalls neuen Mut geschöpft. Doch ihre Angst um die Mädchen war größer als die Angst vor der mysteriösen Kraft. „Hier lang", Mary lotste Lu durch das Gestrüpp. Es war nicht schwer den Ort ausfindig zu machen. Jemand trieb sie, nur wer war es. „Wir sind fast da", das Kribbeln wurde immer stärker, das Ziehen immer aufdringlicher. Man hörte nun schon Tara und Sky wild durcheinander schreien. Und dann fiel ein Satz, der Lu zusammensacken ließ.


Ich bin einfach gut was Cliffhanger angeht. Wenn ihr die Geschichte bis hierher gelesen habt, würde ich mich über Votes oder Feedback oder beides freuen. Was haltet ihr von den Charakteren und den Ereignissen. Ich freue mich über jeden Kommentar, ob Lob oder Kritik. Und sonst bleibt mir nicht viel zu sagen.

Lg Rankenherz

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