3.Kapitel: Die Hüter
Lu schob die Ranken, die wie ein Vorhang vor der Höhle waren, beiseite und betrat das Innere des Berges. Es war nur ein kleiner nahezu runder Raum mit ganz glatten Wänden. Es war auch nicht sonderlich dunkel, weshalb Lu den Durchgang zu einer weiteren Höhle entdeckte. Er war kantig, spitz und einige Felsstückchen ragten vom Boden empor. Lu wusste nicht ob sie den engen Tunnel betreten sollte oder nicht. Der Wind kam erneut auf, doch diesmal klang es wie ein flüstern. „Luana komm. Komm zu uns Luana", so klang das Wehen des Windes. Lu setzte vorsichtig einen Schritt in den engen Eingang. Wie von einer höheren Macht getrieben, setzte sie ihren Weg fort. Immer weiter in die Mitte des Berges. Lu sah nun nichts mehr, es war stockdunkel. Doch komischerweise stieß sie nie an eine der Wände. Als würde ein schützender Nebel sie umgeben, der sie steuerte. Langsam wurde es heller und Lu sah, nachdem sie mehrere Kurven gehen musste, eine riesengroße Höhle. Die Decke war bestickt mit einer Unmenge von Kristallen. Sie leuchteten in einem silbrigen Ton wie eine Vielzahl von Sternen. In der Höhle war es totenstill. Man hörte weder den Wind, noch andere Geräusche. Nicht einmal ihre Eigenen Schritte konnte Lu hören. Vor ihr standen vier Podeste. Erst jetzt viel Lu auf, dass in der Flamme, welche Roman gezeigt hatte, auch nur vier Podeste waren. Wo war der Hüter des Elements Geist? Gab es ihn überhaupt? Auf den steinernen Sockeln standen die vier Hüter. Ebenfalls aus Stein. „Luana", flüsterte es erneut. Dann hörte sie ein ratschen. Die Steinstatue mit dem Hirsch bewegte langsam den Kopf. Erst das eine Bein, dann das andere. Und vom Kopf herab löste sich die Steinschicht. Sie verpufften einfach, kein Stein fiel auf den Boden. Vor ihr stand nun ein großer, majestätischer Hirsch. Sein Fell war mittelbraun und seine Augen strahlten treuherzig. Am auffälligsten hingegen war sein Geweih. Es war golden und glänzte auch so. Der Hirsch sprang elegant vom Podest und landete neben Lu. Er senkte zur Begrüßung den Kopf und Lu tat es ihm nach. „Luana, du hast den Weg bestritten und bist nun an deinem Ziel. Du trägst die strahlende Aura der Freundlichkeit und der Hilfsbereitschaft in dir, wie es nur eine Magierin des Elements Erde hat", sagte der Hirsch. Seine Stimme war tief, klang aber nicht kratzig oder brummend. Lu nickte nur, unfähig zu sprechen. In ihrem Kopf kreisten so viele Gedanken. „Luana. Du hast erst spät deine Kräfte kennengelernt. Umso stärker sind sie in dir verankert, als Teil von dir. Die Kraft des Heilens steckt in dir", redete der Hüter der Erde weiter. Lu konnte nur erneut nicken. Ihr Mund war ganz trocken und ihre Hände zitterten leicht. Lu sah den Hirsch an. Doch er antwortete nicht mehr. Er lief zurück auf das Podest und von den Hufen beginnend, versteinerte er. „War es das jetzt schon?", dachte Lu ein wenig enttäuscht. „Geh Luana. Zieh hinaus in die Welt und nutze deine Kräfte", flüsterte es nun. Lu ging langsam zurück zum Eingang. Sie wollte nicht, aber sie wurde getrieben. So wirklich hat ihr dieses Treffen nicht geholfen. Oder doch? Luana konnte dies überhaupt nicht abwägen. Sie stand nun wieder in der kleineren Höhle, die weder die Größe noch den Glanz der anderen hatte. Der Wind peitschte ihr erbarmungslos ins Gesicht. Einige Regentropfen berührten Lu. Sie zuckte zusammen und ging schnell die ersten Stufen hinab. Auf ihrem Weg begegnete sie einer Schülerin, die keuchend nach oben stieg. Lu stieg weiter hinab und sie konnte die Umrisse der Bäume, kleineren Bergen und Menschen immer deutlicher erkennen. Als sie unten ankam sah sie, wie die anderen sich unter das schützende Blätterdach gestellt hatten. Schnell gesellte sie sich dazu und Lilly sah sie sofort fragend an. „Und?", fragte sie, während sie Lu ihren warmen Umhang gab, da sie sah wie Lu zitterte. „Was und?", antwortet Lu verwirrt. „Na, wer hat mit dir gesprochen? Was hast du gehört?", seufzte Lilly ein wenig. „Also da war der Hirsch. Er kam zu mir und meinte ich hätte die Kraft des Heilens. Aber das kann doch gar nicht sein. Ich weiß genau, dass ich den Schrank angezündet habe. Das ist garantiert kein heilen gewesen", Lu wurde immer ratloser und auch ein wenig frustriert. Sie wusste so lange nicht, dass sie magische Kräfte hat. Sie hatte sich von dem Treffen mit den Hütern so viel erhofft. Und nun war sie unwissender als vorher. „Hey das ist ganz normal. Niemand bekommt einfach eine Anleitung nach der er es ausprobieren kann. Außerdem steckt in den Worten der Hüter mehr als man denkt. Glaub mir, du wirst bald klarer sehen", versuchte Lilly, Lu ein wenig zu trösten. Lu schüttelte etwas traurig den Kopf. „Ich glaube nicht", sagte sie dann etwas leiser. Lilly schaute sie voller Mitleid an. „Kopf hoch Lu.", befahl Lilly. Lu blickte sie verständnislos an. „Sieh mir in die Augen" Lu tat was Lilly von ihr verlangte. Lilly schien angestrengt nach etwas zu suchen. Ihr Blick wurde immer leerer. Der Glanz aus ihren Augen verschwand. Es sah aus als würde sich ein Nebelschleier über ihre Augen legen. Dann war sie plötzlich wieder ganz normal. „Ich habe nachgesehen. Ich habe in dir eine kraftvolle Welle gespürt. Du besitzt auf jeden Fall eine mächtige Kraft. Und heilen ist sehr mächtig", sagte Lilly. „Was hast du mit mir gemacht?", fragte Lu etwas perplex. „Ich habe in deine Seele geschaut. Ein Teil meiner Fähigkeit. Ich kann in die Menschen hineinblicke. Herausfinden ob sie Lügen oder die Wahrheit sagen. Kräfte in ihnen aufspüren. Und angeblich soll ich sie auch kampfunfähig machen können. Aber das habe ich bisher noch nie hinbekommen. Und das mit der Wahrheitsfindung klappt auch nicht. Und ich spüre nur sehr mächtige Kräfte. Aber immerhin etwas", seufzte Lilly nach ihrer Erklärung. Lu musste schmunzeln. Sie war immerhin nicht die einzige die keine Ahnung hatte was in ihr vorging oder wie man es kontrolliert. „Lilly, ich möchte, dass du mit der ersten Gruppe schon einmal zurück zur Schule gehst. Wie letztes Jahr", rief Roman zu den beiden Mädchen hinüber. Lilly nickte und rief einzelne Schüler zu sich. „Lu, kommst du mit mir? Am besten gehst du an das Ende und ich gehe vorne Vorweg", ohne auf Luanas Antwort zu warten, ging Lilly voran. Die Schülergruppe folgte ihr, wie kleine Küken ihrer Mutter.
Nach gut einer Stunde waren sie wieder beim Schloss. Nachdem Lilly die Kinder in ihre Klassenräume gebracht hatte, zeigte sie Lu den Weg in das eigene Klassenzimmer. Ihre Mitschüler saßen alle auf ihren Stühlen und lauschten, einige mehr andere weniger aufmerksam, den Worten der Lehrerin. Still setzte Lilly sich und bedeutete Lu neben ihr Platz zu nehmen. Lu ging langsam zu ihrem Platz. Alle Schüler musterten sie interessiert. Sie erkannte Sky und Mary wieder, die eine Reihe vor ihnen saßen. „Hey Lu", flüsterte Mary. „Hey", gab Lu als Antwort zurück. Sie war erneut planlos, was sie tun sollte. Sie hatte keine Ahnung von dem Unterricht und auch nicht davon, was sie nun brauchte. „Und jetzt ist die Stunde Zaubersprüche auch schon vorbei. Ihr habt jetzt 20 min Pause, danach sehen wir uns im Englischunterricht wieder", trällerte die Lehrerin und alle Schüler verließen lautstark das Klassenzimmer. „Lu, du kannst jetzt deine Englischsachen aus dem Zimmer holen. Da musst du auch nichts nacharbeiten, denn wir arbeiten in dem Rhythmus normaler Schulen", sprach die Lehrerin Lu direkt an. „Achja ich bin Miss Morales", fügte die Lehrerin noch hinzu. Lu ging also so schnell sie konnte in ihr Zimmer und holte die Englischbücher und das Heft aus der Box in ihrem Schrank. Dann traf sie im Klassenraum ein und die Stunde begann. „So, open your books on page 34 please", begann Miss Morales den Unterricht. Lu sah, wie Mary und Sky sich leise unterhielten anstatt in ihre Bücher zu schauen. Sie blickte neben sich, doch Lilly war ganz und gar in die Aufgabe vertieft. „Wo ist eigentlich Tara?", fragte Lu leise. „Hm?", kam es von Lilly ebenso leise. „Ich sehe Tara nirgendwo. Ist sie nicht in unserer Klasse?" „Vielleicht schwänzt sie ja mal wieder. Das kam in dem letzten Jahr häufiger vor", antwortete Lilly. „Silence", rief Miss Morales durch die Klasse und Nebengespräche wurden sofort eingestellt. „Mary kannst du uns bitte einmal die Aufgabe 1 vorstellen?", fragte die Lehrerin und Mary ging etwas unsicher nach vorne an die Tafel. Sky grinste ihr hinterher und blickte Lu triumphierend an. „Da Mary offenbar nicht aufgepasst hat, kann Sky uns helfen" Und schon verschwand das Grinsen aus Skys Gesicht, dafür strahlte nun Mary siegessicher. Lilly schüttelte nur den Kopf aber auch sie musste schmunzeln. Für Lu ging die Stunde relativ schnell vorbei und sie hatte tatsächlich keine Probleme mitzukommen. „Bereit für das Trainieren deiner Fähigkeit?", fragte Lilly. „Was bitte?" „Na wir haben jetzt Unterricht mit Roman", sagte Lilly sichtlich zufrieden.
Und da kam auch schon der junge Mann in das Klassenzimmer. Hinter ihm lief Tara, welche ziemlich geknickt aussah. „Morgen", rief Roman und die Klasse antwortete mit einem fröhlichen Morgen. Trainieren der Fähigkeiten schien wohl das beliebteste Fach zu sein. „So, ich habe etwas für euch mitgebracht. Es soll eure Konzentration und Reaktionsschnelligkeit fördern. Danach werdet ihr wie gewohnt fortfahren", Roman teilte Tennisbälle aus. „Ihr stellt euch immer als Fünfergruppe in einen Kreis. Dann werft ihr die Bälle ganz hoch und fangt den von eurem rechten Partner. Verstanden? Dann los" Lu fand sich in einer Gruppe mit ihren Zimmergenossinnen wieder. Neben ihr stand Tara. „Tara wo warst du?", fragte Lu. „Ich war draußen. Aber leider hat Roman mich erwischt, als er mit den Schülern wiederkam", antwortete Tara geknickt. „Mädels aufpassen bitte", rief Lilly streng. Sie warf ihren Ball hoch und fing ihn mit der anderen Hand, während sie redete. „Auf drei werft ihr alle den Ball hoch, und versucht mit eurer rechten Hand vorzuschnellen okay?" „Wer hat dich denn hier zum Chef gemacht, hm?", sagte Sky empört zu Lilly. „Weil ich die mit dem Plan bin", antwortete sie. „Achja? Und wer hat seine Fähigkeiten bisher am weitesten entwickelt?", konterte Sky. „Wir machen das nach meinem Plan und damit basta", entschied Lilly. Sie gab dann das Zeichen und alle warfen ihre Bälle hoch. Lu versuchte den Ball von Sky zu fangen, doch sie stieß versehentlich Tara an und konnte ihren eigenen Ball nicht fangen. Die anderen hatten ähnliche Probleme. „Was bringt uns das überhaupt?", rief Tara frustriert und Sky stimmte ein. „Diese Übung funktioniert nur wenn ihr ein Team bildet", sagte Roman. Er ging von Gruppe zu Gruppe und sah sich die Versuche an. „Und ein Team funktioniert nicht nach einem Plan. Ein Team ist Zusammenarbeit von mehreren Organen, die dadurch einen funktionierenden Organismus schaffen. Ihr müsst in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen und sie erkennen und umsetzten", sprach Roman weiter. „So die Übung kann man auch prima in Pausen oder in der Freizeit mir Freunden ausprobieren. Jetzt widmen wir uns den Fähigkeiten. Ihr habt euch ja letztes Mal mit mir zusammen einen Trainingsplan erstellt. An dem könnt ihr jetzt weiterarbeiten", sagte er und ging zu Lu.
„Lu, was hat der Hüter zu dir gesagt?" „Der Hirsch sagte, ich könne heilen", antwortete sie. „Hm okay, ähm komm mal mit wir müssten...", mit diesen Worten ging er hinaus aus dem Zimmer und Lu folgte ihm. „Achja hier", er zeigte Lu eine Topfpflanze, welche schon sehr vertrocknet und heruntergekommen aussah. „Leg deine Hand auf das Blatt", Lu tat was er sagte. „Spürst du etwas?" Lu versuchte sich zu konzentrieren. Sie schloss die Augen und suchte angestrengt nach irgendeinem Zeichen. „Ich spüre nur leere. Tiefe Verlorenheit. Aber, da ist noch etwas" Und jetzt konnte Lu es fühlen. „Los, finde deine Kraft", sagte Roman und man hörte wie glücklich er war. Lu suchte und da war etwas. Sie ließ ihrem Geist freien Lauf. Und ihre Energie strömte in ihrem Körper, wie heiße Lava. Aber welche an der man sich nicht verbrannte. „Lu du kannst es"
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