Akzeptanz
„..."
Ich steckte so viel Gefühl wie möglich in meine Augen, mit der Hoffnung, dass dieser Mustang, auch wenn er nicht der meine war, mich verstand. Und tatsächlich schien es zu funktionieren, denn er senkte langsam den Arm mit der Waffe, ehe er sie sicherte und an seinem Holster am Gürtel befestigte.
Vorsichtig senkte ich die Hand von seinem Mund, die er sogleich ergriff. Fest schloss sich seine größere Hand um die meine. Gern hätte ich gewusst, ob seine Hand genauso warm war, wie die, die ich auf meiner Haut kannte. Doch meine Automail ließ mich nichts davon spüren.
„Wer bist du.", wiederholte der Mustang dieser mir immer schrecklicher erscheinenden Welt ruhiger. Das Misstrauen war seinem Blick geblieben, doch ich erkannte, dass sich sein Gemüt besänftigt hatte, was mich aufatmen ließ.
„Edward Elric.", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich... komme nicht von hier. Verzeihung." Zögerlich schenkte ich ihm ein Lächeln, welches er leider nicht erwiderte. Wobei, vielleicht war es auch besser so. Ich wollte keine falschen Hoffnungen bekommen, wie Ikarus zur Sonne aufsteigen, nur um dann niedergerissen zu werden und in Hoffnungslosigkeit unterzugehen.
„Woher kennst du meinen Namen, Edward?" Er sprach meinen Namen anders aus, als ich es gewohnt war. Wohl mehr, wie man mein Ebenbild dieser Welt nennen würde, wäre er noch am Leben.
„Eine Verwechslung und ein Zufall.", gab ich zögerlich zurück. Ich wollte beschämt den Blick abwenden, doch er griff nach meinem Kinn und zog meinen Kopf zurück, sodass ich ihn ansehen musste. Es war nicht nur Wärme, die von seiner Hand ausging, nein es war Hitze, als würden seine Hände brennen, heiß wie Feuer, heiß wie seine Flammenalchemie, die er in dieser Welt doch gar nicht besitzen sollte. Wäre es hier schließlich möglich, Alchemie anzuwenden und zu transmutieren, dann wäre ich schon viel schneller wieder Zuhause gewesen.
„Unwahrscheinlich.", erwiderte Mustang und ließ seinen Blick an mir herauf- und hinabwandern, ohne eine erneute Gefühlsregung zu zeigen. Ich zitterte etwas unruhig bei dem befremdlichen Gefühl der Musterung.
„Ich-Ich muss dann jetzt weiter...!" So sehr ich mich anfangs gefreut hatte, Mustang zu sehen, so schnell wollte ich nun von diesem Ebenbild weg. Es tat weh, eine andere Version von ihm zu sehen, die mich anders behandelte, anders ansprach, anders ansah. Die anders fühlte und meine Gefühle nicht zu erwidern vermochte.
Doch dieser verstärkte den Griff um meine Hand nur und hielt auch mein Kinn weiter fest. Er beugte sich etwas zu mir runter, sodass ich seinen warmen Atem in meinem durch die winterliche Kälte kühlen Gesicht spüren konnte.
Sehr schnell heizten meine Wangen sich auf und nahmen eine beschämende rote Farbe an. „Z-Zu nah!", rief ich etwas schrill, kam jedoch nicht weit, als er meine Lippen mit den seinen verschloss. Das Gefühl war meiner Erinnerung so ähnlich, glich auch der Illusion des Alkohols, sodass ich nicht anders konnte, als verzweifelt zu erwidern. Ich krallte mich wie von selbst mit meiner freien Hand an Mustangs Schulter, um ihn mir noch etwas näher zu ziehen. Traum, Parallelwelt, Illusion, all dies spielte für mich in diesem Augenblick keine Rolle mehr. Alles was zählte war, dass ich bei Mustang war, dass ich von ihm gehalten wurde und ihm so nah sein konnte.
Was mich jedoch aus dieser warmen Umarmung der Gefühle riss, war seine Stimme. Nicht direkt wohl seine Stimme, schließlich klang sie genauso, wie ich sie im Kopf hatte, sondern mehr, das Wort, was er sprach, oder vielmehr die Art, wie er es betonte.
„Eduard..."
Ich riss die zuvor geschlossenen Augen auf und starrte zu ihm hoch, ehe ich ihn grob mit viel Kraft zurückstieß. Mein Keuchen konnte ich nur schwer beruhigen, als mit einem Mal die Verzweiflung wieder über mir zusammenbrach.
Mustangs Augen stattdessen zeigten zwar auch eine gewisse Verzweiflung, jedoch wurde diese überschattet von tiefreichender Sehnsucht. Heimweh, aber nach einer Person. Zu meinem Entsetzen verstand ich das Gefühl, fühlte es sogar in diesem Augenblick, das Gefühl des Vermissens. Doch ich verstand auch etwas mehr darüber. Es war Einbildung, ihn mit Mustang gleichzusetzen. Er war nicht der Mustang, nach dem es meinem Herz verlangte. Und auch ich war nicht die Person, die Mustangs Ebenbild aus dieser Welt suchte.
„Verzeihung, ich-", wollte dieser Mustang schon anfangen, doch meine starke Ohrfeige mit der rechten Hand ließ ihn verstummen.
„A-ARSCHLOCH!", schrie ich ihm entgegen. „VERDAMMTES ARSCHLOCH! SIE- SIE VERFLUCHTER BASTARD!" Tränen hatten sich in meinen Augenwinkeln gebildet, im Versuch meine erlangte Erkenntnis wieder hinweg zu waschen. Doch zu tief war das Wissen in mir und meinem Herzen angelangt, zu sehr wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich in dieser Welt niemals die Leute finden würde, nach denen ich verlangte. Ich würde hier nie eine Alternative zu meinem Zuhause finden, nie einen Alphonse und eine Winry, die mir stets Familie waren und beistanden, und auch kein Mustang, der mich mit seiner Flammenalchemie wärmen und in seine großen, starken Arme schließen konnte.
Wenn ich selbst keinen Weg zurück in meine Welt finden würde, was ohne Alchemie so ziemlich unmöglich war, dann würde ich niemals das finden, was ich zum glücklich sein, was ich zum Leben brauchte.
Der Mustang dieser Welt hielt sich die rote Wange, die von meiner Metallhand sicher sehr schmerzen musste. Doch dieser Schmerz war bei weitem nicht mit dem Schmerzen in meinem, und ich glaube auch in seinem Herzen nicht vergleichbar.
„Ich bin nicht der, für den du mich hälst. Ich bin Edward. Edward Elric aus Amestris. Und du, du bist nicht Mustang. Du bist nicht Oberst Roy Mustang, der Flame Alchemist. Hast du mich verstanden?! Du bist nicht er! Und der Edward dieser Welt, dieser Eduard, der in London wohnte, der ist tot! Und ich werde kein Ersatz für ihn sein! Und du wirst auch niemals Ersatz für meinen Mustang sein!", mein Schreien wurde immer mehr zum Schluchzen, als die Tränen kaum aufhören wollten, über meine Wangen zu laufen.
Als Mustang sie wegwischen wollte, schlug ich ihm gegen die Hand. „Fass mich nicht an!"
Einige Momente schwiegen wir, er sprachlos, ich atemlos. Als er die Stimme wieder erhob, war er sehr leise, kaum zu hören in dem Lärm, der auf dem Bahnhof herrschte.
„Eduard ist also wirklich tot? Ich hätte es wissen müssen." Mustang senkte den Blick. „Schließlich war ich es, der seine Leiche aus dem brennenden Zeppelin-Wrack gezogen hatte. Schließlich war ich bei seiner Beerdigung anwesend." Er lachte traurig. „Aber dich hier so zu sehen, sein exaktes Ebenbild... Da ist es wohl etwas mit mir durchgegangen."
Meinem Blick schwand die Wut etwas, als sich Mitgefühl in meinen Augen breitmachte. „Schon gut.", antwortete ich und lächelte sogar matt. Schließlich war ich es gewesen, der mit der Verwechslung und übermäßigen Berührung angefangen hatte. Den Kuss hatte ich auch erwidert, also konnte ich wohl kaum Mustangs Ebenbild die alleinige Schuld geben. „Ich habe auch falsch gehandelt, verzeih bitte."
„Ich denke, die Ohrfeige hat geholfen, also sollte ich mich eher bedanken." Mustang lachte sogar leicht. „Sein Geist hätte gewiss genauso reagiert, hätte er mich in diesem Zustand gesehen."
Ich wusste darauf nichts zu erwidern, weshalb ich ihn lediglich betrübt ansah. Nach kurzer Stille zwischen uns, trat Mustang einige Schritte zurück. „Dann ist es wohl Zeit für mich, zu gehen. Leb wohl, Edward." Er gab sich Mühe, meinen Namen korrekt auszusprechen, was mein Lächeln nur trauriger machte.
Als er umdrehte und ging, sah ich ihm eine ganze Weile nach. Leb wohl, hatte er gesagt. Der Satz ließ mich nicht los. Gerade als der Mustang dieser Welt fast aus meinem Blickfeld verschwunden war, trat ich etwas vor.
„Warte!", schrie ich laut und lief ihm nach. Verwundert blieb der Schwarzhaarige stehen und sah zu mir zurück. Mit schnellen Schritten holte ich zu ihm auf, ehe ich bei ihm angekommen keuchend stehenblieb.
„Ich muss dich um etwas bitten!" Fordernd und verzweifelt sah ich zu ihm hoch. „Gib mir bitte deine Waffe!"
Perplex blinzelte Mustang, doch bevor er seine sichtbaren Bedenken kundtun konnte, sprach ich weiter. „Ich muss zurück in meine Welt. Zu meinem Mustang. Dafür brauche ich die, bitte hilf mir!"
Den zuvor geöffneten Mund schloss mein Gegenüber wieder, ehe er seufzte und mir seine Pistole aushändigte. Als er seinen Kopf abwendeten wollte, ergriff ich seinen Oberarm.
„Es tut mir wirklich leid, dass mein Ebenbild aus dieser Welt nicht mehr lebt. Wirklich. Aber geben Sie nicht auf. Behalten Sie ihn in Ihrem Herzen und kämpfen Sie weiter!" Ich riss ihm die Armbinde ab. „Das hätte er ganz sicher so gewollt!"
Mustang musterte mich, doch diesmal konnte ich seinen Blick nicht deuten. Schließlich nickte er und wandte sich von mir ab. „Viel Glück.", waren seine letzten Worte, bevor er weiterging und in der Menschenmasse verschwand.
Die nächsten Sekunden kamen mir vor wie im Traum, als ich selbst den Bahnhof verließ. Die Waffe fühlte sich unglaublich schwer in meiner Hand an, während sie gleichzeitig eine so befreiende Hoffnung erfüllte.
Nach einigen langen Minuten, vielleicht sogar einer Stunde, fand ich mich auf einem kleinen Hügel wieder. Und zum ersten Mal seit meiner Zeit in Deutschland schien die Sonne strahlend hell vom blauen Himmel auf mich herab. Die Schneewolken hatten sich verzogen und warmer Frühlingswind kündete einen Wetterumschwung an. Unter der weißen Decke zu meinen Füßen konnte ich sogar vereinzelte grüne Flecken der Wiese ausmachen.
Es war, als würde die Welt meine steigende Motivation, meine große Hoffnung auf Rückkehr spüren und mich verabschieden wollen. Lächelnd ging ich durch den Schnee, zeichnete dabei Muster hinein, die schon bald einen Transmutationskreis ergaben. Als ich in der Mitte stehenblieb, richtete ich meinen Kopf nochmal gen Himmel.
Vermutlich hätte ich Hohenheim Bescheid sagen sollen, dass ich ging. Ich hätte mich verabschieden sollen, vielleicht auch anbieten sollen, dass er mitkommen könnte. Doch obwohl ich von meinem Vorhaben überzeugt war, wäre es doch zu risikoreich gewesen und Hohenheim hätte niemals diesen Weg gewählt. Doch für mich war er mein Ausweg aus dieser Welt.
Eine Briese strich mir die Haare aus der Stirn und ließ mich aufatmen. Frühling, neues Jahr, neue Zeit. Neues Glück, so hoffte ich.
Ich sah noch einmal voller Entschlossenheit auf meine Hände hinunter, zog die Handschuhe aus und nahm die Waffe, die Mustang mir gegeben hatte, in die rechte Hand.
Ein letzter Blick auf Deutschland. Mir fiel auf, dass es weitaus mehr Farben als nur grau gab. Dass es weiß gab, sogar etwas blau und gelb. Und auch schwarz hatte ich gesehen. Das Schwarz seiner Augen und seiner Haare. Ja, wenn ich so drüber nachdachte, hatte ich wohl einige Farben gesehen, ohne es mir bewusst gewesen zu sein.
Ich schloss die Augen und begrüßte das bekannte Dunkel vorfreudig. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als in meiner Vorstellung erst Winry und Alphonse, dann auch Mustang sich zu mir gesellten. Anders als in meinem von Alkohol verzerrten Rausch wirkten sie diesmal alle drei ganz friedlich. Die Umarmung, die sie mir gaben, hatte etwas so Warmes, vertrautes, dass ich nicht anders konnte, als mich wohlzufühlen. Und der Gedanke, dass ich diese Umarmung bald in echt spüren würde, wieder in meiner Welt, machte mich nur umso glücklicher.
Dieser Gedanke, war der Einzige, der mir geblieben war. Der Wunsch, nach Hause zu kommen und wieder bei ihnen zu sein.
Es hatte nicht geholfen, die Ausweglosigkeit der Situation zu verdrängen.
Es hatte nicht geholfen, auf diese Welt wütend zu sein.
Es hatte nicht geholfen, mit dem Leben zu verhandeln, ob es nicht doch anders sein möge.
Es hatte nicht geholfen, in Verzweiflung zu versinken und aufzugeben.
Nein. Ich musste diese Situation, diese Welt akzeptieren. Nur so konnte ich meinen Frieden finden. Nur so konnte ich mit meiner Trauer abschließen.
Ich lächelte und hob die Hand, spürte den kalten Pistolenlauf an meiner Schläfe.
Ich musste es akzeptieren, wenn ich leben wollte.
Also drückte ich ab.
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