Kapitel 69 - Der Zauberglanz

~Also das nenne ich mal eine Wand.~, pfiff Izzy anerkennend.

Sie stand neben Alec, der mindestens genauso fasziniert wie erfürchtig zu der großen Nebelwand sah, die sich bis hoch in den Himmel auftürmte und hinter der irgendwo Downworld-Island lag.

Die See war ruhig und sie hatten die Seraph-Strömung schon am frühen Morgen verlassen. Nun trieben sie langsam auf die graue Barriere zu, die anderen Schiffe direkt hinter ihnen.

Alec hörte die anderen am Heck geschäftig umherlaufen und schreien, vor allem Catarinas Befehle stachen heraus. Sie überlegten, wie sie diese Barriere durchbrachen, ohne einander in den Nebelschwaden zu verlieren, denn das wäre fatal.

Niemand wusste so genau, was dort lauerte, denn niemand hat den so genannten Zauberglanz je durchfahren und war zurückgekehrt, um davon zu berichten. Ihr Wissen beschränkte sich auf Legenden, die von scharfkantigen Felsen berichteten, an denen bereits viele Schiffe gesunken waren.

~Die Frage ist nur, wie wir da durchkommen.~, überlegte Izzy.

Ihr Bruder jedoch schwieg, denn er war ganz weit weg mit seinen Gedanken. Vielleicht lag es am Schlafmangel, aber er stellte sich eine Zukunft ohne Probleme vor.

Eine Zeit, in der weder Kali, noch die Schattenjäger ein Problem waren und er einfach glücklich sein konnte. Er würde in einer kleinen Hütte weit abgeschieden von jeglicher Zivilisation leben, mit einem Ausblick auf die See. Er stellte sich vor, wie er mit Magnus an der Felskante sitzen und der Sonne zusehen würde, wie sie hinter den tiefblauen Wellen versank.

Eine romantische Vorstellung und leider war es nur ein Traum, denn die Welt war nicht perfekt und frei von Problemen. Man konnte sie sich lediglich schön träumen, was aber ebenfalls zunichte gemacht wurde, als Cat zu ihnen stieß.

Heute trug sie ein weites, cremfarbenes Hemd, welches sie sich in die lange braune Hose gestopft hatte. An einem breiten Gürtel hing ein gebogener Säbel und ein weitkrempiger Hut vollendeten ihr Outfit.

~Seid ihr nervös?~
~Dasselbe könnte ich dich fragen, immerhin sind wir im Begriff, Geschichte zu schreiben.~, antwortete Izzy lächelnd.

Cat erwiederte das Lächeln, aber man konnte ihr ihre Anspannung deutlich ansehen.
~Ok, hört zu. Das wird kein Kinderspiel. Wir wissen weder, wie lange wir durch den Zauberglanz segeln, noch wie wir an Downworld-Island anlegen. Wir kennen die Insel kaum und wir wissen auch nicht, wie groß der Vorsprung zu den Schattenjägern ist, wenn er denn überhaupt existiert.~

~Sehr ermutigend.~
Cat zuckte mit den Schultern.
~Warum große Versprechungen machen, wenn man sie am Ende ohnehin nicht einhalten kann? Ich stapel da lieber tief.~
~Und wie kommen wir durch diesen Zauberglanz?~, meldete sich Alec zum ersten Mal zu Wort.

~Mit deiner Hilfe.~
Auf Alecs fragenden Blick hin, sagte sie mit einer knappen Handbewegung~Komm mal mit.~

Ohne nachzuprüfen, ob er ihr auch wirklich folgte, lief sie Richtung Achterdeck. Alec warf seiner Schwester einen entschuldigenden Blick zu, aber sie nickte nur verstehend und auch leicht aufmunternt.

Alec lief dem inoffiziellen Captain also nach, die erst beim Steuerrad Halt machte, an dem ein, ihm unbekannter Mann lehnte.
Ohne große Umschweife legte sie ihm etwas in die Hand und als er erkannte, was es war, hätte er es vor Schreck beinahe fallen lassen.

Es war ein Kompass, der aus purem Gold zu bestehen schien und mit vielen kleinen Saphiren geschmückt war. Ansonsten erinnerte er ihn sehr an Cupiditas, nur ohne die Flammenmuster, die seine Familie wohl ergänzt hatten.

Fasziniert beobachtete er den kleinen Pfeil, der sich ein paar Mal um sich selbst drehte, bevor er haargenau nach Osten und damit direkt in den Zauberglanz hinein zeigte.

~Raphael hatte Recht. Es funktioniert.~, meinte Catarina erfreut, die ihm über die Schulter linste.

~Raphael?~
~Er hatte die Idee, dir Amor in die Hand zu drücken~, erklärte sie,~Du bleibst jetzt einfach genauso stehen und denkst weiterhin an ihn, ok?~
Alec nickte, hörte aber kaum zu.

Er war schon den ganzen Tag abwesend und in Gedanken, sodass er kaum etwas von seiner Umgebung mitbekam.
So nahm er beispielsweise die Trommelschläge, mit denen sich die Schattenweltler untereinander zu verständigen schienen, kaum wahr und auch die Kälte, als sie in den Zauberglanz eintauchten spürte er nur geringfügig, genau wie die Dunkelheit.

Er ließ seinen Gedanken einfach freien Lauf, sodass diese unwiderruflich zu Magnus wanderen, wie so oft in letzter Zeit.
Aber dieses Mal war es anders. Vielleicht lag es am Kompass, aber die Verbindung, die er zu Magnus spürte, war stärker, greifbarer.

So baute sich vor seinem inneren Auge ein Bild auf, doch dieses brach ihm schier das Herz.

Er sah seinen Liebsten, wie er auf auf den Knien zusammengesunken auf dem Boden saß, die Hände vors Gesicht geschlagen. Sein ganzer Körper bebte und auch wenn er keinen Ton zu diesem Bild hatte, so wusste er, dass Magnus weinte.

Es brach ihm das Herz, weshalb Alec ihn irgendwie trösten wollte. Er griff gedanklich nach der Verbindung und durch sie schien er Magnus sanft über den Rücken zu streichen.

Seine Hand schimmerte, war aber nicht fest und glitt fast duch Magnus hindurch. Trotzdem schien er die Berührung wahrzunehmen, denn sofort schoss sein Kopf nach oben, sodass Alec einen Blick auf jene braune Augen erhaschte, die er so liebte.

Sie versanken fast in den Tränen und seine Lippen formten ein Wort, einen Namen, den Alec unter tausend anderen wiedererkannt hätte, denn es war sein eigener. Alexander.

Alec wollte noch weiter gehen, ihn umarmen und testen, ob er ihn durch diese Verbindung auch küssen konnte, aber er bekam nicht mehr die Gelegenheit dazu.

Plötzlich gab es einen dumpfem Knall, gefolgt von dem hässlichen Geräusch zersplitternden Holzes. Dann ertönte schnelles, ja beinahe schon panisches, Getrommel und es brach Tumult aus.

Er hörte wie die Menschen um ihn herumwuselten, zu den Waffen liefen und nach dem Feind Ausschau hielten.

Seine magische Verbindung zu Magnus wurde dünner, durchsichtiger, bis das Bild von ihm verblasste und Alec sich in der harten Realität wiederfand.

Immer wieder krachte es, wenn Kanonenkugeln gegen Holz trafen und Schüsse peitschten durch den Regen, der mit großer Wucht vom Himmel prasselte. Dennoch dominierte der beißende Geruch von Schwarzpulver die Luft und Schreie übertönten das Prasseln des Regens und das Rauschen der See.

Es waren sowohl Befehle als auch Angstschreie, die den Regen wie ein Messer durchschnitten, aber Alec hörte auch Schreie, die er mittlerweile viel zu oft vernommen hatte, Todesschreie.

Er hatte gedacht, City of Bones wäre schlimm gewesen, aber das hier ... Das übertraf alles.

Plötzlich wurde er zu Boden gerissen, während ein weiteres Krachen ertönte, erschreckend nahe. Sein Kopf prallte hart auf das nasse Holz und verwirrt sah er auf.

Das alles war so plötzlich geschehen, dass er es noch nicht ganz realisieren konnte. Genauso wenig, wie er begreifen konnte, dass Catarina ihn gerade vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.

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