Kapitel 6 - Eisige Gastfreundschaft
~Ich wünschte, ich könnte über dich dasselbe behaupten, Magnus.~, antwortete Camille mit einem kalten Lächeln, das Alec einen noch kälteren Schauer über den Rücken jagte, obwohl er noch nicht einmal die Zielperson dieses furchteinflößenden Lächelns war. Wie Magnus davon völlig unbeeindruckt bleiben konnte, war ihm mehr als schleierhaft.
Dennoch verspürte er den deutlichen Drang, diese Frau darauf hinzuweisen, dass sie Magnus' Namen gefälligst nicht so abfällig zu betonen hatte.
Warte, wollte er gerade seinen Feind in Schutz nehmen? Er schob diesen absolut falschen Gedanken auf seinen Schlafmangel und nicht darauf, dass Magnus ihm möglicheweise etwas bedeuten könnte. Das war nämlich absoluter Unsinn!
~Du musst mich nicht anlügen, meine Liebe, aber ich bin unglaublich erleichtert, dich zu sehen. Zum Glück habe ich mich daran erinnert, dass du die Silberstrände von Dumort-Island zu dieser Jahres- und Tageszeit liebst.~
~Das war auch das einzige, an das du dich erinnert hast~, warf sie abfällig ein,~Was willst du hier mit deinen Begleitern?~
~Sagen wir, ich hatte ein paar Probleme mit den Schattenjägern und hoffe jetzt auf deine Hilfe.~
~Hilfe?~, fragte sie, als ob sie dieses Wort noch nie zuvor gehört hatte.
Magnus schien sich ein entnervtes Seufzen zu verkneifen, grinste aber leicht. Noch immer saß Jace auf ihm und hielt ihn am Boden fest und dennoch wirkte er so unbeschwert wie ein spielendes Kind, welches gerade eine Sandburg baute.
Aber vielleicht war diese Leichtigkeit auch nur gespielt, eine Art Fassade, überlegte sich Alec.
Im nächsten Moment kam ihm die Frage, warum er sich bitte so intensiv mit Magnus' Gefühlen und seiner Mimik auseinadersetzte. Allerdings konnte er es auch nicht lassen und so beobachtete er fasziniert das Spiel von Ungeduld, Wut und Hoffnung in seinen Augen.
~Was überzeugt mich davon, dass es nicht klüger wäre, dich an die Schattenjäger auszuliefern und dafür eine saftige Belohnung zu kassieren? Mir liegt nichts an deinem Leben. Du bist mir eher ein Dorn im Auge.~
Alec war sicher, dass er seine Augen nur verdrehte, um seinen Schmerz zu verbergen, aber als er wieder zu Camille sah, war sein Blick fest und auch leicht trotzig.
~Dir mag nichts mehr an mir liegen, aber dir ist deine Ruhe heilig. Und die würdest du verlieren, wenn die anderen Fürsten erfahren, was du mit mir gemacht hast. Außerdem besitze ich etwas, für das sich der Aufwand lohnt.~
~Was?~, fragte sie und nun blitzte tatsächlich etwas wie Interesse in ihrer weißen Maske auf.
~Ich würde es dir ja sagen, aber leider schränkt mich jemand in meiner Bewegungsfreiheit ein, der überhaupt nicht mein Typ ist.~
~Haltet sie fest!~, befahl sie genervt und sofort spürte Alec, wie zwei Piraten seine Arme umklammerten und ihn auf die Füße zerrten. Auch Jace wurde von Magnus weggezogen, sodass sich dieser erheben und den Sand von seinem Hemd klopfen konnte.
Dann beugte er sich zu Camille und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was Alec nicht verstehen konnte. Allerdings schien es wichtig zu sein, denn ihre Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde vor Überraschung und Ungläubigkeit.
Langsam nickte sie.
~Na schön, dein Leben bleibt vorerst verschont und ich begrüße dich offiziell als Gast auf meinem Schiff. Die anderen beiden werden als Gefangene mitkommen.~
Mit diesen Worten drehte sie auf dem Absatz um und ging mit schwingenden Hüften voran, Magnus direkt hinter ihr.
Seltsamerweise interessierte sich Alec aber vielmehr für Magnus' Kehrseite als für die von Camille, obwohl sie eine durchaus attraktive Frau war.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er von den anderen Piraten mitgezogen wurde.
Er warf Jace einen Blick zu, der ihn vorwurfsvoll anstarrte, als könnte er etwas für ihre derzeitige Lage. Konnte er nicht, denn er hatte doch gar nicht voraussehen können, dass so etwas geschah!
Also wandte er verletzt den Blick ab und hoffte das beste für sein Schicksal, während sie durch den weichen Sand stapften, begleitet vom Rauschen des Meeres.
Alec konnte nicht sagen, wie lange sie am Strand entlangliefen. Sein Zeitgefühl war auf und davon, aber irgendwann erklommen sie eine hohe Sanddüne und als sie kurz auf ihrem Kamm Halt machten, stockte ihm der Atem.
So flach die Düne auf der einen Seite auch anstieg, so steil fiel sie auf der anderen Seite ab. Vor ihnen öffnete sich eine kleine, beinahe runde Bucht, in der ein Schiff vor Anker lag, welches vollständig aus schwarzem Holz zu bestehen schien. Alles war schwarz oder in vergleichsweise dunklen Farben gehalten, lediglich die Fahne, die an der Mastspitze hing, leuchtete in einem strahlenden Rosègold und -wer hätte es gedacht- Schwarz auf.
Länger konnte er das Schiff allerdings nicht bestaunen, denn schon machten sie sich an den Abstieg und er musste seine gesamte Konzentration darauf verwenden, nicht abzurutschen und ins Wasser zu stürzen. Er bezweifelte nämlich, dass ihm dann jemand helfen würde und diese Blöße wollte er sich nicht geben.
Er war seltsam erstaunt darüber, wie vertraut sich das Gefühl der Holzdielen unter seinen Füßen und das leichte Schaukeln des Schiffs bereits anfühlten. Es schien, als sei er endlich wieder auf vertrauten Terrain unterwegs. Er fühlte sich irgendwie sicher.
Aber bei den Worten, die Camille nun sagte, gefror ihm das Blut in den Adern.
~Bringt die Gefangenen in den Kerker.~
~Camille, meine Liebe? Ich hätte da noch ein Anliegen.~, meldete sich Magnus überraschend zu Wort und die beiden Piraten, die seine Arme hinter dem Rücken fixierten und ihn gerade unter Deck bringen wollten, hielten abrupt in ihrer Bewegung inne.
Camille sah aus, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen, der zuvor in der Urinpfütze eines Pferdes gelegen hatte.
~Was denn?~, fragte sie angespannt und offenbar bemüht um einen kontrollierten Tonfall. Magnus grinste triumphierend, als er sich zu ihr beugte und ihr wieder etwas ins Ohr flüsterte.
Als er seine Bitte vorgebracht hatte, sah sie noch schlechter gelaunt aus als zuvor.
~Von mir aus. Lasst den einen los und bringt den anderen in den Kerker.~, befahl sie nun und machte kehrt, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen.
Der Griff um Alecs Arme lockerte sich und man ließ ihn los, während Jace fortgeschleift wurde. Die beiden warfen sich noch einen teils ratlosen, teils verzweifelten Blick zu.
~Ich glaube, ein Danke wäre nach dem heutigen Tag wohl nicht mehr angebracht?~, fragte Magnus mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
Mit Schrecken erkannte er, dass er mit Magnus allein auf dem Deck war. Alle anderen waren lautlos verschwunden. Sofort klopfte sein Herz schneller und sein Verstand verfluchte es dafür.
~Ein Danke ist unangebracht, da hast du recht. Was hast du ihr für meine Freiheit geboten?~
Nun wirkte Magnus sogar leicht verlegen, als er sich über den Nacken fuhr und offenbar nach den richtigen Worten suchte.
~Frei kann man es nicht wirklich nennen. Eher: Nicht mehr Camilles Problem.~
~Was meinst du damit?~
~Naja, gewissermaßen bist du jetzt mein Gefangener.~, meinte er, während seine braunen Augen im Mondlicht unsicher funkelten.
~Was?!~, fragte er gepresst und hatte seine Hände zu Fäusten geballt, um nicht handgreiflich zu werden.
Warum eigentlich? Es war ja nicht so, als ob ihm Magnus etwas bedeuten würde
Es war nur ... Es erschien ihm nicht fair, irgendwie.
~Ich wollte nicht, dass du in den Kerker musst~, gab Magnus leise zu, die schwarzen Holzdielen mussten furchtbar interessant sein, so intensviv, wie er diese anstarrte,~Lass uns schlafen gehen und morgen über die Einzelheiten reden. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich könnte sogar im Stehen einschlafen.~
Eigentlich wollte Alec widersprechen, aber auch er war unfassbar müde, sodass er einfach nur nickte.
Dann folgte er Magnus, der sich hier bestens auszukennen schien bis zu einer schwarzen Tür. Er öffnete sie schwungvoll und betrat ein kleines, aber gemütliches Zimmer. Er lief in die Mitte des kleinen Raums und drehte sich dann lächelnd zu ihm um.
~Mi casa es tu casa.~
~Was?~
~Ach nichts~, winkte er ab,~Komm einfach rein.~
Achselzuckend trat er ein und schloss die Tür hinter sich, bevor er die Frage aussprach, die ihm schon die ganze Zeit über auf der Zunge gebrannt hatte~Wann bekomme ich eigentlich meinen Kompass wieder? Es ist schließlich meiner und ...~
Er konnte seinen Satz nicht vollenden, da ihn Magnus plötzlich gegen die Tür presste, sodass diese gefährlich knarrte.
Seinen Unterarm hatte er gegen Alecs Kehle gedrückt, sodass er kaum Luft bekam, aber er bezweifelte, dass er auch so hätte normal atmen können. Dazu schlug sein Herz zu schnell und als ihn der bekannte Duft nach Sandelholz umhüllte, breitete sich eine Gänsehaht auf seinem Körper aus, gemeinsam mit einem Kribbeln, als stünde sein ganzes Sein in Brand.
~Hör mir mal gut zu, Alexander. Dieser Kompass ist neben meinem mehr als fragwürdigen Gastrecht das einzige, das uns beide hier am Leben hält. Ich werde ihn dir ganz bestimmt nicht einfach so überlassen~, zischte er leise, bevor er sich ruckartig von ihm losriss,~Willst du mit mir im Bett schlafen oder ...~
~Ich nehme den Boden.~, sagte er vielleicht etwas zu schnell.
Er wollte diese Nacht nämlich noch schlafen und wenn Magnus direkt neben ihm lag, friedlich schlafend, würde er entweder vor Aufregung kein Auge zu tun oder seine Finger nicht bei sich behalten können. Deshalb nahm er die Rückenschmerzen die er am nächsten Tag haben würde, gerne in Kauf.
Er wurde also seine Uniformjacke los und legte sich auf den Boden vor dem Bett, die Jacke nutzte er als Kissen. Magnus verschwand noch kurz im Badezimmer, sodass Alec die Gelegenheit nutzte, um trotz seiner wirren Gedanken, schnell einzuschlafen, was ihm aufgrund seiner Müdigkeit auch gelang.
Das hieß aber nicht, dass ihm entging, wie Magnus leise wieder ins Zimmer schlich, federleicht eine Decke über ihm ausbreitete und ihm einen Kuss aufs Haar hauchte.
Dann quietschte das Bett leicht neben ihm und mit dem Geruch nach Sandelholz fiel er in einen tiefen Schlaf.
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