Kapitel 59 - Wer hier wen beschützt
Alecs Herz schien stehen zu bleiben und dann in tausend Teile zu zerspringen.
Er taumelte zurück, als hätte man ihn geschlagen, und ungläubig sah er zu Magnus, der sich von ihm abgewand hatte und beschämt zu Boden sah.
Alec bekam keine Luft mehr. Zu schwer war die Last auf seiner Brust, zu groß der Kloß in seinem Hals.
Seine Sicht verschwamm und er fühlte sich so elend, als hätte man ihm jegliche Kraft genommen. Plötzlich war da diese Leere, die ihn langsam aushöhlte, alle Gefühle vernichtete und nichts als Schmerz und Dunkelheit zurückließ.
Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen.
Perplex murmelte er~W-was?~
Er hoffte, dass er sich verhört hatte. Er wollte, dass das alles nur ein blödes Missverständnis war!
Aber es war keins.
~Du hast mich schon verstanden. Es ist aus. Es gibt kein wir mehr und ich m-möchte, dass du gehst.~, antwortete Magnus leise und kontrolliert, bevor er kurz den Kopf hob.
Sofort verhakte sich sein Blick mit Alecs, der verwirrt die Luft anhielt.
Er hatte zwar noch nie eine Trennung durchlebt, aber man sollte doch meinen, dass derjenige, der sich getrennt hatte, erleichtert sein müsste. Zwar wäre er traurig, aber vor allem erleichtert. Vielleicht sogar froh, endlich wieder frei zu sein.
Aber bei Magnus konnte er nichts davon sehen.
Seine Augen waren feucht vor Angst, Verzweiflung und Schmerz und dennoch blitze der Selbsthass auf wie ein heller Stern in finsterster Nacht.
Seine Augen schrien vor Schmerz, flehten ihn förmlich an, irgendetwas zu tun.
Magnus schien den Versuch seines Unterbewusstseins zu merken, denn er befreite sich aus dem Blick und senkte den Kopf wieder.
Alec wagte es kaum, aber da war ein Hoffnungsschimmer. Ein letzter Hoffnungsschimmer, der sein Herz davon abhielt, einzufrieren und qualvoll zu sterben.
~Nein~, seine Stimme war nicht mehr ein Hauchen,~Das willst du nicht. Das kannst du nicht ernsthaft wollen!~
Seine Stimme schwoll an, was Magnus' Schultern anscheinend dazu veranlasste, sich noch mehr zu verspannen und nach oben zu drücken.
Er zog leicht den Kopf ein und seine Stimme klang so endgültig, so traurig, dass Alec selbst mit den Tränen kämpfte.
~Es geht schon lange nicht mehr darum, was wir wollen, sondern um das, was getan werden muss, um die zu schützen, die einem am Herzen liegen.~, flüsterte er mit heiserer Stimme, die seine Trauer und seine Tränen verrieten.
Konnten Seelen weinen? Diese Frage schoss Alec durch den Kopf, als er Magnus betrachtete, denn obwohl er nur dessen Kehrseite sehen konnte, so erlebte er den Zweikampf, den dieser mit sich selbst führte, hautnah mit.
Einerseits war da diese traurige Entschlossenheit und andererseits dieses Leid, als würde er gerade durch seine eigene Hölle gehen.
Ein dunkler Gedanke machte sich in Alec breit und er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter.
~Und du willst mich durch diese Trennung schützen?~
Magnus' Schweigen genügte.
~Das kann nicht die einzige Lösung sein. Natürlich sind Beziehungen nicht einfach, aber gerade jetzt müssen wir zusammenhalten. Wir stehen das zusammen durch.~
~Nein, mir reicht es, wenn du das durchstehst. Ich versuche doch nur, dein verdammtes Leben zu retten, wenn meins schon vor die Hunde geht. Ich muss doch dafür sorgen, dass du überlebst.~
~Ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen.~
~Nein, das kannst du nicht.~, sagte Magnus leise, während er sich zu ihm umwandte.
Tränen benetzten seine Wangen und plötzlich wirkte das Innere seiner Augen so gebrochen, dass es Alec einen weiteren Stich versetzte.
Zwar hatte man versprochen, ihm kein physisches Leid anzutun, aber das hieß nicht, dass man Magnus nicht doch irgendwie quälen konnte.
~Ich versuche dich doch nur vor ihm zu schützen. Verstehst du das denn nicht?~, fragte er heiser, verzweifelt.
~Wem? Sebastian?~, fragte er lauernd, denn langsam ballte sich die Wut in seinem Inneren zusammen und ergaben mit der dort herrschenden Leere eine gefährlich explosive Mischung.
Magnus nickte schwach.
~Er lässt dich in Ruhe, wenn ich mit dir Schluss mache und ... mit ihm ins Bett steige.~, offenbarte er nun gepresst und wieder kreuzte sich sein Blick mit Alecs.
Dieses Mal leuchteten Schuldgefühle in den Scherben seiner wunderschönen Augen auf.
Alec jedoch hatte Mühe, sich zu beherrschen, denn am liebsten hätte er diesem weißhaarigen Möchtegern-Kerl den Hals umgedreht.
Wie konnte er sie nur auseinanderbringen wollen?
Alec verstand es nicht, aber er wusste, dass er nun möglichst behutsam vorgehen musste, denn Magnus erinnerte ihn gerade stark an ein verletztes Tier.
Er versuchte seiner Stimme also eine Ruhe und Gewissheit einzuhauchen, die er absolut nicht parat hatte.
~Und hast du schon mit ihm ...?~
Den Rest der Frage konnte er noch nicht einmal aussprechen.
Umso erleichterter war er, als Magnus zaghaft den Kopf schüttelte.
~Ich will dich nicht betrügen und das habe ich ihm auch gesagt.~
~Tu das nicht. Bitte. Ich weiß, du willst mich nur beschützen, aber das musst du nicht. Viel lieber will ich auf dich Acht geben.~
Trotz der verzwickten Situation, lächelte Magnus leicht.
~Streiten wir uns ernsthaft wieder darum, wer hier wen beschützt?~, fragte er.
Alec gluckste leicht, nickte aber.
~Wir können wohl beide nicht aus unserer Haut.~
~Anscheinend.~, stimmte Magnus zu und schlurfte langsam wieder an die Gitterstäbe, die sie beide noch trennten.
Er umfasste sie und blickte ihn mit tränenverhangenen Augen an. Auch Alec ging wieder einen Schritt auf ihn zu und legte seine Hände auf Magnus'. Sie seufzten zeitgleich auf.
~Bitte geh den Deal nicht ein. Ich flehe dich an!~, hauchte er verzweifelt und lehnte seine Stirn in die Lücke zwischen zwei Stangen.
Magnus machte es ihm nach und so berührten sie sich hauchzart.
~Ok~, hauchte Magnus zurück,~Ich habe dich vermisst.~
~Und ich dich erst. Ich kann ohne dich nicht mehr schlafen.~
~Und ich erst.~
Alec lachte leise.
~Kaum zu glauben, dass wir uns so schnell voneinander abhängig gemacht haben.~
~Aber so ist es nunmal und das ist gut. Wie bist du hierher gekommen?~
~Sagen wir mal so, ich bin wohl ein sehr mitreißender Redner und ein wahrer Held von Hexenmeister.~
~Ragnor hat dich aufgenommen?~
~Nachdem ihm Cat einmal ordentlich in den Hintern getreten hat, schon.~, meinte Alec und wieder überrollte ihn das leise Lachen.
~So kenne ich meine beste Freundin.~
~Aber du scheinst ja auch mit Jace ganz gut zurechtzukommen.~
~Er ist dein bester Freund und dir wichtig. Also ist es mir wichtig, mich mit ihm gut zu stellen.~, argumentierte er lächelnd.
Alec wollte noch etwas fragen, als plötzlich ein Horn geblasen wurde und laute Schritte durch den Korridor hallten. Er fluchte unterdrückt auf und löste sich von Magnus, um nach den Dolchen an seinem Waffengurt zu greifen. Er zog sie hervor und begann damit, sich am Schloss zu schaffen zu machen.
~Was ist hier los?~
~Das Ablenkungsmanöver~, erklärte Alec knapp,~Ein Schiff der Hexenwesen segelt am Rand der Lyn-Bay entlang. Gut sichtbar für alle, aber außerhalb der Kanonenreichweite.~
~Raffiniert.~
~Das bringt uns aber nichts, wenn wir die anderen verpassen. Maia hat klargemacht, dass sie nicht auf uns warten wird.~
~Alexander~, sagte er drängend und griff nach seinen Handgelenken, um sie still zu halten,~Geh.~
~Wenn du mich wieder beschützen willst, jetzt ist kein guter Zeitpunkt dafür. Ich werde dich nicht zurücklassen.~
~Das sage ich doch gar nicht, aber du wirst es bereuen, wenn du sie zurücklässt.~, meinte er ruhig und blickte ihn eindringlich, aber auch warm an.
~Wen?~
~Sieh selbst. Sie ist nur zwei Korridore weiter, wenn ich mich nicht verhört habe. Rette sie zuerst und dann kannst du zurückkommen.~
~Warum nicht andersherum?~, fragte Alec verwirrt und musterte seinen Freund von Kopf bis Fuß.
Magnus trug die übliche graue Gefängniskleidung, die formlos an seinem schlanken Leib herunterhing. Seine, ach so geliebten, Haare waren verwuschelt und verklebt, während seine Augen ungeschminkt waren.
Dennoch schien er sich wohl zu fühlen und der Blick, den er Alec schenkte, erinnerte ihn ein wenig an die Zeit, in der sie mehr oder weniger unbeschwert waren.
Er war liebevoll und warm, aber auch traurig.
~Weil sie dir wichtiger ist, als ich. Vertrau mir einfach. Bitte.~
Alec seufzte.
~Wenn du meinst.~
Aus einem Impuls heraus presste er sein Gesicht so weit wie möglich zwischen die Gitterstäbe hindurch. Magnus kam ihm auf halben Wege entgegen und so trafen sich ihre Lippen zu einem hauchzarten Schmetterlingskuss.
Es war viel zu wenig, aber allein das Gefühl dieser weichen Lippen auf seinen, verleihte Alecs Herz erneut Flügel. Kurz klammerte sich Magnus an seine Oberarme und nur am Rande bekam er mit, wie Alec ihm etwas in die Hosentasche steckte. Er selbst gab ihm auch etwas von sich, immerhin wusste er als einziger, dass er Alec nicht wieder sehen würde.
Dieser jedoch wusste es nicht und so löste er sich mit einem Lächeln von seinem Freund und hob leicht die Hand.
~Bis gleich.~
Dann machte er kehrt und rannte weiter, während Magnus sich an die Gitterstäbe lehnte und die Augen geschlossen hielt, um einerseits das Gefühl von Alecs Lippen auf seinen festzuhalten, aber andererseits auch, um seinen Tränen keinen freien Lauf zu lassen.
~Leb wohl, Alexander.~, wisperte er, als er sicher war, dass ihn Besagter nicht mehr hören konnte.
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