Kapitel 52 - Nur ein Zeitvertreib

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Magnus hatte sein Zeitgefühl schon lange verloren, wohingegen das dumpfe Gefühl seines plattgesessenen Hinterns mehr als präsent für ihn war.
Dadurch konnte er aber sagen, dass sie schon lange unterwegs waren.

Sebastian verbrachte nicht mehr Zeit als nötig auf See und steuerte die erste Hafenstadt von Idris an. Magnus wurde aus seiner durchaus komfortablen Zelle in eine enge Kutsche verfrachtet und gefesselt, bevor es dann auf dem Land weiterging.

Während der holprigen Fahrt hatte er mehrmals versucht, zu schlafen, aber dazu fehlte ihm das beruhigende Hin- und Herschaukeln eines Schiffs, weshalb er sich nicht nur elend fühlte, sondern auch leicht gereizt war.

Im Kutscheninneren war es dunkel. Nur durch ein vergittertes Fenster fiel etwas Licht und so konnte er auch erkennen, dass sie sich irgendwo im riesigen Brocelynd-Wald befanden, der gut die Hälfte der Insel einnahm.

Magnus hatte mit dem Wald nie viel anfangen können. Er war es gewohnt, stets die See in der Nähe zu haben und jetzt so weit entfernt von ihr zu sein, schmerzte ihn. Gemeinsam mit dem Schmerz war da auch die Sehnsucht, die ihn beherrschte, denn man konnte kaum in Worte fassen, wie sehr er Alexander vermisste. Er vermisste seine freundlichen Augen, sein Grinsen, seine Lippen oder das süße Erröten einfach zu sehr.

Was er wohl gerade machte? Ob es ihm genauso ging wie Magnus?

Er wusste es nicht und dieser Gedanke plagte ihn am meisten, denn er sorgte sich um seinen Liebsten.

Natürlich hatte er ihn vor Sebastian gerettet, doch das hieß nicht, dass er außer Gefahr war. Das war zur Zeit niemand.

Magnus keuchte erschrocken auf, als die Kutsche plötzlich zum Stehen kam. Zu gewohnt war er es, das penetrante Rattern der Holzräder über den unbefestigten Waldboden unter sich zu spüren.

Als die Tür für einen kurzen Moment aufgerissen wurde, musste er die Augen schließen, so gleißend hell schien es draußen zu sein. Aber so schnell die Helligkeit kam, so ging sie auch wieder und die Tür wurde zugeschlagen.

Erneut umgab ihn diese diffuse Dunkelheit, aber dieses Mal war er nicht alleine.

Er spannte sich kaum merklich an, als er Sebastian vor sich entdeckte und senkte daraufhin den Blick, als wären die Eisenhandschellen das interessanteste, das er je gesehen hatte.

Immerhin scheinen Schattenjäger lernfähig zu sein, dachte er sich im Stillen, während er weiterhin konzentriert auf seine Fesseln sah und dabei an die unzähligen Male dachte, bei denen er mit einem einfachen Seil gefesselt wurde. Wie leicht er sich immer hatte befreien können und wie erstaunt die Blicke seiner Feinde waren, wenn sie seine Entfesslungstricks sahen. Jetzt sind diese Zeiten wohl vorbei.

Die Stille in der Kutsche schien ihn erdrücken zu wollen, aber er wollte ihm schlichtweg nicht in die Augen sehen.
Ohne sein Make Up, die Ketten und den Großteil seiner Ringe fühlte Magnus sich so schrecklich nackt und schutzlos. Seine natürliche Barriere schien wie weggeblasen und, was er in Alecs Gegenwart durchaus genoss, war ihm in Sebastians einfach nur unangenehm.

~Früher wars du nicht so.~, meinte besagter und lehnte sich lässig nach hinten.

Magnus schwieg. Versuchte ihn zu ignorieren und hoffte dabei im Stillen, dass er ging.

Natürlich ging er nicht.
~Du warst nie so zurückhaltend. Im Gegenteil. Du bist mir immer sehr leidenschaftlich erschienen.~, sinnierte er,~Warum weist du mich ab?~

~Ich muss nicht zwingend mit dir reden, also will ich es auch nicht~, antwortete er zähneknirschend,~Außerdem ändern Zeiten sich.~

~Oder Menschen. Hat es etwas mit dem Lightwood-Jungen zu tun?~
~Was willst du von mir?~, stellte er die Gegenfrage und hob kurz den Kopf.

Jedoch ertrug er den Blick aus den nahezu schwarzen Augen nicht lange, denn er schien sich förmlich in seine Seele zu brennen, wie ein ätzendes Gift, und so lenkte seine Aufmerksamkeit rasch wieder auf seine Hände.
Auch diese erschienen ihm irgendwie nackt. Nur zwei Ringe schmückten seine langen Finger.

Einmal sein Familienring, ein schlichter Silberring mit einem eingravierten B in der Mitte, und ein weiterer, bei dessen Anblick ihm übel wurde.

Er nahm sich vor, öfter nachzusehen, welche Ringe er da alles trug, denn den zweite Ring hatte er irgendwann einmal von Sebastian bekommen, nach einer ihrer leidenschaftlichen Nächte.
Das war doch pure Absicht!

~Nichts. Nur mit einem Freund über die guten alten Zeiten reden.~
~Wir waren nie Freunde und werden es auch nie sein.~

~Jetzt bin ich aber verletzt, Magnus! Ich dachte, es hätte dir gefallen.~, meinte er und griff sich theatralisch an die Brust.

~Da waren keine Gefühle im Spiel!~, zischte Magnus vehement,~Du hast mich nur benutzt, mich abhängig gemacht und ja, eine Zeit lang hat es mir gefallen, aber es hat mir nichts bedeutet. Du warst nur ein Zeitvertreib.~

Magnus war überrascht wie stolz, dass seine Stimme so fest klang, denn in seinem Inneren tobte ein Sturm.

Er fragte sich noch immer, was Sebastian von ihm wollte, aber gleichzeitig kämpften sich längst verdränge Erinnerungen ihren Weg an die Oberfläche.

Trotzdem fühlte er sich schlecht, denn obwohl er Alexander weder betrogen oder dergleichen hatte, so fühlte er sich schrecklich.

Was würde er nur dafür geben, wenn sein schwarzhaariger Prinz jetzt bei ihm wäre und ihn in den Arm nahm, seine aufgewühlte Seele beruihgte und ihn einfach festhielt? Er glaubte, dass Alec gerade das einzig Beständige war, an das er sich klammern konnte, wenn er denn bei ihm wäre.

~Ein Zeitvertreib also~, überlegte der junge Mann mit den salzweißen Haaren,~So wie besagter Lightwood? Natürlich ist er nicht gerade der Hässlichste, aber was du an ihm findest, ist mir gänzlich schleierhaft.~

Magnus schnappte empört nach Luft und er starrte Sebastian wutentbrannt an. Liebend gern hätte er die paar Zentimeter zwischen ihnen überbrückt und ihn erwürgt, aber selbst im freien Zustand war Magnus ihm in einem fairen Kampf bestenfalls ebenbürtig.

Jetzt, gefesselt und unbewaffnet, hatte er keine Chance, weshalb er sich soweit zusammennahm, dass seine Hände nicht mehr zitterten.

~Alexander ist einfach atemberaubend und wertvoller als Hunderte von dir. Du weißt nicht, was ich an ihm finde, weil du es schlichtweg nicht nachvollziehen kannst. Dazu hat dich dein Vater zu sehr verdorben. Du kennst Gefühle wie Hingabe, Vertrautheit und Liebe, verstehst sie aber nicht und das ist der Unterschied zwischen uns beiden.~, antwortete er und griff dabei eine Frage auf, die Sebastian ihm vor knapp zweieinhalb Jahren an den Kopf geworfen hatte, als er sich von ihm trennen wollte, um sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Der Versuch blieb erfolglos, doch die Frage blieb.

Diese hatte ihn oft in seinen dunkelsten Albträumen verfolgt und er hatte verzweifelt nach der Antwort gesucht.
Was unterscheidet dich denn von mir!?

Kurz huschte ein Ausdruck unbändiger Wut über das blasse Gesicht seines Gegenübers, bevor er ihn leicht hämisch anstarrte.

~Süß, du redest von Gefühlen, als ob du sie empfinden könntest. Eigentlich wollte ich dir einen Deal vorschlagen, Bane, aber ich glaube, damit warte ich lieber noch.~

~Welchen Deal?~
Sebastian antwortete ihm nicht, sondern lächelte nur.
~Ich verstehe solche Gefühle durchaus, zumindest bei anderen, weshalb ich dir sagen kann, dass der Versuch, deinen Freund zu retten, scheitern wird. Dein lieber Alexander wird nämlich versuchen, dich ebenfalls zu retten, da er dich ja so liebt. Und nichts verbietet mir, ihn gefangen zu nehmen, zu foltern und anschließend vor deinen Augen einen langsamen und qualvollen Tod sterben zu lassen. Darauf freue ich mich jetzt schon.~

Magnus lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.

Alexander würde doch nicht wirklich ...? Nein, er hatte eine Familie, auf die er Acht geben musste. Er würde sich ganz bestimmt nicht für ihn opfern wollen ...

Erst jetzt wurde Magnus klar, wie bescheuert sein Gedanke war, er redete schließlich über seinen Alexander.
Natürlich würde sich dieser hinreißende Idiot für ihn opfern! Das durfte nicht passieren!

~Tu ihm nichts.~, wisperte er kraftlos und sah ihn flehentlich an.

Dass er sich für seine Schwäche schämte, versuchte er zu verdrängen. Alexander war wichtiger als sein blöder Stolz.

~Es gibt einen einfachen Weg, das zu umgehen. Komm zu mir zurück und verlass ihn. Dann werde ich ihn verschonen. Brich ihm das Herz und rette ihm damit das Leben.~

Mit diesen Worten erhob er sich und öffnete erneut die Tür. Wieder blendete Magnus das helle Licht, welches zwar in seinen Augen brannte, es aber nicht schaffte, die aufkommende Dunkelheit in ihm zu vertreiben.

~Überleg es dir.~, meinte Sebastian noch, bevor er ihn mit seinen panischen Gedanken in der Dunkelheit zurückließ.

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