Kapitel 46 - Catarina Loss

Die Höhle, in die Alec sich abseilte, war größer als gedacht und eigentlich wunderschön.

Von der Decke hingen zwischen den Löchern majestätische Stalaktiten herab und am glatten Felsboden fand man ihr Gegenstück, wenn auch in der Unterzahl, die Stalaktmiten.
Durch die Löcher in der Decke fiel fahles Licht in die Höhle, das jedoch kaum den Boden erreichte, aber die feuchten Stalaktiten schimmern ließ. Im hinteren Teil der Höhle war ein riesiger See, der von innen heraus blau zu leuchten schien.

Eigentlich hätte die Höhle in ihrer feuchten Schönheit eine beruhigende Wirkung auf ihn haben müssen, doch die vielen Menschen, die an ihrem Grund wie Ameisen hin und her wuselten und deren laute Gespräche durch die gewölbten Höhlenwände verstärkt wurden, verdarben die Idylle.
Alec stieg der Geruch nach Blut, Schweiß, Tod und Rum in die Nase und er musste an sich halten, um nicht zu würgen, als er unten ankam.

Überall waren Menschen. Entweder lagen sie verletzt auf Feldbetten und Decken oder aber sie irrten umher, um die Verletzten zu versorgen. Dass sie dabei nicht alle Leben retten konnten, sah man an dem beträchtlichen Leichenberg in einer Ecke.

Gerade wurde ein Mann, der sein Bein verloren hatte, an ihm vorbeigetragen. Er zappelte und schrie und die Helfer, die ihn trugen, hatten alle Mühe, ihn festzuhalten.

Zwischen den Feldbetten ragten aber auch immer wieder provisorisch aufgestellte Zelte auf, aus denen immer wieder Menschen rein und raus strömten.

Alec rümpfte die Nase und klappte den Kragen seines Mantels nach oben, um seine Nase vor dem Gestank zu schützen, bevor er, wie viele andere, ziellos umherstromerte.

Als er eine Frau mittleren Alters an sich vorbeieilen sah, kam ihm eine Idee.
~Entschuldigung? Kann ich mich irgendwo nützlich machen?~, hielt er die dunkelhäutige Frau an.

Sie trug eine lange, braune Hose unter einer blutbeflekten Schwesternschürze und eine weiße Bluse.
Sie musterte ihn erst abschätzig von oben bis unten, bevor sie lächelte.

~Gern. Wasch dir die Hände und hol aus dem Zelt Verbandszeug. Ich warte hier.~, teilte sie ihm freundlich mit und Alec machte sich auf den Weg.

Im Laufe der nächsten Stunden half er Catarina, so hieß die freundliche Frau, wo er nur konnte. Und obwohl er erschöpft war, so war er froh über die Ablenkung, die diese anstrengende Arbeit mit sich brachte, denn so hatte er keine Zeit, sich um Magnus zu sorgen.

Natürlich lasteten noch immer die Schuldgefühle auf seinen Schultern, aber wenn er gerade den Arm einer schreienden Frau richtete -natürlich nur unter der strengen Aufsicht der gelernten Krankenschwester- konnte er sie ignorieren.
Erst als er mit neuer, nicht blutbeflekter Kleidung neben Catarina auf einer Decke in einem der Zelte saß, holten ihn seine Gedanken wieder ein und er schluckte schwer im Versuch, sich nichts anmerken zu lassen.

Stadessen starrte er in seine Schüssel, als wäre der Brei darin das interessanteste, was er je gesehen hatte.

~Sag mal~, meinte Catarina, während sie ihre Essensration hinunterwürgte, die vor Kurzem an jeden verteilt wurde,~Wie kommt es eigentlich, dass wir uns noch nie zuvor gesehen haben, Alec? Ich habe, in dieser Hinsicht, eigentlich ein ziemlich gutes Gedächnis und komme viel rum, aber dich habe ich noch nie hier gesehen. Dabei müsstest du mir eigentlich aufgefallen sein, vor allem wegen Magnus.~

Alec verschluckte sich an der grauen Pampe und hustete stark.

Er war schon stutzig geworden, als er Catarinas Namen erfahren hatte, aber da hatte er sich noch nichts dabei gedacht. Jetzt jedoch wusste er, dass ihn sein Gefühl nicht getäuscht hatte und er tatsächlich neben Magnus' Catarina Loss saß. Seiner besten Freundin und, wie er sie in Alecs Gegenwart immer genannt hatte, selbst erklärte Tigermutter mit dem dazugehörigen Maß an Gewalttätigkeit.

Doch eigentlich hatte Magnus sie furchtbar gern, auch wenn ihr Beschützerinstinkt und ihre mütterliche Führsorge ihm oft zu viel waren. Er konnte ihr alles anvertrauen und wusste, dass sie seine Geheimnisse hütete, als wären es ihre eigenen.

Sie war beispielsweise die erste, die erfuhr, dass er an beiden Geschlechtern gleichermaßen interessiert war. Und auch wenn sie ihn immer wieder zusammenfaltete, wenn er sich verletzte, so hatte er immer gewusst, dass sie nur deshalb wütend auf ihn war, weil sie Angst um ihn hatte.

Jetzt hier neben ihr zu sitzen, war für Alec gleichermaßen Ehre wie Fluch. Natürlich hatte er immer die Frau kennenlernen wollen, die so eine bedeutende Rolle in Magnus' Leben spielte, aber mit dem Wissen, dass er ihren Schützling nicht hatte retten können, war ihm einfach nur schlecht.
Er wollte nicht, dass sie ihn hasste -auch wenn er es verdient hätte-, denn Alec hatte sie schon jetzt ins Herz geschlossen.

Und so suchte er fieberhaft nach einer Antwort, in der er sie weder anlügen, noch ihr die volle Wahrheit sagen müsste, aber leider war er noch nie gut im Umgang mit Worten gewesen und so stocherte er nur hilflos in der Pampe herum, die ihm als Haferbrei verkauft wurde.

Catarina schien seine plötzliche Schweigsamkeit aber falsch zu interpretieren, denn sie erkläre~Magnus ist mein bester Freund und du wärst genau in seinem Beuteschema. Tut mir leid, wenn das für dich seltsam ist.~

Ehe Alec ihr versichern konnte, dass es alles andere als seltsam war, hört er eine bekannte Stimme erleichtert rufen~Cat! Den Engeln sei Dank!~

Ruckartig drehte er den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam und seine Befürchtungen wurden bestätigt, als er Ragnor am Zelteingang stehen sah. Neben ihm war Lily, die allerdings halb im Schatten verborgen stand.

Ragnors sonst so miesepetrige Miene zierte ein Lächeln, welches seine Augen zum Strahlen brachte, während sie auf Catarina lagen. Der erleichterte und freudige Ausdruck in seinem Gesicht erinnerte Alec ein wenig an Magnus, wenn dieser in seinen Armen lag und ihn anstrahlte. Es war ein ähnliches Lächeln und dasselbe Strahlen in den Augen.

Deshalb fragte Alec sich, ob Ragnor vielleicht etwas mehr für Cat empfand, als diese wusste. Sie erwiederte die Umarmung nämlich rein freundschaftlich, ohne den kleinsten Hinweis auf mehr.

Als sich die beiden sichtlich widerwillig voneinander lösten, fiel Ragnors Blick auf Alec und sein Lächeln erlosch eben so schnell wie es gekommen war.
Nur am Rande bemerkte er, wie Lily sich zu ihnen gesellte, denn er war gefangen in diesem Blick, mit dem ihn der Ältere fixierte.

Der Zug um seinen Mund war hart und seine Augen waren kalt und abweisend.

~Du hast dein Versprechen also nicht halten können.~, stellte er ausdruckslos fest und Alec erinnerte seine Stimme dabei an fernen Donner, kurz bevor der Blitz einschlug.

Die eisige Stimmung blieb natürlich auch Catarina nicht verborgen, die fragend ihre Hand auf Ragnors angespannten Unterarm legte, um ihn zu beruhigen, was ihr nur teilweise gelang.

~Welches Versprechen konnte Alec nicht halten?~

Alec schluckte und wich sowohl Catarinas fragenden, als auch Ragnors eisigen Blicken aus. Lily musterte ihn beinahe mitleidig und mit schief gelegten Kopf, sodass ihr die Haare ins Gesicht fielen.

Alecs Herz raste und durch seine Adern wurde pure Angst und Adrenalin gepumpt, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass es keinen Zeeck hatte, länger zu schweigen, denn lieber erfuhren sie das Geschehene direkt von ihm, statt von einem Dritten.

Mit festem Blick auf seine, im Schoß gefalteten, Hände, begann er zu erzählen~Es geht um Magnus ...~

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