Kapitel 45 - Schwäche
Alec wurde von etwas wach, das penetrant immer wieder gegen seine Seite stieß, zwar nicht stark, aber nervig.
Als er langsam die Augen öffnete, trübte ersteinmal dichte Schwärze seine Sicht, bis er die Umrisse von zwei Personen ausmachen konnte, die neben ihm knieten und ihn mit einer Mischung aus Genervtheit und Sorge musterten.
Es waren Raphael und Lily, wie ihm nach kurzer Zeit aufging.
~Ich glaub, er kommt zu sich.~, murmelte Lily.
~Wird auch langsam Zeit. Hier ist es nicht sicher.~
~Entspann dich, Raphael, sie sind weg und wir haben gerade andere Probleme.~
~Was ist passiert?~, fragte Alec mit kratziger Stimme.
Sein Hals war staubtrocken und so hustete er auch ein paar Mal, in dem hoffnungslosen Versuch seine Stimme wiederzufinden.
~Das sollte ich lieber dich fragen.~, gab Raphael mürrisch zurück.
Als er versuchte, sich aufzusetzen, schossen ihm plötzlich vereinzelte Bilder durch den Kopf.
Sebastian mit einem langen Schwert, dessen Klinge von schwarzen Sternen geziert war. Magnus, der ihn stützte und mit ihm diesen schrecklichen Deal ausmachte.
Wie er sich von Alec verabschiedete und wie er versucht hatte, nicht zu weinen, obwohl seine Augen bereits feucht geschimmert hatten.
Die Angst, der Widerwile, aber auch die Entschlossenheit, die er in seinen Augen widerspiegeln sah.
Und schließlich wie er sich Sebastian ausgeliefert hatte, um ihn zu retten.
Alec keuchte schmerzerfüllt auf und sank zurück auf den unebenen Felsboden.
Er rang keuchend nach Luft und kassierte dafür zwei leicht besorgte, aber vor allem verwirrte Blicke, doch er achtete gar nicht darauf.
Das Gefühl, dass eine Last auf seiner Brust ihn schier zu zerquetschen schien, war zu präsent. Er fühlte sich, als würde man ihn in der Mitte durchreißen, aber gleichzeitig fühlte er sich auch so furchtbar leer.
An der Stelle, wo eigentlich sein Herz sein sollte, klaffte nun ein riesiges Loch, welches seiner Liebe nachweinte und gleichzeitig heftige Schmerzwellen durch seinen Körper sandte. Als würde er von innen heraus verbrennen.
~Magnus ... Er ist ... er ist ... weg.~, hauchte er kraftlos und kämpfte mit den Tränen.
Wie gern würde er jetzt einfach zusammenbrechen, aber er konnte nicht. Er musste in Bewegung bleiben. Irgendwie.
~Wir werden ihn finden.~
~Nein~, widersprach er Lily und setzte sich erneut auf -man hatte ihm irgendwann wohl die Handfesseln abgenommen-,~S-sebastian hat ihn.~
Seine Stimme war tonlos, als er das sagte und erneut drohte sein Sichtfeld zu verschwimmen, aber er biss die Zähne zusammen. Er musste stark bleiben.
Raphael und Lily warfen sich einen langen Blick zu, dessen Botschaft er nicht ganz verstand. Diese Blicke waren eine Mischung aus böser Vorahnung, weiterer Verwirrung, aber auch Überraschung. So, als wüssten sie genau das, was ihm so unter den Nägeln brannte.
Warum hatte Sebastian sie nicht einfach umgebracht, sondern war diesen Deal eingegangen? Was war sein Vorteil, wenn er Magnus mit sich nahm?
~Wir finden eine Lösung, aber jetzt müssen wir weiter. Wir sind schon viel zu lange hier.~, sprach Raphael nun und hielt ihm helfend eine Hand hin.
Alec ergriff sie und verhinderte gerade so ein Erschaudern. Die Hand war eiskalt, kälter als die Nacht, und wenn es nach Alec ging, so kalt wie ein Eiswürfel. Nachdem er wieder selbstständig auf beiden Beinen stand, versenkte er seine Hände sofort tief in den Manteltaschen, um sie aufzuwärmen.
Erst jetzt nahm er sich die Zeit, seine neuen Begleiter genauer zu betrachten. Lily hatte ihre Haare aus unerfindlichen Gründen blau gefärbt, sodass sie ihr nun lockig über die Schultern hingen. Sie trug ein enges Lederoutfit mit kurzem Rock und kniehohen Stiefeln, die ehemals wohl schwarz, nun aber verschlammt, verkratzt und an einigen Stellen sogar blutbefleckt waren. Als wäre sie in eine Blutlache gesprungen, wie es kleine Kinder gerne mit Regenpfützen taten.
Ansonsten schien sie unversehrt, im Gegensatz zu Raphael, dessen rechte Wange ein tiefer Kratzer zierte. Seine Haare waren etwas zerzaust und er wirkte mit seinem weißen Hemd und dem dunkelgrauen Jacket etwas fehl am Platz.
Plötzlich blitzte etwas in der Dunkelheit auf, einige Meter hinter Raphael.
Wie hypnotisiert ging Alec darauf zu und kniete sich auf den Boden, um den Gegenstand besser betrachten zu können.
Sogleich stolperte sein Herz, nur um dann wieder ein kleines bisschen mehr zu zerbrechen. Es waren Magnus' Zwillingsdolche, die leicht aus den Lederscheiden gerutscht waren und nun das fahle Mondlicht reflektierten.
Mit zitternden Finger fuhr er über die Gravur in der Klinge.
MB.
Magnus Bane.
Er atmete tief durch, um seine Emotionen nicht hochkochen zu lassen, bevor er die Dolche fest mit der Hand umschloss und sie sich anschließend umschnallte.
Er war ein miserabler Nahkämpfer, aber er konnte Magnus' Waffen einfach nicht hier lassen.
Er kannte ihre Geschichte nicht, aber er wusse, dass sie ihm viel bedeuteten und das war ihm Grund genug, sie mitzunehmen.
Dann erhob er sich wieder und warf Raphael und Lily einen langen Blick zu, der mehr sagte als tausend Worte.
Schweigend lief Raphael voraus, Lily direkt hinter ihm, während Alec selbst, in Gedanken versunken, die Nachhut bildete.
So sehr er es auch versuchte zu verhindern, seine Gedanken fanden ihren Weg immer wieder zu Magnus. Es brachte ihn innerlich um, nicht zu wissen, wo er war und wie es ihm ging. Aber er konnte ebenfalls nicht vermeiden, dass er auch etwas wütend wurde.
Warum hatte Magnus sich für ihn geopfert? Das hätte er nicht tun müssen. Alec war all diese Entbehrungen, die damit einhergingen, schlichtweg nicht wert. Er war doch derjenige, der Magnus beschützen wollte und ihm war es egal, wenn er etwas anderes behaupete. Es war einfach so.
Magnus hatte schon so viel erlitten. Das konnte jetzt nicht sein Ende sein. Er hatte das beste Leben verdient, das es gab und Alec war nicht in der Lage gewesen, es ihm zu bieten.
Die Schuldgefühle, die er deswegen hatte, waren enorm und sie lasteten tonnenschwer auf seinen Schultern, erdrückten die schönen Erinnerungen an Magnus' Lachen und ersetzten sie durch Sebastians trimphierende Miene, mit der er seinen gefesselten Freund betrachtet hatte.
Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte wie lange sie eigentlich unterwegs waren. Auch, dass sie einen steilen Hang erklommen, um auf ein hochgelegenes Felsplateau zu gelangen, nahm er kaum wahr.
Erst als Raphael zu einem der kreisrunden Löcher ging, aus denen jeweils ein schwarzes Seil ragte, entkam er jenen grausamen Gedanken, die ihn von innen heraus zu verätzen schienen, und fand den Weg in die Realität zurück.
~Ladys first.~, sagte er mit einem belustigen Unterton und hielt Lily das Seil hin.
Sie verdrehte lächelnd die Augen und stolzierte mit schwingenden Hüften auf ihn zu, nahm ihm die schwarze Leine aus der Hand und seilte sich langsam in das schwarze Loch ab, aus dem lautes Stimmengewirr drang.
Erst als ihr blauer Haarschopf vollends verschwunden war, spannte sich Raphael wieder an und wandte sich ihm zu.
Im fahlen Mondlicht wirkte er mit seinen lockigen schwarzen Haaren und den großen, dunklen Augen beinahe wie ein Kind, obwohl er nur wenige Jahre jünger war als Alec.
~Hör zu, ich weiß nicht, wie du dich fühlst, wahrscheinlich ziemlich leer und nutzlos, aber lass dir eins gesagt sein: Wenn du Schwäche zeigst, machst du dich angreifbar für jeden, der dir schaden will. So schwer es auch erscheinen mag, sei äußerlich stark, sonst bist du schneller tot, als du vielleicht denkst.~, sagte er und blickte ihm dabei tief in die Augen.
Alec konnte seinen Blick nicht ganz deuten. Es schien, als wolle er ihm wirklich helfen, nur wieso?
~Bei den richtigen Menschen darf man Schwäche zeigen, aber nur wenn man ihnen vertraut. Hast du so jemanden?~, fragte er abrupt.
Damit hatte er nicht nur sich selbst, sondern auch den, immer kontrollierten, Raphael überrascht. Kaum merklich schnappte dieser nach Luft und seine Hand wanderte reflexartig zu seinem Hals, an dem eine Kette hing.
Dort baumelte ein goldener Kruzifix hinab, über den er gedankenverloren strich.
~Ich hatte so jemanden~, gab er nachdenklich zu, bevor er sich mit einem Ruck zusammenriss,~Aber das ist schon lange her und jetzt unwichtig. Befolg meinen Rat einfach nur. Und jetzt runter mit dir.~
Mit diesen Worten hielt er ihm die schwarze Leine hin -anscheinend war Lily bereits unten angekommen.
Wortlos und zutiefst verwirrt von diesem Gespräch nahm Alec sie an und ließ sich langsam in die laute Dunkelheit hinabgleiten.
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