Kapitel 1 - Ein Schicksalsschuss

~Schneller! Ich will mein Spiegelbild in diesem Holz sehen können!~, schallte die Stimme des Kommandanten Sebastian Morgensterns über das Deck und veranlasste Alec und seine Kollegen, schneller zu schrubben.

Sie waren nun schon knapp zwei Wochen auf hoher See, aber bei ihm wollte sich noch immer nicht so recht das Gefühl einstellen, das Richtige zu tun.
Er dachte, dass er hier gebraucht würde, um Piraten zu erledigen und nicht, um das Deck zu schrubben, die Takeanlage zu überprüfen oder irgendwelche Segel zu hissen. Natürlich war ihm klar gewesen, dass so etwas durchaus zum Seemannsleben dazugehörte, doch er hatte sich das alles irgendwie spannender vorgestellt und bei Weitem nicht so anstrengend.

Außerdem wurde ihm bei hohen
Wellengang ziemlich schnell übel.

Das Meerwasser hatte zudem seine Uniform durchtränkt, sodass sie zenterschwer an ihm herabhing und außerdem hatte er einen Bärenhunger. Von den Essensrationen hier wurde man kaum satt und sie wurden auch immer kleiner, denn die Vorräte wurden knapp.

So schrubbte er mit knurrendem Magen das Deck und wünschte sich augenblicklich wieder nach Hause, wo er Izzy's verkorksten Eintopf essen und Max beim Spielen beobachten konnte. Es war wohl kaum erwähnenswert, dass er extremes Heimweh hatte.

~Schon wieder Heimweh?~, fragte Jace, der neben ihm ebenfalls den Wischmopp schwang.

Da sie oft miteinander arbeiteten, hatten sie sich im Laufe der letzten beiden Wochen angefreundet.

Jace war etwas kleiner als Alec selbst, blond, mit gold wirkenden Augen und einem scheinbar durchgängigem, provozierendem Grinsen auf den Lippen, aber eigentlich war er ganz nett.
Alec mochte ihn, obwohl ihm seine manchmal zu selbstverliebte Art auf den Keks ging, aber damit konnte er umgehen.

Jace war hier sein einziger Freund und schien beinahe immer zu wissen, was in ihm vorging.
~Du etwa nicht? Immerhin wirst du bald Vater.~, entgegnete er.
Jace war aus einem ähnlichen Grund wie er bei der Marine: Er wollte diejenigen, die ihm wichtig waren, beschützen. In seinem Fall seine Frau Clary und sein zukünftiges Kind, denn auch seine Eltern waren verstorben.

~Auch wahr. Ich erinnere mich noch genau an die Nacht vor meiner Abreise, als wir ...~
~Bitte! Zu viele Details!~
~Von mir aus. Aber nur weil du niemanden hast, heißt das noch lange nicht, dass du mir meine Ehe vermießen darfst.~
Er verdrehte nur genervt die Augen, sodass Jace laut auflachte.

~Schiff in Sicht!~, rief Andrew, der gerade an der Takeanlage herumwerkelte, überrascht.
~Welche Flagge?~, fragte Sebastian gelangweilt.

Alec unterbrach seine Arbeit kurz und ging zur Reling, um aufs ruhige Meer hinaus zu blicken. Tatsächlich fuhr in einiger Entfernung ein Schiff vorüber, welches sich kaum merklich näherte, aber was ihn viel mehr irritierte, war das Aussehen dieses Schiffes.

Der Rumpf schillerte in den unterschiedlichsten Nuancen von Blau und Gold und reflektierte das Sonnenlicht so, dass es in den Augen wehtat, wenn man es länger ansah. Lediglich die Flagge schimmerte in einem tiefen schwarz-rot.

Ein seltsames Handelsschiff, dachte er sich, denn bisher waren nur Handelsschiffe in Sicht gewesen, aber was sollte denn ein Schiff, welches so aussah, transportieren?

Er wurde eines Besseren gelehrt.
~Die Warlock, Sir! Es sind Piraten!~, rief er panisch.

Alec versteifte sich.
Piraten?
Natürlich hatte er sich Abenteuer gewünscht, er wurde es leid, nur das Deck zu wischen, doch in Anbetracht der drohenden Gefahr, wurde ihm doch etwas schwindelig vor Aufregung.

Jace hingegen warf mit einem zufriedenem Grinsen den Mopp hin.
~Na endlich!~

~Alle Mann an die Waffen! Kanonen laden! Schicken wir dieses Schiff auf den Meeresgrund!~

Dann brach Chaos aus. Während die einen unter Deck rannten, um zu den Kanonen zu gelangen, liefen andere ziellos auf dem Deck umher, auf der Suche nach den Schusswaffen, die irgendwer wohl verlegt haben musste.
Alec rannte ebenfalls unter Deck, um seinen Bogen zu holen, der, trotz der Nässe des Meeres und des Schaukelns des Schiffs, seine bevorzugte Waffe war.

Gerade als er seinen Köcher geschultert hatte, begann plötzlich das gesamte Schiff zu wackeln, als ob es von etwas Schwerem getroffen worden war. Nur gerade so hielt er sein Gleichgewicht und rannte wieder los.

Das Geräusch berstenden Holzes verriet die Kanonenkugel, die mit voller Wucht keine drei Meter vor ihm durch die eine Wand schlug, quer durch den Rumpf segelte und an der zweiten mit einem dumpfen Knall abprallte.
~Das war knapp.~, atmete er erleichtert auf und strich sich die winzigen Holzsplitter von der Uniform, bevor er wieder an Deck ging.

Wäre er doch nur dort geblieben.

Er hatte sich wohl ziemlich lange unten aufgehalten, denn das Piratenschiff war ihnen schon  bedrohlich nahe gekommen, sodass sich die ersten Angreifer mithilfe von langen Tauen auf ihr Schiff schwingen konnten.
Wilde Schießereien hallten über das Deck und der beißende Geruch von Schwarzpulver kroch erbarmungslos in Alecs Nase. Auch die ein oder andere kleine Explosion war zu hören.

Er hustete, während er sich eine erhöhte Position suchte, aus der er eine bessere Sicht auf das Geschehen hatte.
Leider verwehrte ihm der dichte Rauch die Sicht, sodass er kaum die Hand vor Augen sehen konnte, geschweige denn seine Kameraden von den Feinden unterscheiden konnte.

Also stieg er aufs Achterdeck, wo der Rauch noch nicht hingelangt war und gab seinen Pfeil auf die erstbeste, sich bewegende Gestalt ab. Er konnte zwar nicht kontrollieren, ob er getroffen hatte, aber Alec war schon immer ein exzellenter Schütze gewesen.

Dennoch keuchte er erschrocken und überrascht auf, als sich eine Gestalt hustend die Treppe zum Achterdeck hochquälte. Sie stützte sich am Geländer ab und trat nur langsam in sein Sichtfeld, weshalb er schon einmal einen Pfeil anlegte und den Bogen spannte, bereit zu schießen.

Doch er schoss nicht, obwohl der Neuankömmling offensichtlich ein Pirat war.

Alec war einfach zu geschockt, aber auch irgendwie fasziniert.
Der Mann war wunderschön, auch wenn sein Gesicht eine leichte Ruß- und Schweisschicht zierten.

Er trug eine enge, schwarze Hose zu dunklen Stiefeln, die seine langen Beine betonte. Sein Hemd, welches er unter einem langen, offenen, dunkelroten Mantel trug, war ebenfalls schwarz, allerdings mit vielen silbernen Ornamenten, die sich sowohl in den Ringen als auch in den Ketten widerspieglten, die er trug. Seine Haare waren steil nach oben gegelt und seine Augen waren dunkel umrandet, was sie noch stärker hervorhob. Der karamellfarbene Ton seiner Haut intensivierte das Braun seiner Augen.

Alec versank förmlich in diesen und wäre wohl auch nie wieder aufgetaucht, hätte der Mann keine Pistole auf ihn gerichtet.
Geistesgegenwärtig ließ er den Pfeil los, aber da er vom Äußeren des Manns so beeindruckt gewesen war, hatte er den Bogen etwas gesenkt, sodass sich der Pfeil nur in den Oberschenkel des Manns bohrte und nicht in den Brustkorb.
Dennoch keuchte er schmerzerfüllt auf, als er auf den Boden sank, sein Bein fest umklammert. Die Waffe hatte er schon lange fallen lassen.

Alec ließ den Bogen ebenfalls sinken und rannte auf ihn zu, um ihm zu helfen.
Natürlich war das mehr als töricht, immerhin war dies sein Feind, doch er dachte einfach gerade nicht darüber nach und handelte einfach.
Er tat eben das, was er für richtig hielt.

So kümmerte es ihn gar nicht, wie sich die Piraten wieder zurückzogen und die Warlock einen anderen Kurs einschlug.
Er war damit beschäftig, das Bein des Fremden mit einem Tuch zu verbinden, welches er in seiner Hemdtasche gefunden hatte. Er wusste, dass er den Pfeil nicht herausziehen durfte, auch wenn er es gern gemacht hatte, um ihm die Schmerzen zu ersparen.

Leicht verzweifelt sah er auf -Heilkunde war nun wirklich nicht sein Spezialgebiet-, als er erneut ins Stocken geriet.

Diese Augen waren wunderschön. Braun mit vielen goldenen und grünen Tupfern darin, die es einfach wert waren, in ihnen zu versinken.
Alec vergaß zu atmen, versank völlig in diesen Augen, während das Blut hinter seinen Ohren nur so rauschte. Sein Herz schlug mindestens doppelt so schnell wie normal und ihn beschlich das Gefühl, dass es dem Fremden ähnlich ging, so intensiv, wie sie sich ansahen. Alles um sie herum schien stehen geblieben zu sein, da waren nur diese Blicke, die bis tief in die Seele zu schauen vermochten und intimer waren, als alles, was Alec zuvor erlebt hatte.

Aber leider hielt dieser Moment nicht lange an.
Eine Hand auf seiner Schulter, die ihn von dem Fremden wegzog, riss ihn aus diesem Moment.
Gleichzeitig waren zwei weitere Männer zur Stelle, um den Fremden festzuhalten, obwohl es ziemlich offensichtlich war, dass er mit diesem Bein nicht mehr weit kommen würde.

Sebastian stieg zu ihnen hinauf, ein teuflisches Grinsen im Gesicht.
Er betrachtete den Fremden mit der Gier eines Aasgeiers, der gerade sein neues Opfer gefunden hatte.

Doch kurz huschte tatsächlich so etwas wie Überraschung über sein bleiches Gesicht, als er geschockt hervorstieß~Magnus Bane?~

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