Urentenbibel: 8-10
Ente bekriegt sich mit Gott
Die dichte Wolkendecke brach auf und ließ goldene Strahlen zu Boden. Tausende Engel, Elitekämpfer Gottes, kamen hinabgeglitten, allesamt in schwerer Rüstung und mit prächtigen Flügeln und weißen Federn. Als der letzte von ihnen den Himmel hatte verlassen, breitete sich das Loch noch mehr. Dann kam eine einzige Gestalt nach unten: Gott! Wie ein Schwarm Vögel glitt sein Heer um ihn herum, auf den Befehl zum Angriff wartend.
Die Menschenfressende Göttin erschreckte der Anblick, der sich ihr bot. Der Lord jedoch sah freudig gestimmt aus. Er biss sich seine linke Hand ab, woraufhin aus der Ferne ein mächtiges Gegröle hervordrang: Die Armee des Unlebendigen kam auf. Es dauerte nicht lang, da waren der Lord und die Menschenfressende von den unzähligen Wandelnden umringt, jeder mit an Scherenklingen erinnernden Schneiden an den Fingern, die der Lord ihnen vor ihrer Wiedererweckung an die Körper genäht hatte. Ente riss sich anschließend die Rechte ab, die Toten begannen, zu schweben, als würden die Schwerkraft gänzlich aussetzen für sie.
Gott lachte höhnisch auf. »Zwar seid Ihr in der Überzahl, Lord, doch wird dies nicht Euren Untergang verhindern können!«
»Lacht nur! Früh genug werdet Ihr sehen, wer schon zu Füßen des anderen liegen mag!«, gab der Lord selbstsicher zurück.
In diesem Moment ließ Gott seine erhobene Hand fallen. Die unzähligen Engel stürzten sich rasant in die Tiefe, den Lord und die Menschenfressende Göttin im Visier habend.
Der Lord gab seiner Armada Befehl, ebenfalls anzugreifen. Wie Marionetten schleuderten sie sich den Engeln entgegen und verletzten eine Großzahl von ihnen mit ihren scharfen Klauen.
Hin und wieder kam ein Engel auf den Lord zugestürmt, doch den störte es nicht weiter, wurde er zerfetzt inmitten der Luft, ohne dass Ente sich nur regen musste.
Die Menschenfressende hatte bei weitem weniger Probleme als der ohnehin schon problemlose Lord. Von einem kopflosen Engel sprang sie zum bald schon nächsten. Jeder, der auch nur daran dachte, vor ihr zu fliehen oder sich ihr zu stellen gar, dessen Kopf wurde augenblicklich von ihren anglerfischartigen Zähnen zerrissen.
Zur Überraschung Gottes hielten seine Engel viel weniger aus als gedacht. Schon nach bloßen Minuten war seine Streitmacht so dermaßen reduziert, dass man die Übrigen anhand der Finger an seinen neun Händen abzählen konnte.
Der Himmel verdunkelte sich stetig mehr und immer mehr. Aus der Ferne konnte kam Donnergrollen an, erschütternd. Gott packte sich einen seiner Soldaten und häutete ihn. Die Haut kaute er, spuckte sie in Form eines strahlenden Schwertes aus. Seine grell glänzenden Flügel vergrößerten sich in ihrer Fläche, er zischte im Sturzflug auf den Lord zu, der vergnügt am Boden stand, zusah.
Vor Gott türmte sich eine Mauer aus Leichen auf, die dieser doch mit einem bloßen Schnitt zerbrach und zu einer klebrigen, dunklen Grütze werden ließ.
Die Menschenfressende bemerkte, dass derjenige, der ihr ein Schloss voll Leichen versprach, soeben angegriffen wurde, und ließ vom um Gnade flehenden Engel ab.
Blutdurchtränkt landete sie vor dem Lord und entblößte dem Feind ihr mörderisches Zahnwerk, den es aber offenbar nicht wirklich ängstigte, es seien ja auch bloß Zähne. Wie eine Kugel kam Gott herangeschossen und durchdrang einen jeden der Schutzwälle des Lords, die sie einen jeden Normalsterblichen erbärmlich zerfleddert hätten. Der Lord wischte mit seiner Hand zur Seite, Gott schlug nach unten, durch mehrere Bäume hindurch und landete im Dreck.
Die Menschenfressende rannte den gefällten Stämmen hinterher und fiel Gott an, wie ein gefräßiges Tier zerfleischte sie ihn, bis kein Überrest mehr da war, verschlang einen jeden.
Der Lord kam angetrottet. Er hätte freudig wegen des Sieges sein müssen, doch das Gegenteil war offenbar der Fall. »Ihr habt sein Fleisch gegessen, das Fleisch der Geheiligten«, sagte er stumm.
»Und wenn schooo–« Sie hielt inne, wurde panisch schnell. »Ich werde nun doch nicht etwa verrecken, oder?«
»Nun, ich kenne da einen Weg, wie Ihr weiterleben könnt, jedoch –«
»Wie?!«
»Sprecht mir nach« Er räusperte sich und sagte die geübte Formel auf: »Ich schenke Leib und Seele dem allmächtigen Lord Ente bis zum Ende der Ewigkeit!«
Die Menschenfressende Göttin begann, zu schluchzen. »Dann werde ich aber nicht sterben, oder?«
»Wenn Ihr leben wollt, dann werdet Ihr dies tun.«
»Ich schenke Leib und Seele dem allmächtigen Lord Ente bis zum Ende der Ewigkeit.«
Der Lord grinste unmerklich. Geschafft, dachte er. Endlich habe ich ein Gottwesen als Diener. Mal sehen, ob es denn auch tatsächlich funktioniert hat … »Ich befehle Euch: Reißet Euch ab den Arm!«
Die Menschenfressende biss sich hastig in ihren linken Arm und zerstörte den Ankerpunkt zwischen ihm und dem Rest ihres Körpers.
Der Lord konnte das Gefühl des Sieges nicht mehr eindämmen und brach in wildes Gelächter aus. In diesem Moment kreischte die Menschenfressende Göttin in Höllenqualen auf, begann sich aufzulösen, goldenes Licht auszustrahlen. Ihre Hülle wurde exorziert, die große schwarze Kugel in ihrem Inneren verschmolz mit den hellen Strahlen und zersprang in unzählige Splitter, die sich anschließend zu einer dunklen Masse formten, welche doch nicht nur die geringste Spur von Göttlichkeit aufwies.
Ein Großer Gott war gestorben, doch würde seine Seele dem Lord bis zur Ewigkeit gehören.
Der Meister der Albträume
Lord Ente ging – gefolgt von der Menschenfressenden Göttin, seinem Diener Quakhardt und dem Menschen – schick durch die Straßen Neu-Neu-Neu-Neu-Entenhausens. Sein drittes Auge zeigte ihm eine Gans, die sie verzweifelt durch die Gassen rannte, geradewegs auf sie zu. Der Lord bedeutete seinen Gefolgsleuten anzuhalten.
Tränend sprang die Gans aus der Gasse rechts hervor und fiel um Gnade flehend auf den Boden. »Wo ist es hin?«, fragte der Lord die sich in Todesangst befindende Gans. »D-d-d-da k-k-kommt es!«, stammelte sie und zeigte zitternd auf die Seitenstraße.
Der Lord lächelte leicht, als die Gans von etwas Unsichtbaren zerfetzt wurde. Er ballte seine Rechte zu einer Faust und befahl seinen Dienern, zu sagen, was sie sahen, eingesperrt im unsichtbaren Gefängnis des Lords.
Quakhardts Knie wurden weich. »Ein R-Rechtschreibfehler!«
Die Menschenfressende hielt ihren Atem. »Weggeworfenes Fleisch!«
Der Mensch starrte mit offenen Augen auf die eingefangene Leere. »Mein mir treues Messer, zerstört sei es …«
Sie gingen beinahe zeitgleich zu Boden. Der Lord grinste und öffnete seine Hand wieder. »Ein wandelnder Albtraum«, flüsterte er. »Das Werk eines begabten Dunklen.« Er trat allen einmal gegen den Körper. Angst löste sich, sie sprangen nacheinander wieder auf. »Was heißt das?«, fragte Quakhardt mit bleichem Gesicht. »Nichts, das euch jetzt interessieren sollte. Kommt, wir gehen.« Ente wandte sich um, gefolgt von den verstörten Dienern.
Zuhause blätterte der Lord durch seine Büchersammlung. »Wandelnder Albtraum, aye. Da ist er ja. Zum Zurückverfolgen benötigt man … dessen Albtraummaterie und Pizzaextrakt, zusammengemischt mit leicht kochendem Wasser.« Er hob seine Hand leicht an. Ein Kessel flog aufs sich selbst anzündende Feuerholz, Wasser kam herangeschossen, ergoss sich darin und begann langsam zu brodeln. Der Lord nahm einen kleinen Schlüssel aus einem staubigen Buch, dessen Titel durch Verwitterung nicht mehr lesbar war, und schloss mit diesem eine kleine Schatulle auf, die sie versteckt war unter dem Boden. Darin war ein kleines Fläschchen. Pizzaextrakt, seit der Ausrottung der Pizzabäume das aller Seltenste nur. Eine Träne vergießend nahm er den Behälter heraus und schüttete seinen Inhalt in den Kessel.
Anschließend warf er ein kleines Stück des Albtraums, ein dunkles, wabbliges, und wenig transparentes Etwas, mit hinein, das er der toten Gans hatte abgenommen. Eine halbe Stunde später war er fertig – ein blubbernder, modriger und stinkender Trank, der er schwarz pulsierte.
Der Lord scheffelte sich eine Fuhre davon in ein Gläschen und schnupperte daran, bevor er sie in einem Schluck hatte seine Kehle runtergezwungen. Er sah es nun deutlich vor sich, den Ort, an dem der Wandelnde Albtraum erschaffen wurde – und er wusste verflüchelt genau, wo das war.
»Quakhardt! Weck den Menschen und die Menschenfressende!«, rief er zum Turm hinauf, in dem seine getreuer Diener weilten. »J-jawohl, o Meister!«, kam es zurück.
Zusammen stiefelten sie durch die Große Wüste, an die ein jedes Federreich doch angrenzte.
»Wie lange ist es noch, o Meister?«
Der Lord antwortete nicht, sondern zog eine gerade Linie durch den Sand, ohne abzuweichen. Als sie eine kleine Sanddüne emporgestiegen waren, stach ein einzelnes steinernes Gebäude aus dem heißen Boden hervor. Es war flach und schien aus der Zeit zu stammen, als dies hier noch keine Wüste, sondern der Urquell allen Lebens war. Mindestens vierzig Entenmeter hoch war es, gute neununddreißig davon vom Sand verschluckt.
Quakhardt brach zusammen, rollte den Hügel hinunter und wirbelte dabei Unmengen an Sand auf. Der Lord drehte den schwachen Körper seines Dieners um und schnitt sich mit dem Messer des Menschen in den Finger, dessen heraustretendes Blut er dann in Quakhardts Mund tropfen ließ. Wie wiedergeboren sprang dieser auf und marschierte energiegeladen in Richtung des Turms. Der Lord brach sich in die Wand ein Loch hinein, spähte durch dieses ins Innere. Er bedeutete den anderen zu warten und kletterte hinein.
Nachdem er sich fest hingestellt hatte, begann er, den ganzen Sand im Turm in sich hineinzusaugen, bis er unten eine morsche Tür freilegte, durch die er schließlich trat.
Zeit verging. »Sagt, lässt unser Meister sich nicht verdächtig viel Zeit?«, fragte Quakhardt immer noch angespornt in die Runde.
Der Mensch schüttelte den Kopf. »Hast du denn kein Vertrauen in den Lord?«
»Doch, aber … Aber er könnte in Schwierigkeiten stecken und unsere Hilfe benötigen!«
»Ausgeschlossen«, mischte sich die Menschenfressende ein. »Der Lord ist zu mächtig, als dass er je Hilfe nur benötigen mag!«
»O ja, da kann ich Euch nur zustimmen, Menschenfressende!«, sagte der Mensch bedächtig.
Ein Schrei hallte durch die Ruinen nach oben. »Das war der Meister!« Quakhardt schaute die anderen bettelnd an.
»Nachzusehen hat noch nie wem geschadet, oder?«, murmelte der Mensch und wurde von Quakhardt förmlich runtergeschliffen. »Dann missachtet nur die Anweisungen des Lords!«, rief die Menschenfressende ihnen nach und verstummte rasch. Als sie bemerkte, dass sie nicht zurückkamen, hastete sie nach.
Der Lord durchtrat die Tür. Kühle Luft strömte ihm entgegen. Er würgte eine Fackel hoch und tippte mit der Fingerspitze dagegen. Lichterlohe Flammen erhellten den langen Gang, der sich abwärts schlängelte. Je näher er dem eisernen Tor am Ende trat desto kälter wurde es. Er legte seine Hand gegen die Blockade. Sekundenschnell schmolz diese und öffnete den Pfad.
Das Tröpfeln von Wasser. Als er um die Ecke bog, sah er das eine riesige Kammer, zur Hälfte überflutet. Aus dem Wasser ragten einzelne Treppen und Säulen empor, in der Mitte des Raums war eine kleine Insel mit einem Loch in ihrem Zentrum und einer Leiter daran. Der Lord machte eine kreisähnliche Bewegung mit der Hand. Ein gewaltiger Feuerring zog sich um die Wände und erhellte das Dunkel. Er schmiss die Fackel ins Wasser und betrachtete vergnügt, dass es anfing, zu leuchten. Das Wasser schoss hoch, als wäre eine Bombe darin hochgegangen. Er ließ sich zwei große Flügel wachsen und glitt zur Insel hinab, ehe er weiter in die Tiefe hervordrang. Nach einem Katzensprung von zwanzig Metern landete er auf dem nassen Boden.
Er lachte auf, als er den Alten sah, der zusammengekrümmt vor einem Kessel im Kerzenschein lag, schwer atmend, im Sterben liegend. »Willst du leben, Dunkler?« Entes Stimme hallte unaufhörlich. Der Mann, der dunkle Hexer, flüsterte etwas. »Zu leise seist du.« Er rappelte sich auf. Seine schrecklich langen grauen Haare bedeckten beinahe seinen gesamten Körper. Langsam führte er seine Hand zu seinem Kopf und strich sich das Haar beiseite, sodass sein Auge zu erkennen war.
Es traf den Lord wie ein Blitz. Er konnte seinen Körper nicht mehr bewegen. Wieso nicht? Er konnte nichts mehr tun außer sich seine Seele aus dem Leib zu schreien und zu hoffen, dass die Qual endlich ein Ende nahm, sich ihm zeigend die grausigsten Dinge, die er nur sich hätte ausmalen können.
»Was dem Meister bloß zugestoßen ist …« »Woher willst du wissen, dass es der Lord war, der da geschrien hat, du Enterich?«, gab der Mensch Quakhardt monoton zu denken.
»Ziemlich kalt, was, Mensch?«
»Ich empfinde weder Kälte noch Wärme.«
»Oh. Schi-schick, schätze ich? He, was ist das da hinten?«
»Das Werk des Lords. Ich vernehme noch seinen Geruch, er muss vor nicht allzu langer Zeit hier entlang gewatschelt sein.«
»Dass ihr Menschen in der Lage seid, dergleichen zu vernehmen!«
»Es gibt aber nur noch mich.«
»Verzeiht. – Hört Ihr das, Mensch?«
»Die Menschenfressende ist das. Kein Grund zur Sorge, du Enterich.«
»Nein, dieses Plätschern, das von dort drüben kommt.« Der Mensch hielt der Ente den Schnabel zu und lauschte. »Tatsache, ein großer Raum liegt voraus, beinahe nur mit Wasser.«
»Dass du in der Lage bist, dergleichen zu vernehmen!« Sie kamen zum abrupten Abgrund und stolperten beinahe. »Ist was, Mensch?«
»Da unten im Wasser.«
»Hm?« Der Mensch rupfte Quakhardt eine Feder aus, »Au!«, und ließ sie runterfallen. »Wie schön«, bemerkte die Ente, als das Wasser zu leuchten anfing. Es nahm ihm den Atem, als es dann jedoch wild hochspritzte seine schicke Feder sich in der Fontäne auflöste. »Ach du liebe Güte!«
Die Menschenfressende Göttin kam rasch angerannt. Vorhin hatte sie eine Spinne gesehen. Eine Spinne, verflüchelt! Zwei Stimmen kamen ihr näher. Die eine gehörte dem Menschen, die andere Quakhardt. Sie schienen lautstark zu diskutieren. Mit in der Dunkelheit erblindeten Augen sprang sie ihnen entgegen, fiel von einer gefühlten Klippe, hinein in Wasser, das es erstrahlte und hochging, ihren Körper in tausend Stücke zerfetzte.
Quakhardt erstarrte. »War … war die Menschenfressende?«
Zögernd nickte der Mensch und spähte runter auf die Körperteile, die einander anzogen, ehe sie als Ganzes wieder eine Explosion auslösten.
»Sollten wir sie nicht …?«
»Der Lord hat oberste Priorität«, sagte er und packte Quakhardt bei den Füßen. »Du kannst fliegen, nicht?«
»Natürlich. Ihr meint doch nicht –« Der Mensch hob ihn in die Luft und sprang mit Anlauf vom festen Boden. Wild gackernd flatterte Quakhardt in Richtung Insel, während er traurig auf die Göttin hinabblickte.
»Sie weiß sich selbst zu helfen, du Enterich.«
Unter extremer Anstrengung sagte er: »Hoffen wir's …«
Der alte Mann kam langsam auf den Lord zu, der er mit vor Angst geweiteten Augen auf der Stelle stand, reglos, stumm.
»Was willst du, Gesandter der Hölle?«, dröhnte eine fröstelnde Stimme durch seinen Kopf.
Seine Starre wurde aufgehoben. Keuchend lag er auf dem Boden.
»Antworte.«
Dem Lord wurde eiskalt. »Ihr seid es gewesen, der Ihr den wandelnden Albtraum losgeschickt habt. Die wandelnden Albträume. Ich bewundere Euer Talent und möchte Euch ein Angebot machen.«
Verwundert hörte der Alte zu.
»Schließt Euch mir an, Dunkler! Ich weiß, Ihr strebt nach Unordnung, Chaos! Wir beide haben dieselben Ziele! Ein Bündnis würde uns beiden helfen, sie zu erfüllen!«
»Ich halte nicht viel davon, mit Niederen zusammenzuarbeiten.« »Also lehnt Ihr ab? Gut, dann muss ich Euch wohl oder übel töten müssen.« Der Lord streckte sich und gähnte laut. Der Alte murmelte etwas zusammen und ließ Nebel aufsteigen. Gläser wurden auf den Lord geschmissen, die er allesamt in der Luft zerspringen ließ und ihren Inhalt befreite – wandelnde Albträume. »Ihr müsst wissen, Dunkler, ich fürchte nichts. Die sind also komplett nutzlos«, erklärte er gelangweilt.
Er schien ihn wirklich unterschätzt zu haben, es schien aussichtslos. Jemand, der keine Angst kannte, stand ihm gegenüber. Und er kämpfte nur mittels der Furcht.
Der Lord schnipste. Die Nebel verzogen sich und gaben den grübelnden Alten frei. Daraufhin spuckte der Lord in seine Hand und ließ daraus eine Klinge werden. »Seid kein Narr, schließt Euch mir an.«
Sich zu fügen unter dem Kommando des Entenherrn war die einzige Möglichkeit für den Alten zu leben. Lächelnd hob er kapitulierend die Hände und sagte düster: »Ich werde mich Euch anschließen«
»Na, das klingt doch gut! Dann sprecht mir bitte nach, Dunkler. Ich schenke Leib und Seele dem allmächtigen Lord Ente bis zum Ende der Ewigkeit!«
Ein ewiger Schwur, dachte der Alte. Damit würde er sein gesamtes Dasein weggeben. Doch der Alte zog es dem Tode vor.
Der Lord flog mit seinem neuen Diener in den Klauen den senkrechten Tunnel hoch.
In diesem Moment kam der Mensch hinabgesprungen und stürzte beide wieder in die tiefe Grube.
»Was machst du denn hier, Mensch? Wo sind Quakhardt und die Menschenfressende?« Der Hüne richtete sich auf.
»Der Enterich hat Höhenangst und traut sich nicht, runterzuspringen. Die Menschenfressende ist im Wasser gelandet und kommt nicht mehr heraus.«
»Wieso seid ihr nicht oben geblieben?«
»Ein Schrei.«
»Wessen -« Düster erinnerte sich der Lord, dass er aus Jux so getan hatte, als hätte der Fluch des Alten gewirkt. »Halt mal kurz still, Mensch.«
»Jawohl, o Lord.« Der Lord weitete sein Maul und würgte den Hünen in sich hinein. Mit kaum dickerem Bauch schnalzte er mit der Zunge und war augenblicklich wieder oben beim Wasser. »Quakhardt, reinhüpfen!«, befahl er der Ente.
»Jawohl, o Meister!« Er aß den zweiten. Vorsichtig beugte er sich über den Rand, um die Einzelteile der Menschenfressenden zu erblicken. Plötzlich stieß etwas gegen seinen Rücken und ließ ihn taumelnd fallen.
Erneut öffnete er seinen Mund, diesmal allerdings zum Einsaugen der Wassermassen, der Säulen, der Treppen und der Einzelteilen der Göttin, während er sich mit seinen Entenflügeln knapp über dem Wasserspiegel hielt. Er sah nun so aus, als hätte er sich gerade vollgefressen. Er kam mit den Füßen auf dem nassen Grund auf.
»Dunkler! Ich befehle dir: Verweile hier bis zum Ende deines Seins!«
»Ja, o Gesandter der Hölle«, hallte es mit düsterer Vorahnung durch den leeren Raum. Wohlwollend tippte er sanft gegen den Stein. Mit gewaltiger Kraft zerbrachen Wände, Decke und Boden und ließen Tonnen an Sand hereinströmen.
Erneut schnalzte der Lord, ehe er selbst begraben wurde. Auf seinem Schloss auf dem Entenberg entleerte er sich.
Der Außerirdische und der Lord
Klar leuchtete der von Sternen gesprenkelte Nachthimmel auf. Mit ausgestreckten Gliedmaßen lag Lord Ente auf dem umherwehenden Gras und beobachtete zusammen mit dem Menschen, der Menschenfressenden Göttin und seinem treuen Diener Quakhardt die Himmelsplane.
»Irgendwie doch nicht so spektakulär wie erwartet«, brummte der Lord.
»Was wisst Ihr schon, Meister! Seht Ihr nicht diese wunderschönen –«
»Nein, tue ich nicht, Quakhardt. – Mensch, was siehst du?«
»Dort hinten, da ist die Große Ente. Und daneben der Große Entenfresser.« So monoton wie eh und je.
»Und Ihr, Menschenfressende? Menschenfressende?« Er hob seinen müden Körper und schaute nach rechts. Friedlich döste sie vor sich hin. Der Lord erstaunte plötzlich.
»O Meister, was hat Euren Blick denn gefangen?«, fragte Quakhardt, dessen Stimme an die einer Person erinnerte, die soeben zehn ganze Spritzen Beruhigungsmittel für Entenpferde zu sich genommen hatte.
»Nichts, nichts, bloß ein riesiger Gesteinsbrocken, der sich mit rapidem Tempo näher kommt und uns jeden Augenblick unter sich begraben wird.«
»Wo denn das, o Meister?«
»Für die Augen eines Nicht-Gottes wie dir ist er zu sehen in … drei Sekunden?«
Tatsache. Ein verglühender Stein hielt direkt aufs Schloss und schoss wie ein tollwütiges und ausgehungertes Entlein an, das es hungerte nach Entennahrung.
»So tut doch etwas, Meister!«
Lustlos atmete der Lord aus und hielt seine Hand flach zum Brocken. Dieser zersprang in staubgroße Teile, die regneten wie Schnee auf sie nieder.
»Großartig gemacht, o Meister!«
»Heb den Jubel für später auf, da kommen noch drei – nein, vier.«
Dreimal zersprangen sie kurz vor dem Berg. Die Menschenfressende streckte sich und gähnte laut. »Was ist das für ein Krach?«
Lächelnd wandte sich der Lord um und sagte: »Ach gar nichts war das! Ihr müsst wohl nur schlecht geträumt haben!« – da krachte der Letzte der Felsen knirschend auf das Dorf der Menschenfressenden.
Eine gewaltige Druckwelle schmiss alle um. »Was war –«, bibberte die Menschenfressende.
»Verflucht, Meister, wieso habt Ihr ihn nicht gestoppt?!«, gab Quakhardt entsetzt.
»Ich befehle dir: Halt den Schnabel!«
Quakhardts Flügel drückten seinen Mund zu. Es hinderte ihn allerdings nicht daran, den Lord boshaft anzustarren.
»Ich befehle dir: Sei für die nächsten drei Tage blind!« Mit aufgeplustertem Gefieder schloss er seine Augen.
»Mensch, Menschenfressende, mitkommen. Quakhardt, du bleibst und denkst über das nach, was du gerade verbockt hast.«
»Mhmrmh!« Im Zentrum des Dorfplatzes ragte ein riesiger Fels aus dem Boden. Darum herum war ein Krater von gut fünf Metern Durchmesser. Die Häuser waren zertrümmert, einige brannten und verteilten das Feuer auf weitere. Panisch hasteten die Bewohner umher und nahmen kaum Kenntnis der drei, die zielstrebig auf den Stein zuhielten.
Der Lord legte seine Hand auf den Felsen und hielt inne. Der Fels zerbröselte und legte eine gespenstisch fluoreszendierende Kapsel frei, kaum größer als der Lord selbst.
Ein wenig zurückgeschreckt beobachteten der Mensch und die Menschenfressende, wie der Lord dagegen tippte und sie damit öffnete. Dichter Nebel strömte auswärts und legte sich auf dem Boden. Ein grelles Licht pulsierte im Inneren. Der Lord lugte mit breitem Grinsen hinein und nahm den reglosen Körper eines Menschenkindes heraus.
»Ein Mensch?!«, sagten die Begleiter des Lords fast zeitgleich.
»O nein, o nein, kein Mensch …«, murmelte der Lord um sah das Kind von allen Seiten an, als würde man nach Dreck auf einem runtergefallenen Stück Essen suchen. »Ein menschenähnliches … Ding.«
Der Mensch betrachtete den Lord ausdruckslos. »Was ist mit den anderen Steinen? Waren da auch diese Wesen drin?«
»Nein«, antwortete der Lord knapp. Dann fügte er hinzu: »Wahrscheinlich doch.«
»Lebt dieses Ding noch?«, ertönte die zärtliche Stimme der Menschenfressenden mit mütterlichem Ton.
»Es scheint bewusstlos zu sein. Wir sollten aufs Schloss gehen, da kann ich es weiter untersuchen.«
»Jawohl, o Lord!«
»Ja, o Lord!«
»Quakhardt! Wo bist du?«, rief der Lord durch die Hallen, im Schlepptau den erstarrt wirkenden Menschen und die Menschenfressende, die das Ding in den Armen hielt und nur noch davon schwärmte.
»Mmm, Mh Mhh!«, kam zurück.
»Quakhardt, was machst du da?«, lachte der Lord beinahe.
»M mh Mhh hm Mhmhm!«
»Ich befehle dir: Schnabel auf!«
Laut hechelte Quakhardt nach Luft. »O Meister … Ich danke … Euch von … von Herzen! Wär fast erstickt!«
»Hast du denn keine Nasenlöcher zum Atmen, Quakhardt?«
»Doch, aber – Wer ist denn das?« Er drehte sich zur Menschenfressenden und dem Kind, das sie festhielt.
»Das, mein lieber Quakhardt«, begann der Lord in klug klingender Stimme, »ist ein … Ding!« Das Ende brachte nicht die gewünschte Wirkung.
»Dieses Kind ist ein Ding?«
»Ja, Quakhardt! Ja!« Unangenehme Stille trat ein.
»Ich geh dann mal wieder«, verabschiedete sich der Diener.
»Mensch, Menschenfressende! Folgt mir hinauf zum großen Turm!« Nachdem sie eine endlos scheinende Wendeltreppe emporgestiegen waren, räumte der Lord einen vollen Tisch frei und wandte sich zur Menschenfressenden, »Leg das Ding da drauf!«
»W-was habt Ihr denn mit dem Messer in Eurer Hand vor…?«, zitterte sie.
»Ich möchte es aufschneiden und sehen, woraus es besteht.«
»Aber Gunther ist doch noch ein Kind!«
»Gunther? Ihr meint das Ding, Menschenfressende?«
»Tut ihm nicht weh, Lord!«
Irritiert wandte er sich zum Menschen. »Mensch.«
»Ja, o Lord!«, begegnete dieser und entriss das Kind den Klauen der Göttin, die trauernd in die Knie fiel.
Grinsend positionierte der Lord das Ding auf dem Tisch und setzte zum ersten Schnitt an. Uuund los -
Urplötzlich wurde der gesamte Raum in beißendes Weiß gehüllt. Blind fiel der Lord zu Boden und tastete hastig nach etwas, womit er die winzige Wunde verdecken konnte. Als er nichts fand drückte er seine Hand auf den Schnitt, diese fing lichterloh an zu brennen, dämmte das Licht aus dem Inneren des Dings jedoch ein. Der Lord jaulte auf vor Schmerz. »Mensch, hol mir eine andere Hülle!«, rief er, seinen Arm betrachtend, der golden aufglühte und dieses Glühen auf den Rest seines Körpers weiterleitete.
»Jawohl, o Lord!«, sagte der Mensch und stürmte die Treppe hinunter. Keine Minute später war er mit einem neuen Entenmenschenkörper oben und bedeutete dem hüllenlosen Lord eine neue Gestalt anzunehmen.
Der reglose Entenmensch erweckte wieder zu Leben. »Dreckiger Dreck! Das Teil ist ja pure Heiligkeit! Menschenfressende, nicht!«
Die Menschenfressende Göttin tippte erschrocken dem Kind gegen die Wange.
Das farblose Haar schien förmlich in Flammen aufzugehen und färbte sich golden. Die weiße Haut wurde leicht rot, die abgemagerte Gestalt wurde fülliger, die Lider begannen, sich zu bewegen, und enthüllten große Augen mit hellblauen Pupillen. Das Ding hechelte nach Luft. Voller Furcht zitterte der Lord beim Anblick des sich bewegenden Dings.
»Mensch!«, stammelte er. »T-töte es!«
Gleichgültig nickte er, zog seine Waffe und schleuderte sich dem Kind entgegen. Die Klinge zerbrach mitten in der Luft wie Porzellan. Der Mensch sackte zusammen. Zum aller ersten Mal hatte sein Gesicht einen Ausdruck: Bloßer Schock.
Das Kind blickte sich verwirrt um und erhob sich von Tisch. »Wer seid ihr?«
Es klang … wirr. Die Menschenfressende lächelte breit und umarmte das Ding. »Ist er nicht einfach putzig, mein kleiner Gunther?«
»Ich bin kein Gunther«, gab Gunther trotzig zurück.
»Eh?«
»Ich habe keinen Namen.« Allmählich beruhigten sich der Mensch und der Lord wieder, als sie sahen, dass das Ding nicht hostil zu sein schien. Sie beide konnten sich verstehen, was in die Menschenfressende Göttin gefahren war. Sie umklammerte da gerade ein Ding, dessen Inneres nur so vor Heiligkeit überkochte!
Schritte waren auf der Treppe zu hören. »Meister? Seid Ihr in Ordnung? Ich habe vorhin helles Licht gesehen und Schreien geh–« Die Ente unterbrach und sah auf die alte Hülle des Lords, dann auf seine neue, danach auf die Überreste des Messers vom Menschen, daraufhin auf diesen, anschließend auf die Menschenfressende und schließlich zum Ding.
»Hat dieses Kind Euch etwa …«, begann Quakhardt mit grimmiger Miene und watschelte zu einem Schrank, an dem er aus einer Schublade ein geladenes Gewehr herausnahm.
»Nein, Quakhardt, nicht!«, rief der Lord, als sein Diener zum Schuss ansetzte.
»Geheiligtes Inneres hat das Ding!«
Quakhardt sah kurz zum Lord hinüber. »Schert Euch also weg, Meister.«
»Quakhardt, ich befehle dir: Leg die Waffe hin!«
Er schien dies gar nicht aufzunehmen.
»Dein Meister befiehlt dir, die Waffe wegzulegen!«
»Drei …«
»Quakhardt, hör auf!«
»Zwei …«
»Das würde das ganze Schloss geheiligt werden lassen!«
»Du hast es gewagt, meinem Meister Weh anzutun! Dafür werde ich dich nicht mit dem Leben davonkommen lassen.«
Der Lord lachte. »Echt jetzt?« »Eins.«
Ein Knall, ein hastiges Zungenschnalzen. Der Lord beobachtete vom Waldrand aus, wie sein Schloss in grelles Licht gehüllt wurde und heiliges Gold hinterließ.
Dem Lord fuhr ein grausiger Gedanke durch den Kopf. Die Menschenfressende war noch dort, er hatte sie womöglich vergessen ohne Schutz vor der Heiligkeit. Nach zehn Minuten legte sich das Leuchten wieder. Die bewusstlose Göttin wachte auf und sah sich fragend um. Sie lag auf einer Wiese, ihr Schädel brummte. Sie blickte auf ihren Körper hinab. Heiligkeit breitete sich allmählich durch ihren ihn aus. Sie verfiel in Panik. Sie wollte nicht wieder diese Qualen durchleiden müssen. Verzweifelt verformte sie ihre kleinen, geraden Zähne zu denen eines mächtigen Raubfisches und biss sich das immer heller werdende Bein ab. Ein wenig des Goldes gelangte durch das abgetrennte Bein in ihren Mund, ungeheure Schmerzen überkamen sie. Sie wollte um Hilfe rufen, aber das Gold war bereits an ihrem Hals und sog jegliches Leben heraus. Zitternd lag sie auf dem Boden, als sie eine dürre Gestalt mit heller Haut und dunkler Kleidung zu ihr gehen sah. Die Gestalt duckte sich, die Menschenfressende erkannte das Gesicht nicht, ihr Blick wurde immer schwächer. Sie begann Licht zu sehen, da berührte etwas ihre Stirn.
Plötzlich fühlte sie sich so, als wären innerhalb einer Sekunde all ihre Innereien herausgesogen worden, sodass nur die Haut übrig blieb. Danach fühlte sie nichts mehr. Mit hoffnungslosem Gesichtsausdruck rannte der Lord den Berg hinauf, wild um sich blickend und nach der Menschenfressenden schreiend. Da lag sie reglos auf dem Gras, neben ihr kniete der Mensch.
»Mensch!«, rief der Lord überrascht aus.
»Jawohl, o Lord?«, gab dieser eintönig zurück.
»Was ist mit der Menschenfressenden?«
»Ich habe sie gereinigt. Sie wird in ein paar Tagen wieder sie selbst sein.«
Der Lord setzte sich neben die Menschenfressende und fühlte nach dem Puls. Schwach, langsam, aber immer noch da. »Wie hast du das gemacht, Mensch? Sogar die Hülle ist noch vollständig intakt!«
»Was meint Ihr, o Lord?«, winkelte er seinen Kopf an.
»Wie du sie wieder unheilig gemacht hast!«
Der Mensch schwieg einige Sekunden. Dann sagte er: »Ich erinnere mich nicht mehr wirklich.«
»Oh. Und wo ist Quakhardt? Und dieses Ding, ist es gestorben?«
»Der Entendiener sitzt oben auf der Leiche des Sternenkindes und hört nicht auf zu gackern.«
Der Lord blickte zum Turm hoch. »Wie kam sie runter, die Menschenfressende? Sie kann doch unmöglich einfach so mit geheiligtem Fleisch hierher gewandert sein.«
Achselzuckend erhob sich der Mensch und lief auf den Wald zu. »Wo gehst du hin?«
»Den Rufen meines Messers folgen«, sagte er und verschmolz mit den dünnen Bäumen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top