Urentenbibel: 34-36
Anregung zum Gottwerden
»Quakhardt«, rief Lord Ente, ein Gott, gelangweilt zu seinem entischen Diener, der neben seinem Thron stand und auf einen Befehl wartete.
»Zu Euren Diensten, o Herr!«, entgegnete dieser starr.
»Tu irgendwas, um mich zu unterhalten.«
»Jawohl!« Quakhardt sprang auf und rannte aus dem Saal. Eine halbe Minute später kam er mit einer menschenähnlichen Frau und einer Ente mit Menschenstatur wieder.
»Was soll das werden, wenn's fertig ist, Quakhardt?« Der Lord stützte seinen Kopf ab.
Quakhardt schluckte kurz und wandte sich zur Frau. »Menschenfressende.« Schlagartig wurden ihre Arme flüssig, als wären sie Wackelpudding. Ihre Finger bebten und verformten sich zu messerhaften Klingen, mit denen sie den Hals des Entendieners aufschlitzte und Blut auf den Lord spritzen ließ.
»Mensch«, drang es aus der Kehle Quakhardts. Der Entenmensch erhob seine Hand in die Höhe. Ein strahlendes Licht drang zu ihm durch und tauchte es in einen goldenen Schimmer. Anschließend berührte er die Wunde von Quakhardt, die sie augenblicklich verheilte.
Der Lord gähnte nur. »Quakhardt, Menschenfressende, Mensch … Diese Welt hier ist zu unspektakulär.«
»Ja, o Herr!«, stimmte Quakhardt hastig zu.
»Da habt Ihr recht, Herr!«, meinte die Menschenfressende.
»Mh«, machte der Entenmensch nur.
»Findet ihr, ich sollte Veränderung herbringen?« Der Lord richtete seinen Blick auf die drei Diener. Alle nickten und verbeugten sich. »Sehr wohl. Vielleicht sollte ich die Bevölkerung der Welt darauf aufmerksam machen, was passiert, wenn sie einander verspeisen … Ja, das sollte ich wirklich tun«, sagte der Lord und stand auf.
Keine zehn Minuten später hatte der Lord den ach so strahlenden Himmel in ein tristes Grau getaucht und ließ über jedem Reich einen Bruchteil seiner Selbst erscheinen und denselben Text aufsagen. »Gefiederte, Nicht-Gefiederte! Hört mich an, alle, die ihr nach Macht strebt! Ich gewähre euch Macht, doch nicht konditionslos! Als Voraussetzung für Macht setze ich, dass ihr eure Artgenossen verspeist! Je mehr ihr verschlingt, desto mächtiger werdet ihr! Was ist es euch wert, mächtig zu sein?«
»Eine wunderbare Rede, Herr!«, lobte Quakhardt den Lord und wischte sich eine Träne weg, als er seine Wunden von vorhin abtastete.
»Hoffen wir mal, dass dies auch dazu führt, dass sie einander fressen«, murmelte die Menschenfressende Göttin, die mittlerweile höchst konzentriert mit dem Entenmenschen eine Partie Schach spielte.
»Menschenfressende«, begann der Lord, »nur, weil sie einander fressen, bedeutet das nicht, dass sie auch zu Göttern werden. Und selbst wenn, wer versichert, dass einer aus allen heraussticht und sich gegen mich richtet?«
»Herr, Ihr wollt, dass die jungen Götter versuchen Euch zu töten?«, fragte Quakhardt verwirrt.
»Das ist nun mal Teil des Spaßes«, grinste er zurück.
Seelentransfer
Ein Jahr war vergangen, seitdem Lord Ente die Formel zur Göttlichkeit über die gesamte Welt verbreitet hatte. Gelangweilt zählte er die Sekunden, bis endlich ein Gott den Mumm hätte, sich gegen ihn zu stellen und seinen Platz als Gott einzunehmen, vergeblich.
Er stand von seinem Thron auf und ging die Treppen des Schlosses der Menschenfressenden Göttin hinunter, um sich durch mehrere Leichenberge durchzuwühlen, bis er den verwesenden Körper einer Ente fand und ihn mit nach oben nahm. Auf dem Weg zum größten Turm begegnete er Quakhardt, der die Wendeltreppe heruntergestürmt kam, als er den Lord bemerkt hatte. »O Herr! Ihr bewegt Euch ja mal wieder! Ein besonderer Anlass? Hunger, Durst? Ich mach Euch sofort ein Mahl bereit, wenn Ihr wollt!«
»Nein, danke, Quakhardt, mein Hunger wird noch von Nöten sein«, sagte der Lord und stieg nach oben. Als er die letzte Stufe hinter sich gelegt hatte, warf er den Leichnam unsanft in eine Ecke und begutachtete das gigantische Bücherregal, das gut zehn Meter in die Höhe ragte und damit die Wand komplett bedeckte. Mühelos ließ der Lord es einem Schnipsen verschwinden, sodass es die Ketten freilegte, die sich dahinter verbargen. Er trat näher und schnallte sie sich um die Arme.
In der Luft hängend atmete er tief ein … und wieder aus. Mit dem Atem, der aus dem Mund des Lords entwich, folgte ein leicht verformbarer, dunkler Ball, kaum größer als ein Schädel, der pulsierte und in Richtung der Ente flog, wo schließlich beide aufleuchteten und er ihr Leben einhauchte.
Der Unsterbliche Lord hatte soeben seine Seele auf einen Körper ohne jede Spur von Göttlichkeit transferiert.
Die zerstörte Vase
Es dauerte nicht lange, bis der Lord in seinem neuen Körper eine andere Ente angefallen hatte. Wie ein Untier saß er auf dem toten Tier und pickte die Eingeweide heraus, um sie zu verschlingen, als ihm unwohl bekam. Seine Innereien wirbelten umher und schienen in ein schwarzes Loch hineingesogen zu werden, das mitten in ihm auftauchte.
Der geschwächte Körper des Lords versuchte, aufzustehen, fiel dabei jedoch wieder hin und spuckte etwas Blut. Nach einigen weiteren schmerzhaften Minuten war seine Transformation zu einem Gott abgeschlossen, sein Entenkörper wurde zur Hülle. Triumphierend erhob sich der Lord und grinste breit.
Er leckte sich den Schnabel und starrte mörderisch einen Baum an – nichts. Er ballte seine Hände zur Faust – nichts. Er drehte sich, schnitt Grimassen, trampelte auf dem Boden – nichts, nichts, nichts.
Erschöpft lehnte der Lord sich gegen den Baum und schien förmlich darin zu versinken. Verwirrt blickte er sich um und sah, dass der Baum flüssig geworden ist und doch noch seine Form hatte. Plötzlich verfiel der Lord in wildes Gelächter. Seine Gabe Gottes war, so schien es, die Fähigkeit, Lebendiges zu klarem Wasser zu machen.
Quakhardt war leicht besorgt um den Lord. Seit Tagen hatte er sein Zimmer in Anspruch genommen und ließ ihn nicht rein. Er ging zur Tür, klopfte und fragte: »Meister?« Keine Reaktion.
Quakhardt schluckte und ging zum Entenmenschen und der Menschenfressenden Göttin. »Wisst ihr, ob mit dem Meister alles in Ordnung ist?«
»Der Herr?«, brummte die Menschenfressende und nahm eine Karte vom Stapel in der Mitte des Holztisches.
»Der Herr hat seinen Körper zurückgelassen, um eine Ente zur Hülle zu machen und mit ihr die Welt zu vernichten, die er selbst aufgebaut hat. Oh, außerdem hat er vor, im Körper der Ente seinen früheren zu besiegen, der jetzt irgendwo in deinem Zimmer hängen sollte.«
Quakhardt stand mit geweiteten Augen da und begann, zu hyperventilieren. »Der Meister soll w-weg sein? W-witzig, denn ich habe ihn soeben noch mit mir sprechen hören!«
Der Entenmensch sah die Ente bemitleidend an. »Das ist aber nicht der Herr gewesen. Nicht direkt.«
»W-wie b-bitte?«
»Geh doch mal hoch und schau nach«, meinte die Menschenfressende und verbarg ihr Siegerlächeln. Quakhardt befolgte ihren Rat und klopfte erneut an die Tür seines Zimmers. »Hau ab, Drecksdiener!«, rief es von innen.
»Das hört sich eindeutig so wie der Meister an …«, flog es Quakhardt durch den Kopf.
»Schnabel, Quakhardt!«
Plötzlich erstarrte Quakhardt. Das »Quakhardt« war viel netter ausgesprochen und ohne diese unendliche Spur von Hass, die er sonst immer vom Meister zu hören bekam.
Misstrauisch lugte er durch das Schlüsselloch, sah jedoch nur den Schlüssel, der von der anderen Seite im Schloss steckte. Er trat einige Schritte zurück und rammte seinen gefiederten Entenkörper einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal gegen die Tür bis sie endlich nachgab und nach innen fiel.
»Meister?«, rief Quakhardt und sah sich mit drehendem Kopf um. Als er sich wieder gefangen hatte, sah er den Lord vor sich an der Wand hängen. Geschockt sprang er zurück und stieß dabei eine Vase um, die laut krachend in etliche Scherben zerbrach. Der Körper des Lords hing an Ketten in der Luft und strömte einen starken Verwesungsgeruch aus, der deutlich schlimmer war als dessen Hülle, die vollkommen in Ordnung zu sein schien.
»Meister …?«, flüsterte Quakhardt und trat langsam näher, als plötzlich der Entenmensch hochgerannt kam und fragte: »Was war das?!«
»Mensch? Du meinst den Krach, das war –«
»Die Vase!«, stieß er entsetzt aus und starrte auf die Bruchstücke. »Du Narr!«
»Wer ist hier der Narr? Der, der sein Eigentum in das Zimmer eines anderen stellt oder der, den es wundert, dass das Eigentum von ihm zerstört wurde?«, gab Quakhardt giftig zurück. »Ist doch deine, oder wieso scherst du dich so drum?«
Der Entenmensch sah ihn verständnislos an. »Du weißt wohl nicht, was es mit dieser Vase auf sich hat.«
»Verdammt!«, fluchte der Lord, nachdem er einen weiteren Gott bezwungen, verschlungen und dessen Kraft aufgenommen hatte. Miesepetrig ließ er vom Wasser in Form einer Ente ab und legte sich grimmig und enttäuscht auf den Boden. »Womit habe ich das nur verdient?«
»Ohoho! Hallo, kleines Entlein, das du Trübsal bläst!«, sagte eine ungewöhnlich fröhliche Stimme und ließ den Lord aufschrecken, hinter ihm hatte sich ein Entenmenschenmädchen geschlichen. »Ohoho, nur keine Angst, ich tu dir schon nichts, kleines Entlein!«, versicherte es. »Man nennt mich Ententchen.«
»Ententchen …«, wiederholte der Lord und zog sich noch mehr zurück, bis er gegen einen weiteren Baum stieß, der er sich dann verflüssigte.
»Ein Gott! Ohoho! Du bist also ein Gott! Sag, kleines Entlein, wärst du so freundlich, mir dabei zu helfen, meine Schwester zu befreien? Sie wird von einem Sklavenhalter eingesperrt, irgendwo in der Großen Wüste, wenn ich mich nicht irre, ohoho!«
Der Lord hatte ein seltsames Gefühl dabei, wollte sicher nein sagen, stimmte irgendwie aber doch zu.
»Wunderbar, kleine Ente! Aber in diesem Körper kannst du mir doch nie helfen! Ohoho! Wie wär's, wenn ich dir eine bessere Hülle besorge?«
Widerwillig nickte er. »Ohoho! Prima! Beeilen wir uns lieber, Ententlein wartet sicher schon!«
»Ententlein …«
»Ententchen die Seelenfresserin war in dieser Vase eingesperrt«, erklärte der Entenmensch dem verwirrten Quakhardt, der er aber immer noch nicht verstand. »Gut. Vor einigen Jahren gab es zwei Schwestern namens Ententchen und Ententlein.«
»Ziemlich entige Namen, finde ich«, unterbrach Quakhardt.
»Beide, so heißt es, seien Kinder des Teufels.«
»Du meinst den ersten gefallenen Engel Gottes?«
»Ja, du Narr. Jedenfalls sind sie von Natur aus hinterhältig und zerstörerisch. Beide verfügen über die charismatischen Fähigkeiten eines Vampires.«
»Es gibt Vampire?«, rief Quakhardt offensichtlich entsetzt.
»Nein. Sie verfügen sie über einen zusätzlichen Mund, mit dem sie wortwörtlich die Seele von Leuten heraussaugen.«
Quakhardt grinste dämlich. »Seelen heraussagen? Wie albern!«
»Dazu sehen beide für jeden anders aus, was es erheblich erschwert, sie zu finden.« Der Entenmensch machte eine Pause, weil er einen weiteren Zwischenruf Quakhardts erwartet hatte, doch dieser blieb still sitzen. »Vor gut einem halben Jahr habe ich es geschafft, Ententchen und Ententlein zu finden und einzufangen. Wenn man sie als diejenigen enttarnt, die sie sind, nehmen sie eine schemenhafte Gestalt an, die – wie du sagen würdest einem Monster gleicht, trotzdessen gelang es mir mit Hilfe des geheiligten Messers. Ihre Seelen habe ich schließlich in zwei Vasen eingesperrt. Die eine hast du soeben zerbrochen, die andere habe ich in den Trümmern der alten Ruine in der Großen Wüste versteckt.«
»Okay …«, murmelte Quakhardt und verdaute das Gehörte. »Also habe ich aus Versehen ein Monster freigelassen, das Seelen verschlingt? Na und?«
»Die Seelenfressende wird auf der Suche nach der mächtigsten Seele sein, und du weißt, wem diese gehört.«
»Dem Meister?!« Quakhardt wurde unruhiger.
»Und sobald sie ihn gefunden hat, wird sie ihn entweder sofort bestehlen oder aber auch, sie befreit zuerst mit dessen Hilfe ihre Schwester und sie bestehlen ihn dann.«
Die Ente schien einem Herzinfarkt nahe zu sein. »O Gott!«
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