Urentenbibel: 22-23

Der Eulenkönig
Seit dem endgültigen Tod des Unterjochers der Gefiederten wuchs Neu-Neu-Neu-Entenhausen wieder zu einer Metropole heran. Doch nicht nur Neu-Neu-Neu-Entenhausens Anwohnerzahl stieg rapide. Das Leben verbreitete sich wie eine äußerst ansteckende Krankheit über das gesamte Land hinweg.

Nachdem Lord Ente die Widerspiegelung des Bösen in Person erschlagen hatte, zog er sich erneut in das kleine Dorf im Entenwald zurück, in dem er einst den Wereulen begegnet war. Eines Tages kam ein Bote aus Entingen hergereist und überbrachte dem Lord eine Nachricht des nun entischen Kriegsgenerals Quakhardt, man brauche ihn unverzüglich in Neu-Neu-Neu-Entenhausen. Die für tot geglaubten Eulen seien gesichtet worden. Ente gab dem Boten ein ordentliches Geld für das Überliefern der Nachricht und sattelte sich auf die Reitente im Stall.

Unterwegs nach Neu-Neu-Neu-Entenhausen fiel der Lord vom Tier. Sein schwacher Körper benötigte eine Pizza. Doch seit dem Unterjocher der Gefiederten gab es nichts mehr, das sich nur ihrer Perfektion annähern konnte. Er zerrte sich zurück auf das Reittier und unterdrückte Hunger und Schwindel. Der Weg vom Dörfchen zur entischen Hauptstadt dauerte lange.

An einer in der Dunkelheit hervorstechenden Herberge machte er Rast. In der Wärme bestellte er sich ein wenig zu trinken und ein Festmahl an verschiedensten Gerichten. Binnen Minuten war alles im Magen des Lords. Ach, was vermisste er doch den zarten Geschmack der Pizza! Schließlich setzte er sich ein wenig gestärkt auf die Reitente und durchquerte weiter die Finsternis.

Am nächsten Mittag traf der Lord mit dem vollkommen überarbeiteten Reittier in Neu-Neu-Neu-Entenhausen ein. Man empfing ihn herzlich mit einem halben Dutzend schwarz gekleideter Enten, die ihn in die unterirdischen Tunnel begleiteten, wo Quakhardt ungeduldig auf und ab lief.

»Ihr habt nach mir verlangt?«

Quakhardt bedeutete Ente, ihm zu folgen. »Lange nicht gesehen, Ente. Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst diese Förmlichkeiten unterlassen?«

»Ich bitte vielmals um Verzeihung.« Quakhardt stieß ein leises Seufzen aus. »Ich habe dich nicht herbeigerufen, um mit dir nett zu plaudern. Du weißt von den Sichtungen?«

»Gewiss, alter Freund. Der Brief, den Ihr mir habt zukommen lassen, war detaillierter als so manch anderer Eurer niemals ewiglangen Berichte, die ich in den letzten Jahren erhalten habe. Es seien Eulen in den alten Pizzaminen gesichtet worden?« Quakhardt nickte beiläufig, als Ente und er das Ende des Gangs erreichten, an dem eine protzige Tür stand. Er klopfte neunmal dagegen, woraufhin sich die Tür öffnete.

Im Inneren war ein großer, runder Tisch mit zwölf Stühlen, wovon neun besetzt waren. Als alle Platz genommen haben und nur noch der eine Stuhl unbenutzt war, stand eine Ente auf und dankte alle herzlich für ihr Kommen. »Wir haben Grund zur Annahme«, begann die Ente, »dass die Eulen durch eine Person, die sich selbst als ›der Eulenkönig‹ betitelt, wieder zum Leben erweckt wurden.« Die Deckenlampe flackerte.

»Darf ich Euch etwas fragen, werter Herr Entenstein? Offenbar ist mir ungewiss, wer dieser Eulenkönig ist. Wäret Ihr so freundlich und würdet mich aufklären?« Der Lord wartete geduldig auf eine Antwort auf seine Frage.

Nach einigem Getuschel und Gemurmel mit den anderen Anwesenden stand Quakhardt auf und erzählte vom Eulenkönig. »Der Eulenkönig ist ein gefiedertes Untier. Äußerlich ist er eine Eule. Eine sehr große sogar! Doch er hat kein Inneres. Er ist nichts als eine bloße Hülle. Man sagt, er sei ein Gott wie du, Ente.«

Ente hörte gelangweilt zu und gähnte. »Mehr ist über ihn nicht bekannt?«

»Nein.«

»Und was schlagt ihr vor, sollen wir nun tun?«

Entchente stand auf. »Wir wollen Euch darum bitten, Euch in die eulischen Wälder zu begeben, wo die ersten Sichtungen stattgefunden haben, und den Eulenkönig aufzuspüren.«

Am nächsten Tag ritt Ente nach Eulenheim, einem Dorf im Eulenwald. Laut Quakhardt wurde hier die erste Eule gesehen. Der Lord schlenderte über Eulenheims Straßen hinweg und hielt Ausschau nach dem vom Kriegsgeneral beschriebenen Haus.

Als der Lord das gesamte Dorf abgesucht hatte und nichts vorfand, was dem von Quakhardt beschriebenen Hause auch nur annähernd ähnelte, beschloss er, eine Pause zu machen. Er band seine Reitente an einem Baum fest und öffnete den Beutel voll Essen, den er mitgenommen hatte.

Ente verschlang den ganzen Inhalt mit einem Happen und lehnte sich an den Baum. Wie gut doch eine Pizza wäre! Er zwang sich, an etwas anderes zu denken als an das köstlichste Gericht aller Zeiten, das wegen des Unterjochers der Gefiederten nicht mehr existierte. Ein Rascheln ertönte zu seiner Linken. Ente spürte die Anwesenheit einer Nicht-Ente. »Wer stört mich denn bei meiner Ruhepause?«

»Ich bin ein Bote des Königs. Ihr sollet mich begleiten. Ich führe Euch zu ihm, dem König.«

»Oki.«

»Kommt, ich zeig Euch den Weg!« Nach einem fünfminütigen Fußmarsch erreichten sie eine Lichtung.

»Wo ist denn nun dieser Eulenkönig?« Ente sah sich um. Die Boteneule war verschwunden. Da, wo sie vorhin stand, war nun eine dicke, runde Eule mit einer Pappkrone. »Ihr seid der Eulenkönig?«

»Gewiss doch!«

»Was wollt Ihr von mir?«

»Euch davon überzeugen, Euch den Eulen anzuschließen.«

Zur gleichen Zeit streifte ein ehemaliger menschentischer Ritter des Königs Enterich durch die eulischen Wälder. So namenlos wie er war, ritt er auf seinem pechschwarzen Entenross zwischen den Bäumen hindurch, auf der Suche nach Opfern, die seine Mordgelüste befriedigen würden. Ausgestattet war er mit kräftigem Schilde der Altentischen Rittergemeinschaft »Die Entenfresser«, schnittigem Schwert der königlichen Wache Entenreichs und dicker Rüstung aus dem seltensten Material ganz Entenreichs - dem Entenstein, einem sowohl federleichten als auch robusten Metall, das nur in extremen Tiefen vorgefunden werden konnte und bei dem leichtesten Fehler bei der Ausgrabung eine verhängnisvolle Explosion auslösen konnte. Der Namenlose witterte die Spur umherirrenden Fleisches. Die Augen des Entenpferdes blitzten in der Dämmerung der untergehenden Sonne auf und es ritt mit rasanter Geschwindigkeit davon.

Der Lord sah den Eulenkönig fast lächelnd an. »Ich lehne ab.«

»Wie?« »Ich hege kein Interesse an einer Kooperation mit einem selbsternannten König über untote Zombie-Eulen. Ich wurde gesandt, das erneute Auftreten der Eulen zu stoppen. Entweder Ihr hört auf, die Eulen wiederzuerwecken, oder ich muss Euch töten« Der Lord griff sich ins Gefieder und holte einen Dolch zum Vorschein.

»Ich glaube, Ihr versteht miss. Ich bin einer der Eulen, die die Ausrottungen des Unterjochers der Gefiederten überlebt hat. Und ein selbsternannter König bin ich nicht. Ich wurde schon vor Jahren zum König der Eulen gekrönt. Und das mit dem Auferwecken der Eulen ist ebenfalls falsch. Das sind nur einige weitere der Überlebenden.«

»Oh. Ich hatte gedacht, Ihr seid ein Teufelshuldiger, der sich selbst zum Gott gemacht hat, um seine Artgenossen zum erneuten Verspeisen wiederzubeleben. So leicht kann man sich irren! Haha. Upsi.«

»Habt Ihr nun Lust, den Eulen beim Wiederaufbau unserer Rasse zu helfen? Ihr besitzt doch die Fähigkeit des Erschaffens von Leben, nicht?«

»Hmmm ... Da müsst ich zuerst den Entischen Rat fragen.« Immer noch verlegen wegen des Fehlers verabschiedete sich der Lord vom Eulenkönig und stiefelte zurück zu seiner Reitente. Er trank einen Schluck und befahl dem Tier, sich auf dem Heimweg zu machen.

Auf einer Abkürzung zum Entenland bemerkte er das Klappern von Hufeisen auf dem Boden. Man habe doch nicht vor, ihn auszurauben, oder war es gar der Eulenkönig und er habe ihn angelogen? Räuber gab es so gut wie keine, das wusste Ente. Und wozu sollte der Eulenkönig ein Reittier benutzen, wo er doch so prächtige Flügel besaß? Nein, das hätte auch nicht er sein können.

Mit einem Satz sprang ein nachtschwarzes Entenpferd mit einem Reiter in Entensteinrüstung aus den Büschen hinter der Reitente hervor und verfolgte den Lord. Der Abstand zwischen den beiden wurde schon nach kurzer Zeit auf nur einige Entenfüße begrenzt und der Ritter schlug wild um sich.

Ein Schlag traf das Reittier Entes an dem rechten Flügel, worauf es laut aufquakte. Ein weiterer verfehlte nur knapp den Kopf des Lords. Fieberhaft versuchte er, in den vielen Bibliotheken an Wissen in seinem Kopf die einzige Schwäche Entensteins zu finden. Wie konnte man noch gleich Entenstein zerstören?

Noch ein Schwerterhieb des mysteriösen Verfolgers! Die Reitente des Lords fiel zu Boden - mit ihr auch der Lord. Nun stieg der Ritter ab und ging zu Ente, welcher unter dem Leichnam des Reittieres festhing. »Dass ich den Mörder Enterichs, meines Herren, hier antreffen würde ... Welch eine freudige Überraschung!« Er fuchtelte mit seinem Schwert herum, als wäre es ein Spielzeug, und schnitt in die Rinde eines Baumes. »Sagt, was bringt Euch an solch einen Ort?«

Ente überlegte weiterhin stumm.

»Wieso so ungesprächig?« Der Namenlose glitt mit seinem Schwert vorsichtig über die Wange des Lords. Dann verharrte er und schlug mit Wucht das linke Beinchen ab. Schmerzen überkamen Ente. Aus Verzweiflung benutze er seine Göttlichkeit. Wie erwartet hatte es keine Wirkung auf den unzerstörbar scheinenden Panzer aus Entenstein. Der namenlose Ritter beobachtete vergnügt den Versuch, ihn zu töten, und schlug das andere Bein ab. Nach einer Weile stand er aus der Hocke auf und pikste den reglosen Körper des unter der Reitente feststeckenden Lords an der Brust.

Daraufhin öffneten sich die Augen von Ente. Ihn anstarrend holte der Ritter mit seinem Schwert aus und schlug zu. Um genau zu sein, verharrte er in der Bewegung. Die Welt um Lord Ente wurde noch farbloser als zuvor, und die Zeit schien still zu stehen. Vor ihm war nun der zu Eis Erstarrte ohne Namen, dessen Schwert keinen Entenfuß von Entes Kehle entfernt war. Er schob das Reittier von sich und stand auf.

Das Gefühl der Schwäche war völlig verschwunden. Er ging zum Entensteinträger und entnahm ihm Schwert und Schild. Er rieb sich die Flügel aneinander und die beiden Gegenstände schmolzen dahin in einer um sich peitschenden Flamme, die die Welt lichterloh erhellte. Dann blickte er zur Rüstung des Angreifers. Er zerdrückte sich die eigene Hand und sofortig zersprang der Entensteinpanzer in tausend Stücke. Darunter verbarg sich eine dürrer Menschente mit bleicher Haut. Der Lord starrte dem Wesen ins Gesicht, schaute auf sich hinab und bemerkte, dass seine Beine wieder mit seinem Körper verbunden waren. Langsam beschleunigte sich der Zeitlauf wieder. Die Farben kehrten zurück und wurden kräftiger als zuvor. Der Namenlose sackte zu Boden. Verwirrt blickte er seinen Körper an. Da, wo einst die kräftige Rüstung war, war nur noch bloßes Gefieder zu erkennen. Er spuckte Blut und begann, zu zittern. Ente ging langsam auf ihn zu und packte ihn am Schopf. Einige Sekunden danach ließ er den Besiegten fallen und wandte sich ab.

Er müsse schleunigst nach Neu-Neu-Neu-Entenhausen und die Nachricht über den Eulenkönig überbringen.

Der falsche Lord
»O Großvater, kannst du mir wieder aus der Heiligen Schrift vorlesen?«, fragte ein junges Entlein eines Abends seinen Entenopa.

»Vorlesen!«, lachte der alte Enterich. »Die Geschichte, die ich dir jetzt erzählen werde, die steht noch nirgends geschrieben!«

»Heißt das, sie ist erfunden?«

»Nein, nein ... Sie ist wahr, so schwöre ich auf Leib und Seele. Du erinnerst dich doch an letztes Mal, als der Lord und Ente sich gespalten hatten, oder? Jedenfalls war ein ganzes Jahr vergangen, in dem er wieder zum Gott wurde und sich selbst bis an die Grenze zur Übergöttlichkeit gebracht hatte.«

»Was heißt das?«, fragte das Entlein.

»Aye, wenn ein Gott zu viel frisst, wird er irgendwann übergöttlich, dann hört er auf zu existieren«, erklärte er. »Nachdem Ente der Falsche Lord, schließlich so stark war wie nur möglich, machte er sich auf, um sein Gegenstück zu besiegen, das geduldig in seinem eroberten Land auf ihn wartete.«

»Erobertes Land ...?«

»Ah ja! Der Unsterbliche Lord hatte inzwischen das kleine Taubenreich, einen Großteil des Entenreichs, das Schwanenreich und das unbeanspruchte Land ausgelöscht, während Ente in der Zwischenzeit Kraft sammelte. Schreckliche Zeiten, Junge, und diese nutzte der Lord, um sich eine neue Maske zu erschaffen - die des Unterjochers der Gefiederten. Darauf folgten einige Monate der Versklavung und Ausbeutung. Die Welt war nicht mehr als ein düsterer Ort, über den der Unterjocher der Gefiederten regierte. Dann kehrte Ente zu seinem alten Ich zurück und erschlug den Unterjocher. Doch er war zu spät, die Welt war bereits am Zusammenfallen ...«

Nachdem Ente den Unterjocher besiegt hatte und hoffte, es würde vorbei sein, begann die Erde, wild zu zittern. Gewaltige Risse teilten die Länder auf, der Große Teich schien wie ein Eimer voll Wasser, der herumgeschüttelt wurde, gewaltige Stürme begannen, von überall Zerstörung auszubreiten. Die Welt begann im tiefschwarzen Meer unterzugehen ... Von überall begann Wasser über die flache Ebene zu strömen und Ente mit sich zu reißen, kräftiger Regen schlug nieder und drückte ihn weiter nach unten, sodass er verzweifelt nach Luft rang, bis schließlich sein Blick schwach und glasig wurde. Er erwachte mitten im Rot und trieb hilflos umher. Nirgends war Rettung zu vernehmen. Nicht einmal mit Hilfe des dritten Auges konnte er welche finden. War das alles umsonst gewesen?

Tage vergingen seit dem Untergang der Welt. Es schien neben ihm nichts mehr zu existieren. Als die Nacht hereinbrach, entschied er sich endlich.

Am ersten Tag danach ließ er all das Wasser verschwinden, er sog es alles in sich hinein und enthüllte damit die Ruinen der untergegangenen Welt. Am zweiten Tag vernichtete er die Überreste der untergegangenen Welt, er zertrümmerte alles zu Staub. Am dritten Tag ließ er die Sterne hinabstürzen, er hob seine Hand gen Himmel und ließ sie kraftlos zu Grund fallen. Am vierten Tag erlosch das Licht, er schloss die Augen. Am fünften Tag ließ er den Mond in tausend Teile zerspringen, die auf ihn hinabregneten, er zerdrückte seine Hand. Am sechsten Tag blies er das Feuer der Sonne aus, er pustete sich die Luft aus den Lungen. Am siebenten Tag vernichtete er die kahle und öde Landschaft, er versuchte, zu sterben.

Vergebens, denn er konnte es nicht. Er war das einzige, was die übrige Existenz zusammenhielt. Ohne ihn gab es nichts mehr. Durch das Nichts gleitend öffnete er seine Faust. Der kahle Brocken erschien wieder. Dann atmete er ein. Die Sonne entzündete sich wieder. Danach öffnete er seine andere Hand. Die Einzelteile des Mondes fügten sich wieder zusammen wie ein Puzzle. Anschließend öffnete er seine Augen. Das Licht kehrte zurück. Daraufhin erhob er seine Hand und ließ sie dort auch. Die Sterne rissen aus dem Boden und kehrten zurück an ihre Plätze. Nachdem die Sterne erneut glühten, hämmerte er gegen die Luft. Landmassen wurden wieder hochgehoben. Schließlich spie er das Wasser aus. Er ließ es fließen, formte es Seen. Zum Schluss erschuf er neues Leben und verteilte es auf verschiedene Reiche.

Die alte Welt war gestorben, brach aus ihr eine neue heraus, wie ein Küken, zwang er sich selbst zu vergessen, was geschehen war.

»Er kreierte falsches Leben, falsche Wahrheiten, eine falsche Vergangenheit«, beendete der Enterich zu erzählen und betrachtete das schlafende Entlein. »Welch ein Dreck du doch bist, dass du es wagst, während einer der legendären Geschichten meines Meister einzuschlafen, du Widerling ...« Er spuckte voll Abscheu auf das Haupt des kleinen Federlings.

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