45: Krankenhaus
Die Kannibalengöttin lässt sich eines Tages abholen von der Schule. Hals, ihr Hals ist rot, stark angeschwollen, sie meint, womöglich eine Allergie gegen sonst was, sei aber nicht wirklich in Kontakt getreten zu irgendeinem Allergen. Er sorgt sich, fragt zuhause nach, ob sie noch lebe, das tut sie. Ein paar Tage später im Krankenhaus sie, sie angerufen hat seine Wohngruppe, die Betreuer das Telefon an ihn weitergereicht habend, sie klingt ungut, eine Allergie sei es nicht gewesen, sagt sie, stattdessen habe sie Pfeiferr-Drüsenfieber, lädt ihn zu Besuch ein. Sucht sich die Busfahrpläne raus, macht sich auf, zuvor er jedoch noch was einkaufend für sie. Kommt an, rauf den Fahrstuhl, hat er am Telefon von ihr Krankenhaus, Stockwerk und Zimmer diktiert bekommen. Gefunden. Klopf, klopf. Stille. Öffnet er. Eine alte Dame liegt im Bett, Augen zu, hinter ihr die Kannibalengöttin, grüßt sie ihn. doch das ist es noch nicht gewesen. Da sind noch zwei Gestalten, Männchen, bei ihr, einer auf der ihren Bettkante sitzend, kuschelnd mit ihr, einen Blumenstrauß in der Hand haltend, der andere sitzt auf einem Stuhl bloß. Er hat jetzt nicht mit zwei anderen gerechnet, die sie sich auch noch herbestellt hat. Unwohl ihm, nirgends ein Platz, um sich hinzusetzen, steht er einfach da, der Raum recht eng und klein, traut er sich kein Wort von sich zu geben. Er schaut auf den Boden, ab und an kurz hoch, schaut sie ihn zurück an, erwartend, dann wieder runter. Hört raus, dass die beiden gemeinsam gekommen seien, sogar mit einem Taxi, wird gesagt, denn haben sie ja das Geld dafür. Die sind beide keine fünfundzwanzig Jahre alt, woher wollen die bitte so viel Geld haben, dass sie davon reden, ständig Taxi hin und her zu fahren, und das tun die wohl. Er versucht, ruhig zu bleiben. Angespannt er. Steht nur so auf der Stelle, wartend, dass sie gehen würden, die zwei Affen. Er würde länger hier bleiben als sie, davor gehe er nirgends hin. Ihre Mutter kommt sie auch noch besuchen. Zu viele Leute für den wenigen Raum. Kennen alle einander, nur kennt die Kannibalengöttin ihn und andersherum. Beschwert sich die Kannibalengöttin, dass sie kein Netz hier habe, man müsse bezahlen dafür, für so und so viele Tage Zugriff so und so viel Geld, will er sich zu Wort melden, will ihr was geben, da kommt der eine Affe an, holt sich aus dem Portemonnaie einen Zehner raus, legt ihn ihr hin. Reden miteinander, verabschieden die beiden Affen sich! Jahaha! Sieg für ihn! Ihre Mutter schaut sich die Blümchen an, »Die sehen ja schön aus«, sie geht zur Toilette etwas danach, lässt die Kannibalengöttin und ihn alleine, neben ihnen noch die alte Dame, aber die schläft anscheinend, er reicht ihr stolz zehn Tafeln Schokolade, sie jedoch meinend, dass sie gerade wegen ihres Halses nicht wirklich was essen könne. Oh. Dafür aber dann, wenn es ihr wieder besser geht, jaha! Die Mutter kommt zurück, gehen alle nun nach unten zur Rezeption, um sich das WLAN-Passwort zu erkaufen, bemerkt, dass sie ähnlich miteinander interagieren wie er und seine eigene Mutter es tun würden, sie ihn fragend beim Fahrstuhlfahren, wer er denn sei. »Jonathan«, antwortet die Kannibalengöttin, die Mutter scheint von ihm gehört zu haben, »Der, der dir mal Blumen geschenkt hat?«, das hat er einmal getan, ganz genau, kurz vor der Zeugnisvergabe, da ist er in einen Blumenladen gegangen, hat nach einem schicken Strauß verlangt, ist gefragt worden, zu welchem Anlass, hat nicht rechtzeitig geantwortet, »Für ein Mädchen?«, da ist ihm schon einer sogleich hingehalten worden, hat bezahlt, ist er stolz zurückmarschiert. Ihre Mutter erzählt, dass ihre Tochter sich sehr gefreut habe darüber, wäre es der erste Blumenstrauß, den sie jemals bekommen hätte. SIEG! Er ist besser als der Affe von vorhin! Er fühlt sich wohler. Gehen sie wieder hoch, kommt irgendwann die Unterhaltung zu seinem Autismus, fragt die Mutter, was sich denn anders anfühle als bei einem normalen Menschenwesen, zuckt er mit den Achseln, sei er noch nie eines gewesen, die Kannibalengöttin scheint sich nichts daraus zu machen. Draußen schon sehr dunkel. Ihre Mutter will allmählich wieder gehen, hat Hunger, bietet ihm an, dass er mitfahren könne, sie setze ihn ab irgendwo bei ihm zuhause in der Nähe, fragt ihn, ob er was von einem Fastfood-Restaurant mag, die Kannibalengöttin schüttelt den Kopf, »Der würde nichts essen, selbst wenn der was mögen würde, so ist der halt.« Er fühlt sich verstanden, denn ist dem so, wie sie sagt. Glücklich er, dass sie ihn so gut zu kennen scheint. Verabschieden sich die Kannibalengöttin und er voneinander, die Fahrt verläuft still, einmal am Anfang nur ein »Wie alt bist du?«, die Antwort »16« lautend, »Ah, genau wie sie, gut.« Macht das Radio an. Steigt er aus schließlich, verabschiedet sich, er breit grinsend die letzten Schritte springend, so glücklich er doch ist, jahaha, hussah! Am Tag darauf, er fragt, ob er erneut sie besuchen dürfe, sie lädt ein dazu. Nimmt einige Sachen mit, unter anderem ein klassisches Kartendeck, ein paar Metallpuzzles, die sie noch nicht kennen sollte, und ein paar weitere Dinge, darunter ein paar Kopfhörer, sich direkt nach der Schule welche geholt, ein paar Euro nur, denn hatte sie am Vortag erwähnt, dass sie keine im Krankenhaus hätte. Und los. Kommt er an, fährt nach oben, klopft sachte, Stille, geht rein. Die alte Dame vom Vortag noch immer wie gestern, hinter ihr die Kannibalengöttin. Decke über sich gezogen. Schläft. Er überrascht. Setzt sich auf den einen Stuhl, holt aus der Tasche einen Block Papier wie auch einen Kugelschreiber raus, beginnt er ihr zu schreiben, wie er wieder gegangen sei, weil er sie nicht aufwecken wollte, ihr die verschiedenen Sachen für sie hierlassend, da wacht sie auf, dreht sich um, grüßt ihn, er grüßt zurück. Die Affen von gestern seien heute Morgen bereits hier gewesen sein, ihr Kopfhörer mitgebracht habend. Zu spät. Sitzt bloß, sie an ihrem Handy, fühlt er sich wertlos. Sie zeigt ihm einen Kartentrick, sagt, den kenne er sicherlich aber schon, schüttelt er danach den Kopf, still beide. Beginnt irgendwas, zu piepen bei der im Nebenbett. Weite Augen, schaut er die Kannibalengöttin an, blickt rüber, wieder zurück, fragt sie sie, ob alles in Ordnung sei, kommt nicht wirklich irgendwas zurück. Ein Krankenpfleger kommt, macht schnell irgendwas an einem der Geräte, still wieder. Spielen beide etwas an den Puzzles herum, eigentlich nur sie, weil er schon die Lösungen allesamt schon kennt, sieht er ihr gerne zu, haben Spaß. Sie meint, morgen schon entlassen zu werden, gratuliert er ihr. Dunkel werdend es draußen. Winke, winke, sie ihn umarmend kurz, dankt ihm für sein Kommen, er wie erfroren, verabschiedet sich dann, atmet draußen tief aus. Lächelt. Er freut sich. Tatsächlich hat sie ihn umarmt gerade. Erfüllung.
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