21-30

21: Ausflug zur Gehenna
Lord Ente und seine treuen Diener waren endlich an ihrer Destination angekommen. Ein Tal war es inmitten des Sandes, das brannte immerzu. Dorthin wurden damals die Toten gebracht, um Zunder zu sein, anfeuernd die hungernden Flammen, gierten sie doch nach dem Fleisch. Einst friedfertig gewesen der Ort, lebte ein altes Urvolk hier, doch erzürnten sie die Götter durch eine Sünde so unermesslich schrecklich und wurden bestraft, dem Land wurde das Leben ausgetrieben, den Leuten die Hoffnung, wurden sie aufeinandergestapelt, dass ihre Leichen Berge formten, lodernd seit jeher in unaufhörlicher Qual, die ihre Seelen gefangen waren. Die Gehenna, so nannte man dieses Tal.

»Ah, welch ein Anblick!«, grinste der Lord, begutachtend eine jede verkohlte Gestalt, die stöhnend am Boden nur lag. »Wahrlich, dieser Ort ist was Besonderes. Menschenfressende, was haltet Ihr hiervon, hm?«

»Faszinierend, die Techniken, mit denen die alten Götter gearbeitet haben vor so langer Zeit doch schon«, staunte sie. »Wir müssen welche von den Exemplaren hier mit zurück nehmen, findet Ihr nicht auch, o Lord?«

Der Lord kicherte. »Ach, seist du doch ein Scherzkeks, natürlich tun wir dies.«

Quakhardt versteckte sich hinter dem hünenhaften Menschen. »Mensch, die Dinger schauen uns an«, flüsterte er.

»Vor denen musst du dich nicht fürchten«, gab dieser ihm zurück, »nur weil sie dich anschauen, heißt das ja nichts. Wahrscheinlich sind sie dankbar für unseren Besuch überhaupt. Es ist sicherlich eine positive Ergänzung in ihrem Alltag, dass wir hier sind heute.«

Die zwei Gottwesen hatten nun genügend Alte beisammen. Der Tag war angenehm, eigentlich, wenn man über die unerträgliche Hitze und den fauligen Gestank hinwegsah. Und die ganzen Opfer der alten Götter waren auch einsam, wahrscheinlich.

»Hm«, machte der Lord. »Menschenfressende, wieso nehmen wir nicht allesamt mit zurück? Mitnichten können wir die armen Dinger hier ganz alleine lassen! Was auch immer sie zu ihrer Lebzeit falsch gemacht haben, das sei ja nicht gleich mit einer Ewigkeit an Schmerzen zu büßen, oder? Haben die lange genug doch gelitten.« Die Leichenberge begannen, zu jaulen.

22: Kreis
Wirr waren doch die alten Tage gewesen, und dennoch auf ihre ganz eigene Weise charmant. Er wollte wieder so glücklich wie damals sein, bevor er sich dem Gefängnis der endlosen Existenz bewusst geworden war. So stand er nun in der sterbenden Welt, nicht mehr durchmachen wollend einen weiteren Zyklus, er sich darin erneut vergessend und sich mit der Zeit schmerzlich an seine vergangenen Ichs erinnernd, an ein jedes Leid, das er hatte durchgemacht. Er war alles satt, war mehr als nur lustlos. Allmählich vergaß er, wozu er das alles tat. Er wollte ein schönes Leben führen, lange und mit seinen liebsten Lebewesen, er wollte sich erfüllt fühlen. Aber wäre es das wirklich? Wäre all das Leid es wert, um nun dieses eine sagenumwobene Mal glücklich zu sein? Der Kopf brummte, Gedanken kamen deformiert und degeneriert hervor. Seufzen.

Ein Geräusch. Ente wachte auf, lauschte mit geschlossenen Augen. Große Schritte. Zwei ... Menschen? Entonio und die Menschin wurden nun allmählich auch wach. Man hörte das Laub, die Menschen näherten sich. Gingen ... vorbei? Es machte den Anschein. Entes Begleiter hatten es auch mitbekommen, lagen reglos mit weiten Augen im dunklen Inneren des hohlen Baumstamms. Unmöglich, dass die Menschen sie nicht gespürt hatten. Ente konnte ihnen keine wirkliche Göttlichkeit ablesen, so sei es dem womöglich geschuldet?

Die Menschin wollte etwas sagen, da hörte die Zeit zu laufen auf. Schon wieder. Ente wurde zurückgerissen. Er funktionierte fehl. Bei ihm waren Zahnräder ausgebrochen, wenn nicht gleich das gesamte Uhrwerk, das sich Verstand nannte. Nimmer mochte die Qual es wert sein, einst dann Freude zu empfinden für nur geringe Zeit zudem noch. Haut begann, zu jucken, wollte das darunter frei sein, doch was lag bitte unter ihr? Fleisch und Knochen wohl, Instrumente des Verstandes, der er zerfiel, lag auf dem Boden und bahnte sich durch ihn die Idee, aufzugeben endlich. Furcht davor, aber dann würde es letztlich friedlich sein und ruhig, wäre fern ein Leid.

23: Erwachen
Mag sehen der Blick noch nur das Schwarz, seien Schlangen hier, die sie pflastern den Grund, mögen beißen nach jenem, was tritt auf sie, zischen sie, speien sie. Eben das Land, doch formt es Hügel aus Leichen, die sie sich erheben mögen wie Wellen, verschlucken sie Grell und verwischen einen jeden Sinn, dass zurückbleibt bloßes Unwohl in aller tiefster Dunkelheit.

Arme regen sich nicht, so auch die Beine, der ganze Körper wie gelähmt. Augen vernehmen etwas, das nicht aus der Welt der Gefiederten stammt. Er ist Mensch erneut. Zurück in verkommener Welt, lange bereits verloren er. Krabbelt heraus aus seinem Sein ein Wesen, älter als die Existenz selbst, verlässt ein Hauch ihn, kommt abhanden es, das es von äußerster Wichtigkeit sei für jegliches Leben. Zeigen sich ihm erneut die Bilder, überkommen Visionen ihn von Tagen weit fern, was mochte nur möglich sein, eine jede verfehlte Chance fegt vorüber, Reue füllt ihn vollkommen, schwappt über, tränkt ihn in beißende Kälte, nimmt ihm jegliches Empfinden nur. Gefangen er in endlosen Zyklen sei, Ausbruch nicht in Sicht, fällt tiefer er hinein in Graben, er sich selbst aushebend ihn, auf dass er sein mag sein eigener Untergang.

Gibt sich ihm ein fernes Licht, doch sei es nicht für ihn bestimmt. Sei bald er bereits vollständig gebrochen, dass nimmer er wieder sein mag wie er sich ersehnt so sehr, fremd sich seiner, ein bloßer Schatten nur noch, verweilend im Stillstand absolut. Sei scheinbare Erlösung nicht die seine.

24: Schrank
Raum leer. Schwebt er in ihm ohne Empfinden. Der Körper wie tot. Sieht er nichts, hört er nichts, schmeckt er nichts, riecht er nichts, fühlt er absolut nichts. Genauso gut könnte er gleich sich auflösen. Ein Schrank vor ihm. Seien die Türen doch zu, pulsiert er. Blinzeln. Nein, zurück bloß, mag er sein ein hohles Wesen, verdiene er es nicht geringer, schließe er sich weg eine jede Qualia, dass er verkümmern mag in vollkommener Isolation, denn sei dies sein Wunsch. Mag er nicht mehr empfinden wollen, denn zu empfinden schließt das Fühlen von Schmerzen mit ein, sei es doch tief verankert in der Idee, zweifelnd an sich selbst, doch habe er keine Kraft mehr, um weiterzumachen als Lebewesen, als Mensch.

Immer und immer wieder sei es dasselbe. Dieselben Gedanken, die sie in Endlosschleife abgespielt werden, widerhallen im Schädel, zerbrechend ihn allmählich, zu viel es werdend. Er sei sich kein Gott, gar nicht mal ein Wesen von geringster Bedeutsamkeit nur. Parasit, ein Parasit sei er, mehr nicht als dies. Schrank, hinweg, sollst gehen du aus dem Blick, aus dem Sinn. Selbst wenn er nimmt sich selbst die physischen Empfindungen, sein Geist sei zu ewiger Pein doch verflucht worden, denkend er ans Ende bloß, er es sich herbeisehnt, er langend danach.

Schrank im Weg. Blinzeln. Öffne ihn. Ist er doch zu, und Furcht kommt auf, sei grundlos nicht er verschlossen. Bebt er. Schlüssel in Hand, wird sie ausgestreckt, quietscht es, offenbart sich das Innere ihm. Drei Schatullen. Klappt er die erste auf, Scherben seien drin, Trauer füllt ihn. Schließt er sie wieder, klappt er die zweite auf, Scherben seien drin, Enttäuschung füllt ihn. Schließt er sie wieder und greift zur letzten, hält er inne jedoch. So viele dürfe es nicht geben. Nein. Klappt er die dritte auf, nichts sei drin, Leere füllt ihn. Gibt es doch Dritte wohl, er nachgebend der Erschöpfung. Scherben auch schon bald darin liegend. Was sei zu tun nur? Drei sind im Schrank, lebt er.

25: Konversation I
Blick starr. Gibt es drei wohl. Er weiß sie sich zuzuordnen. Findet er sich wieder in seinem Bett, die Decke oben bekannter Anblick, klafft in ihm ein dunkles Loch. Die Luft ist sich schwer zu atmen. Warm. Unwohl. Licht dringt spärlich nur in sein Zimmer, die zwei Fenster seien geschlossen, die Rollläden allesamt ganz unten. Bloß unter dem Türspalt lugt es hervor noch ein wenig. Würde er sich verkriechen gern tief unter die Erde, fern allem nur. Sein Körper regt sich nicht mehr sonderlich. Das Einatmen, Ausatmen, der lahme Herzschlag. Mund ein Strich. Zeit vergeht kaum. Liegt er bloß da, vor sich hin vegetierend. Sein eigener Gefangener.

Der Schrank, der sich ihm hat aufgetan neulich. Er muss fort mit all seinen Inhalten. Er möchte nicht so weitermachen. Aber dann wird er zerbrechen vollends, verliert er dann alles, was ihn ausgemacht hat, noch immer ausmacht. Wäre er dann wahrlich eine Hülle nur noch, kein Schimmer mehr von Identität. Blinzeln. Er verdient sich kein Gottwesen. Waren bisherige alle nur goldene Kälber gewesen. Mag sich wahrscheinlich stets nur ein Götze ihm geben. Es überkommt ihn eine Unlust allem gegenüber. Er dreht sich.

Eine breite Bühne, antizipierendes Publikum. Scheinwerfer zeigen auf die Vorhänge, die sie langsam zur Seite gezogen werden. Jubel. Zeigt sich inmitten des Scheines wer, der Federgott, der Entenherr, der Lord der Gefiederten! Das Publikum klingt allmählich ab, der Lord wartend bis zur vollkommenen Stille. Schnabel öffnet sich. »Aye, was soll das?«

»Lord, was soll ich tun?«

»Sei mir kein Affe, Bursche! Was denkst du bitte, was du tun sollst, eh?«

»Ich weiß es nicht, drum frage ich ja auch Euch.«

»Was fühlt sich zu tun richtig an?«

»Aufzugeben.«

Wildes Gelächter, sowohl vom Lord als auch dem Publikum. »Magst mir ja ein Tor sein, was für einer, ja!«

»Nehmt wichtig Euch selbst, glaubt Euch als unsterblich. Wenn ich möchte, kann ich Euch zum Verschwinden bringen.«

»Kind, sieh dich selbst an. Seist du nimmer doch in der Lage dazu, deine Gedanken und Drohungen in die Tat umzusetzen!«

»Ich hoffe, dass sich dies schon ändern mag bald.«

»Gruselig, so gruselig, ja.« »Wartet es nur ab, Lord.«

»Bleibt mir nichts anderes übrig ja, was sonst soll ich schon unternehmen, hm?«

Pause. »Was kümmert mich das schon? Seid Ihr letztlich eh nur ausgedacht, habt Ihr kein Verständnis nur für das meine Empfinden, weil Ihr von mir nicht dazu ausgelegt wurdet. Seid Ihr ein geschätztes Idol, das ich es mir selbst habe erschaffen. Nicht mehr als das.«

»Was hast mich dann du herbestellt für?«

»Wen zum Reden brauche ich. Ich will als ich reden, nicht als Ihr, das sei mir derweil nur an einem anderen Ort wahrlich möglich, selbst wenn Ihr auch manchmal dort übernehmt.«

»Übernehmen nicht, eher lässt du mich passieren ja einfach. Auch ich sei ein soziales Wesen, jaha.«

»Wozu lügen?«

»Aye, sei ich gelangweilt, Bursche.«

»Ebenso.« Stille. »Ich möchte, dass Ihr mich fortan alleine lasst, Lord.«

»Was bringe dir das bitte, hm? Willst eingehen du wie ein Blümchen im Winter?«

»Vielleicht. Womöglich aber wachse ich auch.«

»Zweifel.«

»Hege ich auch. Aber was bleibt sonst übrig?«

»Was soll ich das wissen? Solange ich existiere, kann es mir auch egal sein vollkommen.«

»Danke Euch.«

»Kein Problem. Machst jetzt weiter mit dem Nichtstun, abgesehen vom gelegentlichen Trauern in Selbstmitleid?«

»Ihr sagt es.«

26: Konversation II
»Ente?« Stumm. Kommt ihm keine Antwort. Schrank vor ihm erneut, atmend. Blick trist, trübe. Die drei Kisten in ihm, in der letzten davon, darin -

»Verzeihung?«

»Lord?«, korrigierte er sich selbst.

»Hast gerufen?«

Nicken. »Das habe ich.«

»Was möchtest du?«

»Nur etwas Gesellschaft, wisst Ihr?«

»Das weiß ich.« Stille. Unangenehm eigentlich, doch macht das nichts aus.

»Helft mir.«

»Wobei?«

»Zu leben. Bitte.« Er schwebt inmitten des Nichts, ohne Antrieb, ohne Ziel, im absoluten Stillstand er, beschaut er sich die Leere, bis auch diese irgendwann zu sein aufhören wird. Er fühlt sich schlecht dabei, an das Ende zu denken. Wie anders war es von dem hier? Diesem ... Limbus, so lacht er sich. Er will ungerne nur weitergehen, sehnt sich nach dem Früher, aber er kann nicht zurück, nicht mehr, denn er ist bereits zu weit gelaufen. Das Früher ...

»Das Leben, es kann schön sein, nicht?«

»Das kann es, ja. Aber nicht zu schön. Es wird immer irgendwo Mängel geben, Schattenseiten, Imperfektionen. So ist es aber einfach.«

Die Worte mag er. »Findet Ihr?«

»Ich denke eher, dass du deine Gedanken auf mich projizierst und ich das deswegen sage. Heißt aber nicht, dass ich dem nicht zustimmen würde oder es deswegen falsch sei.«

Er lächelt irgendwie. »Ich fühle mich ... gut?«

Zeit ist vergangen, nicht einmal viel. Er liegt wieder im Selbsthass, verabscheut und verflucht sich doch die ganze Existenz, will er ferner an die äußersten Grenzen vorstoßen, sich lösen von einem letzten Gefühl, einem letzten Gedanken, möchte er einfach nur sein, unbeschwert vollkommen.

Was hatte er sich auch gedacht? Sein Verstand begann aufzuhören.

»Was tust du da, Affenviech?«

»Lord?«

»Aye, was soll das? Hast du mir nicht vorhin noch was darüber erzählt, dass es dir doch gut ginge, eh?«

»Ich kann mich nicht lange motiviert halten«, kichert er.

»Ja, sehr nicht lange.«

»Es hilft nur noch, weiter zu gehen an den weitesten Rand. Dort wird es mir besser gehen.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich hoffe es. Schlechter wird es mir dort ja kaum wohl ergehen können als hier oder noch weiter zurück. All die negativen Dinge, mir reicht es einfach. So zu leben, das ist kein echtes Leben, nicht für mich. Wenn ich mir Hoffnungen um was mache, werde ich enttäuscht, so ist es immer eigentlich.«

»Was redest du überhaupt?«

Der Mund ein Strich. »Ich weiß selbst nicht. Ich will einfach nicht so verweilen müssen. Ich zerbreche mir sonst. Ich will nicht alleine sein, will bestenfalls mein Leid teilen mit wem und deren Leid mit mir geteilt bekommen. Ich will wieder glauben können, dass das wenig Gute im Leben den ganzen Schmerz wert ist.« Er lacht über sich selbst. »Das wird nie der Fall sein. Nie wieder, denn ich bin defekt vollends.«

27: Rand
Nah am Ende ist er. Kurz vor der letzten Mauer, die sie alles Sein umringt, darüber hinaus die Inexistenz, die sie nicht einmal als absolute Leere beschrieben werden kann, denn gibt es diese dahinter nicht. Sein Körper ist komplett fort, sein Verstand nicht mehr als ein Bündel einzelner Gedanken. Er kann seine Umgebung nicht mehr spüren, hat sich selbst entschieden dazu. Er gleitet davon, wird näher gezogen, merkt es nicht einmal mehr, schwindet alles aus ihm, verwischt.

Endlich ist er hier. Dort, wo alles endet. Der Ort, an dem fremd ist jegliches. Würde er jetzt sterben? Er nimmt nichts wahr. Ist er bereits tot? Was heißt es, zu sterben? Er fühlt sich schon lange nicht wahrlich lebendig. Er stirbt.

»Bitte nicht.«

Stimme aus dem Nichts, hört er sie, ohne nur hören zu können. Wird er zurückgerissen, weit zurück, formt sich wieder sein Körper, schnappt er nach Luft, heult er lautstark auf. Er verabscheute sich.

Es tut weh, absolut alles schmerzt so unglaublich sehr. Seine Hände am Zittern, sein Körper kalt, schwach, bebend er, sich zusammenkauernd, fühlend wieder sich selbst, der Kopf zerbrechend, will er zerplatzen einfach, drückt es von außen und innen gegen den Schädel, zerfällt er in sich selbst, fängt auf alles, was zu greifen ist.

Der Entenherr kommt daher. Besieht er sich das arme Wesen zu seinen Entenfüßen. »Bist zurück, du Affe.«

»Das bin ich, Lord …« Die Kehle brannte ihm.

»Hast umentschieden dich etwa? Die Furcht dich überkommen hat?« »Ich … Ich habe Angst davor. Viel zu große Angst. Und wurde mir zudem verboten.«

»Verboten? Von wem bitte? Du darfst tun, was du möchtest, Narr.«

»Das aber nicht.«

»Ein Tor bist du. Sag, was sonst beabsichtigst du zu tun?«

»Ich will glücklich sein. Das kann ich nicht, wenn ich denn nicht existiere.«

»Das wird es nicht wert sein, das sei bewusst dir doch. So sehr wie du es auch haben möchtest, all das Schlechte im Leben kann niemals nur annähernd ausgewogen werden, durch keinerlei Mittel. Es wird dich runterziehen, an deinem Verstand zehren, dich hinunterreißen bis zum Grund des Meeres, all das Wasser auf dir liegend, dich zerdrückend, herauspressend jegliche Hoffnung, dass du letztlich nichts mehr als hohl bist, du wirst verlieren alles …«

Kopfschütteln.

Grinsen. »Seist ein Masochist wohl?«

»Ich bin keiner.«

»Was also machst du dann bitte hier?«

»Geht bitte.«

Der Lord tut, wie ihm gesagt wird, verschwindet im Nichts, lässt zurück ihn ganz alleine, umgeben von Leere, frisst sie ihn langsam auf, er sich nicht mehr wehren könnend, kraftlos.

28: Limbus
Verzehrt man ihm die Seele nur, dass übrig bleibt sein bloßer Körper nur. Doch was sei dieser, ein Gefängnis ohne Insassen wohl, ein ausgehöhltes Gefäß? Was sei er schon? Ein Geist sei er, jawohl, befeuert vom Körper. Doch sei er getrennt von diesem, und dennoch sei er, mag in der Lage dennoch sein, sich und seine Umgebung wahrzunehmen. Trotz dessen mag der Fleischbeutel sich Informationen aufnehmen, werden aber diese nirgends verarbeitet. Nicht? Sei in diesem ein tief verborgenes Bewusstsein wohl? So auch er benötigt nicht seinen Körper, um zu erkennen sich selbst. Fließt er wieder zurück, atmet er wieder.

Was macht er hier bitte noch? Das weiß er nicht. Nur ist ihm klar, dass ihm untersagt ist, erneut zum Rand sich aufzumachen, und zurückzukehren zur Existenz in ihrer Gänzlichkeit, auch das ist nicht mehr möglich. Das ist kein Ort für ihn. Dort gehört er nicht hin. Wo also hat er zu sein dann? Ist er letztlich dort, wo Veränderung nicht eintritt, die einzige Variable sei er, und er könne sich befreien nimmer aus dieser Endlosspirale, die sie ihn stetig tiefer fallen lässt, ihm zeigend immer wieder aufs Neue die Verzweiflung, die sie sich anmengt, ihm fortnimmt ein jedes kleinste Entzücken nur, sei jenes überhaupt erst vorhanden jedoch.

Stets sei es dasselbe, kann er sich selbst nicht retten, sei er seine eigene Geisel, wird gehalten von seinem Verstand, lässt er sich nicht zurückkehren, denn Tod erwarte ihn dort, sowohl in der Existenz wie auch der Inexistenz. Sei der einzig sichere Ort das Dazwischen. Nur hier kann er sein, denn fürchtet er sich vor dem Ende, will er es nicht. Doch selbst sei dieser Ort ihm einer der Qual. Seine eigene Vorhölle. Sei er hier alleine mit seinen Gedanken bloß, und eben jene verschlingen ihn allmählich, haben sie dies schon immer getan, doch sei Zeit ihm fremd, besitzt er nichts, um abzulenken sich, rotiert die unsichtbare Uhr im stets zunehmenden Tempo, ebenso gewaltig werdend sie, wütend in seinem Inneren, wollen sie ihre heisernen Schreie erklingen lassen, schwingen sie alle in Dissonanz voneinander, ein einziger Missklang, stimmen sie an die Hymne des Königs ihrer, ein fremdes Ding aus Zeiten, älter als die Existenz, bestehend es aus purstem Nichts, nähert er sich ihm langsam, um zu stehlen alles, was ihn ausmacht noch.

29: Albtraum
Augen auf, brennt tief etwas, lodert ein Inferno in seinem Inneren. Hände leer. Lebt er? Ungewiss sei es ihm. Isoliert ist er. Von allem sonst abgeschnitten. Fehlt ein Teil seiner Selbst ihm. Wodurch nur mag er Erfüllung erlangen? Sei es ihm letztlich unmöglich, wo er ist alleine nur, fern die Existenz. Sei ihm alles gleichgültig doch, denn letztlich macht es keinen großen Unterschied, nicht? Jegliches Gefühl im Körper verloren, bloß übrig ihm Schmerzen nur. Sind diese ja besagt, Signal zu sein, dass etwas beschädigt sei, nicht? Mensch sei er, und doch nehme er sich nicht wahr als einen. Etwas in ihm ist kaputt, nicht auszutauschen. Nicht auszuhalten ist es. Zersplittert ihm der Kopf, brechen aus den Rissen Gedanken heraus, benebeln sie ihm die Aussicht auf die Leere, bringen sie hervor Bilder, die sie als ungern gesehen gelten. Trugbilder offenbaren sich ihm, legen sich wie Schleier über ihn, vermischen Traum mit der Leere.

Liegt er friedvoll im Boot, wird er umgeben von finsterster Düsternis, legen sich Hände an ihn, ziehen, zerren, reißen. Wütet das Meer, kippt Bötchen um, hagelt es Nadeln hinunter, spießen sie ihn auf, bohren sich in sein Fleisch hinein, flieht er weiter unter die Oberfläche, beginnt zu köcheln das Wasser, brennt ihm die Haut ab, schält er sich, legt ab seine Hülle, entblößt er sich als unförmiges Ungetüm, dem Auge schmerzend, er fühlt die letzte Luft ihm entweichen, verfällt er in Panik, der Sinn von Richtung lahmgelegt, seien Oben und Unten nicht mehr voneinander zu entscheiden, sinkt er tiefer zum Grunde, hinein in offenes Maul, schließt es sich, schluckt ihn runter, er sich wiederfindend auf lebendigem Boden, zwischen lebendigen Mauern, verlässt ihn allmählich die Kraft, stoßen sich Fänge durch Fisch und wird er im Sog mitgewirbelt, Körper schwer wie ein Stein, letztes Gefühl verebbt. Zeigt sich ihm doch ein Licht, packt ihn eine Klaue, zieht ihn noch tiefer, zum Boden entgegen, wo wartet auf ihn das Höllentor, sich öffnend nur für ihn, werfend ihm entgegen die Visionen vom Untergang, endlose Folter, die sie erwartet dort ihn.

Schnappt er nach Luft, heizt sie ihn auf wie einen Ofen, speit er Flammen, verkohlt sich die Innereien, verdampft er sich, trocknet aus, kauert er sich zusammen, bettelnd um ein Ende, da zeigt sich ihm düstere Gestalt, saugt sie jegliches Lichte ein, ist es die Personifikation von Nacht, reicht mit den Armen nach ihm, ergreift ihn sich, hebt ihn zum leeren Himmel an, beschaut ihn sich. Schmeißt ihn weg, fällt er in geschmolzene Masse, umhüllt sie ihn, verliert er sich ein letztes Mal, überkommt ihn die Unlebendigkeit.

30: Glück
Wacht auf er erneut. Liegt er still im Nichts. Wozu macht er das alles durch? Glücklich, das wolle er nur sein. Mag ihm hier im Limbus kein Glück doch begegnen, denn sei dieses Teil der Existenz fest. Schmerzen, sie machen alles aus. Sind vorhanden an einem jeden Ort, zu einer jeden Zeit, bloß unterschiedlich intensiv. Die Existenz ist der reichste Ort. In ihr liegt alles in Unmengen, auch das Leid, so sehr ausgeprägt wie doch nirgends sonst. Würde er verschwinden wollen am liebsten, sich auflösen einfach, aber sei er gebunden. Will er die letzte Fessel noch brechen, sei er aber in vielen, die sie alle zuerst sich zu entledigen gehören. Er sei machtlos. Besitzt er keine Kraft dazu. Muss er bezwecken, sich loszureißen von allem nur, so müsse er vorher gewinnen an Stärke.

Augen zu. Wie sei anzustellen dies? Mag er zurückkehren in die Welt der Lebendigen, um Glück zu erfahren? Was sei ihm sein Glück? Wie mag er es erlangen wollen? Glück, das sei ihm mehr als nur freudiger Gemütszustand. Dass alles impermanent ist, das verursache in ihm die Frage, wozu dann überhaupt. Glück, das sei ihm permanent. Eine Wonne, die sie nimmer enden mag, währt bis selbst zum absoluten Schluss noch und darüber hinaus. Sich die Pein des Seins erträglich zu machen, sie zu teilen. Sei das aber bloß die Idee eines Tors, denn letztlich sei alles endlich doch. Mag er nimmer sich sein wahres Glück finden, so sei es ja schlichtweg unerreichbar.

Was machte ihn einst glücklich? Nahrung. Unterhaltung. Jemand, der einen versteht und der verstanden wird von einem. Halte alles begrenzt nur an. Je länger jedoch, umso bitterer ist es danach, je glücklicher man ist, desto schlimmer das Ende des Glücklichseins. Macht es einen abhängig, denn sei sich der Körper ein kaputtes Instrument für den Verwerflichen, ausgelegt dazu, um sich am Leben zu halten bloß, den Verstand wollen lassend mehr, suchend nach Erfüllung, und bricht er oftmals gerade deswegen, wenn ihm keine sich offenbart.

Wenn Glück ihm zukommen mag einst wieder, wie sei zu handeln? Mit dem Wissen darum, dass es bloß temporär ist, wie sei zu handeln? Um jeden Preis verhindern wollend den Sturz danach, wie sei zu handeln? Kehre er zurück in die Existenz, würde er übermannt werden von Verzweiflung, würde er aufhören damit, lebendig zu sein, unmöglich ihm Glück. Mag es ihm hier jedoch genauso ergehen, wo ihm hier nichts sich gibt als selbige Verzweiflung. Nein, denn sei sie dort noch schlimmer als hier. Nimmer mag sich ihm rechtzeitig ein Glück bieten. Bevor er langfristiges Glück erfahren mag, sei er bereits verkommen, und würde er dies wohl auch dann sein, wenn er sich befinde ganz oben an der Spitze des Glücks, denn so mag ihm nicht entgegnen das Ende davon, bringe er sich sein eigenes Ende, wo er dann gerade sein mag am glücklichsten.

Er könnte aufhören, zu sein, genau jetzt. Es würde nichts ändern, wirklich. Nur sei er dann unglücklich gestorben. Selbst das macht keinen Unterschied, denn es gibt kein Danach, und dennoch missfällt ihm die Vorstellung. Dies hier, das sei ihm kein Ort für den Tod. Sei er ein nobles Wesen doch, nicht?

»Bist kein nobles Wesen«, echote es um ihn herum. Es tauchte der Lord auf. »Du seist ein Narr, ein Idiot. Denkst an die Wiederkehr an jenen Ort? Träum dir nichts vor, du wirst untergehen, wirst kollabieren, und dem seist du dir bewusst.«

»Was mag ich dann hier tun stattdessen?«

»Hier lebst du, so frei wie es nur möglich wem ist. Und beabsichtigst dennoch du, dem hier deinen Rücken zu kehren? Besser als hier kann es dir nicht ergehen, so sei mir dankbar gefälligst, dass ich dich überhaupt habe hergebracht, denn sonst wärst schon nicht mehr. Wenn du dennoch sterben magst, dann tu dies hier, aber zwing mich nicht dabei, dir weiter beim Kaputtgehen zuzusehen in der Hoffnung, dass es irgendwann dir wie von selbst besser gehen mag, du Affenviech.«

»Ich gehe, Lord. Ihr habt mir ausgedient.«

»Magst wiederholen das, was anderer Dreck dir angetan hat, eh?«

»So bin ich schließlich ja auch Dreck. Wie anders habe ich mich zu verhalten als zu nehmen, was sich mir gibt, damit zu verschwinden dann?«

»Aye, schweig. Gehab uns beiden wenigstens die letzte Würde, du Dreck. Wenn du wirklich aufzuhören beabsichtigst, tu dies jetzt. Störe keinen mit deiner Widerwart, spar dir das Unnötige. Stehe zu dem, was du bist, ein Feigling nämlich, so hast du dich zu verhalten wie einer auch. Ich lass dich nicht zurückgehen.«

»Versucht mich doch abzuhalten.«

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