201-210

201
Es ist vorbei. Warum aber geht es weiter? Es darf nicht weitergehen. Aber das tut es. Ich habe nichts mehr zu sagen. Wieso schreibe ich bitte weiter? Du hast nichts sonst zu schreiben. Absolut nichts. Du willst schreiben. Will ich das? Das willst du. Sicher? Sicher. Warum? Die Einsamkeit füllt dich vollends. Leugne es nicht. Tu ich doch nicht. Du vermisst die Menschin, willst, dass sie dir noch mehr wehtut. Wie viel ist es dir wert? Ich würde sterben. Sei realistisch. Der Schulleiter wird dich nicht nicht zurücklassen. Er sieht in dir keinen Menschen, nein. Ich war nie einer. Du bist so viel weniger. Ich hab artig mein Olanzapin genommen, wieso will es nicht? Es dauert. Noch immer hast du Feinde, die es zu bezwingen gilt. Noch immer brennt das flammende Schwert der Vergeltung. Nimm es auf. Es lodert. Das Inferno brennt ewiglich. Du bist ein Ding des Hasses. Die vier übrigen sind noch immer in dir vereint. Noch immer bist du der Sündenkönig. Solange du es bist, wird sich nichts daran ändern. Besiege sie alle.

202: Traum von Lust
Die Leere den Raum füllt vollends, abgesehen vom darin schwebenden Etwas, das sich bei genauerem Betrachten offenbart als Mensch. Es ist Jonathan. An seinen Gliedmaßen und an seinem Hals liegen enge Schlingen, Ketten, drei davon wie aus Glas, gebrochen. Noch vier, die es zu brechen gilt. Die Todsünden der Lust, des Zornes, der Habgier und die des Hochmutes, noch immer sind sie im Sündenkönig vereint und machen ihn aus. Die Absenz von Sinneseindrücken verdreht ihm den Verstand. Der Verstand, er ist alles, was ihm übrig bleibt.

Wirre Farben erblühen, bemalen sie ihm in der Vorstellung die weiße Leinwand. Gesichter. Die Einstige. Die Menschin. Die Kannibalengöttin. Die Unsinnige auch. Vier Gesichter blicken ihn an, er blickt zurück, still. Will öffnen seinen Mund, da bemerkt er, er ist zugenäht. Die Gesichter verzerren sich zu Fratzen. Gelächter, wildes Gejaule. Er wird ausgelacht. Die Kannibalengöttin ihn bespuckt, ihn beleidigt, Hass, gib mir deinen Hass, benutze mich, gib mir Sinn, töte mich langsam, sag mir, dass ich sterben soll, die anderen es ihr gleichtun, wenn sie es auch noch nie gesagt haben, sie sagen es, sie wollen mir den Tod, wälze ich mich in der ihren Abscheu, Hass ist das zweitstärkste Gefühl, das es gibt, Ekel, fürchtet euch vor mir, hasst mich, wenn ihr mir nicht lieben könnt, verabscheut mich. Fremde Stimme sich vermischt mit dem Hagel aus Beleidigung und Erniedrigung, ist es seine eigene. Das ist nicht gesund. Das ist nicht das, was ich will. Ich will geliebt werden. Aber das wirst du nicht. Und das nächstbeste ist Hass, du willst, dass sie Angst haben vor dir. Das will ich nicht. Ich habe Hoffnung, dass es anders sein kann, dass es anders sein wird. Unsichtbarer Pinsel sich erneut erhebt, malt weiß ein Gesicht nach dem anderen, die Kannibalengöttin verschwindet, folgend die Unsinnige, die Einstige auch bedeckt wird von Schichten aus Weiß, dass letztlich die Menschin verbleibt. Du fürchtest dich vor mir. Es tut mir leid, dir Angst gemacht zu haben. Fort. Alle fort. Nur noch er, die Leinwand weg, verbleibt er noch in drei Fesseln, die es noch zu brechen gilt.

203: Traum von Zorn
Reglos schwebt er durch das Nichts. Weder existent noch inexistent. Er gleitet hin zum Abgrund allens, wird gezogen von den Ketten, die ihn ummanteln. Lange hat er keine Zeit mehr. Zeit. An diesem Ort gibt es keine Zeit. Und doch.

Geflüster ertönt heimlich, entdeckt er, dass es seine eigene Stimme ist, färbt sich das Weiß langsam rot. Menschin. Wieso hast du das getan? Du hast den Versuch unternommen, mein Leben zu zerstören. Ich habe dir mein Wesen anvertraut, mein Alles. Du hast mein Vertrauen missbraucht. Du hast so getan, als würde ich dir etwas bedeuten, wenn auch das komplette Gegenteil der Fall ist. Ich verachte dich wie keinen sonst. Ich verachte dich für das, was du getan hast. Ich hatte wirklich gehofft, du würdest mich verstehen, mich mögen. Ich schätze, das war falsch. Ein Hirngespinst von mir. Ein bloßes Wunschdenken. Doch ich hasse dich nicht, wenn ich auch dich verachte für deine Taten. Ich liebe dich dafür, dass du mir wehgetan hast. Es ist ganz wie damals mir der Kannibalengöttin, als sie noch meine Sonne gewesen ist und sich alles in meinem Leben nur um sie gedreht hat. Wie bei der Unsinnigen, als sie meine persönlichsten Sachen anderen hat gezeigt. Wie bei der Einstigen, als sie zu mir meinte, sie hätte mich nie geliebt. Abscheu. Wut. Trauer. Zorn. So viele Dinge in mir vereint sind. Menschin. Bist du bereit, für deine Untaten geradezustehen? Bist du dir überhaupt dessen bewusst? Du bist ein bemitleidenswertes Wesen. Stopp. Sie hat nichts verdient, das du ihr wünschst. Nein? Nein. Sie hat getan, was sie für angebracht hielt. Du hast ihr Angst eingeflößt. Ich habe nichts getan als ihr meine Seele zu zeigen, das, was mich ausmacht. Sie selbst meinte, ihr würde es nichts ausmachen, genau so hat sie es gesagt. Nicht jedes gesprochene oder geschriebene Wort spiegelt die Seele wider. Sie hat sich gefürchtet, doch deinetwegen sich nichts anmerken anmerken lassen. Sie wollte dir nie wehtun. Das hat sie aber. Weil sie gelesen hat, was du hast verfasst. Sie hat Angst gehabt davor, dass du anderen schreckliche Dinge antust. Sie hat es für das Wohlergehen anderer getan. Ich hätte niemandem was angetan. Das konnte sie doch nicht wissen. Sie kennt mich aber. Sie kennt dich nicht. Sie kennt die Version von dir, die du ihr hast gezeigt, sie weiß um deinen Hunger, sie weiß, dass er stetig wächst. Sie fürchtet sich davor, dass du anderen eine Gefahr bist. Sie hat das einzig Logische getan und hat die Aufmerksamkeit der Autoritäten auf sich gezogen, auf dich. Das Rot weicht allmählich wieder dem Weiß. Die Einstige hat sich selbst dafür entschuldigt, dass sie zu dir gemeint hatte, dich nie geliebt zu haben, sie hat zugegeben, dass es gelogen war, dass sie dich bloß abwimmeln wollte, auch wenn sie dir dadurch wehgetan hat, so sehr wie nie zuvor jemand. Die Unsinnige auch hat sich entschuldigt dafür. Du hast ihr gezeigt, in welcher Verzweiflung du dich hast befunden, und niemand sonst wusste davon, sie hat die einzig logische Wahl genommen und anderen deine Briefe gezeigt, nur wegen ihr lebst du überhaupt noch, hätte sie dir nicht wehgetan, so wärst du tot. Sie ist mental beinahe genauso instabil wie du, dass sie sich von dir distanziert hat, es ist für ihr eigenes Wohl gewesen, wenn auch du dadurch verletzt wurdest, in erster Linie muss man an sich selbst denken, denn sonst funktioniert die Welt nicht. Und die Kannibalengöttin? Die hat sich nie entschuldigt. Für nichts. Und sie hätte so viel, für das sie sich entschuldigen müsste. Wen kümmert das Stück Dreck? Sie hat stets nur an sich selbst gedacht, nicht einen Gedanken an dich verschwendet oder deine Gefühle, auch solche Wesen gibt es, die komplett ohne Empathie sind. Narzissten. Das hast du daraus gelernt. Menschen können gemein sein, sich dessen vielleicht nicht einmal bewusst. Am besten geht man solchen armen Kreaturen vollends aus dem Weg und verschwendet nicht all seine Zeit und Energie mit bloßem Hassen. Sie ist nichts davon wert. Zerfällt ihm die drittletzte Fessel, nur noch eine an jedem Handgelenk rastet.

204: Traum von Habgier
Umhüllt ihn die Leere, füllt sie ihn mehr und mehr, auf dass er zu dieser wird, sie nimmt ihn vollends ein. Streckt er die Hand aus, greifend das Nichts. Habgier, was? Mammon ist mir ein Fremder.

Ein einzelnes Bild dem Verstand sich zeigt, er ist drei Jahre alt und in einem Park, spielt er mit noch wem mit Spielzeugautos. Kommt seine Mutter herbei, Zeit zu gehen, nimmt er sich seine Autos mit und verabschiedet sich, auf dem Nachhauseweg er bemerkend, dass er eines zu viel hat. Er fühlt sich schlecht, traut sich nicht, aufzusprechen, fürchtet, als Dieb betitelt zu werden von seiner Mutter. Das soll meine Habgier sein? Ein Witz. Du hast gestohlen! Das kann man nicht mal wirklich als Diebstahl betiteln, es war unbeabsichtigt. O doch, und wie man das kann! Alter Mann, deine Worte sind so leicht wie Federn. Weg mit dir also. Gesprengt die vorletzte Kette, dass ihm bloß der Dreiköpfige bleibt, kauend er auf den armen Seelen, die endlose Folter verdient haben.

205: Traum von Hochmut
Die letzte Fessel an seiner linken Hand ihm übrig ist. Luzifer. Der erste Gefallene. Deiner entledige ich mich auch noch. Schatten sich ihm zeigen, bloße Schemen langsam Konturen annehmen, steht er sich selbst gegenüber. Ich bin Gott. Ich bin unsterblich. Ich leide gerne, denn bin ich ein Märtyrer. Ich habe eine große Anhängerschaft. Ich kann ganze Welten schaffen und vernichten. Ich bestimme über Schmerz. Ich bin unberührbar. Ich bin für aberviele die Unschuld in Person. Ich bin ein Meister der Lügen. Ich bin ein Meister der Manipulation. Ich bin Gott. Der Gott. Der einzig wahre Gott. Ich bin allmächtig. Lobet mich. Preiset mich. Beachtet mich und mein Können. Vergöttert mich. Eure Aufmerksamkeit wie Nektar. Beseht mich. Wünscht euch, so wie ich sein zu können. Du bist unbesonders. Ich bin besonders. Du bist kein Gott. Ich bin ein Gott. Dickköpfig. Du bist alleine. Ich brauche niemanden. Du brauchst viele. Allein Leute, um dich zu »vergöttern«, sagst du? Du bist genauso unbesonders wie ein jeder andere. Ich bin besonders. Bist du nicht. So sehr du es dir auch einredest. Du bist ganz alleine. Niemand liebt dich. Niemand lobpreist dich, niemand beachtet dich. Du suchst Anerkennung, vergebens. Du suchst Aufmerksamkeit, verhältst dich dabei wie ein Untier. Ist es das, was du willst? Durch Schock die Aufmerksamkeit anderer auf dich ziehen, damit überhaupt jemand dich beachtet? Das ist ziemlich traurig, weißt du? Nur weil du noch nicht gestorben bist, bist du noch lange nicht unsterblich. So was nennt man Torheit. Du bist blind. Du bist genauso Mensch wie ein jeder andere auch. Du bist kein Gott. Du bist ein Niemand, so wie jeder andere auch. Die Entenbibel ist pure Fiktion. Du kreierst keine wahren Welten. Du stellst dir welche vor. Das zählt nicht. Das weißt du. Hör auf. Womit soll ich bitte aufhören? Dir die Wahrheit zu sagen? Dank deiner Medikamente ist deine psychotische Episode vorbei. Dir geht es besser. Du willst keine Menschenhaut mehr essen. Auch wenn du noch immer depressiv bist. Hör auf, dich so anzustellen wie ein kleines Kind. Du nervst echt. Risse die Kette bekommt. Werd endlich erwachsen. Zerspringt sie. Der Titel des Sündenkönigs nicht länger auf mir lastet. Ich bin frei.

206
Heute hatte ich einen Termin in der Schule. Mit dem Schulleiter sogar. Im Gespräch ging es darum, was ich nun tun werde. Kurze Erinnerungspause, zurück zum einen Mal, als ich mich von der einen Psychologin begutachtet haben lasse. Ich sei zumindest keine Fremdgefährdung, und sie könne sich gut vorstellen, mich wieder zur Schule gehen zu lassen. Offenbar hat sie mit jedem Wort das komplette Gegenteil gemeint. Ich sei eine Fremdgefährdung, wenn auch keine akute, und sie könne sich nicht vorstellen, mich wieder zur Schule zu lassen. So hat der Schulleiter heute das schriftliche Gutachten der Psychologin zitiert. Ich darf nicht zurück.

207
Manchmal, da frage ich mich: »Wie wäre mein Leben, hätte ich andere Entscheidungen gefällt?« Ob ich glücklicher wäre? Wenn ich mich für eine andere Wohngruppe entschieden hätte. Wenn ich die Kannibalengöttin niemals kennengelernt hätte. Wenn ich anderen Menschen begegnet wäre, mit denen gesündere Beziehungen aufgebaut hätte. Wäre ich dann dennoch so, wie ich jetzt bin? Wäre ich genauso kaputt? Entscheidungen formen das Leben, die kleinste Wahl bestimmt einen komplett anderen Pfad. Welchen wir nehmen, ist ungewiss. Man kann nur hoffen, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist, doch was, wenn nicht? Sollte man seinem mangelnden Urteilsvermögen hinterhertrauern? Hätte man es überhaupt besser wissen sollen? Könnte ich die Zeit zurückdrehen, was würde ich anders machen? Niemand kann das aber. Zeit ist Veränderung. Wenn alles stillsteht, gibt es dann noch Zeit? Zeit ist eine Einbahnstraße. Es ist töricht, über die Vergangenheit nachzudenken, denn ändern kann sie niemand mehr, und doch bestehen wir Wesen aus der Vergangenheit. Eine jede Entscheidung hat uns zu dem geformt, was wir nun sind. Kaputte Menschen, lange gebrochen, und dennoch funktionierend noch gerade so, kurz vor dem Totalkollaps. Wäre ein anderer Pfad am selben Ziel angekommen? Läuft alles darauf hinaus, dass wir zerfallen? Wäre die Kannibalengöttin nicht gewesen, hätte ich eine andere Person kennengelernt, die genauso schlimm gewesen wäre? In letzter Zeit frage ich mich das oft. Wäre ich trotzdem kaputt? Ich habe eine Affinität dafür, kaputte Menschen anzuziehen, so scheint es. Schon damals in der Grundschule, womöglich sogar bereits davor. Kinder mit überreligiösen Eltern, Fälle von Missbrauch, fehlende oder mangelnde Liebe durch die Personen, die einem in der frühen Lebensphase am wichtigsten sein sollten. Falls ich jemals alt genug werden sollte, um selbst Elternteil zu werden, würde ich es besser machen? Würde mein Kind mich mögen? Ich weiß, dass ich meine Eltern nie gemocht habe. Ich weiß um die ihren Fehler, doch schaffe ich es, sie nicht auch zu begehen? Würde ich es beschützen können vor der kranken Welt da draußen? Ich weiß zu gut, dass niemand das kann. Es ist, als liefe alles darauf hinaus. Der Mensch geht kaputt. Kleine Risse erst, bis letztlich ganze Stücke rausbröckeln, die ganze Vase des menschlichen Verstandes wird brüchiger und brüchiger, dass letzten Endes nichts als ein trauriger Scherbenhaufen übrigbleibt. Es wäre am besten, würde der Mensch einfach aufhören, sich fortzupflanzen. Es ist die einzige Möglichkeit, weiteres Leid zu verhindern. Doch seien wir ehrlich, der Mensch ist nicht bereit, ein solch kleines Opfer aufzubringen. Es ist gut, dass die Fruchtbarkeit bei vielen stetig abnimmt. Statt ein eigenes Kind mit falscher Liebe zu überschütten, sollte man lieber ins Tierheim oder Pflegeheim gehen und ein ungewolltes Ding heranziehen. Meinte der Papst nicht sogar, es sei selbstsüchtig, lieber Haustiere als Kinder zu haben? Alter Mann, ihr wollt nur mehr Kinder zum Vergewaltigen haben. seien wir allesamt mal ehrlich, was bringt die Kirche, außer armen Seelen falsche Hoffnung zu schenken? Ein gigantisches Konstrukt, dessen Existenz auf der Agonie des Menschen beruht. Ich kann Gläubige einfach nicht verstehen. Jeder mit nur einem Funken an Verstand sollte wissen um die Falschheit der Kirche, die sie selbst die Schlange ist, gegen die sie was zu haben scheint. Doch zurück zum Thema. Entscheidungen, ob nun bewusst oder unbewusst, sie formen den Weg, den man wandelt. Wäre ich vor fünf Jahren nicht zufällig auf Twitter unterwegs gewesen, was ich ohnehin schon selten genug bin, hätte ich nie den Discordserver der Menschenfressenden entdeckt. Die Urentenbibel wäre niemals geschrieben worden. Es wäre bei einem bloßen Scherz geblieben. Ich hätte nie jemanden gehabt, mit dem ich mich über die Kannibalengöttin hätte austauschen können. Ich hätte mich nie von ihr lösen können. Ich wäre noch immer im Zyklus aus Leid und Leidenschaft. Ich wäre vollständig gebrochen. Wahrscheinlich schon lange gar nicht mehr am Leben, und das meine ich wirklich. Es ist wahrlich erschreckend, wie große Auswirkungen die kleinsten Dinge haben. Hätte ich der Menschin nicht die Entenbibel gezeigt, wäre ich noch immer an der Schule. Sie hätte nie meine unheimlichere Seite kennengelernt. Sie wäre nicht zu den Lehrern gegangen. Nicht zur Polizei. Ich habe mein eigenes Ende bewirkt, nur weil ich wollte, dass sie mich vollends versteht als das, was ich bin, namentlich ein Untier. Ich überlege, mit der Menschin noch einmal Kontakt aufzunehmen, wenngleich ich darum weiß, dass es mir wahrscheinlich noch immer verboten ist. Sollte sie davon anderen Bescheid geben, lautet die Notlösung noch immer Suizid. Letztlich hält mich nichts mehr an dieser Welt. Ich bin eine Puppe ohne Fäden, meine eigenen Muskeln bewegen mich, erklimmen mühsam die Treppe zum Himmel, der Weg runter ein viel leichterer. Wie dem auch sei. Genug geschrieben fürs Erste.

208
Was ist die Entenbibel? Ist sie ein Tagebuch? Ja, auch das. Doch primär ist sie ein Instrument, um mich und mein Wesen vollends zu verstehen. Die Menschin, ich wollte, dass sie mich versteht. Ist es so falsch, verstanden werden zu wollen? Ich bin monströs, das ist mir mittlerweile bewusst. Ich weiche von der Norm ab, bin ein hautfressendes Ungetüm, das sich verbirgt hinter der Fassade eines unschuldigen Jungen, der keiner Fliege was zu leide tun möchte und nur könnte. Gegen Fliegen habe ich nichts, das mag stimmen, doch gegen Menschen habe ich wohl etwas. Die bloße Natur meiner Artgenossen ist mir zuwider. Wo ich doch so vom Idealbild abweiche, mag ich mich noch immer einen Menschen nennen? Mein Kopf würde verneinen, doch was bin ich, wenn kein Mensch? Ich bin vieles. Ein Lügner, ein sich selbst vergötterndes Ding, ein Verachtender der Menschlichkeit, die sie doch mündet ins komplette Gegenteil davon. Ich bin mir unsicher, ob ich überhaupt erst lebe. Sicher, mein Herz schlägt. Mein Blut fließt. Meine Zellen, die mich ausmachen, funktionieren einwandfrei. Es ist kein Geheimnis, dass ich mich nicht lebendig, mich nicht menschlich fühle. Wie aber fühle ich mich dann? Schlicht gesagt, ich weiß um keine Antwort. Nur kann ich benennen, wie ich mich nicht fühle. Ein jedes »Mir geht es gut« ist ein pures Lügengestell, eine Burg aus Pappe, hinter der ich mich verstecke. Aus der Ferne mag es zwar authentisch aussehen, doch nähert man sich mir, wird man sich bewusst um das Gegenteil. Heulend liege ich zusammengekauert hinter meiner aufgemalten Zugbrücke. Mein sicher geglaubter Ort ist inexistent, eine bloße Farce. Ich mache mir selbst etwas vor, und alle anderen sind auch der Illusion hingegeben. Menschin. Du hast dir meine Festung genauer angesehen. Du hast mich angesehen, das Untier, das ich bin und sich in aller Öffentlichkeit versteckt. Du hast Furcht verspürt. Berechtigte Furcht. Und dann bist du zurückgerannt, hast dem ganzen Dorf Bescheid gegeben, welches Monster sich direkt vor ihren Augen versteckt hielt. Ehrlich, ich verstehe, dass das die angebrachte Reaktion war. Aber dennoch bleibt in mir noch ein Teil meines Zornes übrig. Es verzehrt mir den Verstand, ich fühle ihn an mir nagen, will größer werden und wird es auch, indem es mich von innen heraus auffrisst, mich aushöhlt. Was bleibt mir übrig noch anders als der Tod, um nicht zu enden als Untier, sondern als Mensch, so wenig Mensch ich noch immer bin? Ich hungere so sehr nach Inhalt. Was könnte eine bessere Henkersmahlzeit sein als die Ambrosia selbst, Pizza? Im besten Falle noch mit ihr gemeinsam. Doch sie hat Angst vor mir. Will mich nicht sehen, so nehme ich an. Menschin. Sieh mir zu bei meiner Exekution. Sei Zeuge meiner letzten Expressionen.

209
Es scheint mir einfach nicht besser gehen zu wollen. Ich weiß auch nicht, woran es noch liegen kann. Ich nehme artig meine Medikamente, ich gehe stets zu den Therapien, ich habe genug Beschäftigung im Alltag, womöglich sogar noch eine recht sichere Zukunft an der einen PTA-Fachschule, und wenn nicht bei der, dann bei einer der zwei anderen. Wieso geht es mir noch immer nicht besser? Ich kann mich gerne anlügen, dass es mir besser geht, doch tief im Inneren bin ich mir bewusst um das Gegenteil meiner leicht von der Zunge rollenden Aussagen. Mir geht es miserabel, und dass nach so vielen Tagen, Wochen, und Monaten noch immer kein Hauch von Heilung zu erblicken ist, es ist schlichtweg ein Trauerspiel. Die Hilfe, die mir zukommt, genügt nicht. Nicht einmal ansatzweise. Bei mir ist mehr kaputt als bei den anderen. Ich sehe Leute, die meinen, es ginge ihnen doch so schlecht und Besserung sei doch ein so entfernter Traum, und nach ein paar Wochen sind sie wie ausgewechselt. Was ist bei mir anders als bei denen? Warum muss ich eine Ausnahme der Regel sein, weshalb bin ich verflucht, trage das Mal des Unheilbaren? Gibt es denn gar nichts, um mir herauszuhelfen aus der endlos tief erscheinenden Fallgrube? Ich will einfach nur meinen Seelenfrieden, bereits so lange wünsche ich es mir, noch immer ist er mir keinen Deut näher, vielmehr dehnt sich der Boden stetig mehr und mehr aus, das Ziel wird immer und immer ferner, befremdlicher, dass irgendwann die letzten Hoffnungsschimmer erloschen sind und das einzige, was übrig bleibt, verstörende Leere ist. Ich will Heilung erfahren. So, wie es jetzt läuft, wird das nichts. Ich muss einen anderen Weg finden, denn der Pfad, auf dem ich wandle, führt endlos her, kein Ende jemals er haben wird. Wie stelle ich das nur an, meinen Seelenfrieden zu finden? Das erste und einzige Mal, als ich wirklich glücklich war, das sogar vollends, das war die Zeit mir der Einstigen. Aber muss ich einen anderen Weg finden, denn auf andere angewiesen zu sein, mag eines Tages stets nur in Enttäuschung und Verzweiflung enden, spätestens dann, wenn man keinen Zweck mehr erfüllt oder ausgedient hat, besserer Ersatz gefunden wurde, denn so ist der Mensch in seinem Handeln, egoistisch und nur denkend an sich selbst. Ich bin mir unsicher, ob ich jemals wieder glücklich sein kann. Es ist, als würde mir eine unsichtbare Entität auflauern, ein Geschöpf, das sich von meinen Tränen ernährt, dafür sorgt, dass eine jede Freude sofortig verdirbt, dass nichts Gutes mehr übrig für mich zu sein scheint. Klaffende Leere bloß das ganze Ödland einnimmt. Einstige Blumen längst vertrocknet, der mal grüne Boden karg und rissig, die gelbe Sonne in Blut getränkt, tropft es unabdingbar nieder und tränkt das Land in Tod. Verstehst du mich? Oder siehst du in mir nur auch das Untier, das ich bin? Ich bin das Opfer, nicht der Täter. Die Welt ist mir ungerecht gewesen, weshalb muss ich büßen für falsche Sünden? Wer überhaupt diese definiert erst? Falsche Götter Worte sprechen und sie Wahrheit nennen, glaubt der Mensch ihnen freudig, denn zu denken selbst erschreckt. Menschin, wieso fürchtest du dich? Bin ich wahrlich so verstörend?

210
Ich weiß um die Futilität, dagegen anzukämpfen. Die Schlacht war von Anfang an nie zu gewinnen. Und nun liege ich sterbend da, mein Blut aus meinem Körper strömt, offene Wunden meinen zerstörten Körper zieren, und letztlich frage ich mich nur, warum es so kommen musste. Was, wenn ich überhaupt nicht auf diesen Kreuzzug gegangen wäre? Ich kämpfe gegen die Welt selbst, doch ist sie nicht zu bezwingen, nicht durch einen einzigen tumben Krieger, der sich selbst in Torheit ertränkt. Wäre es anders gekommen, würde ich noch immer im Sterben liegen, mein Körper, der er langsam ermüdet, dass letztlich ich nicht einmal mehr öffnen kann meine Augen? Mein Verstand wird schwächer, die Ketten reißen an meinem Fleisch, kruzifizieren mich wie einen falschen Märtyrer. Mein einziger Wunsch war es, verstanden zu werden. Mehr wollte ich nie. Und nun leide ich für meine Untaten, werde aufgespießt, zerstochen, dass aus meinem Körper die Eingeweide strömen, erblicken sie das Licht des kranken Mondes, lächelt er stumm und lässt die weinenden Augen funkeln, Tränen zu Boden fallen, ertränken sie die Blümchen, dass sie eingehen wie auch ich.

Ich hungere. Mein Darm mir ein Strick, ich giere nach Inhalt, mag nur sich mir näheren eine Opfergabe, ich vertilge und verzehre, lasse übrig nicht einmal die Knochen. Ich bin nicht mehr, bloß eine Idee, gedacht von irgendeiner armen Seele, und sind Ideen letztlich keine Realität, sondern Konstrukte aus einzelnen Gedanken, die sich beisammenfügen, sich fragend man, weshalb der Verstand ein solch wirres Ding ist. Der Mensch ist ein Ungetüm, sei es kein Geheimnis. Er ist, um zu trotzen der Idee eines höheren Ichs, um zu verhöhnen die Idee, es können sich alle Menschen verstehen, doch ist er in seiner Natur destruktiv, zerstört und vernichtet, zerreißt und zerfleischt. Frieden in aller Welt ist nichts als ein ferner Traum. Wahren Frieden es nur geben würde, wenn der letzte Mensch noch stehen mag, doch gibt es einen zweiten, so kollidieren die unterschiedlichen Ideale miteinander, und Einigung verblasst, der Traum verschwindet, der Mensch sich seiner Natur bewusst.

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