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Habe vorhin mit der Menschin geschrieben. Sie hat mich gefragt, ob ich überhaupt will, dass es mir besser geht, denn auf sie wirke es nicht so. Will ich das? Ich will Tod. Aber ich darf das nicht wollen, zu sterben hat sie mir verboten, drum darf ich nicht. Aber ich will, glaube ich. Auch wenn ich nicht darf. Noch immer ist mir kaum was lieber als zu sterben. Aber Besserung, will ich die wirklich? Ich glaube nicht an Besserung, bezweifle, dass irgendwas jemals besser wird. Es ist einfach nicht realistisch. Insbesondere, wenn man die »Hilfe« betrachtet, die mir hier in der Psychiatrie geleistet wird, ein absoluter Scherz. Medikamente können die mir geben, aber nichts hilft wirklich, einfach nichts. Das Problem kann man einfach nicht so schnell beseitigen, doch was überhaupt ist das Problem, wenn nicht ich selbst? Solange ich atme, solange ich lebe, solange will ich auch sterben. Schon jahrelang. Die können mir nicht helfen. Absolut keiner kann mir helfen. Die Bereitschaft, zu sterben, die wenigstens ist geringer mittlerweile, das auch nur wegen dem Verbot, doch das Verlangen nach Ableben, es ist durch nichts einzudämmen, rein gar nichts. Zu leben, für mich heißt es, sterben zu wollen. Ich will einfach nicht mehr.
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Die Anzahl der Mir-geht-es-eigentlich-schlecht-Phasen sinkt von Zeit zu Zeit, was gut ist, denke ich, wenngleich noch immer sie vorhanden sind und mir stetig die Hoffnung auf vollkommene Besserung ermeulcheln. Gutes Essen, die Ambrosia also, sie hilft dabei, positiver zu sein. Zumindest für die Zeit, in der ich esse und danach noch einige Stunden. Ich will nicht abhängig sein von der Nahrung, die ich aufnehme. Ich will auch glücklich sein können, ohne notwendigerweise Pizza zu essen, wieso aber ist es dermaßen schwierig? Mache mir gerade Nudeln. Das Wasser kocht noch nicht. Schmecken werden sie auch nicht annähernd so gut wie die Frucht der Götter. Habe mir neulich, vorletzten Mittwoch wäre das, ja zwei Spiele für meine Switch geholt, namentlich Pokémon Schwert und Fire Emblem Warriors, wobei ich Warriors mit Three Houses verwechselt habe, doch diesen Samstag habe ich geholt, was ich ursprünglich wollte. Muss sagen, es gefällt mir sehr. Schwert habe ich mittlerweile schon durch, es ist leider doch nicht so meins, aber die Dynamax-Kämpfe sind schick, davon aber abgesehen, es ist recht öde, wenn man alles einmal gesehen hat. Was ich neulich herausgefunden habe, ist, dass man seit dem neustem Systemupdate der Switch eine Internetverbindung braucht, um Spiele zu spielen, die man digital erworben hat. Muss also immer meinen Hotspot anschalten, wenn ich was Spezifisches spielen will, in etwa auch Three Houses, denn habe ich es im Laden nicht gefunden, welch Schande. Zusätzlich wird man neuerdings beim Spielen unterbrochen, wenn man lange genug die Konsole nicht hat überprüfen lassen, ob man die Software verwenden könne. Lästig für mich, aber wenigstens habe ich dank Mutters altem Handy nun Netz, um das zu tun. Denke aber, dass das nicht mehr so klappen wird, wenn ich mein Datenvolumen aufgebraucht habe, aber werde ich ohnehin nun weniger am Handy sein, ich bin gespannt auf hunderte von Stunden, die ich in Fire Emblem hineininvestieren kann, jawohl.
Okay, die Nudeln sind gleich fertig. Nach dem Konsumieren schreibe ich weiter.
Habe der Menschin erzählt, dass sie mein neues Gottwesen ist. Und dass das letzte Mal drei Jahre gedauert hat, bevor ich mich befreien konnte. »Uff« war ihre Antwort. Kurz danach kam es zu fdeb171. Dennoch, sie meinte immerhin, dass sie dennoch da für mich wäre, auch wenn sie nichts erwidern kann.
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Habe vorhin Rummikub mit zwei anderen gespielt. Erinnerungen an die Unsinnige sind folglich wiedergekehrt. Habe sie so gut wie möglich zu verdrängen versucht, doch sickern sie durch die verbarrikadierte Tür, der Grund durchweicht und droht, einzubrechen, mich mitzunehmen in die Abgründe über meinem Spinnennetz, die bodenlosen Tiefen stets in meinem Blick. Nichtsdestotrotz, die Erinnerungen waren zunächst positive. Der Wandel hat erst dann stattgefunden, als das Spiel sich dem Ende geneigt hatte. Wahrscheinlich sollte ich noch mehr vor die Tür packen. Schwerere Hölzer, Balken aus Stahl und Gott weiß was sonst noch alles.
Meine kurze Zeit alleine auf dem Viererzimmer ist nun bereits wieder vorüber. Mittlerweile schläft mein Zimmernachbarn schon und tut ebendies schnarchend. Korreliert das, Schnarchen und psychische Ungesundheit? Oder schnarchen tatsächlich so unerträglich viele Viecher? Zum Wohle vieler bin ich keines dieser bemitleidenswerten Wesen, deren Nachtruhe die anderer verhindert. Zusätzlich habe ich seit morgen wieder Ergotherapie, seit vielen Wochen ja habe ich keine mehr, und nun denken die plötzlich wohl, dass es mir wieder guttäte. Törichte Kreaturen, was soll mir das bringen? Ich häkle bereits hier, weshalb das also noch im Beisein anderer tun, zu leiden eh kaum einer, und gefällt mir die Ruhe, die mir ab heute nicht mehr gestattet ist. Die kommenden Tage werden wahrscheinlich noch mehr Individuen ins Viererzimmer ziehen, ich mag nur hoffen, dass die möglichst wenig Zeit hier drin verbringen, dass ich wenigstens diesen Platz hier als Rückzugsort habe, doch Hoffen führt stets zu Enttäuschung, drum streiche dir das sofortig aus deinem Schädel, möge es noch so schön sein.
Ich habe Hunger. Mittlerweile schmecke ich wieder gänzlich. Die Sachen hier sind alle so blargh-ig. Ich giere nach Chips. Bei Lidl sind Pringles im Angebot. Die scharfen sind gut, denn die Schärfe hindert mich daran, alle auf einmal zu konsumieren, zudem die Sättigung dadurch eher eintritt. Morgen ist wieder Einzelvisite. Muss dort unbedingt sagen, dass ich raus dürfen will, so ein bisschen ziemlich sehr stark. In den Garten zu dürfen, das ist für mich dasselbe wie gar nicht raus zu dürfen. Ich tu mir schon nichts an, ich war auch draußen, als ich am Samstag in der Wohngruppe war, reibungslos ging das vonstatten, bei Gott, der er inexistent ist.
Nun denn. Solange die Nacht noch jung ist, werde ich nun weiter Fire Emblem spielen. Es sprengt all meine Erwartungen. Im positiven Sinne, sich natürlich versteht. Bin nun mit dem ersten Part durch, mit dem ersten Kapitel des zweiten nun auch, es ist göttlich gut. Eine gute Entscheidung war es gewesen, Three Houses am Samstag zu kaufen, eine unglaublich gute, jawohl. Der Tavormensch, mit dem ich ab und an ja Schach spiele, meinte, am kommenden Wochenende würde er seine eigene Switch mitnehmen, er hätte Mario Kart, wenngleich er sich bewusst ist, dass er gegen mich unterliegen wird in jeglicher Hinsicht. Mein alter Zimmernachbar, der ja meinte, er sei so gut in Mario Kart, der war miserabel schlecht, selbst schlechter als die Computer auf der leichten Schwierigkeitsstufe, es war sehr beschämend für ihn, und ausgelacht habe ich ihn für Monde am Stück. Wie dem auch sei. Ich habe ein Spiel zu spielen.
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Morgen und am Wochenende soll es in die Belastungserprobung gehen, beidemale mit Übernachtung. Die wollen mir noch immer keinen Einzelausgang geben. Gut, mache ich das dann halt, wenn ich in der Wohngruppe bin. Vor November sollte ich noch nicht entlassen werden, wurde auch gesagt. Ich kann es nicht verstehen. Fühle mich stabil genug, und nur deswegen überhaupt bin ich doch überhaupt erst hergekommen, oder nicht? Morgen bin ich ganze sechzehn Wochen hier. Etwa vier Monate. Die wollen es wirklich auf fünf hinauslaufen lassen, potentiell sogar ein komplettes halbes Jahr. Hach, wozu aber nur, ich sehe den Zweck nicht. Ich habe echt keine Lust mehr, hier zu sein. So gar keine. Überlege, ob ich mich nicht theoretisch selbst entlassen kann. Weiß nicht, ob das überhaupt eine Option ist. Zudem wollen die das Zyprexa bzw. Olanzapin von 10 auf 15 Milligramm erhöhen, haben es bislang noch immer nicht gemacht, heute vielleicht aber. Wenn ich keinen Unterschied merke, solle ich das nächsten Dienstag erwähnen, dann geht es wieder runter. Ich will Kekse backen, aber haben die hier nicht genügend Backzutaten dafür, denn plane ich, große Mengen herzustellen, und zu fragen, ob wer mit mir ausreichend Sachen einkaufen geht, ich bezweifle, dass ich das schaffen würde. Na ja, morgen bin ich ja eh in der Lage, einzukaufen, sei’s also drum. Kuchen! Kuchen will ich auch machen, aber die haben hier keine Formen, glaube ich. Obwohl, sicherlich doch, wahrscheinlich dann im Schrank, der abgeschlossen ist, weshalb auch immer der es ist, da sind auch Siebe drin, Töpfe sind aber frei zugänglich, ich verstehe es nicht. Ich backe einfach in der Wohngruppe und nehme das ganze leckere Zeug mit zurück.
Vorhin ist mir dank des Tavormenschen bewusst geworden, dass November ja bereits in wenigen Tagen beginnt, ich somit auch nicht mehr lange hier bleiben muss. Ups.
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»Entonio!«
Familiäre Stimme. Woher?
»Entonio, wach auf!« Augen sich öffneten, besahen das Gesicht der Menschin, die sie künftig werden würde die Menschenfressende, doch noch in Form von Federviech. Wirrer Ausdruck. »Ente ist weg! Hat er dir irgendwas gesagt?«
Wälzte er sich zur Seite. Schlafplatz neben ihm leer. Verwirrung. »Nein, mir hat er jedenfalls nicht erzählt, dass er irgendwo hingehen wollte.« Nacht vorüber, beide in altem Fuchsbau, versteckend sich vor der Sonne.
Kam die Menschin gerade von ihrer Jagd zurück, brachte Nahrung mit. Ente, der baldige Federlord, war verschwunden. Vom Erdboden verschluckt. Fort. Als wäre er nie gewesen, nur bloße Erinnerungen verblieben, wenngleich verblassten sie stetig mehr, dass bald nichts mehr über sein mochte als bloße Leere. Fäden am schwarzen Himmel. Wie Marionetten folgten ihnen die Ungötter. Kreaturen aus Pech, langend nach Göttlichkeit, hoffend auf Rettung, Erlösung von diesem Hunger, der erfüllt einen letzten von ihnen. Die Stränge sie leiteten zu denen, die dem Göttlichen nahe waren, angezogen wie Magnete, der Hunger sie trieb, das Verlangen nach Vollkommenheit. Scharen umzingelten zwei Gefiederte, trat Untier hervor, doch nicht wild wie die anderen, hielt er sie beisammen, zog er die Fäden, und ließe er sie los, richte er ein Blutbad an. Beäugte das Individuum die beiden. »Habt ihr Ente gesehen?«
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»Ihr seid Mensch, korrekt?« Die Menschin im Vogelkörper beäugte ihn misstrauisch, sich mental auf einen möglichen Kampf vorbereitend.
»Mensch bin ich, jawohl. Mich nennt man Jonathan, die Gabe Gottes. Ich weiß alles über euch. Ente hat mir viel von euch erzählt.«
Er kannte die beiden. Woher bitte? Und wann soll er bitte mit Ente über sie gesprochen haben, wo er keinem doch bekannt vorkam.
»Was wollt Ihr bitte von ihm?« Die Menschin trat vor, Entonio schützend. Dieser versuchte, die Menschin zu beschwichtigen, doch ohne Wirkung. Jonathan musste lächeln.
»Der Weltenzyklus verlangt von mir, dass ich seine Haut über meine stülpe. Nur so wird verhindert, dass die Existenz selbst zusammenbricht.«
»Ihr wisst vom Weltenzyklus?« Sie wurde noch angespannter. »Ihr seid kein ordinärer Mensch. Ihr seid Unmensch in Menschengestalt, seid auch gefangen in diesem Limbus.« Entonios Schädelinhalt verstand wenig von der Konversation, wenn überhaupt etwas.
»Der Zyklus darf nicht enden.« Jonathan schüttelte den Kopf. »So sehr Ihr es Euch auch erwünscht. Und nun ist es meine Aufgabe, dies zu gewährleisten. Wenn ich erst seine Haut trage, wird der nächste Weltenzyklus garantiert. Ihr wisst sicherlich bereits, wie Ihr zu handeln habt. So auch weiß ich es. Er hat es mir erzählt. Ihr werdet ihn nach drei Monden finden. Sein Leichnam wird euch finden, als wäre er Magnet. Ihr wollt doch sicherlich auch verhindern einen weiteren Totalkollaps, nicht wahr?«
Die Menschin schwieg, atmete einmal tief durch und sagte dann: »Was, wenn nicht?«
»Warte, was?«
»Ich muss zugeben, es ist mir lästig geworden, die Existenz, das Existieren. So viel Schmerz, so viel Leid, wiederholt es sich immer und immer wieder. Im wie vielten Zyklus ist diese Welt hier bereits? Ich zähle lange nicht mehr mit. Stets dieselben Dinge, stets dieselben Wege, stets dieselben Gespräche, keine Innovation. Ich frage mich, was passiert, wenn ich meine Bürde endlich ablege, viel zu lange ich sie bereits trage. Wenn ich anders würde handeln als sonst, was würde sich ändern? Würde die Welt wirklich enden, nur wegen minimalen Abweichungen? Seid mir mal bitte realistisch.«
»Leben ist Leid. So ist es halt. Wir als unsterbliche Wesen, wir sollten es wissen. Doch lieber Leid als Leere, denn Leere ist das größte Leid. Allein dieses Gespräch hier wirkt sich auf den nächsten Zyklus aus. Dieser Entonio, der hätte beispielsweise nie existieren dürfen. Ebensowenig ich. Bereits dieser Zyklus differenziert sich von den alten und identischen. Wir können nicht riskieren, dass alles vernichtet wird, dass die Fäden der Welt reißen. Verstehst du denn nicht?«
Ihr Blick war matt. »Hört bitte mit dem Nonsens auf. ›Lieber Leid als Leere‹, was zur Hölle soll das? In Leere findet man Erfüllung. Die wahre Inexistenz, ein ewiges Ruhen. Was wisst Ihr schon von den Weltzyklen? Ist dies Euer erster, hm? Dann habt Ihr kein Recht, so zu sprechen über Leid und Pein und Qual und Agonie. Ihr wisst gar nichts!« Unsichtbare Fäden, kam an eine gedachte Schere. Schnippschnipp, Risse sich auftaten, strömten aus ihnen etlose Seelen der einst Lebendigen, die bereits vor ihr die Inexistenz angestrebt hatten, so viele, wurde geboren eine Masse aus Hass und Reue.
»Na toll, Menschin, sieh mal einer an, was du da Schönes geleistet hast!« Wellen aus Inexistenten quollen aus dem Riss im Himmel, eine farblose Menge an Körpern, allesamt zu einem einzigen Behemoth verschmolzen, dehnten sich über das Land aus, eine stets größer werdende Pfütze, bald schon mehr als ein Teich, bald schon mehr als ein See, bald schon ein ganzes Meer.
»Na gut«, meinte die Menschin, als sie vom Riss wegeilten, »Vielleicht klingt Leid doch besser als Leere«, wenn dies wahrhaftig die Leere der Inexistenz war, in dessen Inneres sie hineinblicken durften. Da öffnete sich ein weiteres Portal zur Inexistenz direkt über ihren Köpfen.
»Wundervoll, Menschin! Ihr habt eine Kettenreaktion gestartet! Diese Welt hält keinen Mond mehr aus. Wir müssen schnellstmöglich Ente finden und häuten.«
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Wirbel aus Geistern, Verstände zu einem einzigen Wirrwarr verflochten, quoll aus den Rissen zur Inexistenz heraus, wurde Teil der Existenz, das Dazwischen verwischte, sich alles vermischend, Sein und Nichtsein, Leben und Nichtleben, so viele bereits versucht hatten, den Weltenzyklus zu beenden, so viele gescheitert bereits, vorherbestimmt alles war und ist, und so auch das Scheitern der drei, die sie wegrannten vor ihrem letzten Anblick, die Fäden der Realität lösten sich, zerrissen, überall bloße Wesen des Unseins, erwartete jeden nach seinem Tode ein ähnliches Schicksal wie sie, bis zum Ende der Unendlichkeit zu leiden als Teil eines größeren Ganzen, eines einzelnen Monstrums, das wachte über die Welten, die kamen und gingen, sie beschützend vorm Zerfall, ging ein bloß das Gewürm, das es zu verändern anstrebte, doch keiner kann ändern das Prädeterminierte, es ist unausweichlich, absolut.
Die Meere verschwanden, wurden aufgesogen von den Rissen, der Hunger unersättlich, Bäume entwurzelt, gezerrt sie durch die Tore ins Unbekannte, die ganze Welt kurz vor ihrem Aus, wurde aus den Ruinen der alten eine neue geboren, ein neuer Zyklus, auf dass dieser sein natürliches Ende finden mochte und sich aus der Asche abermals ein Küken formte, bis zum Ende der Ewigkeit, die sie nimmer würde enden doch, was auch immer man zu versuchen beabsichtigte, ein höheres Wesen wachte stets, höher als alle Götter beisammen, es wachte und labte sich am Leid, an den Schmerzen der Lebenden, wünschte sich auch nur, empfinden zu können, was sie ausmachte, wie groß auch immer die Last, das Leben ist gebaut, um auszuhalten jeden Schrecken der Welt, und mag man es noch so sehr in die Knie zwingen, es gibt nicht auf, selbst im Angesicht des Todes. Das höchste Wesen, das es ohne Namen ist, es bewunderte die kläglichen Versuche, betrachtet amüsiert das Fallen eines jeden, das Wiederaufstehen, ob nun durch eigene Willenskraft oder durch Hilfe eines anderen. Entes Haut suchten sie, die drei. Die des Entenherrn, so würde er bald heißen sollen. Kein Damals, kein Jetzt, kein Bald. Zeit, das Konzept davon befremdlich hier. Und doch kein Hier oder Da. Kein nichts. Der Thron umhüllt von Augen, die sie alles sehen, und Ohren, die sie alles hören, von schwarzen Schwingen, die sie die Winde verursachen, und stürmt es in der Welt. Der Thron der wahre Gott, der erste und der letzte. Alles in ihm vereint, und zugleich nichts. Gottes Urteil befällt die Welt, die Welt zerfällt.
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Schwarz. Nichtsein von jeglicher Farbe. Kein Licht, bloße Finsternis. Keine einzige Bö, nur Stille, absolute Stille. Öffnet sich ein Auge, sieht nichts. Herzschlag keiner. Gefühl von Körper verloren. Pupille in Wirbeln, Fragmente von Verstand sich sammeln, türmen sich auf, nur um zu kollabieren wieder. Bruchstücke vergangenen Wesens. Kein Ich. Kein Sinn.
Der Thron, in ihm vereint alles Existente wie auch Inexistente. Er ist das Universum und zeitgleich die endlose Leere. Exterminierung aller Überbleibsel. Das langsame Vergehen von Widerstand. Wenn das letzte Existente hat aufgehört zu sein, wenn die Fülle endlich hohl ist, dann wird geschaffen eine neue Welt, eine alte Welt, ein Replikat, selbst wenn einzelne Lebewesen die Macht haben, sich zu sträuben, gegen das Unvermeidbare anzukämpfen, mit der Zeit lernt ein jeder die Futilität seiner närrischen Taten. Resistenz endet letztlich stets in Selbstzerstörung. Besser also sich fügen, als dass man das gesamte Sein zerstört und bis zum Ende der Ewigkeit durchleiden muss ein jedes Leid unendliche Male, zu treiben im Fluss aus Rot, dass der Verstand sich verliert und die »Götter« ihre »Göttlichkeit« verlieren. Doch manch ein besonderes Individuum behält sein Wissen auch nach etlosen Wiederholungen des Weltenzyklus, darunter auch die Wesen der Armee des Unsterblichen Lords. Träger Seiner Haut, Jonathan, Schöpfergott der Welt, der er in Verfleischlichung die unheiligen Böden hat betreten. Diese Welt aber ist tot. Keiner mag daran noch etwas ändern können. Erlischt das letzte Gefühl, aus der toten Welt eine neue geboren, sprießen Farben, brennende Kugeln sich formen, flammende Länder und schließlich die Entstehung von Leben, wenn erst der Planet sich hat abgekühlt genug, dass Wasser sich in flüssiger Form über die Oberfläche ergossen hat, zahllose Jahrtausende an Regen ohne Pause, die Formung des Großen Teiches, die ersten Federviecher, die ersten Zivilisationen, das erste Massenaussterben durch einen gigantischen Meteoriten, krachend mitten in den Riesenkontinent, zerstörend all den Fortschritt, auf dass die Tauben aussterben und andere Kreaturen ihren Platz einnehmen, Enten und Eulen und Gänse und Schwäne und letztlich Menschen, die fehlerhaften Versuche, um Göttliches artifiziell zu erschaffen.
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Die Gedanken stets dieselben, denn allein schon ein differenzierender Gedanke kann auslösen die Kalamität, die den jetzigen Weltenzyklus beenden mag. Wie Akteure auf der großen Bühne des Opernhauses und Gott der einzige Zuschauer, sie wissen um ihr künftiges Handeln, so oft sie es bereits verinnerlicht haben, der Plan strikt, und so sie ihm folgen mit all ihrer Konzentration, denn scheitern sie, so erwartet die Inexistenz, und ist diese wie ein Sein in eternalen Qualen, das Konzept von Zeit verzerrt, dass Tage vergehen können, es fühlt sich an wie Millennia.
Ente ist zu sterben destiniert und Schöpfergott Jonathan zu tragen seine Haut. So steht es geschrieben im Drehbuche des Schicksals, und so solle es sein.
In der ewigen Qual ist das Denken jedoch frei. Und so schmieden manche Pläne, um zu entkommen dem Zyklus der Unendlichkeit, manch einer sogar will vernichten den Tyrannengott in den hohen Himmeln, wenngleich diese in der Tatsächlichkeit leer sind, Gott in einem bloßen Konzept haust, nicht jedoch einem wirklichen Ort. Engel auch behausen die Ebene zwischen den Existenzen. Kreaturen aus Augen und Flügeln wie der Thron selbst, mit Gesichtern vieren von verschiedenstem Getiere und Körpern aus gleißend Licht.
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Ein schwaches Licht beschien Entes fades Gesicht, getötet worden vom Schöpfergott selbst. Die Blätter fielen still zu Boden, umrahmten ihn. Fernes Zwitschern niederer Vögel, da kamen die drei an, Jonathan, Entonio und natürlich auch noch die Menschin. Ein trauriger Anblick. Könnte er den Urzyklus ändern, der Schöpfergott würde es tun, doch was getan war, war getan, und niemand mochte die Vergangenheit ändern können, nicht einmal Gott selbst. Er bückte und besah ihn sich gut. »Es tut mir leid, dass es so gekommen ist, alter Freund.« Finger sich ins Gefieder bohrten, Augen die Lider fixierten, riss er kräftig und zog ab die Haut, dass übrig blieb ein Fleischklumpen aus Rot. Er ummantelte sich mit der Haut Seiner Lordschaft. »Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich werde den Zyklus brechen, und mag ich noch so viel Leid auf mich nehmen, es wird eine Zukunft geben, in der du leben wirst, und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde, du wirst leben. Wir werden einen Weg finden, dessen bin ich mir sicher. Ich bin das hier alles mehr als lästig! Das nächste Mal werde ich dich nicht erschlagen. Gemeinsam stellen wir uns ihm und gemeinsam werden wir siegen.«
Die Fäden der Realität wurden gelöst. Aus den Löchern kamen sie herausgekrochen, die, die sie bereits aufgegeben hatten, die, die sie dasselbe Ziel gehabt hatten wie er, zu zerbrechen den Zyklus der Welt, zu ändern die Zukunft. Der Thron sah gespannt zu. Leid war seine Erfüllung, der Tyrannengott ernährte sich davon, nur dadurch vermochte er zu bleiben, und dass er blieb, dafür hatte er gesorgt. In seinen nicht vorhandenen Händen lag die Welt, ihr Wesen, ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Ohne ihn wäre die Welt ein freier Ort, doch ließe er dies zu, so könnte er gestürzt werden von den niederen Göttern, so viele es bereits versucht haben, so viele, ja, doch seine Position der Macht zu fest verankert, als dass irgendein dahergelaufener Gott ihn stürzen mochte. Er war unsterblich. Niemand konnte ihm noch etwas anhaben, nur dafür hatte er die Weltzyklen erschaffen, nur dafür, dass er sich kräftigen mochte an den Schmerzen anderer, dass niemand ihm etwas anhaben konnte, niemand ihm mehr im Weg stehen würde. Unantastbar war er, ja, das war er. Er war Gott. Er hatte sie alle gestürzt, alle waren sie gefallen, allesamt.
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