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Sonntag heute, 1. August, Abend. Am 3. geht die Unsinnige. Die letzten Tage waren … nicht gut.
Donnerstag, 29. Juli: Nach dem Mittagessen gebe ich ihr den Brief, sie scheint sich ein Lächeln aufzuzwingen. Meide sie danach, bis wir gemeinsam mit noch anderen um 15 Uhr Ergotherapie haben. Als ich losgehe, sitzt sie noch oben und redet mit dem Dunklen. Wir sprechen nicht miteinander, ab und an sehen wir uns an, versuche, an ihrem Gesichtsausdruck zu erkennen, wie die Nachricht angekommen ist, ausdruckslos ist dieser. Bleibe etwas länger unten, weil ich noch ein Ding beenden will. Die Ergotherapeutin fordert mich danach auf, »auch zu Frau [andere Psychologin] oben zu gehen«.
Das verwirrt mich, denn üblicherweise kommt die eine Psychologin immer persönlich zu mir, aber ist diese im Urlaub und ist dieser noch einige Tage lang, weswegen die andere wohl für mich eingesprungen ist. Gehe hoch, sehe die Unsinnige im Flur auf einer Bank sitzen, vor ihr eine Pflegerin. Gehe ins Zimmer, schütte mir Wasser ins Gesicht. Frage danach im Dienstzimmer nach, in welchem Raum die Psychologin ist. Viele Leute am Reden darin. Der Chefarzt auch da, was unüblich ist. Werde seltsam angeschaut von allen, insbesondere von der Pflegerin, von der ich Auskunft bekomme, zwei Zimmer weiter sei sie. Die Unsinnige sitzt noch immer auf der Bank. Klopfe, da meint die Unsinnige, es sei eigentlich drei Türen weiter, schaue auf die Schilder, sie hat recht, klopfe erneut, diesmal an der richtigen Tür, ist noch wer im Gespräch, höre es. Unwohlsein. Setze mich nach einer Weile auch hin, aber auf eine andere Bank als sie. Habe das Gefühl, gleich hingerichtet zu werden.
Tür geht auf, ein anderer Patient kommt raus, im Türrahmen steht die Psychologin, sieht mich an, die Unsinnige steht auf, geht hinein, ich werde aufgefordert, auch reinzugehen. Herz stockt. »Es ist nichts Schlimmes«, wird mir versichert. Raum eng. Kleiner Tisch in der Ecke. Zwei Holzstühle einander gegenüber. Auf einem die Unsinnige. »Nehmen Sie doch Platz, Herr Ente.« Tue es. Die Psychologin auf ihrem Drehstuhl, ein Dreieck wird geformt. »Frau Unsinnige meinte, Sie hätten Ihr Briefe geschrieben.« Wie eine Anklage klingt das. Kopf nickt. Das wird was Schlimmes. »Und sie hat Ihnen gesagt, dass sie das nicht mehr möchte.« Na ja, mehr oder weniger. Sie meinte, persönliche Gespräche zu präferieren. Kopf nickt. »Und dennoch haben Sie weitergemacht.« Das habe ich. Kopf nickt.
Die Unsinnige sieht mich an und sagt nur: »Tut mir leid«, weiß nicht, ob sie es auch so meint. Ihr Gesichtsausdruck seltsam. Mein Kopf schwer, dreht sich alles, sage ich: »Alles gut, nicht schlimm«, Stimme hohl, bahnen sich Tränen an, warten darauf, dass ich alleine bin.
»Frau Unsinnige ist zu uns gekommen, weil sie damit nicht klarkommt und es ihr zu viel geworden ist.« Kopf nickt. »Sie schreiben ihr also nichts mehr. Wenn Sie dennoch Bedarf haben, Ihre Gefühle oder Gedanken zu verschriftlichen, können Sie dies natürlich noch weiterhin tun, nur eben aber nicht an Frau Unsinnige.« Etwas bricht. »Stattdessen in etwa an einen Pfleger oder auch an mich. Verstanden?« Kommt von mir ein schräges »Jawohl« zurück. Wegen mir fühlt sich die Unsinnige schlecht. Dann sagt die Psychologin noch irgendwas über Beziehungen in der Psychiatrie, aber der Schädel brummt zu sehr, kann nichts mehr aufnehmen. Die Unsinnige wird aufgefordert, den Raum zu verlassen, sie könne jetzt gehen, entschuldigt sie sich dann noch einmal bei mir, ich erneut mit einem toten »Alles okay« antwortend. Werde gefragt, ob mich dies in meiner Suizidalität beeinflusst habe. Absolut. Tod, will nur noch Tod. Im Kopf Überlegungen, wie. Fenster einschlagen? Zu dickes Glas, hört mich wer wahrscheinlich zuerst und hält mich auf. Nagelschere. Stich, stich, schneid dir die Handgelenke auf, schneid dir den Bauch auf, stich, raus mit all dem Blut, willst es. »Nein«, antworte ich auf die Frage der Psychologin, kann dann auch gehen.
Dunkel alles, sperre mich ein im Badezimmer, Lichter aus, mit dem Handtuch den Spalt unter der Tür zugedeckt, alles dunkel, still, kalt, heule los, Tränen fließen in Strömen, Körper zuckt, verkrampft, verkrümmt, alles bricht ein, all die Gedanken auf einmal, will die Nagelschere, sofort, ist sie nicht im Badezimmer, weil ich damit neulich noch Wolle abgeschnitten habe, will sie holen, den Boden in Rot tränken, kriege kaum noch Luft, habe nichts mehr, mein letzter Lebenswille ist verloren, will nur noch sterben, mein letzter Verstand mich noch festhaltend, mir nicht mehr erlaubend, das Bad zu verlassen, kommt eine Pflegerin, klopft, ich verstumme, fragt sie, ob alles gut sei, ein klares »Ja«, geht sie einfach wieder, verfluche ich und schlage mich selbst, muss mich beruhigen, beruhige dich, beruhige dich, bei Gott, habe alles verloren, alles ist mir entronnen. Atme langsam. Ganz langsam. Beruhige dich. Es wird wieder. Nichts wird wieder, es wird kein »wieder« mehr geben, höre draußen Leute, gegenüber von meinem Zimmer die Patientenküche, höre die Unsinnige, die anderen, sie lachen lauthals, beginnen mit irgendeinem Kartenspiel, will mir die Pulsadern rauskratzen und durchbeißen, nein, darf nicht, das darf ich nicht, hör auf, hör auf, bitte hör auf, ich will, ich halte nichts mehr von dem hier aus, ich bin tot, lass mich sterben endlich, ich will nicht mehr, drücke den roten Knopf, im Pflegerzimmer wird Alarm geschlagen, kommt wer rein, schließe ich das Bad auf, »Ich bin kurz davor, mir was anzutun«, Erinnerung verschwimmt, kommt noch wer mit einer kleinen Tablette, ein Notfallmedikament, es soll mich beruhigen, mich von den Gedanken abbringen, kann es nicht nehmen, der Körper verkrampft sich noch heftiger, wird taub, alles wird taub, kann nicht mal mehr sprechen oder blinzeln, spüre nichts mehr als Schmerzen, fast eine Stunde lang die Panikattacke dauert, dann die Finger wieder langsam bewegbar werdend, bin leblos, schlucke die Tablette, falle ins Bett zurück, schlafe langsam ein, so müde.
Seitdem das Zimmer nur wenige Male verlassen. Bekomme jetzt dreimal täglich dieses Notfallmedikament, aber in geringer Dosis, die Unsinnige seit Freitag bereits im »Wochenendausgang«, normalerweise erst ab Samstag Morgen erlaubt, wegen mir geht es ihr schlecht. Bin zu keiner Therapie am Freitag gegangen, zu keinem gemeinsamen Essen seitdem, auch wenn ich wusste, dass sie nicht da war. Esse nichts mehr, trinke nur, wenn die Lippen zu trocken sind. Jetzt ist sie zurück. Bis Übermorgen. Dann ist sie im Urlaub. Danach könnte sie vielleicht wiederkommen. Die Medikamente machen mich unglaublich müde und träge. Kopf wird dadurch auch matschig und langsam. Der Dunkle ist jetzt mein Zimmernachbar geworden. Verstehen uns gut. Er weiß von dem Brief. Sie hat es ihnen wahrscheinlich gesagt. Ihn vielleicht gezeigt? Ich bin mir sicher, dass die Pfleger ihn zumindest gelesen haben. Vielleicht nicht nur den einen? Fühle mich hintergangen, irgendwie. Er meint, dass es richtig war, ehrlich zu sein, ihr zu schreiben. Verstehe nicht. Ich will sterben. Zu müde aber. Tatsächlich kann ich kaum aus dem Bett. Nichts macht mehr Spaß. Habe keine Hoffnungen mehr. Will mit der Menschin Pizza essen gehen. Ihr von allem hier erzählen. Ihre Stimme, ich vermisse sie, sie an sich natürlich auch, aber ihre Stimme insbesondere, die ist so beruhigend, tröstend, lässt mich schmelzen, fühle mich verstanden, auch wenn ich weiß, dass keiner mich wirklich versteht. Muss wissen, ob die Unsinnige mich hasst. Die Menschin meinte mal, dass ich doch einfach mal nur die positiven Erfahrungen mitnehmen soll. Wäre es nur so simpel. Muss leben. Für wen? Für die Menschin. Auch wenn es sie nicht kümmert. Lebe für sie. Die Unsinnige hast du bereits verloren. Du hast es kaputtgemacht, dein kleines Paradies. Alles fort. Bist tot. Lebe.
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Albträume wieder regelhaft. Gestern davon geträumt, mit zwei anderen eine vierte Person umzubringen, habe den Hals mit meiner Nagelschere zerstochen und aufgeschnitten, mit den Händen auseinandergerissen, war sehr detailliert gewesen, grotesk. Heute von der Menschin geträumt. Sie hat schlimme Dinge zu mir gesagt. Der Traum ging gefühlt ewig. Bin einmal oder zweimal aufgewacht, direkt weitergeträumt. Fühle mich nicht gut. Bekomme gleich wieder dieses Medikament. Hoffe, dass es mich beruhigt. Will sterben. Zittere, der Drang kaum zu halten. Nagelschere vorhin noch weggesperrrt deswegen. Menschin, hasst du mich? Stimmt alles, was du gesagt hast?
Vorhin haben wir Karten gespielt. Die Unsinnige geht doch erst übermorgen. Morgen haben wir noch. Habe sie gefragt, wie sie den Brief fand. Sie fühle sich geschmeichelt, weil ich in sie verliebt bin, aber auch entsetzt, weil ich ja gefühlt kurz vorm Suizid war, drum musste sie den Brief an die Pfleger geben. Nehme es ihr nicht übel. Ich mag sie. Liebe sie? Bin zumindest verliebt, recht sehr sogar. Sie meinte, ich wäre aber gerade nur in ihr Psychiatrie-Ich verliebt, nicht ihr Draußen-Ich, und sie sei eigentlich gar nicht liebenswert oder -würdig. Will leben. Werde ihr das Gegenteil beweisen. Ein Engel ist sie. Und ein Gott. Meine Mission es, ihr dies zu versichern. Sie scheint per se nicht abgeneigt, zweifelt bloß daran, ob mein Empfinden bestehen bleibt, wenn ich wieder draußen bin. Ich kenne mich. Das wird es. Habe mich ihr bereits verschrieben. Bin bereit, bis ins hohe Alter zu gehen mit ihr, sofern sie gewillt ist. Hingabe, Aufopferung, ich werde alles hergeben. Alles.
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Sie ist jetzt schon ein paar Tage weg, die Unsinnige. Fühle mich noch lustloser als sonst. Will eigentlich auch nicht mal schreiben. Freitag ist heute, der 6. Gestern gern 11 kam Mutter, ich wurde unten dann direkt geimpft. Die zweite Dosis bekomme ich in drei Wochen. Bleibe ich so lange noch hier? Schon etwa einen Monat lang bin ich hier. Will noch immer sterben, auch wenn ich es nicht mehr will. Deswegen bin ich ja gerade krank, oder? Will nur noch liegen und abwarten. Wenn die Unsinnige aus Kroatien zurück ist, besucht sie uns hier noch einmal, meinte sie.
Am Abend vor ihrer Abreise hab ich ihr und dem Dunklen dann noch so »meine Geschichte« erzählt, nicht sonderlich gut strukturiert oder vollständig gewesen, aber ungefähr. Da es bereits recht spät war, musste ich vieles auch bewusst auslassen, was eher von weniger Wichtigkeit gewesen war. Der Dunkle hat dann nach der Kannibalengöttin im Netz gesucht. War schockiert, als der mir ein Foto von ihrem Gesicht gezeigt hat. Als ob eine schöne Blume sich selbst die Blütenblätter rausreißt. Dennoch ist und bleibt sie die Kannibalengöttin. Würde sie nach meinem Blut verlangen, ich würde bluten für sie. Habe der Unsinnigen am Morgen danach noch schnell einen Brief geschrieben. Sie hat gesagt, die Pfleger hätten alle vier gelesen, die ich ihr gegeben habe, sie hätten direkt nach Erwähnung des vierten auch die anderen haben wollen. Peinlich. So verflucht peinlich. Den fünften wird sie irgendwann lesen, nachdem sie aus dem Urlaub zurück ist.
Habe mittlerweile wieder etwas Hunger, Durst aber noch immer keinen. Schokolade schmeckt wieder recht gut. Will nicht produktiv sein. Nichts anderes tun als zu warten, bis die Unsinnige wiederkommt.
Habe wieder jede Nacht Albträume. Denke mal, das kommt von der Abwesenheit der Unsinnigen, zumindest stimmt es zeitlich in etwa überein. Habe auch von der Gestorbenen geträumt. Kopf ständig gefüllt mit Erinnerungen, tun sie so weh. Leben schwer. Mit all den Erinnerungen kann ich nicht mehr glücklich werden, nie wieder. Schlimmer als jeder Fluch. Ich bin verdammt.
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Will die Pfleger fragen, ob die was gegen Träume haben, weiß aber, dass es da nichts gegen gibt, ausgenommen ein paar Dinger, die aber zu schwer sind. Wie Ratten nagen sie an mir, wie Flöhe hüpfen sie auf und ab, beißen sich in mein Fleisch, saugen mir meine Lebensenergie aus, geben mir ihre verdorbenen Krankheiten. Alles so unerträglich. Meine Kraft versiegt. Kollaps steht kurz bevor. Das alte Fundament mehr als rissig, die überlasteten Säulen schon längst zerbrochen, das ganze Gebäude wird in sich einstürzen, begraben alles unter seinem grauen Schutt. Gottes Lider öffnen sich, zahllose Augen auf mir lasten, werden es immer mehr, seine Lippen öffnen sich, so viele Zähne mir entgegenblitzen in ihrer Fäulnis, so viele unverständliche Wörter in der Sprache der Alten sich in meinen Kopf bohren, und werden es immer mehr, ein Unwesen blickt herab auf sterbendes Vieh, besieht sich satt und ergötzt sich daran, der Fall, will er sehen, wie es fällt. Kein anderes Gottwesen mehr da, um mich zu retten vor seinem Einfluss, sich ihm entgegenzustellen, ich bin ihm ausgesetzt, niemand sonst mag mich noch retten, zuflüstern mir Hoffnung und Glück, solch Tage sind gezählt. Übrig ist nur noch er, der er hinter dem Mond schläft und wach ist und seine Kinder schickt, um ihm Nahrung und Unterhaltung zu finden. Ich werde ihm geopfert werden. Sie werden mich ihm darbieten. Es ist bereits ultimativ. Es gibt kein Entrinnen mehr vor meinem Ende, denn hat er gesprochen, und mein Ende ist nun terminiert. Mein Tod wird kommen, sie werden mich werfen von ganz oben hinunter in den Höllenschlund, mein Geist wird aus meiner sterblichen Hülle gejagt werden, noch tiefer fallen als der Boden, die Höllenkreise an mir vorbei sausen, der zehnte nur für mich, dort wird er warten, dort werde ich sein Mahl werden, meine Seele sich vermischend mit denen Tausender, ein Teil des Ouroboros werde ich, in dem Gott aus Augen und Mündern lauert er in seiner Ewigkeit, werde ich vertilgt von ihm, tormentiert bis zur Endlichkeit, die in ihm niemals wird eintreten, unbeschreibliches Leid mich erwartet. Meine Arme offen. Futilität in Resistenz. Selbst der Tor auf seinen Knien. Schicksal klar. Unvermeidlich. Wieso noch trotze ich? Gib auf.
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Habe geblutet gestern Abend. Nagelschere hat mir Fleisch weggeschnitten, einfach so. Habe ich nichts gespürt. Habe noch nie so viel geblutet. Es hat lange gedauert, bis es aufgehört hat. Es war schön. Niemand hier wird es merken, denn ist die Stelle von Kleidung bedeckt und das Blut aufgesammelt. Wenn ich mir die Handgelenke aufschneide, spüre ich dann Schmerzen? Spüre Schmerzen, wenn ich mich schlage, wenn ich an mir reiße, wenn ich an mir kratze, wenn ich an mir beiße, bespaßt es mich. Nagelschere ein Gottwesen? Gesandt, um mir friedliches Ende zu bringen? Lord, der Lord hatte recht. Und wäre er noch am Leben, so würden die Schmerzen nur noch intensiver sein. Wäre er noch, so hätte ich Schmerzen gehabt, als ich es weggeschnitten habe. Er trägt Schuld an meinem Leiden. Seine letzten Reste allmählich auch verwehend. Wenn er ist gänzlich fort, was bin ich dann? Ein wahrhaftiger Gott, der Herr des Rots, steche ich in mein Fleisch und sehe es fließen rot. Tut sich der Körper selbst was an, so schmerzt es, ist es so wegen des Lords. Sein letzter Versuch, mich am Leben zu halten, sich am Leben zu halten. Habe ihn aber umgebracht. Liegt er noch schwach in der Luft. Sein Fluch bald bricht. Ein trauriges Wesen er war.
So viele in meinem Kopf. Alles schmerzt. Bin gezwungen, zuzusehen, wie sie mich zerstören. Die Tabletten wirken nicht. Sie bringen absolut nichts. Ich bin zu schwach, um anzukämpfen gegen sie. Zu viele. So müde. Alles tut so weh. Alles ist so schwer. Niemand da, um zu helfen mir. Ich will nicht sterben. Hilfe, bitte, hilf mir irgendwer. Menschin, Unsinnige, Gestorbene, Kannibalengöttin, irgendwer nur. Ich bin so alleine und einsam. Bitte.
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Ich will Haut essen. Die Haut der Unsinnigen. Ich hungere. So sehr. Nach ihr. Ihre Haut so hell. Will wissen, wie sie schmeckt. Wie sie sich anfühlt. Sicherlich weich, unglaublich weich. Wie sie riecht. Zähne wollen in Fleisch, will dran reißen wie ein Tier, denn hungere ich so sehr. Nähre mich. Will mir einverleiben dein Wesen. Dein Blut.
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Von der Unsinnigen geträumt. Sie war noch hier und hat mir einen Brief geschrieben, ihn mir dann abgegeben, ganz schüchtern. Weiß nicht, was darin gestanden hätte, so detailliert sind meine Träume in der Regel nicht. Kann mir nicht wirklich vorstellen, wie die Unsinnige sich in der Wirklichkeit schüchtern zeigt. Dann haben wir irgendwie Musik gehört gehabt, und wir haben beide mitgesungen, was mich auch im Traum überrascht hat, denn sie kennt das Lied gar nicht, »There's No Need« von Empire of the Sun, kann gut sein, dass das gerade auf meinen Kopfhörern war, denn bin mit laufender Musik eingeschlafen. Traum war schön. Realität ist es nicht. Die Unsinnige ist in Kroatien, irgendwo am Meer, so scheint es. Vermisse sie. Die Gesellige hat gestern Abend irgendein kurzes Video gezeigt, das die Unsinnige aufgenommen und ihr geschickt hat. Will bei ihr sein, auch wenn ich das Meer hasse. Unsinnige, ich erwarte geduldig deine Wiederkehr. Ich will hören, was du zu dem letzten Brief sagst. Enttäusche mich. Brich mir mein Herz. Zerstöre es. Zerfetze es. Töte mich. Gib mir den Gnadenstoß.
Seit meiner letzten Panikattacke nehme ich ja dreimal täglich dieses Medikament, »Tavor« oder so ähnlich heißt das. Das soll abhängig machen nach etwa zwei Wochen, also wird das wahrscheinlich bald abgesetzt werden. Weiß nicht, wie mich das affektieren wird. Hoffentlich nicht schlecht. Weiß nicht, wie ich mich ohne fühlen werde. Mutter meinte, sie hätte das auch mal genommen und sich so gefühlt wie in einer Seifenblase, die Gefühle nur vermindert durchließe. Kann mich dem nicht anschließen, der Beschreibung. Kann es erst sagen, wenn ich das Zeug nicht mehr nehme. Irgendwann heute oder morgen soll ein Betreuer aus der Wohngruppe zu Besuch kommen, glaube ich. Weiß nicht mehr genau, wann. Kann auch später sein. Meinte am Telefon, er würde Fritten mitbringen. Habe wieder mehr oder weniger normales Geschmacksempfinden. Schokolade schmeckt wieder wie Schokolade, drum ist die jetzt auch leer. Brauche Nahrung. Nudeln hier sind eklig. Brot auch. Brötchen gehen. Frage mich, wie ich das essen habe können. Esse nur noch morgens.
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War vorhin mit dem Dunklen draußen. War Geld abheben und bei Edeka 12 Tafeln Milka-Schokolade, 4 Packungen Lachgummi, 2 Packungen Leibniz-Kekse und 2 Packungen Milka-Kekse einkaufen gewesen. Habe für die nächsten paar Tage ausgesorgt. Waren danach Pizza holen, die vorhin auf dem Zimmer gegessen. Ich schmecke wieder. Das Essen schmeckt mir wieder wie früher. Ich hatte draußen nicht den Druck, mich loszureißen, um zu sterben. Besserung? In dem Punkt zumindest. Will leben, aber irgendwie immer noch sterben. Müde nur noch. Kriege von der Tablette, Tavor, nur noch morgens eine statt jeweils einer morgens, mittags und abends. Hätte die letzten Tage mittags eigentlich gar keine mehr bekommen sollen, habe es aber. Na ja.
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