Kapitel 56

„Was ist los?", fragt Will plötzlich. Er hatte es gemerkt, dass ich mit meinen Gedanken abdrifte. Aber ich will jetzt nicht darüber reden. Ich will im Moment an gar nichts denken, außer daran, dass ich Will nie verlieren werde.
„Nichts. Ich bin nur so glücklich." Skeptisch zieht er eine Augenbraue nach oben und richtet sich auf.
„Ok.", sagt er, klingt aber wenig überzeugt.
„Es ist so, dass ich dir noch was sagen will, aber nicht heute. Ich will uns den Abend nicht zerstören."
„Was?"
„Will, lass uns einfach den Abend genießen und ich sag es dir morgen."
„Also jetzt will ich erst recht wissen, was los ist. Kriegst du Zwillinge? Drillinge? Mir fällt grade nichts Schockierenderes ein, und trotzdem würden mir Drillinge den Abend nicht verderben."
„Bitte Will! Lass es doch einfach gut sein."
„Scar! Sag's mir, bitte! Ich kann den Abend nicht genießen, wenn du solche Dinge sagst und sie mir dann absichtlich verschweigst." Ich seufze. Es war ein Fehler überhaupt etwas zu sagen.
„Na gut. Also es... es war damals kurz nachdem du weg warst. Genauer gesagt zwei oder drei Wochen später."
„Scar, jetzt machst du mir Angst."
„Ich sagte doch, warten wir bis morgen." Er schüttelt den Kopf. „Ok, also... ich... ich war..." Ich will es nicht sagen, aber seine braunen Augen durchbohren mich.
„Ich war schwanger.", sage ich es gerade heraus. Er starrt mich an. Die Zeit scheint anzuhalten, während er mich einfach nur ansieht. Keiner von uns beiden rührt sich.
„Was?", flüstert er schließlich und bricht damit das unerträgliche Schweigen.
„Ich war schwanger. Und ich habe das Kind ausgetragen.", erzähle ich.
„Aber... ich..." Er bricht ab.
„Du hast einen Sohn, Will." Der Schock steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er sich seufzend nach hinten auf das Bett fallen lässt und sein Gesicht mit den Händen verdeckt.
„Bei Merlins Bart.", flüstert er. „Das kann doch nicht wahr sein."
„Es ist wahr.", sage ich und öffne die kleine Truhe, die auf meinem Nachttisch steht. Zitternd hole ich den zugestaubten Briefumschlag heraus und öffne ihn. Ich habe das Bild in meinen Händen noch nie betrachtet, aber jetzt werfe ich zum ersten Mal einen Blick darauf.
„Er sieht aus wie du.", sage ich und halte ihm das Bild hin. Zögernd greift er danach und sieht es sich an. Doch kaum hat er es betrachtet, schlägt er die Hand vor den Mund.
„Will?", frage ich.
„Das... das ist mein... Sohn?", fragt er mit zitternder Stimme.
„Ja. Er heißt Leon. Dir hat doch der Name damals so gut gefallen.", ergänze ich.
„O man, das... ich glaub das einfach nicht. Wo ist er?"
„Ich habe ihn zur Adoption freigegeben. Anonym."
„Aber warum?"
„Weil er aussah, wie du. Ich habe das nicht ertragen. Immer habe ich dich gesehen, wenn ich ihn gesehen habe. Und ich musste daran denken, dass du an diesem Tag nicht da warst. Ich wäre bei der Geburt fast gestorben, Will. Ich konnte einfach kein Kind großziehen, das mich immer an dich erinnert hätte. Ich wollte weder ihm noch mir selbst das antun. Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen, also dachte ich, es würde keinen Unterschied machen. In sechs Jahren darf er die Akte sehen, wenn er will. Dann sehe wir ihn vielleicht."
„Ich habe einen Sohn von dem ich nicht mal wusste, dass es ihn gibt. Das einzige, das ich habe ist ein Foto. Ich bin grad total überfordert."
„Das verstehe ich. Und deswegen wollte ich es dir nicht sagen"
„Nein, ich bin froh, dass du es gesagt hast. Das Gefühl lässt sich nur nicht definieren. Ich freue mich, bin aber auch fertig, weil ich ihn vielleicht niemals sehen werde."
„Das wirst du bestimmt. Weißt du, in der Akte steht auch der Grund, warum ich ihn weggegeben habe und ich habe ihm einen Brief geschrieben, den er bekommt, wenn er alt genug ist."
„Das muss schwer gewesen sein. Ihn wegzugeben.", sagt er.
„Es ging. Ich wollte einfach neu anfangen und ich hätte ihm keine gute Mutter sein können."
„Aber du wirst eine gute Mutter werden, da bin ich sicher.", lächelt er.
„Und du ein super Vater.", grinse ich.
„So, jetzt, da ich den Schock verdaut habe, können wir doch da weitermachen, wo wir aufgehört haben."
„Und das wäre?", frage ich und mache auf unwissend.
„Hier.", sagt er und küsst mich.

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