Der Kreaturenhändler: Die Stunde der Abrechnung
Ein großer bulliger Mann schlug so fest gegen die Tür, dass seine Faust Dellen hinterlassen hätten, wenn die riesigen Tore nicht durch und durch aus Eisen gewesen wären. Eine Luke wurde aufgeschoben und der Hüne erkannte einen Menschen hinter dem Gitter.
„Wer seid Ihr?", fragte der Wachposten und musterte die Karawane vor dem Tor argwöhnisch.
„Brutus", antwortete er knapp. „Ich hab' Ware für den Lörd."
Er schob eine Pergamentrolle durch das Gitter und wartete auf die Rückkehr des Wachpostens.
Brutus musste warten und er wurde ungeduldig. Die Anreise hatte länger gedauert, als er es geplant hatte und er war von dem permanenten Gefühl begleitet worden, unter Beobachtung zu stehen. Nachdenklich sah er in den mit dunklen Wolken verhangenen Himmel. Für den frühen Nachmittag war es viel zu dunkel.
Plötzlich öffneten sich die Tore schleifend und er bekam sein Schriftstück zurück. Dann wies er die Kutscher an, die Fahrt zu beginnen und sprang auf einen der Kutschböcke auf und der angespannte Minotaurus schrie auf.
Sie durchquerten die Stadt und kamen mit ihren Karren nur langsam voran. An einer Taverne rissen sie ein Schild ab und sämtliche Sattler-, Tischler- und Schmiedewerkstätten mussten ihre Auslagen hereinholen, damit die Durchfahrt gewährleistet war. Sie folgten einer glatten Straße, den Berg hinauf und wurden durch ein weiteres Tor geführt.
Auf einem großen Hinterhof der Hauptburg kamen die Karren schließlich zum Stehen. Nur einer schwankte hin und her, weil dessen Inhalt darin tobte. Brutus sprang plump von dem Bock und wies drei Halboger, die für ihn arbeiteten, an die Schlösser der Käfige zu überprüfen. Dann sah er ehrfürchtig zu dem gigantischen Gebäude auf, das sich von den dunklen Wolken wie ein schwarzer Schatten abhob, bevor er einen nervösen Blick auf den letzten Karren warf.
Das Wesen darauf schien zu schlafen. Doch der Händler wusste genau, dass es nicht schlief. Es war von den Akolythen, welche den Karren eskortierten, paralysiert worden. Auf seinem Kopf, mit den widderähnlichen Hörnern, war eine Haube befestigt, um seine Sicht einzuschränken. Der brausende Zorn des Wesens war deutlich spürbar. Es ließ Brutus schaudern.
Er hatte eine riskante Reise hinter sich. Denn das Geschöpf hatte mehrfach versucht, sich zu befreien. Einen Akolythen hatte er verloren und die Reparaturen des Karrens hatten zu erheblichen Verzögerungen geführt.
Nachdenklich kraulte er sich den Vollbart. Er besaß die Hoffnung, dieses Ungetüm hier loszuwerden, denn er hoffte darauf, dass Major der passende Abnehmer für diese Kreatur war.
Als er zu nah an einen der Karren trat, ertönte aus dessen Innern ein tiefes Knurren. Warnend brüllte Brutus in der Ogersprache und hämmerte mit der Faust gegen die Stäbe, dass der Karren wackelte. Die Käfige waren noch alle mit ledernen Wagenplanen bedeckt, die erst geöffnet wurden, wenn der Magier angekommen war.
Als zwei schwarz gewandete Gestalten von der Treppe der Burg herabschritten, wies Brutus die Oger an, die vorderen Planen zu öffnen. Mit einem zahnlosen und falschen Grinsen begegnete er dem Magier.
„Seid jegrüßt mein Lörd!", sprach er mit einer theatralischen Verbeugung und ignorierte die Frau, die ihn begleitete.
„Verschwendet nicht meine Zeit", sagte dieser ohne Umschweife, verfolgte jedoch mit großem Interesse das Öffnen der Karren.
Brutus nahm dies mit Genugtuung wahr und antwortete: „Natürlich nicht, mein Lörd. Tretet näher, ich beantwörte jerne Eure Fragen. Aber wöllt Ihr nicht zunächst die Utensilien, die Ihr verlangt habt?"
Mit einer Handgeste brachte er einen der Oger dazu, fünf große hölzerne Truhen von einen der ersten Karren abzuladen. Er schleppte sie mit Leichtigkeit heran und öffnete die Deckel, damit sich der Magier dessen Inhalt ansehen konnte. „Wö söllen wir sie hinbrinjen?"
„Sisou!", sprach der Magier und eine kleine Gestalt kam hinter ihm zum Vorschein. „Zeig ihm, wo er die Truhen abstellen soll!"
Das Wesen gehorchte und verschwand mit den Ogern in Richtung der Burg.
„Hierher, der Herr", sagte Brutus und schritt voran zu den Karren.
Die zwei Zauberkundigen folgten ihm.
„Das sind Imps", erklärte Brutus und deutete auf hasengroßen ledrigen Wesen mit kugelrunden schwarzen Augen. Sie drängten sich in einem sehr kleinen Käfig und schlüpften wild untereinander umher. Es war unmöglich, ihre Anzahl auszumachen.
„Die ließ' ich in 'ner Jrötte fangen. Sind jute Arbeiter, leichtfuttrig. Besonders für Tunnelbau und-"
„Kein Interesse", sprach Major trocken und unterbrach damit den Kreaturenhändler.
„Natürlich, mein Lörd, jehen wir weiter."
In den folgenden Wagen waren Greife, Wesen mit löwenartigem Körper mit Adlerköpfen. Ihre Flügel waren zusammengebunden, und auf ihren Köpfen trugen sie Lederhauben, damit sie einander nicht hackten.
Außerdem hatte Brutus noch zwei Mantikore, die gut verschnürt in ihren Käfigen hockten. Sie gingen an zwei Sphinxe vorbei, die gelangweilt zwischen den Gitterstäben hinaussahen und keinesfalls furchteinflößend wirkten und beachteten auch die Chimära nicht, die sich in einem jämmerlichen Zustand befand. Dem Löwenkopf fehlte ein Auge und sie hatte einen verkrüppelten Ziegenfuß.
Dazwischen gab es einen Wagen mit menschlichen Sklaven. Sie waren, wie die Imps, so eng aneinandergedrängt, dass sie sich kaum bewegen konnten.
Als Brutus sie zu dem letzten Karren führte, schauderte er unwillkürlich. Die Kreatur war bis auf den schwarzen, schuppigen Kopf, die ledrigen Flügel und dem dünnen peitschenartigen Schwanz, mit kurzem, schmutzigweißem Fell bewachsen. Auf seinem schlanken Kopf thronten zwei große Hörner, die wie die eines riesigen Mufflons aussahen. Es hatte ebenfalls eine Haube auf.
Die Kreatur lag auf dem einzigen, offenen Karren, verstrickt in ein Netz aus Ketten und Lederriemen, und mit Hilfe eines Zauberpulvers ruhiggestellt. Als es Brutus witterte, versuchte es den Kopf zu heben, vergeblich. Vier Jahrhunderte lang lebte es nun in Gefangenschaft, wurde von einer Hand zur anderen gereicht. Seitdem war es nur wenige Male ohne die Haube gewesen, weil es seinen Besitzern stets zu gefährlich erschien.
Vor einigen Mondwechseln erst, hatten Brutus und seine Akolythen es aus einem unterirdischen Tunnelsystem geborgen, wo es den Schatz eines verstorbenen Erzmagiers bewacht hatte.
„Was ist das?", fragte Major und trat näher heran.
Doch bevor Brutus etwas antworten konnte zischte die dunkle Gestalt, die in Majors Schatten gestanden hatte: „Ein Noirdra, nicht wahr?"
Es war Maltrices Stimme.
„Jupp", antwortete der Kreaturenhändler lapidar.
„Es gibt nur noch dieses eine lebende Exemplar", sprach Maltrice mit einem gehässigen Blick auf Brutus. „Und der gehört dem alten Melchor."
„Jehörte", verbesserte Brutus sie mit seinem zahnlosen Grinsen. „Melchor kam bei der Zerstörung des Vaillancs ums Leben. Seine Besitztümer sind geplündert. Sein Sitz ist bereits von Menschen eingenommen."
Maltrice blähte missbilligend die Nasenflügel, doch Major schien die Kunde nicht zu interessieren.
„Eine wahre Rarität, mein Lörd", sagte der Kreaturenhändler schließlich wieder zum Magier, „aber schwer beherrschbar. Nur von einer sehr machtvollen Person zu bändigen."
Es waren wohl gewählte Worte.
Der Magier trat näher an den Karren heran und der Drache versuchte vergeblich, seinen Kopf zu heben.
„Wie viel?", fragte er.
„Mein Lord!", warf Maltrice ein. „Ihr würdet die Münzen besser anderweitig inve-"
„Die Frage war nicht an Euch gerichtet, Maltrice", sprach Major kalt.
„Fünftausend Jöldstücke", sagte Brutus und fuhr sich nachdenklich durch den Bart. „Und ich muss meine Vorräte an Schlafpuder auffüllen, falls Ihr damit dienen könnt."
„Viertausend", erwiderte Major mit einer Endgültigkeit, die keinen Widerspruch duldete, „und den Karren mit Sklaven lasst Ihr ebenfalls hier. Ihr könnt sowohl Schlafpuder, als auch Konfusstaub erhalten."
Der Kreaturenhändler zögerte, doch er war nicht gewillt den Drachen wieder mitzunehmen. Er wusste, dass er in der nächsten Zeit keinen Abnehmer für ihn finden konnte.
„Einverstanden", sprach er und mit einem Wink seiner Pranke, machten sich die Halboger daran, die Minotauren abzuspannen.
Maltrice beobachtete missbilligend, wie der Handel vollzogen wurde und Major Sisou nach einem Pelz schicken ließ, von dem sie nicht wusste, was der junge Magier damit bezwecken wollte.
Es dauerte eine Weile, bis die Karawane verschwunden und wieder Ruhe auf den Hof eingekehrt war. Major ließ die Sklaven, in die Minen bringen. Als das Tor hinter ihnen geschlossen war, trat Major vor und widmete sich dann dem Drachen.
Es hatte einige Zeit gedauert, bis die Karawane außer Sicht war. Mit einem fiesen Lächeln schüttelte Major den Kopf, und sagte mehr zu sich selbst als zu Maltrice: „So ein Trottel, nicht mehr Hirn als seine Gehilfen. Ich hätte ihm tausend echte Goldstücke für diesen Drachen gezahlt."
„Ihr seid der Narr! Was wird Euch ein solches Ungeheuer schon nützen? Ihr verrennt Euch in Angelegenheiten, die nicht zielführend sind."
„Zielführend für wen?", fragte Major bloß.
„Ist die Festigung Eurer Macht nicht mehr Eure Absicht?", fuhr Maltrice ihn an. „Stattdessen lasst Ihr Minderheiten verfolgen, studiert Rassenkunde und ..." Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie sah wie Major den Pelz, der ein scheinbar ein Kleidungsstück gewesen war, an sich nahm und sich dem Drachen näherte.
„Was tut Ihr damit?", verlangte sie zu wissen.
Der junge Magier antwortete nicht, sondern zog er einen ledernen Beutel aus der Tasche seiner Roben und öffnete es vorsichtig. Darin befand sich ein violett schimmerndes Pulver. Er zerrieb es in den Händen, bevor er sie zwischen die Nüstern des Drachens legte und einen leisen Gesang anstimmte.
Sisou verkroch sich unterm Karren und auch Maltrice trat zurück.
In ihrem Gesicht zeichnete sich Angst ab und schließlich flehte sie: „Tut es nicht, Major, es ist zu riskant."
Doch ihr ehemaliger Schüler ignorierte die Warnung und vollzog den Zauber. Die Magie strömte durch seine Hände, floss durch sie hindurch und wurde über die zarte Weiche Haut zwischen den Nüstern des Drachens aufgesogen. Der Noirdra ruckte einige Male den Kopf nach oben, doch die Fesseln hielten ihn gefangen.
Dann blieb Major erschöpft über den Drachen stehen und musste sich auf dessen schmaler Schnauze abstützen.
„Löst die Ketten", sprach er zu den Soldaten und kam von den Karren herunter.
„MAJOR", widersprach Maltrice, „seid kein Narr!"
Der Magier blieb vor seiner ehemaligen Meisterin stehen und für einen Herzschlag lang dachte sie ein violettes Funkeln in seinen Augen gesehen zu haben.
„Von nun an nicht mehr", sagte er ernst und kam noch etwas näher zu ihr heran. „Ihr haltet mich nicht mehr zum Narren!"
„Ich verstehe nicht!"
Major zog unter seiner Robe das Amulett hervor und offenbarte die Lemniskate. Maltrice wich zitternd zurück und fragte: „Was hat das zu bedeuten?"
„Das bedeutet", sagte Major bedrohlich, „dass ich von Euren Machenschaften weiß. Es bedeutet, dass ich von Eurem Verrat. Von Euren Verraten."
Er wandte sich um, als das Klirren der Ketten die Befreiung des Drachens ankündigte.
„Ihr irrt Euch", sprach die Magierin und vollzog einen Schildzauber, der sie vielleicht vor einigen Angriffszaubern schützen würde.
Womöglich war Major durch die Beschwörung des Drachens schwach genug, dass sie die Gelegenheit erhielt zu entkommen.
„LÜGT MICH NICHT AN!", schrie der Magier. „Ihr seid für den Tod meiner Mutter verantwortlich und mein anschließendes Leben im Exil und Ihr wart es auch, der den Attentäter beauftragte."
„Meine Schwester hätte Euch niemals aufgezogen", versuchte Maltrice ihn zu besänftigen, „ich tat es. Weil ich Euer Potential gesehen habe, weil ich-"
„Eine Marionette brauchte", beendete Major den Satz. „Um Euer eigenes Unvermögen zu kompensieren."
Maltrice antwortete nicht, doch Major hatte alles gesagt. Er zog das Messer, das an seinem Unterarm befestigt war, schnitt die Lederriemen am Kopf des Noirdra auf und zog die Haube ab.
Seine Pupillen verengte sich zu Schlitze, doch sein Blick war seltsam verklärt. Mit einem Fauchen erhob sich das Wesen, streckte seine Glieder und breitete seine schmerzenden Flügel aus.
„Könnt Ihr die Schönheit meiner Macht sehen, Maltrice?", fragte Major, als er den Drachen betrachtete. „Macht, zu der Euch die Fähigkeiten – der Ehrgeiz fehlt? Sie ist der Grund, warum ich Nacht für Nacht über Bücher und Schriftrollen brüte. Während Ihr Eure Lebenszeit verschwendet habt, nutzte ich meine, um die Studien zu vertiefen und die Zusammenhänge der Magie zu verstehen. Die Zusammenhänge des Lebens zu verstehen." Er machte eine kurze Pause und sah dem Drachen dabei zu, wie er ungeschickt von dem Karren herunterkam. „Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Maltrice. Durch den Assassinen habt Ihr mir meine größte Schwäche vor Augen geführt. Nun habe ich mein sterbliches Leben hinter mir gelassen. Durch das Extrahieren der Lebensflamme aus meinem Körper habe ich diesen vor dem Zerfall bewahrt und diese Flamme ist gut geschützt durch einen Zauber, der durch kein Wesen auf diesem Kontinent durchdrungen werden kann. Rassenkunde habt Ihr es genannt. Ihr wisst so wenig, Maltrice!"
Der spöttische Ausdruck auf seinem Gesicht wurde von tiefer Abneigung verdrängt.
„Ihr seid vielmehr menschlich, denn ein Magus."
Er sah sie einfach nur an und die Unwissenheit und das Unverständnis, dass ihre Aura widerspiegelte, widerte ihn an. Dann wandte Major sich zu dem Drachen um und eine kleine Geste seiner Hand genügte.
Den schnellen Reflexen der Kreatur hatte Maltrice nichts entgegenzusetzen. Ein Schnappen reichte aus und ein ohrenbetäubendes Kreischen später war von der Magierin nichts, als kleine fleischige Fetzen übriggeblieben, die dem Noirdra aus dem Maul gefallen waren. Major beobachtete es ohne eine Gefühlsregung.
Nur das markerschütternde Schreien von Sisou, der hinter ihm auf die Knie stürzte und heulend den Saum seines Umhangs ergriff, ließ ihn kurz innehalten. Dann hatte er seine Beherrschung wiedererlangt.
„Der Pelz!", verlangte er nur kaltschnäuzig.
Sisou zog zitternd und schluchzend ein grob verarbeitetes Fell unter seinem Körper hervor und Major nahm es an sich, ohne in sein Gesicht zu sehen.
Es war an der Zeit, die Fehler seines Gesindes auszubaden.
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