Türchen 15
Nordanien meets
'Alice im Wunderland'
Malene griff noch einmal ins feuchte Gras und nochmal. Kein Zweifel, das hier war endlich wieder real. Irgendwie hatte sie sich inzwischen an diesen Comiceffekt gewöhnt, doch das hier war in jedem Fall besser. Als sie zu ihren Gefährten blickte, die es alle schon vor ihr an Land geschafft hatten, war sie sich sicher. Sie hatten die animierte Welt verlassen. Alle betatesten sich, umarmten sich vor Freude und hüpfen herum wie kleine Jungs. Malene gab ihnen noch einen Moment und knuddelte inzwischen ausgiebig ihren Claus.
Sherlock war der erste von ihnen, der leichte Bedenken äußerte. "Ich kann mir nicht helfen, es ist real, doch es sieht nicht real aus. Es fühlt sich verkehrt an. Die Farben sind ein wenig zu kräftig. Aber ich kann es nicht wirklich begründen." "Ich verstehe, was du meinst, mir geht es genauso." bestätigte John die Zweifel.
"Es hilft nichts, jetzt sind wir hier und zurück in diesen ... Trickfilm gehe ich nicht freiwillig. Ich denke, wir sind uns einig, dass es sich in jedem Fall um eine weitere Welt handelt." beendete Malene die Spekulationen und dachte für sich 'Und der Wechsel war ausnahmsweise mal relativ unspektakulär.' Sie organisierte die Gruppe und man errichtete ein Nachtlager. Die Kleidung musste erstmal trocknen. Zu aller Erstaunen konnte Hagrid tatsächlich ein Feuer entfachen. Nur sein kleiner Drachen kam noch nicht wieder in Gang. Aber ansonsten genossen alle die herrlichen Wärme des knisternden Lagerfeuers. Die Sachen trockneten langsam und man erzählte sich gegenseitig Geschichten. Es wurde ein schöner und vor allem ruhiger Abend. Irgendwann schlief einer nach dem anderen ein.
Sherlock wachte schlagartig auf, weil er etwas hörte, das nicht in diese Expedition gehörte. Nur nebenbei nahm er zur Kenntnis, dass das Feuer nicht mehr brannte, obwohl noch jemand einen Berg trockenes Holz nachgelegt hatte. Vielmehr beunruhigte ihn zutiefst dieses Geräusch: 'TickTackTickTackTickTack' Da war es wieder, ganz deutlich. Ihm lief es eiskalt den Rücken runter. "John! John, bitte wach auf und sage mir, dass ich nicht verrückt geworden bin!" John konnte sich ein bitteres Lachen nicht verkneifen "Du und nicht ganz normal? Niemals, Sherlock." Da er nun schon wach war, rappelte er sich auf und sammelte seine getrockneten Klamotten zusammen. "Das Feuer ist aus." merkte er ganz beiläufig an. "Also was beunruhigt dich denn so, Sherlock?" fragte John, während er sich anzog. Statt einer richtigen Antwort zischte der nur "Schhhhhhht, sei still!" und unterstrich diese Forderung mit einer entsprechenden Geste. "Hörst du es auch?" John lauschte nun angestrengt in die Umgebung. Und tatsächlich, da war dieses Ticken, nein, da war dieses, DIESES 'TickTackTickTackTickTack' "Wie ist das möglich, Sherlock? Moriarty ist definitiv tot und deine Schwester sicher verwahrt, oder?" "Ich verstehe es ja auch nicht, aber danke, dass du es auch hörst." Er war kreidebleich. Sigurd stand inzwischen neben ihnen. Er wusste zwar nicht, was die beiden so beunruhigte, wollte aber gerne helfen. "Nun, am besten wird es sein, wir gehen dem Geräusch auf den Grund." Prüfend hob der seinen angefeuchteten Finger in die Luft "Ein Wind aus Osten kommt ..." Sherlock und John schauten sich nun fassungslos an. Sigurd sprach jedoch davon unbeeindruckt weiter "Was denn? Wir haben Ostwind, also ist die Ursache des Tick und Tack in dieser Richtung zu suchen! Ich wecke den Rest der Truppe. Übrigens, das Feuer ist aus."
Kurze Zeit darauf standen alle ausgeruht und in trockenen Sachen reisefertig und lauschten Sigurds Erklärungen für den Aufbruch. Sherlock und John wirkten nach wie vor irritiert. Malene stimmte der Idee zu, die Herkunft des Geräuschs zu ermitteln. Da auch das Feuer offensichtlich inzwischen wieder verschwunden war, gab es hier sowieso nichts mehr zu tun.
Sie brachen also Richtung Osten auf, ohne zu wissen, was sie erwartete. Die Reisenden waren erst wenige Schritte unterwegs, als diesmal alle deutlich ein 'TickTack' hören konnten. Es wirkte so, als wenn es von links nach rechts wandern würde. Plötzlich stürzte Claus vor und verschwand laut bellend in einem Gebüsch. Alles rufen half nichts, er blieb verschwunden. Also rannten ihm nun alle im Laufschritt hinterher. Nach einigen hundert Metern hatten sie ihn wieder eingeholt. Claus stand knurrend vor einem weißen Hasen. Das war noch garnicht so erstaunlich. Doch dieser Hase trug Kleidung und hielt eine riesige Taschenuhr in der Vorderpfote. Starr vor schreck hockte er da und sah ängstlich zu Claus auf. Wie unter Zwang entwich ihm immer wieder ein "TickTackTickTack" gefolgt von "Keine Zeit, keine Zeit, muss weiter."
Man konnte es förmlich hören, wie dem Detektiv ein riesiger Stein vom Herzen fiel. Dabei sollte es einen Erwachsenen Menschen vielleicht schon beunruhigen, wenn er auf einen sprechenden Hasen trifft. Doch John war noch nicht ganz überzeugt "Pffft, Claus bei Fuß." "Ist ja schon gut, mach nur keinen Streß." antwortete der angesprochene Hund zu aller Erstaunen anstatt, wie gewohnt zu bellen. John ignorierte diese Neuigkeit und baute sich vor dem Hasen auf "Wer hat dich geschickt? Kennst du einen Moriarty?" Sich weiter ängstlich duckend antwortete der "Keine Zeit, muss weiter. Die rote Königin schickt mich. TickTack." Und schon rannte er davon. Die gesamte Gruppe setzte ihm nach. Aber wenn das schon komisch aussah, wie soll man dann das nennen, was sich den Reisenden kurz darauf zeigte? Die Expedition brach durch das Unterholz mitten auf eine Lichtung. Dort stand ein Haus, welches tatsächlich aussah wie ein Hut. Genau genommen ähnelte es einem Zylinderhut. Davor stand im Freien eine lange Kaffeetafel. Allerdings wurde hier wie in England üblich Tee serviert.
Außer einem sehr bunten Mann, der schon rein äußerlich etwas durcheinander wirkte, saßen noch ein alter grauer Hase und eine Haselmaus bei Tisch. Der Gastgeber ergriff das Wort "Seid willkommen Fremde. Ich bin der Hutmacher, nehmt gerne Platz." Inzwischen wunderte sich niemand mehr, dass auch die Maus losplapperte "Ich bin Mallymkun und der da drüben ist Thackery, der Märzhase und willkommen ist hier niemand." Wütend stemmte sie ihre kleinen Vorderbeinchen in die Hüften. An ihrem Gürtel hing tatsächlich eine Nähnadel als Schwert. War der weiße Hase schon beängstigend, so sah man diesem hier am Tisch sitzenden den Wahnsinn direkt an. Er konnte kaum reden, zog sich nervös ständig die Ohren lang und übers Gesicht.
Malene deutet ihrer Gruppe an, Platz zu nehmen. Nun stellte sie alle nacheinander vor. Das gebot die Höflichkeit. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine schwebende gestreifte Katze auf oder vielmehr nur ihr Kopf. Quer übers ganze Gesicht zog sich das breiteste Grinsen, welches Malene jemals gesehen hatte. Natürlich konnte auch sie sprechen "Du bist NICHT Alice!" "Nein, ich bin Malene. Warum sollte ich denn Alice sein?" gab sie zurück. "Warum sollte überhaupt jemand WER sein? Wir sind doch alle irgendjemand, oder?" Die Gefährten sahen sich ratlos an. Was wollte dieser Hutmacher damit sagen? Nur Sigurd Joghurdsson schien intensiv über den Sinn dieser Worte nachzudenken und wirkte in seinem weißen Kittel ein wenig so, als ob er hierher gehören würde.
Der Hutmacher sprach weiter "Nun, das Feuer ist uns also abhanden gekommen. Also da kann ich mich doch nur freuen. Kein Feuer ist ein gutes Feuer." Malene verstand nicht recht, was er damit meinte "Aber ohne Feuer gibt es nichtmal mehr Tee für euch hier, Feuer ist so wichtig!" Der Hutmacher, die Haselmaus und der Märzhase brachen in irres Gelächter aus. "Tee gibt's doch hier sowieso nicht." grummelte Mallymkun böse. Und der Hutmacher setze plötzlich sehr ernst nach "Hätte es schon damals, am Jabberwockytag, kein Feuer gegeben, würde meine Familie sicher noch heute am Leben sein. Wenn ihr wirklich das Feuer sucht, dann solltet ihr jetzt gehen." "Was ist der Jabberwockytag?" fragte Hagrid interessiert nach. Doch der Hutmacher stierte traurig und abwesend einfach vor sich hin. Die Haselmaus fuchtelte jetzt wütend mit ihrem Nadelschwert herum und schrie "Ihr habt es doch gehört, ihr sollt gehen."
Völlig durcheinander von dem eben erlebten, brach die Expedition wieder auf. Scheinbar waren hier in dieser Welt alle verrückt. Erst so freundlich und dann so abweisend. Zum ersten Mal, seit ihrem Sprung über die nordanische Brücke, wusste Malene nicht so recht weiter. Also wanderten sie erstenmal einfach weiter Richtung Osten. Völlig in Gedanken versunken, bemerkte sie zuerst überhaupt nicht, dass sich der Boden unter ihr änderte. Statt auf Gras oder Waldwegen standen sie jetzt auf glattem weißen Marmor. 'Wenn es eine rote Königin gab, war diese Welt ein Königreich und es musste auch ein Schloß geben. Also sollten wir erst einmal dieses Schloss suchen und dann ...' "Malene!" Sigurd riss sie aus ihren Überlegungen. "Was ist denn, Doktor?" "Schau doch mal runter, der Boden hat sich verändert." Jetzt sah sie es auch. "Ein Weg? Wohin führt der wohl?" John korrigierte Malene prompt "WEG ist wohl nicht ganz zutreffend. Platz wäre die bessere Beschreibung." Er zeichnete mit ausladenden Geste einen weiten Bogen. Die Blicke der Kameraden folgten seiner Hand. Und richtig, sie standen auf einer riesigen weißen Marmorplatte. Diese grenzte mit einer Seite an den Rasen und mit drei Kanten an weitere schwarze Marmorflächen. Schwarze und weiße Quadrate wechselten sich ab, soweit das Auge reichte. Hagrid brachte es auf den Punkt "Freunde, ich glaube wir stehen mitten auf einem überdimensionalen Schachbrett. Harry, Hermine und Ron haben damit garkeine guten Erfahrungen gesammelt." Malene erinnerte sich an früher. Ihr Vater hatte oft mit Marcus Schach gespielt. Aber wozu diente so ein riesiges Spielfeld? Sie konnte nirgends passende Figuren dafür entdecken, welche ja dementsprechend gigantisch sein müssten.
Sherlock tippte ihr auf die Schulter und zeigte mit der Hand nach links und rechts. Thore reichte ihr wortlos sein Fernrohr. Sie sah etwas, konnte sich das allerdings nicht erklären. Links von ihnen stand in der Ferne so etwas wie eine rote Armee. Doch die Soldaten ähnelte eher Spielkarten. Etwas höher, vermutlich auf einem Podest, erkannte Malene eine kleine Frau mit einem sehr großen Kopf und feuerroten Haaren. Im Verhältnis zum Körper wirkte ihr Haupt riesig. Gegenüber, zu ihrer rechten Seite stand eine weitere Armee. Auch da erkannte sie eine Anführerin ganz in weiß, diese allerdings schien eher Elfengleich zu schweben. Davor eine kunterbunt zusammengewürfelte Truppe aus Tieren und Menschen. Und ganz vorne stand ein Ritter in silberner Rüstung. Doch halt, auch das war eine Frau mit langen blonden Haaren. Und jetzt setzten sich beide Seiten in Bewegung. John unterbrach die Stille "Ist euch eigentlich klar, dass wir genau zwischen diesen beiden Heeren stehen. Sie kommen von links und rechts direkt auf uns zu. Wir sollten schleunigst über das Spielfeld rennen und uns auf der anderen Seite verstecken." Inzwischen konnte man das Kriegsgeheul der beiden Gegner hören. Malene gab Thore das Fernrohr zurück und setzte sich langsam in Bewegung. "Kommt, Männer. John hat recht, wir sollten uns beeilen."
Als sie das Schachbrett zur guten Hälfte überquert hatten, tauchte hinter der Armee der roten Königin ein Schatten auf. Und direkt neben Malene erschien wieder diese schwebende Grinsekatze. "DAS ist der Jabberwocky." Hagrid ergänzte "Ein Drachen?" "Nenn ihn wie du magst. Der Jabberwocky verbrennt mit seinem weiß glühenden Atem alles was sich ihm in den Weg stellt." "Und dieses Wesen hat dann wohl auch die Familie des Hutmachers erwischt?" fragte Malene. "Vielleicht bist du ja doch Alice." "Nein bin ich nicht, aber ..." Sie schaute sich um, doch die Grinsekatze war schon wieder weg.
Die Expedition erreichte das andere Ende des Spielfeldes. Im selben Moment stieß der Jabberwocky herab und ... gab ein jämmerliches husten und prusten von sich, welches sehr stark an den kleinen Drachen in Hagrid's Manteltasche erinnerte, nur in sehr viel größer. 'Na klar, das Feuer ist ja auch hier inzwischen weg.' dachte Malene erleichtert und verstand erst jetzt richtig, was der Hutmacher vorhin eigentlich meinte.
Die weißen und roten Truppen prallten inzwischen direkt aufeinander und es herrschte ein wildes Durcheinander. "Lasst uns hier verschwinden, wir könne vielleicht später etwas für den Hutmacher tun."
Sie kämpften sich nun wieder durch dichtes Buschwerk. Als Malene sich umdrehte konnte sie die Kämpfenden nicht mehr sehen. Dafür passierte an der Spitze der Kolonne etwas. Thore, der vorneweg schritt, prallte plötzlich gegen ein unsichtbares Hindernis und jaulte kurz auf.
...
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