Türchen 06

Alle redeten wild durcheinander und gestikulierten heftig. Der Kuppelmeister eilte hierhin und eilte dorthin, immer bemüht, jeden Erleuchteten um Ruhe zu bitten. Doch sein ständiges "Scht, Scht, leise bitte, meine Damen und Herren, Scht, Schhhhhhht!“ erinnerte eher an eine Dampflokomotive und verstärkte diesen Lärm nurnoch.

Malene, die ihre Schwester nach Jadelien begleitete, schaute sich das ganze Theater eine Weile fassungslos an, sah dann aber kurz zu Mathilda auf, die diesen Blick mit einem leichten Kopfnicken quittierte. Daraufhin schnellte Malene hoch und knallte ihr Schwert derart heftig auf den Tisch vor sich, dass dieser unter lautem Krachen zusammen brach. Ihre Stimme dröhnte durch die Kuppelhalle und übertönte das Stimmengewirr der Wissenschaftler "RUUUUUUUUUUUHEEEEEEE!!!" Ja, so war sie, die Malene. Wo Mathilda mit Ruhe und Bedacht agierte, schlug ihre kleine Schwester eben erstmal drauf los. Und in diesem Fall verfehlte sie auch nicht die erwünschte Wirkung. Die Erleuchteten beruhigten sich nach und nach wieder.

Als erster fand Professor Pergilusson die Fassung wieder. Er wendete sich Mathilda zu und sprach bedächtig "Ihre Majestät, bitte erlauben sie mir, ihnen diese Situation im Namen aller hier Versammelten näher erklären zu dürfen!“ Die Königin antwortete kurz und etwas eisig "Sie haben meine volle Aufmerksamkeit, Professor. Sprechen sie!" und begleitete ihre Worte mit einer etwas herablassenden Geste, so als würde sie eine lästige Fliege verscheuchen.

"Ihre Majestät, sicher ist es die einstimmige Meinung der hier versammelten Kolleginnen und Kollegen, die Ursache des flächendeckenden Erlöschens aller Feuer sei außerhalb Nordaniens zu suchen. Damit ist allerdings keinesfalls die Empfehlung verbunden, eine Expedition dorthin zu entsenden." Mit einer Einhalt gebietenden Handbewegung unterbrach Mathilda den Kuppelmeister "Ich traf meine Entscheidung auch nicht auf irgendeine Empfehlung hin, sondern aus innerer Überzeugung heraus. Es ist mir neu, dass die Königin Nordaniens sich ihrer Beschlüsse wegen vor den Erleuchteten der KNNK zu rechtfertigen hat. Trotzdem interessieren mich ihre Bedenken und darum erhalten sie hiermit die Möglichkeit, diese vorzutragen!"

Mathilda's Stimme klang dabei tatsächlich ungewohnt frostig und distanziert. So kannte man die sonst eher warmherzige junge Frau eigentlich nicht. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Feuerkrise zunehmend an ihren Nerven zehrte.

"Vielen Dank dafür, Königin Mathilda." fuhr Pergilusson fort. Und dann erläuterte er in einem kurzen Vortrag die Probleme, welche sich ergaben, wenn man Nordanien verlassen wollte. Dies war zum Beispiel zu Zeiten König Michel's schlicht unmöglich. Es gab keinen Weg nach draußen. Man muss sich das wie bei einer Käseglocke vorstellen, der Teller ist Nordanien und darüber wird eine unsichtbare Glocke gestülpt. Eine Anomalie im Raum-Zeit-Kontinuum, weshalb vermutlich auch bisher kein Mensch unserer Welt dieses Reich im hohen Norden entdeckt hat.

Aus diesem Grund wanderte König Michel damals auch immer im Kreis herum, entlang der unsichtbaren Grenze Nordaniens, ohne es zu bemerken und schuf auf diese Art den legendären Feuerkreis, seither das Wahrzeichen der Nordanier.

König Manuel, der Nachfolger Michel's förderte in seiner Regierungszeit stark die Erleuchteten und so ging diese Phase als Etappe der Wissenschaft und des Fortschritts in die Chroniken ein. Doch erst 3 Regierungen später, unter Königin Merle, wurde rein zufällig eine weitere Anomalie entdeckt, die es Menschen ermöglichen sollte, Nordanien zu verlassen. Wie diese Anomalie genau funktionierte, konnte man bis heute nicht endgültig herausfinden. Und ob man von der anderen Seite aus durch das selbe Phänomen wieder zurück reisen konnte war bisher nicht bewiesen.

Wie muss man sich jetzt so eine Anomalie vorstellen? Denkt an eine Art Schleuse oder Wurmloch. Die Käseglocke um Nordanien herum, war nämlich nicht ganz dicht. Überall an der Begrenzung des Reiches konnten geübte Sucher solche Schleusen entdecken. Man musste schon sehr genau hinsehen und wissen, wonach man Ausschau hielt. Stellt euch vor, ihr starrt auf eine kleine Baumgruppe im Wald. Und plötzlich habt ihr das Gefühl, dass das Bild dieser Gruppe ein wenig unscharf zu sein scheint, unschärfer als der Rest drum herum. Vor allen an den Rändern zeichnet sich dieser Unterschied deutlicher ab. Wenn ihr so eine Situation vorfindet, habt ihr eine "nordanische Brücke" entdeckt.
Nehmt ihr nun einen Stein oder Ast und werft ihn in Richtung dieser leicht unscharfen Baumgruppe, wird dieser Gegenstand einfach verschwinden. Durch die Käseglocke hindurch nach draußen, vermutlich. Genau kann das niemand sagen, denn es gab zwar einen Menschen, der so eine nordanische Brücke bereits überquert hat, doch dieser tapfere Mann ist bis heute nicht zurück gekehrt.

Mathilda und Malene hatten nämlich eigentlich noch einen älteren Bruder, Marcus. Dieser wäre normalerweise der reguläre Nachfolger von Merle. Marcus, wissenschaftlich sehr interessiert, verfolgte stur ein großes Ziel, herauszufinden, was hinter der Käseglocke existierte. Und so wagte sich Marcus als erster Nordanier in eine der gerade erst neu entdeckten Schleusen. Mathilda übernahm in Vertretung den Thron ... und führte das Land nun schon im sechsten Jahr.

Nachdem Pergilusson seinen Vortrag über die Bedenken der Erleuchteten beendet hatte, ergriff die Königin wieder das Wort "Sie alle wissen sehr genau, warum hier nicht unser geliebter Bruder Marcus zu ihnen spricht. Ich bin mir der Gefahren also sehr wohl bewusst. Doch welche Alternativen haben mir die Damen und Herren hier zu bieten? Richtig, keine einzige! Wir sind uns alle einig, dass sich die Feuerkrise vermutlich nur außerhalb der Grenzen Nordaniens lösen lässt. Und der einzige bisher bekannte Weg nach draußen sind die nordanischen Brücken. Wir können nicht länger warten, zu lange schon fehlt das Feuer im Reich. Die Menschen leiden und es fehlt an immer mehr alltäglichen Dingen. Außerdem folgt dem warmen Sommer und kühlen Herbst schneller als uns lieb ist, der nächste frostige Winter und damit auch Weihnachten. Ich kann und werde es nicht zulassen, dass es gerade in diesem, dem 50. Todesjahr König Michel's, keinen Feuerkreis gibt! Und deshalb wird diese Expedition statt finden. Ich habe mir bereits im Vorfeld ihrer Konferenz erlaubt, eine solche Variante gemeinsam mit meiner Schwester, Prinzessin Malene, zu besprechen. Sie wird als meine direkte Vertreterin diese Expedition anführen." Ein unterdrücktes Raunen ging durch die Halle. Zu Recht hatten nun wohl nicht wenige Erleuchtete Bedenken, sie könnten zu den Kandidaten zählen, die demnächst in eine ungewisse Zukunft hinein dieses geliebte Land verlassen "dürften".

Unterdessen ergriff bereits Prinzessin Malene das Wort. Sie kam wie immer schnell auf den Punkt. Wusste doch jeder Nordanier, wie ungern Malene vor dem Volk sprach. Sie war eine Frau der Tat. Sich durch Schlamm kämpfen, mit den stärksten Kerlen im Armdrücken messen, DAS waren Dinge, die ihr deutlich näher lagen. "Zuerst gebe ich 4 Freiwilligen die Chance, sich mir anzuschließen. Gleichzeitig stelle ich eine Liste mit den Namen der Bürger zusammen, die ansonsten meinem Wunsch nach die Ehre haben werden, mich begleiten zu dürfen. Morgen Mittag, Punkt 12.00 Uhr verlese ich die Namen der 4 weiteren Teilnehmer, freiwillig oder nicht!"

Ohne weitere Reaktionen abzuwarten, eilten Mathilda und Malene gemeinsam aus der großen Halle. Sie hatten bis zur Verkündung der Namen noch viel zu besprechen und zu organisieren. Weit kamen sie jedoch nicht, denn direkt vor den riesigen Türen die ins Freie führten trat ihnen ein Kerl, wie aus dem Versandkatalog für Helden entsprungen, in den Weg - es war Thore, Hauptmann der königlichen Leibgarde.

...

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