"Sie ist auserwählt", wie ein Lied, welches immer wieder gesungen wurde, wiederholte sich dieser Satz in meinem Kopf - immer, und immer wieder.
Doch gewiss betraf dieser Satz nicht mich, sondern meine reizende und unglücklicherweise ebenso jüngere Schwester.
Meine Schwester galt wohl schon seit ihrer Geburt als die schönere, freundlichere und anerkanntere Tochter des Viscounts Jeffreys von Wrexham.
Theoretisch würde ich ihr jedes Glück auf der Welt gönnen, doch leider war ich die Ältere in unserer Schwesternschaft und hätte somit diesen Stand verdient. Doch dieses eine Mal lehnte ich die dauernde Aufmerksamkeit dankend ab. Anstatt es zu genießen im Mittelpunkt der Gesellschaft durch Tanzeinlagen oder Gesangsvorstellungen zu stehen, zog ich es vor mich während einer Gesellschaft in einen Nebenraum die Zeit zu vertreiben bei belanglosen Kartenspielen oder politischen Diskussionen der Männer die Zeit zu überstehen. Darauf hoffend, dass der Abend schnell sein Ende finden würde, versuchte ich jegliches Kontaktknüpfen der jungen Männer zu meiden und zu unterbinden.
Als meine Mutter noch lebte, musste ich mir immer wieder anhören, dass ich im Gegensatz zu meiner Schwester Ann wohl kaum für das klassische Eheleben gemacht war. Kopfschüttelnd ließ sie mich immer wieder versprechen, dass ich wenigstens auf ihr kostbaren Spross achten würde, sodass sie später eine standesgemäße Verbindung einginge.
Es stimmt wohl, denn wer würde nicht mit einem blond gelockten Engel mit grünen, strahlenden Augen und einer Grazie, dass sie selbst die unserer aller Adeligen übertraf, liebäugeln? Sie war schon immer begabter in Kunst, Tanz und Musik gewesen, konnte sich besser in Worte fassen und geschickter Konversationen führen.
Doch eines zählte nicht zu ihren reichlichen Begabungen - das logische Denken und ein gewisser Zukunftsblick. Natürlich wäre es ungerecht sie dümmlich zu taufen, doch wohl auch nicht gerade intelligent. Kindlich würde es wohl am besten beschreiben, was eindeutig für ihr noch junges Alter sprach, während ich zu der schon älteren Generation an unverheirateten jungen Frauen Englands galt.
In jüngeren Jahren hatte ich mir noch oft gewünscht so zu sein, wie sie, doch irgendwann war ich zu dem Entschluss gekommen, dass Aussehen und Grazie nicht alles im Leben waren. Gewiss sah ich auch nicht schlecht aus, doch mit meinen braunroten Locken fiel ich überall unangenehm auf, was meine Mutter schon immer als sehr störend empfunden hatte. Zwar hatte auch ich die grünen Augen meines Vaters geerbt, doch leider strahlten diese bei weiten nicht so klar, wie die meiner Schwester, sondern wirkten eher moosig und stumpf.
Außerdem verfügte ich ebenfalls über eine besondere Gabe wie meine Schwester, die mich jedoch oft in schlechten Licht darstellen ließ. Indem mir andauernd unglückliche Missgeschicke geschahen, zog ich oft ungewollt die Missbilligung der Gesellschaft auf mich. Daher glückte es mir oft mich nicht korrekt und standesgemäß auf Gesellschaften oder unter Adeligen zu verhalten. Dies wäre nun alles noch zu retten gewesen, wenn ich mich wenigstens für die Freizeitaktivitäten einer jungen Dame interessierte. Doch leider weckte weder das Gerede der Gesellschaft, noch die neuste Mode meine Aufmerksamkeit oder gar mein Interesse. Ich zog den Banalitäten der Gesellschaft das Reiten um weiten vor. Eine eher gefährliche Aktivität, die zwar meist gefordert wurde, doch in hoher Ausführung sich nicht für eine junge Frau meines Standes ziemte. Meine Familie stand nicht direkt mit dem König in Verbindung und war ebenfalls nicht mit dem Königshaus befreundet, doch mein Vater und dessen Väter zuvor besaßen beachtliche Grundstücke und ließen viele Felder bewirtschaften. Als niederer Viscount hatte er nur wenige Aufgaben zu bewältigen, sodass ihm ebenso nur wenige Bewohner unterstanden.
Doch, welche Aufgabe hatte eine junge, unverheiratete Frau wie ich? Jegliche Einladungen zu Bällen annehmen und immer die wahrlich gute Tochter spielen, um gewiss schnell zu heiraten und dem Ehemann, welchen man am besten noch nicht einmal liebte, einen Erben zu schenken - dies war meine Einstellung. Schon in jungen Jahren verwehrte ich jeglichen Anstandsunterricht und wollte mich nicht wie die junge Komtess verhalten, die ich war.
Alles begann damit, dass ich an einem sonnigen Nachmittagaus meinen Fenster die Umgebung beobachtete und einen Bote auf unser Haus zueilen sah. Gespannt erwartete ich an wen der Brief adressiert war, den der Bote brachte. Da ich sehnsüchtig auf mein neues Pferd wartete, welches mein Vater für mich im Ausland geordert hatte, war ich dementsprechend neugierig.
Doch als ein freudiger Schrei aus dem Erdgeschoss zu vernehmen war, wusste ich,dass es für mich keine erfreulichen Neuigkeiten geben würde.
Meine Schwester und ich hatten vermutlich wieder einmal eine Einladung zu einem Ball von Lady Asthon bekommen. Sie war die Frau eines reichen Händlers und hatte somit genug Prestige sowie Mittel um des Öfteren prächtige Gesellschaften zu organisieren.
Meine Schwester hörte ich schon wenige Sekunden später eilig die Treppe hinauf hasten, sodass sie alsbald mit hochgerafften Kleid in mein Zimmer stand. Ihre zierlichen Wangen waren leicht gerötet und ihr Atem ging dabei ungewöhnlich schnell. Wahrscheinlich war sie so von der Vorfreude berauscht, dass sie vor Aufregung errötet war.
Ich drehte nur meinen Kopf zu ihr und blickte in ein strahlendes Lächeln. Im Gegensatz zu dem freudigen Gesicht, verzog ich abwertend meine Miene. Bevor sie auch nur ein Ton herausbringen konnte sah ich sie bitter an. "Darf ich raten? Es wurde wieder zu einer 'so reizenden' Gesellschaft geladen?" Meine Schwester blickte mich vorerst grimmig an, begann jedoch eiligst mir den bevorstehenden Abend schmackhaft zu machen. "Ja! Ist das nicht großartig? Endlich können wir wieder mit den Edelmännern der Region tanzen." Sie begann eine kurze Galliardschrittfolge und drehte sich dabei einige Male im Kreise, bevor sie endlich fortfuhr. "Lady Asthon veranstaltet einen Ball und nicht nur irgendeinen Ball, sondern einen Maskenball! Ist das nicht aufregend, Iphi?" Vernichtend schaute ich sie an. Sie hatte schon immer eine Vorliebe dafür, meinen Namen abzukürzen, als ob mein Name nicht schon schlimm genug wäre. Wer hieß schon gerne Iphigénie Elen Asbury. Ich fragte mich wirklich, wie man bitte sein Kind so nennen könnte. Selbst in der Namenswahl hatte es meine Schwester besser getroffen. Ann Luise Asbury hört sich wohl um Längen besser an. Meine geäußerten Einwände beachtete meine liebste Schwester überhaupt nicht, sondern fuhr mit ihren Schwärmereien fort. "Und weißt du was?" Ich starrte weiter aus dem Fenster und brachte nur ein unbeteiligtes 'ja?' heraus, welches sie sofort zum Erzählen anspornte. "Ein tatsächlicher Prinz aus Persien wird zu Besuch sein! Lord Asthon hat schon des Öfteren mit dessen Königreich verhandelt und nun wollte er unser schönes England mit eigenen Augen sehen - ist dies nicht wunderbar?" Ihre Augen glänzten bei den Worten. Jedoch erwartete sie keine Antwort von mir, sondern setzte ihren Monolog fort. "Der Prinz ist unverheiratet, also fast zu mindestens. Es heißt er suche eine englische Frau, welche er mit sich nehmen könne. Stell dir jenes einmal vor. Verheiratet in einem fremden Land, die ganzen Abenteuer die man dort erleben könnte. Das wäre doch atemberaubend." Ich blickte zu ihr und zog eine Augenbraue hoch. Den letzten Teil hatte ich gar nicht wirklich wahrgenommen. Ich grübelte über eine ihrer Formulierungen. "Wie meinst du das mit 'fast zumindest'?", fragte ich interessiert und sah ihr dabei abwartend in die Augen. Als ich bemerkte, dass ihr Strahlen einen gehörigen Dämpfer bekam, musste ich ein Grinsen unterdrücken. "Nun denn es wird gemunkelt, ob er sich einen Harem nimmt und noch Frauen sucht." Ich sah sie verwirrt an "Einen Harem? Mehrere Frauen?" Sie musterte mich tadelnd. "Iphigénie ich war noch nicht fertig mit dem Sprechen, du sollst Leute nicht andauernd unterbrechen. Außerdem, setze dich gerade hin, du siehst aus, wie eine alte Magd! Zurück zu deiner Frage: Es wird nur gemunkelt, doch selbst dies finde ich vollkommen interessant." Böse blitzte ich sie nochmals an, bevor ich meine Gedanken, welche mich ihren ganzen Monolog begleiteten, äußerte. "Ich werde nicht zu diesem Ball erscheinen! Du kannst alleine gehen, trotz der Anwesenheit des nicht existierenden Prinzen." Nun war es an Ann mich gereizt anzufunkeln. "Oh, doch dies wirst du! Oder soll ich Vater wieder einbeziehen! - denn dann wird es einen gehörigen Aufstand geben! Iphigénie du bist einundzwanzig! Es wird Zeit einen Mann zu finden und diesen findet man nun mal auf Bällen und Gesellschaften!"
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal, auch wenn ich nicht die Absicht hatte, einen Ehemann zu finden. Oder jedenfalls noch nicht. "Ist gut, ich werde dich auf den Ball begleiten, doch werde ich weder Freude dabei haben, noch tanzen! Also belästige mich bitte nicht den ganzen Abend mit dem Wunsch zu tanzen." Sie lächelte mich nur schelmisch an, bevor sie fortfuhr: "Wir werden sehen!" Bevor ich fragen konnte, was sie nun schon wieder plante, warf sie ein, dass wir nun los müssten. Ich blickte sie äußerst verwirrt an, "Wie? Zum Ball?" Meine Frage schien sie ebenfalls zu verwirren, denn Ann sah mich kurz an, als wäre ich nicht von der Erde und brach dann, nachdem sie den Grund meiner Frage verstand in engelsgleiches Lachen aus. "Nein, doch nicht nun um zwei Uhr nachmittags. Wir müssen unsere Kleider abholen." Ich schaute sie fragend an, was ihr erneut ein Schmunzeln entlockte. "Ich erwartete schon länger, dass demnächst ein Ball stattfinden würde, sodass ich Kleider für uns schneidern lassen habe." Ihre Augen strahlten und ich seufzte theatralisch. "Oh, Gott. Bitte nicht .." Sie lächelte nur und eilte zu meiner Zimmertür. "In zehn Minuten fahren wir." Seufzend ging ich zu meinem Schminktisch und flocht mir mein rotbraunes Haar über meine Schulter zu einem Zopf, während ich überlegte, was ich von diesem Ball halten sollte. Einerseits war ich mir sicher, dass es sehr langweilig werden würde, doch zum anderen war ich teils etwas gespannt darauf, was es wohl mit diesem Prinzen auf sich hatte. Denn auch wenn ich es niemals vor Ann zugeben würde, er hatte trotzallem mein Interesse geweckt. Als ich zufrieden mit meinem Werk war, strich ich mir mein grün besticktes Tageskleid glatt, bevor ich eilig die breite Treppe hinunter lief, wo bereits meine Zofe auf mich wartete. Diese knickste lächelnd als sie mich sah und half mir in meinen langen, ebenfalls passend grünen Mantel. Anschließend stellte sie sich an die Tür, während ich rasch im Salon verschwand, wo Ann bereits auf mich wartet. "Wird aber auch Zeit, Schwester!"
Augenrollend lief ich mit ihr zur Tür unseres Anwesens und trat in das helle Sonnenlicht. Sofort hakte mein Schwesterherz sich bei mir unter und schritt mit mir zu der wartenden Kutsche.
Nach einer kurzen Fahrt über holpriges Pflaster der kleinen Stadt kamen wir an unserer, beziehungsweise Ann's Lieblingsschneiderei an. Eilig stieg Ann aus der stehenden Kutsche und ging mit leuchtenden Augen in das eher kleine Geschäft. Ich bemühte mich elegant aus der Kutsche zu steigen und folgte ihr dann langsamer und mit nicht allzu großer Begeisterung. Unser Diener hielt mir höflich die Tür auf, sodass ich ohne Probleme die Schneiderei betreten konnte. Sofort empfing mich der Geruch von Lavendel- und Rosenparfum, mit dem die Kleider ordentlich besprüht waren.
Langsam blickte ich mich im Laden um und entdeckte Ann schließlich im hinteren Teil des Geschäftes mit zwei Kleidern auf den Armen. Eins hatte sie ausgepackt, während das andere in einer schwarzen Hülle versteckt war.
Seufzend ging ich nun zu ihr und blickte die schwarze Hülle misstrauisch an "Welches von diesen beiden schweren Stoffbündeln ist nun für mich bestimmt?" Ann schaute mich entsetzt an. "Iphigénie! Wie redest du denn!" Missbilligung stand in ihren Augen, welche mich kurz zusammenzucken ließ. "Tut mir leid Ann, ich sollte so etwas nicht sagen." Beschämt wich ich ihrem Blick aus und schaute auf das Kleid und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. "Nun, welches tolle Gewand ist nun für mich bestimmt?" Sie schüttelte nur leicht lächelnd den Kopf, da sie mir schon wieder verziehen hatte. "Ich habe mir gedacht, dass ich dich mit dem Kleid überraschen werde." Fragend sah ich ihr in die Augen. "Das verstehe ich nicht." Ein größeres Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. "Du wirst dein Kleid erst am morgigen Tag des Balles sehen." Empört blickte ich sie an. "Ann, nein! Das kannst du mir nicht antun. Ich möchte schließlich wissen, was ich tragen werde!" Ann ignorierte jedoch meinen Einwand, übergab der Verkäuferin die Kleider und ging schon Richtung Ladentür, während sie sich im Gehen an die Verkäuferin wand. "Lana schick doch bitte die Rechnung an unseren Vater." Die Angesprochene nickte nur und brachte anschließend die beiden Kleider in die Kutsche. Sauer lief ich nun auch aus dem Laden und nahm wieder neben meiner Schwester in der Kutsche Platz, um wieder nach Hause zu fahren. Leicht verstimmt schaute ich während der Fahrt aus dem Fenster und dachte über die anstehende Feier nach. Betend blickte ich zum Himmel, dass das Kleid welches Ann ausgesucht hatte, nicht allzu auffällig und unpassend geschnitten war.
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