Frühlingsende
Es war der letzte Tag des Frühlings und die höfische Jagdgesellschaft des Fürsten von Norderfeste bereitete sich auf den Heimweg vor. Das Licht, das durch die mit frischem Grün geschmückten Kronen der Bäume fiel, verriet den Stand der Sonne und es war an der Zeit aufzubrechen, damit der Herzog, seine Söhne und seine Gäste noch vor der Dämmerung die Burg am Seeufer erreichen würden. Später am Abend würde es dort ein Festmahl geben, denn die Jäger hatten reichlich Beute gemacht und gewiss begann man in der Küche bereits mit den Vorbereitungen für den Schmaus. Auch Gaukler und Musikanten würde es geben, denn Beltane, die erste Nacht des Sommers, war eines der größten und schönsten Feste, die man von alters her zu Ehren der Götter in diesem Lande beging.
Dennoch waren die Feierlichkeiten nicht mehr so ursprünglich und rau wie zu der Zeit, als Wilhelm, der Fürst, noch ein junger Mann war. Wie es oftmals der Fall ist, war es seine junge Gemahlin, der das wilde Treiben an diesem Festtag nicht gefiel. Sie sorgte dafür, dass es etwas „gesitteter" zuging. Zumindest auf der höfischen Jagd und dem Bankett im Festsaal. In den umliegenden Dörfern und selbst auf dem Burghof blieb dies etwas anderes. Dort kam es noch immer zu wilden Tänzen blutbemalter junger Männer um die sexuelle Gunst blumengeschmückter junger Frauen und orgiastischen Gelagen als Ausdruck reiner Lebensfreude zu Beginn der sonnigen Jahreszeit. Der Herr dieses Landes und sein Gefolge gingen jedoch seither, und auch nach dem Tod der Fürstin, mit gutem Beispiel voran. In aller Regel jedenfalls. Und diese besagte meist, das erlaubt ist, was den Göttern gefällt, aber den Frauen nicht missfällt.
So kam es, dass der vierte Sohn des Herzogs, Winfrid, ein stattlicher, blonder Ritter, seine eigenen Pläne für den weiteren Verlauf des Tages, vor allem aber der Nacht hatte. Und darin spielte vor allem sein Knappe Ronan, ein schwarzgelockter, frecher Bursche, eine Rolle. Sie waren seit dem letzten Frühsommer unzertrennlich und um dies zu feiern, hatte sich Winfrid etwas Besonderes einfallen lassen. Es hatte mit dem Hirsch zutun, den er bereits am späten Vormittag erlegt hatte, aber das konnte Ronan nicht wissen, denn er war in Unkenntnis der Beltane-Bräuche jenseits des Gebirges aufgewachsen. Umso größer war die Vorfreude auf des Knappen Überraschung bei seinem Ritter.
Während das provisorische Camp um ihn herum zusammengeräumt wurde, vergewisserte sich der Blonde, dass man die kleinere Jagdbeute wie Füchse und Fasane den Packpferden sicher aufgebunden hatte und die größeren Tiere, sein Hirsch und der Eber seines ältesten Bruders, auf einer Trage festgezurrt waren, die jeweils ein Pferd hinter sich herziehen konnte. Alles war zu seiner Zufriedenheit und Ronan, der sich um ihre Pferde kümmerte, kam mit Eomer und Feuerherz am Zügel von der Quelle, wo sie mit den anderen gerastet hatten. Ihm hätte auffallen können, dass Winfrids silbergrauer Destrier eine ungewöhnlich prall gefüllte Satteltasche trug, doch danach sah es nicht aus. Ronan schaute ihn freudestrahlend an, wie immer, wenn er seinen Ritter erblickte.
„Ist alles bereit?"
„Alles ist bestens, mein Prinz."
Auch der Ritter lächelte nun. Mein Prinz war sein Kosename, den der Bursche zuweilen selbst am helllichten Tag verwendete. Die richtige Ansprache, mein hoher Herr, benutzte er nur zu förmlichen Anlässen, was auf diese Jagd streng genommen zutraf, aber für den Augenblick waren sie unbeobachtet.
„Die Pferde sind ausgeruht und wir können direkt zu den anderen aufschließen", ergänzte der Knappe und deutete mit einem Kopfnicken in die Richtung, wo der Fürst und seine älteren Söhne bereits aufbrachen.
„Ja, wir sollten aufsitzen. Aber wir lassen uns zurückfallen. Ich habe noch etwas mit dir vor."
Bei solchen Worten horchte der Bursche auf. Sofort war er brennend interessiert, auch wenn er seinen Ritter nun aufzog.
„Bist du sicher? Dein Vater kann gewiss bis vier zählen und merkt, wenn ein Sohn fehlt."
Lachend kam die Antwort.
„Er kann auch bis drei zählen. Es ist die Nacht von Beltane und ich habe einen Hirsch erlegt. Das ... verlangt nach einem Ritual."
„Aber bitte nicht so ein langweiliges wie neulich als ..."
„... Unsinn", versprach der Blonde mit einem vielsagenden Funkeln im Blick. „Dieses wird dir gefallen."
Während Ronan über dieses Versprechen grinste, saß Winfrid schon mit Schwung auf.
Das fürstliche Gefolge war noch nicht lange unterwegs, da hatten die beiden das Ende des Zuges erreicht. Weit hinter den Gästen und Rittern mit ihren Jagdhunden, der Beute, den Packtieren und der mitgereisten Dienerschaft. So war es ein Leichtes, die Pferde an einer Weggabelung in eine andere Richtung zu lenken. Ronan mutmaßte, aufgrund der Richtung, die ihm der Lichteinfall zwischen den Bäumen verriet, dass Winfrid ihn auf direktem Weg zum Seeufer führte. Diese Aussicht auf ein Bad im Freien, auch wenn es noch recht kühl war, schien ihm nach der anstrengenden Jagd genau das Richtige. Aber vielleicht täuschte er sich auch. Winfrid kannte sich in seiner Heimat bestens aus, und so wäre es auch möglich, dass er seinen Knappen zu einer Höhle oder einem anderen versteckten Ort bringen würde. Die Neugierde brach sich schließlich Bahn.
„Was erwartet uns am See?"
„Wasser, eine bescheidene Mahlzeit und Landeskunde, das sagte ich schon."
„Du sagtest, es würde mir gefallen ..."
„Aber ja! Und jetzt gedulde dich ein wenig."
Winfrid lächelte bei sich, denn die Ungeduld seines jungen Geliebten war ihm nur allzu gut bekannt und hin und wieder genoss er es, ihn ein wenig zappeln zu lassen. Aber nur ganz wenig, schon wegen seiner eigenen Unersättlichkeit. Beinahe unmerklich trieb er seinen Grauen, Eomer deswegen an. Ronan tat, als bemerke er es nicht.
Als sie das Ufer erreichten, schimmerte die Sonne rötlich über dem Wasser und ihre Strahlen reflektierten golden auf der sanft bewegten Oberfläche. Ein Wind, der von den Bergen kam, blies mild und warm. Weit in der Ferne sah man die Silhouette der Burg gegen den wolkenlosen Himmel aufragen und bald würde man dort die Fackeln entzünden. Hier jedoch boten ein paar riesige Findlinge einen idealen Schutz für die Nacht und Winfrid verkündete, dass dies der Ort war, zu dem er wollte.
„Es ist schön hier", bemerkte Ronan als sie abstiegen, „und was hat es damit auf sich?"
Mit seinen perlmutt-farbenen Augen blickte er den anderen erwartungsfroh an. Dieser entschied, dass er seinen Liebsten lang genug hatte rätseln lassen. Also antwortete er frei heraus.
„Hier, an dieser Stelle soll, der Familiensage nach, dem ersten Fürsten von Norderfeste das Einhorn erschienen sein, das bis heute unser Wappen ziert. Und zwar in der Nacht von Beltane. Er hatte zuvor einen Hirsch erlegt. Das Einhorn aber war so schön, dass er versprach, es zu schützen. Dafür schenkte ihm das Zauberwesen die Kraft und die Fruchtbarkeit von drei Männern."
Der Blonde trat an seinen Burschen heran und schaute ihm in die Augen, um zu erkunden, was dieser von der Familiengeschichte hielt. Ronan nickte zunächst ernst, doch dann kam der Schalk in seinem Blick hervor.
„Und du, mein Prinz und Hirschtöter, glaubst, dass es uns hier heute Nacht erscheinen wird?"
Winfrid lächelte vielsagend.
„Ich bin mir sicher, dass sich dir ein Einhorn zeigt, mein Rabe."
„Du bist ein Ferkel, Prinz von Norderfeste."
„Das auch, wenn es dir gefällt."
„Wie könnte mir irgendetwas an dir nicht gefallen?", gab der Lockenkopf mit einem sanften Unterton zurück, lehnte sich dem Mann entgegen und fasste ihn mit beiden Händen am Hinterkopf, um ihn so in einen zärtlichen Kuss zu führen. Was immer der Ritter vorhatte, er hatte es gewiss verdient, schon weil die Idee, Ronan für diese Nacht an diesen Ort zu bringen, nicht nur eine bedeutungsvolle, sondern auch eine besonders reizvolle war. Für eine kleine Weile gaben sie sich dem sinnlichen Spiel ihrer Lippen und Zungenspitzen hin, bis dem Ritter in den Sinn kam, dass sie erst ein Nachtlager bereiten sollten, solange es noch hell genug war.
„Lass mich ...", unterbrach er ihr Küssen, „... ein wenig vorbereiten."
Er zog verheißungsvoll eine Augenbraue hoch und Ronan verstand.
„Dann kümmere ich mich um die Pferde", schlug er vor und löste seine Hände lächelnd von dem Blonden. Dieser nickte zustimmend, nahm seine Satteltasche von Eomer ab und schaute hinterher, als Ronan beide Tiere zu den Felsen brachte, um sie dort zu versorgen. Der Bursche war äußerst liebreizend, auch wenn er so etwas Schlichtes tat wie Pferde am Zügel führen. Und das Feuer, das in Winfrid für ihn brannte, loderte um nichts geringer als in ihrer ersten Nacht.
Es dauerte nicht lange, bis der Lockenkopf seine Arbeit getan hatte und zurück zu seinem Liebsten kam. Gemeinsam machten sie sich so daran, Feuerholz zu suchen. Winfrid bestand darauf, dass es ein großes Feuer an Beltane geben musste und so war er erst zufrieden, als sie einen recht ansehnlichen Haufen gesucht und aufgeschichtet hatten. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen und man konnte am entfernten Seeufer die Lichter der Burg erkennen. Dort hatten die Feierlichkeiten sicher schon begonnen und auch hier würde es nun Zeit. So stopfte Winfrid noch ein paar Büschel trockenes Gras und kleine Äste unter die Scheite, dann entzündete er das Feuer. Ronan jauchzte laut auf, als die Funken im Abendwind gen Himmel flogen und es aussah, als würde ein feuriger Wirbelwind hinaufsteigen. Winfrid lachte. Die Freude des Burschen und seine Freude, sie waren eins.
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