Kapitel 9...Misses Andrews
Sam versuchte in ihrer letzten halben Stunde Schicht nicht darüber nachzudenken, was Alex abgezogen hatte.
War sie vielleicht heut Morgen erwischt worden? Wenn ja, war es nur eine Frage der Zeit gewesen. Sam hatte sie mehr als nur einmal gewarnt. Wenn Alex richtig Pech hatte, ist ihr Job gekündigt. Wenn sie Glück hatte, dann eine Strafversetzung in ein anderes Hotel oder in die Wäschekammer und ihr Typ bekäme Hausverbot.
Sam war so in Gedanken versunken, dass sie die Anwesenheit von Misses Andrews nicht bemerkte. Sie räusperte sich Sam gegenüber.
Sam blickte vom Computer auf und schaute der alten Frau ins Gesicht. "Sie wünschen?...Misses Andrews, richtig?" Wie alt mochte sie wohl sein? Dachte sich Sam. Sie sah nicht aus wie Siebzig auch nicht wie Achtzig, eher jünger und wie ein gelerntes Kindermädchen wirkte sie auch nicht auf Sam. Jedenfalls machte sie nicht den Eindruck danach. Auf jeden Fall war sie keine Mary Poppins. Die war ein richtig, zauberhaftes Kindermädchen. Diesen Film liebte Sam.
Die alte Frau beäugte Sam von oben nach unten. Dann holte sie mit ihrem Krückstock aus und ließ ihn auf die Anmeldung nieder sausen. Sam zuckte leicht zusammen und fragte:
"Gibt es ein Problem, Misses Andrews?"
"Ja, das hab ich wohl!...Und zwar Sie!", antwortete sie verbissen.
"Wollen Sie mir vielleicht Angst einjagen?...Versuchen Sie es! Mal sehen, wie weit sie damit kommen, Misses Andrews!", spornte Sam die ältere Frau an. Die Begegnung mit ihr hatte Sam schon gereicht. Sie wich einen Schritt hinter der Rezeption zurück. Doch Sam setzte sich zur Wehr. "Was könnte ich Ihnen schon getan haben? Ich kenne Sie nicht einmal!"
Misses Andrews wurde grandig und sehr ungehalten. Ihre Augen formten sich zu faltigen Schlitzen. "Sie haben mich heut Morgen vor all den Leuten hier lächerlich gemacht! Ist Ihnen das bewusst?"
"Moment!...Das ist ja wohl nicht annähernd der Wahrheit entsprechend! Sie sollten nochmal darüber kurz nachdenken, Misses Andrews, was Sie mir da gerade vorwerfen wollen! Wenn Sie es mitbekommen haben, ich hab mit Ihnen in einem normalen, ruhigen, formellen, respektvollen Ton gesprochen. Oder hab ich Sie vielleicht angebrüllt?...Denken Sie nochmal ganz scharf nach, ehe Sie weiter mit mir sprechen, Misses Andrews!", blieb Sam weiterhin ruhig.
"Außerdem haben SIE die Eskalation begonnen, nicht Billy, nicht Max und nicht ich. Sie haben nicht um einen ruhigen Raum zum Reden gebeten, wie es sich normalerweise gehört. Obwohl ich es Ihnen angeboten hatte! Machen alle älteren Menschen nur das, was sie wollen oder wollen ältere Menschen nur das hören, was sie wollen? Weil keiner das tut, was Sie verlangen, sind Sie gleich eingeschnappt! Hören Sie auf, Ihre Schuld auf andere Menschen abzulegen!...Ich habe Respekt vor älteren Menschen und auch vor Ihnen, Misses Andrews. Aber wenn ein Gast des Hotels über die Stränge schlägt und tut, was er will und die Hausregeln missachtet, die für die Gäste, Besucher und für das gesamte Personal gelten, muss ich mich leider gezwungen fühlen, die Konsequenzen auszusprechen, weil das hohe Alter zum Vorteil genutzt wird, um letztendlich seinen Willen durchzusetzen. Dann muss ich Sie leider enttäuschen, Misses Andrews. Denn da liegen Sie bei mir damit falsch!....Wenn ich es jetzt richtig machen würde, gebührt Ihnen eine Konsequenz! Ich belasse es heute allerdings bei einer Verwarnung!...Nochmal Glück gehabt, Misses Andrews! Ich möchte keine Eskalationen mehr mit Mister Harper in diesem Hotel sehen oder hören!"
Wieso verteidigte sie Max eigentlich?
Konnte er nicht für sich selbst sprechen?, kam es Sam gerade in den Sinn und sie wunderte sich darüber. Doch jetzt stand das PROBLEM MISSES ANDREWS vor ihr und das musste sie jetzt erstmal aus dem Weg schaffen. Sam trat wieder etwas näher an den Empfang heran und wurde sehr ernst und direkt der älteren Frau gegenüber.
"Sie haben es gleich in der Lobby ausgetragen... Und zwar vor jedem einzelnen Gast. Sie haben es bewusst getan. Sie haben während der Unterredung in jede Richtung gesehen, ob Sie auch von jedem gehört, was Sie Mister Harper an den Kopf werfen!...Ich habe Sie beobachtet, Misses Andrews!...Hören Sie sich eigentlich gern selbst reden?...
Überlegen Sie vorher, was über ihre Lippen kommt, Misses Andrews!"
"Sie haben mich angebrüllt!", behauptete die Frau an Sam felsenfest.
"Daran kann ich mich leider nicht erinnern. Wir behandeln hier unsere Gäste mit Respekt und Würde, Misses Andrews! Egal welchen Alters!
Sie können Mister Max Harper und seinen Sohn Billy fragen, welcher Ton angeschlagen wurde. Beide waren Zeugen unserer ruhigen, entspannten Unterhaltung. Andere Hotelgäste könnten das auch bestätigen. Aber wir regeln das sicherlich auf unsere Art und Weise und lassen die anderen Gäste da heraus, Misses Andrews! Es ist wohl eher so, dass Sie sich bei Mister Harper und seinem Sohn zu entschuldigen haben!
Ihr Problem ist, dass ich Ihnen widersprochen und mich eingemischt habe, Misses Andrews! Und weil wir nicht einer Meinung sind, was ihre Vorgehensweise als Kindermädchen betraf...
Darum geht es hier doch!
Damit kommen Sie nicht zurecht! Sie mögen gern immer Recht bekommen und Vorschriften geben wollen, aber nicht von mir! Dass Sie auch mal Kritik einstecken müssen, diese Erfahrung liegt Ihnen wohl noch sehr fern. Also wird es Zeit, dass Sie jemand in die Schranken weist...
Ich war nicht Ihrer Meinung und wie Sie mit den Beiden gesprochen haben, war auch nicht angemessen. Sie haben sich bedeutend im Ton vergriffen und dabei wohl vergessen, dass Mister Harper Ihr Arbeitgeber ist, vor dem Sie Respekt haben sollten.
Den SIE leider nicht haben, Misses Andrews!
Und was unter aller Würde ist, dass Sie noch Bedingungen an ihn stellen und ihm drohen, wenn er sich nicht an ihre Forderungen hält.
Sie sollten sich schämen, Misses Andrews und nicht Ihr Alter gegen ihn und seinen Sohn verwenden. Das ist unverschämt und schamlos und sehr entwürdigend!
In meinen Augen, Misses Andrews sind SIE für mich kein ausgebildetes Kindermädchen!...Wie viele Jahre wollen Sie denn schon eine Nanny sein?...
Entweder tun Sie Ihren Job oder Sie haben keine Ahnung von dem, was Sie da gerade tun!...Und glauben Sie mir, Misses Andrews! Dieses Gespräch hier mussten wir jetzt leider hier an der Info führen, da keiner weiter anwesend ist, um mich hier zu vertreten, falls es Ihnen auf der Zunge liegt, mich deswegen in die Enge zu treiben.
Ich denke, wir sind hier auch jetzt fertig...Dann wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Tag, Misses Andrews!"
Die alte Frau schnaubte und nahm ihren Stock von der Anmeldung herunter.
Ehe sie ging, musterte sie Sam noch einmal und sagte in einem etwas bedrohlichen Ton:
"Ich mag Sie auf keinster Weise, Miss Stanford!...Doch...Ich...Ich werde Sie im Auge behalten!", und sie ging davon.
***
Tom stand etwas abseits des Gespräches und hatte alles mitbekommen.
"Wow! Das nenne ich mal eine gelungene Vorstellung! Du hast sie ordentlich zurecht gerückt...Wer ist diese Frau?", wollte Tom wissen.
Sam sah ihr nach, bis sie aus ihren Blicken verschwunden war.
"Sie ist das Kindermädchen in Anführungszeichen von dem kleinen Jungen von heut Morgen. Sie ist etwas speziell und ist mir nicht geheuer! Und sie ist sehr berechnend...Sie führt irgendetwas im Schilde! Aber ich weiß noch nicht genau...", und Sam hörte mitten im Satz auf zu reden.
"...Soll ich zu deinem Dad gehen und mit ihm reden, falls wir die Security benötigen?"
"Wir müssen abwarten, was passiert, Tom...Wir müssen abwarten! Aber wir müssen ein Auge auf sie werfen!"
"Das dürfte kein Problem für mich sein! Sobald ich etwas Auffälliges von ihr mitbekomme, geb ich dir bescheid, Sam!"
"Tom?...Denk dran, dass du noch andere Sachen zu erledigen hast!"
"Ich weiß, ich weiß! Mach dir mal da keine allzu großen Gedanken, Sam!
Wir werden das Kind schon schaukeln!", neckte Tom sie.
"An die Arbeit, Tom!"
"Ist das ein Befehl, Miss Stanford?"
"Ja, Tom! Das ist ein Befehl!", beharrte Sam darauf und ließ Tom abtreten.
Kurz darauf klingelte das Telefon an dem Empfang. Sam nahm ab. Es war wieder mal ein internes Klingeln. Also kam der Anruf wieder mal aus dem Hotel.
"Ich bin gleich da, Dad!", und Sam legte auf. "Tom?...Könntest du mich bitte für einen Moment hier vertreten?...Ich muss zu meinem Vater."
Tom nickte und Sam bedankte sich bei ihm.
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