Kapitel 57...Helens Brief
Sam war mit ihrem eigenen Wagen zum Friedhof gefahren. Es hatte zu regnen angefangen. Sie kam fast durchnässt am Grabstein von Helen an.
Sam fluchte und schrie das Foto von Helen an.
"Wie konntest du...Wie könntest du mich all die Jahre im Dunkeln stehen lassen, Helen?
War es so schwer es mir selbst zu sagen, bevor du dich davon gestohlen und mich allein zurück gelassen hast in diesem Riesengemäuer? All die Jahre hast du mich angelogen!...
Warst du zu feige dazu? Du hast mir alles beigebracht, aber DAS konntest du nicht?
Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass irgendwann die Wahrheit doch ausgesprochen werden will?
Denkst du etwa, dass du mir all dein Wissen vermacht hast, macht die Sache wieder wett?
Du hast mich mit der ganzen Verantwortung allein gelassen. Wie konntest du nur?..........Mein Leben ist eine einzige Lüge!!!"
Dann rief sie laut in die Dämmerung hinein:
"ICH HASSE DICH, HELEN STANFORD!"
Sam kniete auf dem aufgeweichten Boden und hatte ihren Kopf auf das kalte Gestein gelegt und weinte. Ihre rötlichen, langen Haare hingen ihr klatschnass und wirr im Gesicht.
Ein zweiter Wagen hielt am Friedhof.
Crawford hatte Bowden und Max zu ihr gebracht.
Sie fanden sie unterkühlt auf dem Grab zwischen den Gestecken und Blumen von Helen liegen.
Max hob sie hoch und Bowden ging vorne weg, um die Autotüren zu öffnen.
"Max!", sprach sie mit wirrer Sprache.
"Bleib bei mir!", sagte sie verängstigt und schwach.
Max sah sie an und sagte:
"Ich bin bei dir, Sam!...Ich bleibe bei dir... auf immer und ewig!...Halte durch, Liebes!", und sie waren am Auto angekommen.
"Sie ist ganz kalt!...Bringen wir sie ins Krankenhaus...Schnell!", befahl Crawford, als er Sam an ihrer linken Wange berührt hatte.
Eine Stunde später:
Sam erholte sich langsam wieder.
Max war bei ihr geblieben.
Als sie aufgewacht war, holte er einen Arzt hinzu, um ihre Vitalwerte zu kontrollieren.
"Du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt. Was wolltest du bei diesem Regen auf dem Friedhof?", fragte Max besorgt und strich ihr sanft über's Haar, das mittlerweile getrocknet war.
"Tante Helen...Sie ist...Sie ist...meine leibliche Mutter!...Wusstest du das?...
Großvater Bowden ist mein leiblicher Vater...Wusstest du das auch?", fragte Sam Max enttäuscht.
Wenn man vom Teufel sprach.
Bowden war eingetreten.
Max erhob sich und richtete seine Worte an ihn.
"Ist das wahr?...Du bist ihr Vater?"
Bowden setzte sich zu seiner Tochter.
"Ja, das bin ich!"
"Seit wann weißt du es?", fragte Max eindringlich.
"Seit du sie mit nach New York gebracht hast..."
Max war außer sich vor Wut.
"Ich glaube das einfach nicht!...Ich hab mich in Sam verliebt...Und das wusstest du auch und hast mir nichts gesagt...Und jetzt sowas!...
Was bist du jetzt eigentlich für mich?", fragte Max den alten Mann zynisch und stemmte seine Arme in seine Hüften.
"Du bist Georgias leiblicher Sohn... nicht Allans. Sie brachte dich mit in diese Ehe....
Allan ist also dein Stiefvater und Clara und Stan deine Stiefgeschwister. Wir haben also keinerlei Verwandtschaftsgrad. Wir haben nicht dasselbe Blut in unseren Adern. Keiner kann dir verbieten, meine Tochter zu lieben.
Aber eines kann ich dir sagen:
Allan hat dich wie seinen eigenen Sohn aufgenommen und dich auch wie eins seiner eigenen Kinder behandelt. Er liebt dich, Max!"
Max ließ sich auf den Sessel neben der Tür fallen.
"Wauw! Ein Meer voller Lügen!"
Da flog die Krankenzimmertür krachend auf und eine besorgte, verheulte Theresa trat mit Benjamin im Rollstuhl ein und schob ihn ans Bett. Sogar Allan, Stan, Clara und Bryan stürmten ins Krankenzimmer.
"Was sollte das gerade, Sam? Willst du uns zu Tode erschrecken?", legte Theresa gleich los und hatte noch nicht mal die Bremse von Benjamins Gefährt angezogen.
Sam beachtete Theresa nicht, sondern schaute wie hypnotisiert auf ihren - bisherigen - Vater im Rollstuhl, der sie all die Jahre groß gezogen hatte.
Eine Träne nach der anderen rollte ihr über ihr wieder fast erwärmtes Gesicht.
"Es tut mir leid!", sagte Sam zu ihm.
Max' Geschwister drückten Sam an sich und versuchten sie zu wärmen.
"Geht es dir besser?...Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!", plapperte Clara drauf los.
"Können wir dich heute wieder mit nach Hause nehmen?", platzte es aus Stan heraus.
Billy drängelte sich durch alle durch und Bryan hob ihn zu Sam auf die Decke.
Der kleine Junge schlang seine kleinen Ärmchen um ihren Hals und ließ ein paar Tränen kullern.
Sam legte ihre Arme um ihn und tröstete ihn.
Benjamin hob seine Stimme zum Reden an, während er ihre Nähe suchte und sich leicht zu ihr heran beugte, um sie in seine Arme zu schließen.
"Nein Sam!...Es tut mir leid, mein Kind!...Ich hätte es dir schon viel früher sagen müssen, nachdem Helen von uns gegangen war...Stattdessen lass ich dich mit der Lüge leben, dass Theresa und ich deine Eltern sind....Obwohl du ein Recht auf die Wahrheit hattest...Ich wußte nicht wie....
Ich wollte das Geheimnis mit mir mitnehmen, wenn es für mich soweit ist zu gehen. Doch ich hätte es nicht über's Herz gebracht, meine Nichte weiterhin in der Ungewißheit zu lassen, wer sie wirklich ist und wo sie hingehört."
Theresa setzte sich neben sie auf die Bettkante.
"Wir wollten den richtigen Zeitpunkt abpassen...."
Sam fiel ihr ins Wort.
"...Es gibt nie einen richtigen Zeitpunkt im Leben. Es gibt immer kleine Zufälle, die den Zeitpunkt hinaus zögern und verschieben.
Es gibt nie genug Türen, die die Möglichkeit dafür erübrigen, weil der Druck für manche Menschen mehr Wert hat als die Wahrheit, die einem Menschen wichtig ist und die Türen öffnen, um zu verstehen, warum es so ist, wie es ist......
Aber ihr habt eure Sache gut gemeistert. Ich bin glücklich das zu sein, was ihr aus mir gemacht habt...
Helens Nachfolgerin und Tochter."
Theresa klopfte leicht mit ihrer rechten Hand auf Benjamins rechte Schulter. Er nickte und griff in seine linke Tasche.
Mit seinen zittrigen Händen holte er einen Brief heraus und legte ihn in Sams Hände.
"Was...Was ist das?", fragte Sam.
"Den gab mir Helen für dich. Ich sollte ihn aufbewahren und ihn dir dann aushändigen, wenn die Zeit gekommen ist...
Lies ihn! Dann wirst du verstehen.", antwortete Benjamin.
"Wir lassen dich kurz allein.", steuerte Bowden dazu bei und alle verließen mit ihm das Zimmer.
Max blieb an der Tür stehen und drehte sich nochmal zu ihr um.
"Öffne ihn vorsichtig, vielleicht ist Konfetti drin und fliegt dir um die Ohren!"
Sam lächelte ihn an.
"Max?...", rief sie ihm nach, bevor er die Tür von außen zu machen wollte.
"Ja Sam?", lugte er noch einmal durch den Türspalt.
Er trat zu ihr ans Bett und legte seine Hände auf ihre Wangen. "Ja, ich liebe dich, Sam Stanford...seit unserer ersten Begegnung!"
Sam zog ihn an sich heran und küsste ihn.
Dann hörte er kurz auf damit und sah sie an.
"Ich meine es ernst, Sam!"
"Das tue ich auch, Max!", hauchte sie.
Und dann kniete er sich nieder.
"Heirate mich und lass uns das Hotel in "Hotel Helen & Tochter Stanford" umbenennen und gemeinsam in Angriff nehmen.
Wir brauchen dich...Billy und ich und Theresa und Ben und meine Familie und das Hotel...
Und dein Vater Bowden braucht dich.
Du bist der einzige Mensch Familie, den er noch hat."
Sam küßte ihn nochmal und nochmal und nochmal und sagte schließlich:
"JA...JA...JA!"
Dann nahm Max sie an ihre rechte Hand und flüsterte:
"Also meine zukünftige Misses Harper!
Ich lasse dich jetzt mit deiner Mum allein...Wir sind draussen und warten auf dich.", und er wollte gehen. Doch er blieb nochmal kurz an der Tür stehen.
"Ach noch etwas SCHATZ...", begann er.
"Ja?", kam es von Sam.
"Beeil dich!", bat er sie, zwinkerte ihr mit dem linken Auge zu, warf ihr einen Kußmund entgegen und ließ sie mit dem Brief allein im Zimmer zurück.
Sam starrte auf die geschlossene Tür und dann starrte sie auf den Briefumschlag, drehte ihn hin und her und war sich nicht schlüssig, ob sie ihn überhaupt lesen sollte oder nicht.
Sie stand vorsichtig auf, mummelte sich in ihre Decke ein und setzte sich ans Fenster in den Sessel.
Langsam öffnete sie den Brief und klappte ihn auf und...Ein Schwarz - weiß - Foto fiel heraus. Darauf war eine Frau mit einem Säugling auf den Armen abgebildet. Ein weiteres Foto fiel heraus. Oh mein Gott! Helen als Teenager zu ihrer Abschlußparty auf der Highschool und neben ihr stand ein junger Mann, der sie fest an sich gedrückt hielt...Bowden....
Sam strich mit ihren Fingern darüber hinweg und lächelte leicht vor sich hin.
Ein drittes Foto rutschte aus dem Umschlag. Es zeigte Helen und sie beim Kochen in der Küche im Partnerlook - weiße Schürze und Kochmütze. Sam strich über das Gesicht von Helen und flüsterte leise: "Mum!" , und lächelte leicht und drückte das Foto an ihre Brust.
Dann widmete sie sich dem Brief zu.
Er wurde einen Tag vor Helens Tod verfasst. Das Datum stand auf dem Umschlag und.......
Er war von Helen, ihrer richtigen Mutter.
Langsam öffnete sie den Brief und klappte ihn auf und...:
"MEINE LIEBE SAM!
Wenn du das hier liest, meine liebe Sam, werd ich nicht mehr bei dir sein.
Ich hab Theresa und Benjamin drum gebeten, wenn die Zeit reif ist, dir diesen Brief zu übergeben.
Bis dahin wirst du wohl sicherlich die Wahrheit erfahren haben.
Ja Sam, ich bin deine Mum.
Ich wollte es dir immer sagen, doch dich so glücklich bei meinem Bruder und seiner Frau aufwachsen zu sehen und das, was uns all die ganzen Jahre verbunden hat, wollte ich nicht mit einmal zerstören.
Ich möchte ehrlich zu dir sein, Sam.
Ich hab nie Kinder haben wollen...Ich wollte nie heiraten. Doch ich lernte Bowden Harper auf der Highschool im letzten Schuljahr kennen und lieben. Er veränderte alles.
Er war alles, was ich je wollte.
Kurz vor dem Schuljahresende und dem Abschlussball erfuhr ich, dass ich schwanger war. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich verließ Bowden, ohne ihn von der Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen.
Ich hab mit dem Gedanken gespielt, die Schwangerschaft abzubrechen.
Andererseits entschied ich mich für dich. Du warst das Einzige, was mir von Bowden geblieben war.
Wenn ich ihn nicht gefunden habe, aber dich wollte ich um mich haben.
Meine Mutter warf mich hinaus, als ich sie über die Umstände aufklärte und Benjamin ging mit mir fort.
Er wollte mich in dieser schweren Zeit nicht allein lassen.
An dem Tag, als er Theresa heiratete, wurdest du geboren.
Oh mein Gott! Alle Gäste, und mein Bruder und seine Frau spielten verrückt und waren so aufgeregt.
Obwohl so viele Menschen an diesem Tag um mich herum waren, fühlte ich mich sehr einsam.
Ich wünschte, dein Vater wäre bei deiner Geburt dabei gewesen.
Ich hab Bowden nie vergessen können. Er war immer in meinem Herzen. Doch es schmerzte mich, auch heute noch, dass ich ihn hab gehen lassen. Ich bereue es zutiefst.
Falls du ihn finden solltest oder er dich, sag ihm, dass es mir von ganzem Herzen leid tut.
Sam...Für mich war die Zeit sehr schwer...Du warst geboren. Wir hatten mit dem Bau des Hotels angefangen.
Doch was mir am meisten Angst bereitete, war, ich konnte dich nicht ansehen, dich in meine Arme nehmen und wie eine Mutter lieben...Vorerst! Du wurdest deinem Vater von Tag zu Tag immer ähnlicher.
Jeden Tag hast du mich an ihn erinnert.
Das kleine Wesen konnte aber nichts dafür. Ich gab mir die Schuld, da ich dir das genommen habe, was ein Kind zum Groß werden brauchte...einen Vater, eine Mutter, ein Heim und Liebe.
Theresa und Ben übergab ich damals die Vormundschaft für dich. Ich ertrug es nicht, in deiner Nähe zu verweilen. Alles um dich herum erinnerte mich an Bowden, deinem Vater.
Dadurch kam immer wieder in mir mein schlechtes Gewissen auf.
Als du dann sechs Jahre alt wurdest, besuchte ich eine Therapie, um herauszufinden, wie ich die Dinge ändern kann.
Danach wußte ich, was zu tun war.
Ich versuchte mich dir anzunähern, bis der Schmerz, der mich all die Jahre gejagt hatte, verschwunden war.
Ich hab all mein Wissen an dich weiter gegeben, meine liebe Sam.
Eines Tages wirst du die Besitzerin dieses stolzen Familien - Imperiums sein und deinen Vater Bowden und alle anderen stolz machen....Und mich auch.
Du warst eine wundervolle, liebe, fleißige, wissbegierige, gut erzogene Tochter, meine lieb Sam. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen und mit dir und Bowden von vorn anfangen.
Doch jetzt ist es zu spät, meine liebe Tochter. Ich werde dich nicht weiter aufwachsen und dich weiter entwickeln sehen, werde nie erfahren, ob du einen lieben, netten Mann kennenlernst, der dich vergöttert, wie ich Bowden vergöttert hab und ob ich je kleine Enkel haben werde, die wie kleine aufgescheuchte Pferde durch's Hotel galoppieren.
Ich weiß,
ich lasse dich mit einer großen Verantwortung allein zurück. Doch ich weiß, du wirst dich ihr genau so entgegen stellen und dafür kämpfen, wie wir es beide damals zusammen getan haben.
Um eines bitte ich dich noch:
Vergib meinem Bruder und seiner Frau, dass sie das Geheimnis für sich bewahren sollten. Ich habe sie darum gebeten.
Weine nicht um mich, denn deine Traurigkeit und deine Tränen hab ich nicht verdient.
Aber ich danke Gott jeden Tag dafür, dass ich eine Tochter wie dich hab, die vor meinen Augen aufgewachsen ist.
Und ich danke ihm für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte.
Ich weiß, wir hatten nicht genügend Zeit füreinander und miteinander.
Ach ja...noch eins:
Besuch mich an meinem Grab, so oft du kannst und erzähl mir dann von unserem liebevollen Zuhause, unserem Stanford - Hotel.
Und wenn du einen netten, lieben Mann an deiner Seite hast, stell ihn mir vor...
Aber ich bitte dich:
Mach nicht denselben Fehler, wie ich es mit Bowden, deinem Vater, getan hab.
Falls du einmal Kinder haben solltest und eine kleine Tochter hast, benenne sie bitte nach mir....Helen.
Und vergiß nicht:
Ich werde jeden Tag und jede Nacht auf dich herab schauen, mein Kind!
Meine liebe Sam!
Ich beende für heute diesen Brief an dich.
Ich bin sehr müde.
Ich möchte nur noch meine müden Augen schließen und schlafen.
Leb wohl meine geliebte Tochter!
Ich werde immer bei dir sein. Eines Tages werden wir uns wieder sehen.
Deine dich auf immer und ewig liebende Mum
Helen Stanford
PS:
VERZEIH MIR, SAM!"
Sam las den Brief noch einmal.
Dann drückte sie ihn an ihr Herz, zog ihre Beine und Knie an ihren Oberkörper, als ob sie den Brief von ihrer Mutter Helen schützen wollte und weinte.
"Mum!....Ich liebe dich auch!
Ich vermisse dich!", flüsterte sie vor sich hin weinend.
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