Kapitel 56...Helens Tochter

Sam löste sich aus seinen Händen und trat ein paar Schritte zurück.
Sie fühlte sich gerade, als hätte sie ein Bus überrollt.
Sie bekam kein Wort heraus.

"Sag etwas, Sam!" bat Bowden sie.

"Das...das...das klingt...
Das..."

Sam hatte es die Sprache verschlagen.
Sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte.
Sie hatte sich ihm in New York anvertraut. Sie hatte ihm von Helen erzählt.
Wieso hatte er nicht da schon etwas darauf gesagt?

"Ehm...", begann Sam und wollte Bowden etwas sagen, doch ihr Handy klingelte.
Sie zog es aus ihrer linken Jackentasche und nahm ab.
"Ja Mum?..."
Sam begann zu zittern, ließ einen schockierenden Schrei von sich und begann zu weinen.
"Ich...ich...ich...bin gleich da.", schluchzte sie ins Telefon hinein.
Als das Gespräch beendet war, steckte sie das Telefon zurück in ihre linke Jackentasche.

"Sam, was ist los?..."
Sie wischte sich ihre Tränen mit ihren Ärmeln aus dem Gesicht.

Bowden sah sie besorgt an und gab ihr Zeit ihm zu antworten. Was er ihr gerade erzählt hatte, war wohl doch etwas zuviel, um verdaut zu werden...

"Dad...er...ein neuer Herzinfarkt...Er ist im Krankenhaus...Ich muß sofort zu ihm!", und sie hörten Reifen auf dem Parkplatz vom Friedhof quietschen. Ein Auto hielt vor dem Friedhof an.

"Es ist Max!... Komm Sam, schnell! Wir müssen uns beeilen."
Max war bereits ausgestiegen und hatte die rechte Beifahrertür vorn und die Tür hinten links geöffnet.

"Woher wußtest du, dass Sam hier ist?", fragte Großvater Bowden ihn.

"Crawford!", antwortete Max.
Er fuhr wie ein Raser mit Gehupe und hoher Geschwindigkeit durch Chicago, ehe er auf den Parkplatz vor'm Krankenhaus eingeparkt hatte.

Sam öffnete ihre Tür, da stand Max noch nicht mal richtig in der Parklücke drin und sie sprang aus dem Auto und eilte ins Krankenhaus. Ihre Mutter wartete bereits auf sie im Flur auf der Neurologie vor Benjamins Zimmer.
"Wie geht es ihm, Mum?"
Theresa war aufgelöst.
"Ich bin schuld!...Wir...Wir haben uns gestritten und dann ist er..."

Sam stürmte ins Zimmer und setzte sich zu ihrem Vater ans Bett und nahm seine rechte Hand in ihre.

"Wie fühlst du dich, Dad?..."
Er sah seine Tochter an und versuchte zu lächeln.
Er versuchte mit seiner linken Hand ihre Wange zu streicheln, doch er war zu schwach.
Sam nahm seine linke Hand in ihre und legte sie sich auf ihre Wange.

Eine Träne lief ihr darüber hinweg.
"Werd wieder gesund, Dad, ja? Ich bitte dich, lass mich nicht allein...Ich...ich bin noch nicht soweit dich gehen zu lassen."

"Mein Kind! Meine liebe Sam!..." begann er schwach zu sprechen..."Ich...ich muß dir...muß dir etwas...Wichtiges sagen!...Ich hab es...hab es meiner Schwester versprochen, es dir...dir nicht zu sagen...Aber ich muß...muß es dir sagen...Ich will...will nicht so...so weitermachen...und...und dir zusehen, wie...wie dein Leben eine...eine einzige Lüge ist............
Und eine Lüge bleibt, wenn ich dich verlassen muß."
...Benjamin legte eine Pause ein. Er war sehr geschwächt.
"Wovon redest du da, Dad? Du mußt bei mir bleiben!", schluchzte Sam.
"Hat er vielleicht Fieber, Mum?", erkundigte sich Sam bei ihrer Mutter.

Theresa legte ihre rechte Hand auf Sams rechte Schulter und flüsterte ihr zu:
"Lassen wir ihn sich ausruhen. Er ist müde! Gehen wir!"

"Wovon redet Dad da?...Hat er sich den Kopf gestossen?...Das macht alles keinen Sinn, was er...!", sagte Sam im unruhigen Ton. Sie war durcheinander und völlig aufgebracht.
Sie verstand gar nichts mehr. Was hat er gemeint, ihr ganzes Leben wäre eine Lüge?!

Sam sah ihre Mutter an und dann ihren Vater.
"Nein! Ich bleibe bei ihm. Und du solltest das auch! Er braucht uns jetzt!"

Ein Arzt kam herein und kontrollierte seine Monitore.
"Sie müssen jetzt gehen, Misses Stanford! Die Besuchszeit ist vorbei! Sie können morgen wieder nach ihm sehen.", bat der Arzt.
Sam umklammerte ihren Vater. "Ich liebe dich, Dad!", und verabschiedete sich mit einem Kuß auf die rechte Wange. Widerwillig verließ sie sein Zimmer.

Auf dem Flur wartete Bowden.
Sam flüchtete in seine Arme und weinte. Er drückte sie an sich und gab ihr einen Kuß auf ihren Schopf.

Theresa blieb vor ihm stehen.
"Bowden, schön, dass du da bist!...", und sie umarmte ihn und rieb seine Oberarme mit ihren Händen.
"Es tut gut dich zu seh'n, Bowden. Lang, lang ist's her."

Was redete ihre Mutter da? Großvater war jetzt schon wie lange in Chicago? Will sie etwa behaupten, sie hätte ihn jetzt erst wahr genommen? Oder war es der richtige Zeitpunkt, mit ihm zu reden? Sam verstand nichts mehr. Sie stand einfach zwischen den Beiden und glaubte für den Moment überhaupt nicht für die Beiden zu existieren.

"Wie geht es ihm, Theresa?", fragte er besorgt.

"Die Ärzte haben gesagt, die Nacht wird es zeigen. Wenn er sie übersteht, ist er über dem Berg...Fahren wir nach Hause."

Sam wechselte ihre Augen und Ohren zwischen ihrer Mutter und Großvater Bowden hin und her.
Sie gingen sehr freundschaftlich und sehr vertraut miteinander um.
Hatte sie vielleicht irgend etwas verpasst, seit Bowden hier in Chicago war?

Sam ging nochmal ins Büro ihres Vaters, als sie das Hotel betreten hatte. Sie hob den Stuhl auf, der noch auf dem Boden lag und stellte ihn zurück an den Tisch.
Sie schürte die Glut und legte im Kamin Holz auf und starrte auf das Porträt ihrer Tante Helen, das über dem Kamin hing.

"Bitte nimm ihn mir nicht weg, Tante Helen! Er ist das Einzige, was mich an dich erinnert."

Theresa und Bowden waren leise eingetreten und gesellten sich zu Sam, die ihre Arme auf den Kaminsims gelegt und ihren Kopf darauf gestützt hatte.

Theresa wirkte nervös und spielte an ihrem Ehering herum und drehte ihn ständig um seine eigene Achse und dann ergriff sie zuerst das Wort.
"Sam?...Wir...müssen mit dir reden...Ich denke...Ich meine..." Sie sah Großvater Bowden Wir denken...Es ist wichtig, dass du endlich darüber bescheid weißt.", stolperte Theresa über den Anfang ihrer Rede.

Sam drehte sich zu den Beiden um.
"Wird Dad sterben?", fragte Sam verängstigt und besorgt unter Tränen.

"Sam....Benjamin...Es ist besser, wenn wir uns hinsetzen...", erklärte Theresa.

Sam blieb am Kamin stehen, während ihre Mutter und Bowden sich zu ihr auf die Sessel vor dem Kamin setzten.

"Benjamin...", und Theresa sah zu Bowden, der ihr zunickte und ihre Hände festhielt.

"Benjamin ist, Ben ist...Er...Er ist nicht dein Vater, Sam ...!"

Sam glaubte sich verhört zu haben und sie wurde blass im Gesicht und noch dazu langsam zornig...
"Du lügst!...Sag mir, dass du mich gerade anlügst, Mum!", begann die Stimme von Sam langsam zu zittern.

Theresa holte tief Luft.
"Ich wünschte, ich müsste das jetzt nicht tun. Aber es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit über dich erfährst, Sam!", versuchte Theresa standhaft ihr gegenüber zu bleiben.

Sam schaute Theresa und Bowden verwirrt an.
"Was...was für eine Wahrheit?...Wovon redest du?...Stehst du etwa noch unter Schock?"
Sam fühlte sich gerade allein, als würde sie in einem Traum herum wandern und tief und fest schlafen.
Sie kniff sich in ihren rechten Oberarm und mußte leider zu ihrem Entsetzen feststellen, dass das hier die Realität war, die sich vor ihren Augen so eben abspielte.

"Lass mich bitte ausreden, bis zum Ende. Fragen kannst du hinterher stellen.... Okay!....Packen wir es an!", bat Theresa.
Sie räusperte sich kurz und....:

"Vor vielen Jahren lernte Helen einen jungen Mann auf der Highschool kennen...."

"...Oh Gott! Bitte nicht noch eine Geschichte...!", verdrehte Sam ermüdend ihre Augen.

Theresa ließ sich nicht davon abbringen weiter zu erzählen.
"...Es war das letzte Schuljahr. Sie wurden Freunde und später ein Liebespaar.
Nach der Highschool beendete Helen die Beziehung zu ihm.

Sie tat es mit der Ausrede, sie würde ihre Ausbildung beginnen und da der junge Mann nach New York ziehen wollte, war sie der Meinung, dass eine Fernbeziehung eh nichts bringen würde... Sie trennte sich von ihm und jeder ging seiner Wege. Sie hörten nie wieder etwas voneinander.

Unter anderem verschwieg sie ihm das Wichtigste:......dass sie von ihm schwanger war...Ich weiß, wir haben dir immer erzählt, dass Helen keine Kinder bekommen konnte....
Theresa.pausierte für einen Moment ihre Geschichte. Wartete sie auf eine Reaktion von Sam? Sie erzählte weiter.

"...Das war gelogen...

Der junge Mann zog nach New York, um Farmer zu werden und lernte dort eine neue Frau kennen. Sie hieß... - Jane..."

Sam ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, als sie Bowden ansah. Sie war sich nicht im Klaren, ob sie gerade verstand, was ihr ihre Mutter gerade versuchte mitzuteilen.

"Helen brachte eine gesunde, schöne und starke Tochter zur Welt...Die Geburt war jedoch nicht gut verlaufen. Helen blieb für längere Zeit im Krankenhaus, um wieder gesund zu werden.

Ben und ich nahmen das Mädchen in unsere Obhut und kümmerten uns solange um sie.......Helen konnte für das Kind keine Liebe empfinden, sie konnte sie nicht mal ansehen...Jedoch später kam sie auf sie zu, als das Mädchen älter wurde....Der Junge Mann blieb viele Jahre seines Lebens unwissend, dass er Vater einer Tochter war...

Als Helen nach den langen Monaten im Krankenhaus wieder bei ihrer Familie war, mied sie ihre Tochter immer noch. Sie konnte ihr nicht in die Augen sehen, da sie ihr ihren Vater genommen hatte. Helen wußte damals auch nicht, wo sie zuerst anfangen sollte, nach ihm zu suchen.

Das Kind wuchs heran und Helen näherte sich ihr an. Sie begann langsam Liebe und Gefühle zu empfinden, vor allem solche Gefühle, die eine Mutter für ihr eigenes Kind besaß.
Helen hatte es sich in den Kopf gesetzt, ihren Fehler wieder an ihrer Tochter gut zu machen, indem sie damit anfing, das Mädchen auf ihr späteres Leben vorzubereiten und ihr alles beizubringen, was sie wissen mußte..."

Sam begann sich rückwärts in Bewegung zu setzen und stoppte Theresa im Reden.

"Halt!...Ich hab genug gehört!...Willst...
Willst du mir damit sagen, du...du bist nicht meine richtige Mutter...?"

"...Ich bin deine Tante, Sam und Ben ist dein Onkel..."

"Was willst du mir hier auftischen, Mum oder soll ich dich Tante Theresa nennen?", kam es enttäuscht aus Sams Mund.
"Wenn Benjamin nicht mein Vater ist, wer ist es dann?"

Theresa sah Großvater Bowden an und nickte ihm zustimmend zu. Er kam auf Sam zurückhaltend zu und blieb vor ihr stehen.

"Sam?.......Ich...Ich bin...bin dein Vater!..."

"...D...Du?.....", kam es zittrig aus ihrem Mund.
Sam sah ihn wütend an und dann blickte sie Theresa hass erfüllt an. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen, als sie Bowden erneut fragte:
"Seit wann...seit wann weißt du es?", fauchte Sam ihn an.

"Seit New York...Ganz sicher war ich mir nicht. Doch ich mußte herfliegen. Es ließ mir keine Ruhe. Ich....Ich wollte SIE sehen!..."

"...Wen wolltest du sehen, Bowden?", hinterfragte Sam laut und deutlich.

"Deine...deine Mutter, Sam...", entgegnete Großvater Bowden.

"Wer...ist...meine...Mutter, Bowden?", wollte Sam von ihm wissen. Ihre Stimme schien fast zu versagen. Sie hatte eine Ahnung, was er jetzt zu ihr sagen würde.

Bowden ging zum Kamin und zeigte auf das Porträt seiner großen Jugendliebe....Helen Stanford.

Sam machte große Augen. Sie weiteten sich fast bis zum Horizont. Ihr Blick fiel auf das Gesicht der Frau, die von dem Porträt zu ihr herab schaute.
Erstickend war nur noch von ihr zu hören: "Nein!", flüsterte sie.
"Nein!", kam es jetzt etwas lauter von ihr und sie ging langsam rückwärts weiter zum Büroausgang.
"Nein!...Niemals!", wurde sie jetzt richtig laut.
"Das ist nicht wahr!...Das ist nicht wahr!", schrie sie Theresa und Bowden an.

Sam drehte sich zur Tür um, öffnete sie und rannte aus dem Büro.
Theresa wollte ihr nach, doch Bowden hielt sie auf.
"Lass MICH mit ihr reden. Sie hat sich mir schon einmal anvertraut, Theresa!", und Bowden wollte Sam hinterher.

"Da warst du für sie ein Fremder, Bowden...Ein Fremder in New York...ein Fremder auf einer Farm....Du bist hier für sie der Großvater, den sie hier vorher nicht hatte....Glaubst du etwa, jetzt, wo sie weiß, wer du wirklich bist, dass sie dir freiwillig ihr Herz ausschüttet und dir zuhört?...Wovon träumst du nachts?", warf sie ihm wütend hinterher.

Bowden blieb am Türrahmen stehen und attackierte Theresa.

"SIE IST MEINE TOCHTER, Theresa!

SIE ist das Einzige, was mir von meiner Helen noch übrig geblieben ist.....Und heute muss ich erfahren, dass Sam meine Tochter ist. Ihr habt all die jahre davon gewusst und wart nicht mal im Stande mich zu finden, um mir davon zu erzählen. Nicht mal von ihrem frühen Tod und von der Beerdigung habt ihr mir...Als ich euch anrief, nachdem Sam und mein Enkel Max über's Wochenende bei mir waren, um die Wahrheit zu erfahren, habt ihr noch herum gedruckst und die Wahrheit vor mir verborgen...und vor IHR...Ich hab sie gerade erst gefunden und weiß Gott, ich hab nicht vor, sie wieder zu verlieren!...Und verbiete mir nicht, ihr nach zulaufen...Sie hat lange genug mit einer Lüge gelebt.", schrie er Theresa an.

Bowden ließ sich nicht weiter von Theresa aufhalten und versuchte Sam zu folgen.
Er wußte, wo er die Suche beginnen mußte. Denn das war der einzige Ort, an dem Sam sich zurück zog, wenn sie Kummer hatte oder es ihr nicht gut ging.

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