Kapitel 26...Ein A4 - Blatt

Es war sechs Uhr morgens. Sam sortierte bereits die Post an diesem frühen Mittwochmorgen in der Frühschicht für die Hotelgäste, als Sybil hochnäsig und arrogant an ihr vorbei lief.
Sam ignorierte sie und brachte ihr gegenüber kein einziges, wertvolles Wort über ihre Stanford - Lippen. Sie dachte sich still und leise ihren Teil für diese Frau, an der ein "Guten Morgen!" reine Verschwendung war.

Auch Sybil ging stumm an Sam vorbei. Alex trat ihre Frühschicht gerade an und hatte das Szenario von der Drehtür aus beobachtet, das gerade zwischen den beiden Frauen stattfand. Ihr Kopf ging hin und her.

"Was war denn das gerade?", fragte sie etwas irritiert Sam, als sie ihre Handtasche auf der Theke abgelegt hatte, um sich ihre Jacke auszuziehen.

"Keine Ahnung!...Was meinst du?...ich weiß nicht, wovon du sprichst, Alexandra Marshal!", entgegnete Sam vertieft in ihre Arbeit und nahm einen Schluck Tee aus ihrer übergroßen Tasse.

"Die Funkstille und der Hass war gerade gar nicht auszuhalten zwischen euch. Und eure Blicke hätten euch gerade töten müssen...Ich spüre, dass großer Ärger und Neid die Lobby erfüllt...Ist irgendetwas vorgefallen, von dem ich noch nichts weiß?...Ehrlich gesagt, sieht nach Machtkampf aus, wenn du mich fragst, Sam."

"Ach wirklich?...Was für eine Macht soll das denn sein, die uns da antreibt?...Wow!...Das klingt echt mystisch, wenn das aus deinem Mund kommt, Alex.", hauchte Sam.

Erst jetzt entdeckte Sam das weiße A4 - Blatt, das unter Alex' Tasche lag und jetzt zum Vorschein kam. "Was ist das?", fragte Sam neugierig, hob die Tasche etwas an und zog das weiße Blatt hervor.

"Warum fragst du?", fragte Alex und tat so, als würde sie es fast überhören.

"Alex!...Komm schon! Verarsch mich nicht!...Woher kommt das?", wollte Sam von ihr wissen. Sie hielt Alex das Stück Papier vor ihre Nase.

Marshal stöhnte.

"Ach!...Das Blatt!...Das kommt von...DER...da.", und sie zeigte in die Richtung, in die Sybil soeben gegangen war. "Was steht denn da drauf?"

Sam holte tief Luft. "Echt jetzt, Alex?...Du hast es noch nicht gelesen?...Wie lange liegt der Wisch denn schon hier?"

"Seit...seit gestern Abend! Ich hatte gerade Feierabend gemacht, als sie angewackelt kam mit ihrem engen Knierock und den Mist hier abgelegt hat..", verteidigte sich Alex.

"Und du hast es dir noch nicht mal angesehen?"

"Nein Sam!...Ich hatte Feierabend!...Denkt sie etwa, ich mache Überstunden für ihren Wisch?...Es kam keine Order von deinem Vater, den Direktor des Hotels. Also hab ich es ignoriert und bin gegangen......Was ist denn nun damit?"

Sam las es sich durch und musste sich ein Lachen verkneifen.

"Was steht drin, Sam?"

"Oh, glaub mir, das willst du gar nicht wissen!", kicherte sie wie ein kleines Schulmädchen vor sich hin.

"Sag schon, Sam!", wurde Alex leicht hektisch und neugierig.

"Das ist ihr Steckbrief...
Wer bin ich?...
Was sind meine Hobbies?...
Ich bin Witwe..."
Sam blickte von dem Blatt auf und sah Alex an. "Sind wir hier bei der Partnervermittlung oder was?"

"Wer zum Geier will das denn wissen?...Meines Erachtens NIEMAND!", betonte Alex und riss Sam den Wisch aus ihren Händen.

"Wer ist denn an diesem verdammten Sch...?"

"SCHEISS!!!...Das wollten Sie doch wohl gerade sagen oder Miss Marshal?", kam es plötzlich aus dem Nichts hinter Alex. "Sie steht hinter mir, richtig?", fragte Alex Sam, die zur Antwort nickte und sich ein Grinsen verkneifen musste.

Alex hielt Sybil das Blatt vor die Nase und fragte etwas gereizt:

"Ist das Ihr Sch...Ernst?", fauchte Alex Sybil an und musterte sie dabei von oben bis unten. Sie trug ein kariertes Kostüm aus vier Farben. Der Rock lag eng anliegend an ihren Oberschenkeln und an dem Kragen war eine dünn - fedrige Boa eingenäht.
Alex sah in ihr gerade eine Vogelscheuche, die von einer Menge Krähen umkreist wurde.

"Wieso nicht?...Jeder hier im Haus soll wissen, an wen sie sich wenden können, wenn...", holte Sybil Alex aus ihren wirren und doch lustigen Gedanken zurück.

Alex baute sich vor Sybil auf und wurde grantig.
"....Wenn was?!...Sie schnippische, arrogante, bunte Vogelscheuche! Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Sie sind nur für diesen Moment die Sekretärin dieses Hotels...Sie haben mir gar nichts zu befehlen!"

"Nicht so vorlaut, Miss Marshal! Das werde ich aber bald haben...Das Sagen!...Wenn die Leitung in diesem Hotel gewechselt hat. Dann werden Sie mit die Erste sein, die ihre Kündigung erhält! Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, Miss Marshal!", protzte Sybil herum.

Alex winkte mit ihrer rechten Hand ab. "Ach kommen Sie!...Lassen SIE sich nicht allzu häuslich hier nieder!...Denn SIE werden von hier in Luft aufgelöst!...Darauf gebe ich Ihnen MEIN Wort, Misses Steward!!!"

Sam machte große Augen. Was war denn mit Alex auf einmal los? Sie konnte von Glück reden, dass Sybil nur eine normale Angestellte war und nicht die stellvertretende Leitung. Aber sie ließ Alex ruhig weitermachen, denn Sybil glaubte, über Alex zu stehen. Doch weit gefehlt. Sie konnte sehen, wie es in Sybil brodelte und kochte.

"...Louise wird wieder kommen und ihren Job aufnehmen.
Hier wird niemand verdrängt, damit Ihnen das klar ist, Steward. Sie sind nur befristet hier, akzeptabel, bis Louise wieder da ist..."

Sybil fiel Alex ins Wort. "Ist das Ihr letztes Wort, Miss Marshal?"

Alex verkniff sich jeglichen weiteren Kommentar.

"Das weiß ich noch nicht, Misses Steward!...Kommt drauf an, ob Sie mir noch einen Anstoß geben, meine Meinung gegen Sie zu äußern, Misses...Sybil...Steward!", und somit wären wohl die Fronten zwischen Marshal und Steward geklärt... für's Erste... womöglich.

Sybil wand sich an Sam und beäugte sie von oben nach unten. "Und Ihre Meinung, Tochter des Hauses?"

Sam blieb ruhig...Sie ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
"Sie haben sie gehört, Misses Steward!...Gerade eben!...Wir halten hier alle zusammen. Wir sind eine große Familie. Da wird viel breit geklatscht. Da ist kein Steckbrief nötig. Jeder hier im Haus weiß von Ihrer Existenz! Lassen Sie es gut sein! Wir sind hier, um zu arbeiten. Das sollten Sie auch tun...Übertreiben Sie es nicht, Misses Steward und denken Sie daran, wir sind nicht bei der Wahl oder Partnervermittlung! Wir sind ein Hotel, nicht nur irgendeines,

sondern das Stanford - Hotel!...

Lassen Sie Ihre Finger von Dingen, von denen Sie keine Ahnung haben. Sie verstehen sich nur auf Eines. Diese Thematik brauche ich Ihnen sicherlich nicht näher zu erklären. Dafür brauchen Sie keine Anleitung. Denn darin scheinen Sie die Beste zu sein!

Ich kann Ihnen heute schon Eines versprechen, Miss Steward!
Ist Misses Louise Crawford wieder gesund, wird sie ihren Job wieder bekommen.
Und was SIE betrifft, Ihr Vertrag ist dann abgelaufen!"

Sam wollte gerade gehen, als ihr noch etwas einfiel.

"Ach ja!...Sie wollten dieses Blatt dreißig Mal kopiert haben. Ich frag mich nur, wohin damit. Was für eine Tinten- und Blattverschwendung!...Sie wissen schon, dass das Ihre Aufgabe ist?...Sie sind die Sekretärin dieses Hotels, also tun Sie ihren Job und seien Sie eine Sekretärin!...Kopieren Sie nach Herzenslust!

EINEN SCHÖNEN TAG NOCH!"

Sybil nahm den Steckbrief zur Hand, zerknüllte ihn und warf ihn stinksauer knurrend in den Papierkorb neben der Rezeption. Dann betrat sie wutentbrannt ihr Büro. "Dieses elendige Miststück!...Hat sie die große Klappe mir gegenüber...Ich werde es den Beiden noch zeigen...Vor allem der Stanford!...Wir werden sehen, wer am Ende noch steht und lacht von uns Beiden, Miss Stanford - Tochter des Hauses!", wütete Sybil in ihrem Büro. Von der Unterredung mit Alex und Sam ließ sie kein Wort verlauten...zu niemanden. Denn es gab in ihren Augen eine andere Sache, die es zu klären gab. Sie wusste genau, von was Sam da eben gesprochen hatte....Woher wusste sie davon?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top