𝕶𝖆𝖕𝖎𝖙𝖊𝖑 6
𝕯ie Kälte durchdrang Linneas Knochen bis tief in ihr Inneres, als sie am späten Nachmittag erwachte. Sie fand ihren Kopf in Elaras Schoß gebettet und ihr Körper von Aldrics Mantel umhüllt. Ein Blick um sie herum verriet ihr, dass auch ihre Geschwister, erschöpft von den Strapazen des unerwarteten Kampfes, eingeschlafen waren. Von Auranons mächtiger Präsenz war nichts zu spüren.
Vorsichtig bewegte sich Linnea, streckte ihre steifen Glieder und zog behutsam die provisorische Decke von ihren Schultern. Sie stand leise auf, um ihre Geschwister nicht zu stören. Das flackernde Feuerlicht tanzte auf ihren schlafenden Gesichtern, und für einen kurzen Moment betrachtete Linnea ihre Gefährten. Eine Welle der Wärme erfüllte ihr Herz.
Linnea trat behutsam näher an das Feuer heran, das immer noch sanft knisterte und etwas Wärme in die kühle Höhle brachte. Ein zarter Luftzug strich durch die Höhle und trug den Duft von Moos und feuchter Erde mit sich. Linnea spürte, wie sich ihre Sinne schärften, als sie die ungewohnte Atmosphäre der Höhle in sich aufnahm. Die Abenteuerlust regte sich in ihr und so folgte Linnea den Weg zurück zum Ausgang des Tempels, durch die sie Auranon am Morgen geführt hatte.
Am Ende des Tunnels konnte sie die Silhouetten ihrer Pegasusse erkennen, die mit stoischer Ruhe auf die Rückkehr ihrer Reiter warteten.
Linnea trat zu Silberwind, der silbergrauen Stute, die sie sich mit ihrer Schwester teilte, und strich über ihr seidiges Fell. Neugierig neigte Silberwind den Kopf, als würde sie die junge Prinzessin nach ihrem Vorhaben fragen.
Es war ein Moment der Stille, der Linnea erlaubte, die Ruhe des Augenblicks zu genießen und die Verbundenheit mit ihrem treuen Pegasus zu spüren. Die silberne Pracht von Silberwinds Fell schimmerte im fahlen Licht des Tempels, während ihre dunklen Augen Linnea mit unausgesprochener Treue betrachteten.
Linnea erhob sich langsam auf Silberwinds Rücken, dessen edle Gestalt im fahlen Licht des Dämmerhimmels glänzte. Die Umrisse des Tempels verblassten langsam hinter ihr, als sie in die weite Landschaft hinausritt. Ein kühler Wind strich durch ihre Haare und trug den Duft von frischem Grün und Erde mit sich.
Plötzlich erhob sich vor ihr Auranon, der Wächter der Luft, in all seiner erhabenen Pracht. Seine Schuppen glänzten im letzten Licht des Tages, und sein Blick war von einer unermesslichen Weisheit durchdrungen. "Wohin des Weges, kleine Prinzessin? Weißt du denn nicht, dass mit der Nacht die Schatten erwachen?"
Linnea runzelte die Stirn im Zwiespalt, während sie ihre kleine, gerade Nase rümpfte, ein Zeichen ihrer inneren Unruhe. Sie wollte dem Wächter mit gebührendem Respekt begegnen, doch sein Tadel stieß ihr bitter auf, wie ein ungebetener Gast in ihrem Herzen.
„Der Wald ist ungefährlich", erklärte sie mit fester Stimme, während sie ihre Finger in Silberwinds Mähne verkrampfte, als suchte sie Halt in der aufgewühlten Stille. „Er war es schon immer. Ich erkunde ihn, seit ich laufen kann."
Gutmütig streckte Auranon seine gewaltigen Schwingen aus und blies mit einem Luftstoß beinahe Linnea von Silberwinds Rücken, als wollte er ihre Worte mit einer Brise der Realität unterstreichen. Ein schalkhaftes Funkeln lag in seinen schillernden Augen, eine Mischung aus Weisheit und ironischem Humor. „Diese Zeiten sind vorbei, kleine Prinzessin. Die Pforte zur Finsternis hat Risse. Das Fußvolk des Schattenfürsten drängt hindurch, um ihm das gewünschte Artefakt zu überbringen. Damit könnten sie die Tore endgültig öffnen und die Welt in Dunkelheit stürzen."
Ein eiskalter Schauer lief Linnea über den Rücken bei den düsteren Worten des Drachen, der mit einer Stimme sprach, die von unzähligen Jahren der Beobachtung und Erfahrung geprägt war. Es war eine grausame Vorstellung für Linnea, die nur den Frieden in Eldoria kannte, ein Flackern der Angst in der Dunkelheit ihrer Gedanken.
„Noch sind es nur ein paar verlorene Seelen in einer falschen Welt", fuhr Auranon mit mächtiger Stimme fort, während er Silberwind mitsamt Linnea behutsam zurück zum Tempel führte, als wolle er sie vor den Ungeheuern der Nacht beschützen. „Sie spüren die göttliche Präsenz des Artefakts, deshalb lungern sie seit ein paar Tagen hier im Tal herum. Tagsüber halten sie sich meist im Schatten verborgen, aber nachts lauern sie auf ihre Opfer. Wenn ihr nicht bald die restlichen Elemente findet, ist niemand mehr sicher."
Linnea erschauderte und ließ sich ohne weiteren Protest zurück zu Auranons Versteck führen, wo Elara bereits auf sie wartete, ihr hübsches Gesicht vor Sorge verzerrt, wie eine gesprungene Maske, die die Angst dahinter offenbarte.
„Linnea", rügte sie ihre Schwester mit milder Strenge und hob sie von Silberwinds Rücken, ihre Finger wie ein eiserner Griff um Linneas Schulter, fest und beschützend. „Hat dir die Dunkelheit etwa das Hirn vernebelt? Bleib gefälligst in unserer Nähe!"
Sie warf dem Wächter einen dankbaren Blick zu, während sie Linnea festhielt, als wolle sie sie vor den Schatten der Nacht bewahren, die in den Zwischenräumen der Welt lauerten. „Ich danke dir."
Auranon neigte den Kopf vor den beiden Erben und warf einen letzten Blick in die Dämmerung des Waldes, ein Abschiedsgruß an eine Welt, die im Wanken war, bevor er ihnen zurück in den Tempel folgte, in die Sicherheit der steinernen Gemäuer, die das Licht der Hoffnung bargen.
„Wir werden morgen früh aufbrechen. Wir danken dir für deine Gastfreundschaft, Auranon", begrüßte Aldric die Drei und neigte in tiefer Demut sein Haupt vor dem Wächter der Lüfte, als würde er einem alten Freund Lebewohl sagen. „Ich weiß nicht, was wir ohne deine Hilfe getan hätten. Wir stehen tief in deiner Schuld."
Linnea, die sich nahe ans Feuer gekuschelt hatte, warf Jareth einen kurzen Blick zu, der von einem stummen Verständnis begleitet wurde. Sie beide wussten, dass sie vermutlich als Schattenfraß geendet hätten, wäre Auranon nicht gewesen, ein Licht in der Finsternis.
„Sobald ihr das Artefakt habt, werden euch die Schatten verfolgen." Auranons Warnung hallte von den Gemäuerwänden wider und hinterließ eine angespannte Stille, wie ein Echo aus einer vergessenen Zeit, das die Gegenwart erschütterte.
Elara und Aldric tauschten einen beunruhigten Blick, ein Sturm aus Unsicherheit in ihren Augen. Wie sollten sie Kreaturen meiden, die aus den eigenen Schatten entsprangen?
Auranon neigte seinen majestätischen Kopf leicht zur Seite, seine Augen funkelten im Schein des flackernden Feuers. Seine mächtigen Schuppen glänzten im schwachen Licht, während er die Geschwister mit einer Aura der Erhabenheit umgab. Die Höhle schien plötzlich von seiner Anwesenheit durchdrungen zu sein, und die Luft war erfüllt von einer geheimnisvollen Intensität.
"In den vergessenen Hallen eines längst untergegangenen Tempels liegt der Schlüssel zum nächsten Element. Dort, wo das Licht der Sterne auf die Erde fällt, findet ihr einen verborgenen Schrein. Dies ist der Ort, an dem das nächste Element ruht und auf seine Erben wartet."
Auranon's tiefe Stimme trug den Hauch uralter Weisheit, und seine Worte schwebten wie ein Versprechen in der Luft. Die Geschwister lauschten aufmerksam, ihre Herzen von einer Mischung aus Ehrfurcht und Hoffnung erfüllt. Der Drache hatte ihnen einen kostbaren Hinweis gegeben, der den Weg zu einem weiteren Teil des Artefakts wies.
Die Höhle schien die Geschichten vergangener Zeiten zu atmen, und die Silhouette des majestätischen Wächters wurde von den Schatten verschlungen, als er sich zurückzog. Die Dunkelheit umhüllte die Geschwister, doch in ihren Herzen brannte die Flamme der Entschlossenheit, Eldoria vor der herannahenden Dunkelheit zu retten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top