Kapitel 11
Lúthëa erwachte mit einem scharfen Schmerz in ihren Handgelenken und einem dumpfen Gefühl im Kopf. Das erste, was sie bemerkte, war die Kälte des Bodens unter ihr und das grobe, kratzige Seil, das ihre Hände fest zusammengebunden hielt. Ihr Herz begann wild zu schlagen, als sie erkannte, dass sie gefesselt war. Sie öffnete langsam die Augen, und der beißende Geruch von Moder und Verwesung drang ihr in die Nase. Sie erkannte sofort, wo sie war – oder zumindest bei wem.
Orks. Die unheilvollen Geräusche ihrer gutturalen Sprache drangen an ihr Ohr, und der Klang ließ eine Welle von Furcht und Erinnerungen über sie hinwegspülen. Ihre Kindheit in Mordor, die schrecklichen Folterungen, die harten Schläge – alles war plötzlich wieder da, als wäre es gestern gewesen.
Ein hässlicher Ork mit einer tiefen Narbe, die sich über sein gesamtes Gesicht zog, beugte sich über sie und grinste sie mit seinen fauligen Zähnen an. „Na, wen haben wir denn hier?", krächzte er, während er sie mit einem schmierigen Finger in die Seite piekste. „Eine kleine Elbe, die sich in unsere Höhle verirrt hat. Wirst wohl nicht so leicht entkommen, was?"
Lúthëa zwang sich, ruhig zu bleiben, obwohl ihr Herz wie verrückt pochte. „Lass mich gehen", zischte sie, wobei ihre Stimme viel mutiger klang, als sie sich fühlte. „Ihr habt keine Ahnung, wen ihr gefangen habt."
Der Ork lachte höhnisch. „Oh, das werden wir sehen! Vielleicht kannst du uns ja verraten, was du hier unten machst. Auf der Flucht? Hast du dich verlaufen?"
Die anderen Orks, die in der Dunkelheit lauerten, lachten mit, ihre tiefen, knurrenden Stimmen hallten von den Wänden wider. Lúthëa kämpfte gegen die Panik an, die in ihr aufstieg. Sie musste einen klaren Kopf bewahren, um hier lebend herauszukommen.
„Ich bin auf einer Mission", antwortete sie, ihre Stimme jetzt ruhiger und kontrollierter. „Und wenn ihr klug seid, lasst ihr mich gehen, bevor meine Gefährten euch finden."
Der Ork stieß ein weiteres, kehliges Lachen aus. „Gefährten? Welche Gefährten? Elben und Menschen haben hier unten nichts zu suchen. Du lügst, Elbe!"
Lúthëa spürte, wie ihr Atem flacher wurde. Sie erinnerte sich daran, wie oft sie in ihrer Kindheit gefangen und misshandelt worden war, wie sie Tag für Tag die Peitsche zu spüren bekommen hatte. Die Dunkelheit um sie herum schien sie zu erdrücken, aber sie konnte sich nicht von der Angst überwältigen lassen. Sie musste einen Ausweg finden.
„Ich brauche keine Gefährten, um euch zu besiegen", sagte sie schließlich, wobei sie versuchte, die Dunkelheit in ihrer Stimme widerhallen zu lassen. Die dunklen Kräfte in ihr regten sich, forderten sie auf, sie freizulassen. Doch sie wusste, dass das riskant war. Diese Macht war unberechenbar, und sie hatte noch immer Angst davor, sie vollständig zu entfesseln.
Der Ork beugte sich näher zu ihr, seine widerliche, heiße Atemluft schlug ihr ins Gesicht. „Du hast Mut, Elbe. Aber wir werden sehen, wie viel Mut du noch hast, wenn wir dir zeigen, wie wir mit Gefangenen umgehen."
Plötzlich wurde die Höhle von einem fernen Geräusch erschüttert. Ein tiefes Grollen, das die Wände zum Zittern brachte. Die Orks blickten sich nervös um, und der Anführer stieß einen Befehl aus. „Rausfinden, was das ist!"
Während die Orks sich in Bewegung setzten, nutzte Lúthëa die Ablenkung. Mit zitternden Händen begann sie, an ihren Fesseln zu arbeiten. Die Erinnerungen an ihre Folter in Mordor schienen ihren Verstand zu überwältigen, doch sie kämpfte dagegen an. Sie war nicht mehr das kleine, hilflose Elbenkind von damals. Sie hatte überlebt, sie hatte sich selbst trainiert, und sie war bereit, für ihr Leben zu kämpfen.
Endlich spürte sie, wie das Seil nachgab. Mit einem letzten kräftigen Ruck befreite sie sich und stieß sich von dem kalten Boden ab. Die Orks waren noch immer abgelenkt, ihre Aufmerksamkeit auf das Grollen und die entfernten Geräusche gerichtet. Lúthëa nutzte die Gelegenheit, um leise aufzustehen und nach einer Waffe zu suchen. In der Nähe entdeckte sie ein altes Schwert, das in der Ecke lag. Sie griff danach, ihre Finger um den Griff legend, und fühlte ein unerwartetes Gefühl der Sicherheit.
„Ich habe das nicht vergessen", murmelte sie leise zu sich selbst, während sie das Schwert hob. „Und ich werde mich nicht noch einmal von euch brechen lassen."
Plötzlich drehte sich der Anführer der Orks um, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Was...?" Er hatte gerade genug Zeit, um Lúthëa zu sehen, bevor sie zuschlug. Mit einem einzigen, präzisen Hieb durchtrennte sie seine Kehle. Er stieß ein gurgelndes Geräusch aus, bevor er zu Boden sank.
Die anderen Orks stürmten auf sie zu, doch Lúthëa war bereit. Sie kämpfte nicht nur um ihr Leben, sondern um ihre Freiheit und ihre Zukunft. Mit jedem Schlag fühlte sie die Dunkelheit in sich brodeln, doch sie behielt die Kontrolle, lenkte die Macht in ihre Angriffe.
Als der letzte Ork zu Boden fiel, atmete Lúthëa schwer, aber sie war unversehrt. Der Raum war still, nur das leise Tropfen von Wasser in der Ferne war zu hören. Sie stand keuchend inmitten der Leichen, ihre Augen vor Entschlossenheit glühend.
„Nie wieder", flüsterte sie, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte, um ihren Weg aus der Mine zu finden. Sie würde nicht zurückblicken. Ihre Gefährten warteten auf sie, und sie würde alles tun, um sie wiederzufinden.
Doch während sie weiterging, blieb die Furcht tief in ihr. Sie wusste, dass die Dunkelheit in ihr niemals wirklich verschwinden würde. Sie konnte sie nur unter Kontrolle halten – und hoffen, dass sie stark genug war, um nicht von ihr verschlungen zu werden.
Lúthëa stolperte durch die dichten Wälder, ihr Herz schwer und ihre Gedanken nur bei einem: Legolas. Die letzten Stunden hatten ihr alles abverlangt. Sie war erschöpft, körperlich und seelisch. Das Mondlicht brach durch die Bäume, beleuchtete ihren zitternden Körper und die Tränen, die unaufhörlich über ihre Wangen liefen.
„Legolas...", flüsterte sie, während sie eine Hand auf ihre Brust legte, wo ihr Herz schmerzte. Sie versuchte, den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken, doch es gelang ihr nicht. Der Gedanke, dass Legolas dachte, sie sei tot, zerbrach sie innerlich. Sie wusste, wie tief diese Nachricht ihn treffen würde. Die Bindung zwischen ihnen war stark – stärker, als sie es je hatte zugeben wollen.
In der Wildnis allein zu sein, fühlte sich an, als wäre ein Teil von ihr verloren gegangen. Der Gedanke an Legolas ließ ihre Tränen nur noch heftiger fließen. Sie sank auf die Knie, ihre Hände in die feuchte Erde grabend, und ließ endlich alle Emotionen heraus, die sie bis jetzt unterdrückt hatte. „Es tut mir so leid, Legolas...", schluchzte sie in die Stille der Nacht hinein.
Währenddessen, viele Meilen entfernt, saß Legolas bei einem Lagerfeuer, das gedämpft in der Dunkelheit leuchtete. Die anderen Gefährten hatten sich um das Feuer versammelt, doch seine Gedanken waren weit weg. Er starrte in die Flammen, doch seine Augen waren leer, als ob er durch das Feuer hindurch in eine andere Welt blicken würde.
Gimli warf einen Blick auf ihn und seufzte schwer. „Du musst aufhören, so zu grübeln, Elb. Wir haben getan, was wir konnten."
Legolas reagierte nicht. In seinem Kopf wiederholte sich immer wieder die Szene, wie Lúthëa in die Tiefe stürzte. „Ich habe sie nicht festhalten können...", murmelte er leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Es war nicht deine Schuld, Legolas", sagte Aragorn sanft und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir alle haben sie verloren. Doch wir müssen weitermachen. Sie hätte nicht gewollt, dass wir aufgeben."
Legolas schloss die Augen und versuchte, die Worte seines Freundes zu akzeptieren, aber es war zu schwer. Die Vorstellung, dass Lúthëa nicht mehr bei ihm war, dass sie tot sein könnte, war unerträglich. „Wie kann ich weitermachen, wenn mein Herz nicht mehr vollständig ist?" fragte er, mehr zu sich selbst als zu den anderen.
Aragorn sah ihn lange an, bevor er antwortete. „Manchmal verlangt das Schicksal von uns, dass wir weitergehen, auch wenn wir glauben, dass wir es nicht können. Vielleicht lebt sie noch, vielleicht nicht. Aber wir müssen unsere Aufgabe erfüllen, Legolas. Für Lúthëa, für uns alle."
Doch Legolas schüttelte nur den Kopf, unfähig, Trost in den Worten seines Freundes zu finden. „Ich kann es einfach nicht glauben..." Seine Stimme brach, und er senkte den Kopf, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen stiegen.
Während die Nacht weiter voranschritt, zogen sich die Gefährten nach und nach zum Schlafen zurück, doch Legolas blieb wach, wachsam. Er konnte nicht schlafen, nicht mit dem Gedanken, dass Lúthëa vielleicht irgendwo dort draußen war – allein, verletzt oder schlimmeres.
In der Wildnis hatte sich Lúthëa inzwischen unter einem großen Baum niedergelassen, erschöpft von den Ereignissen und den Emotionen, die über sie hereingebrochen waren. Sie lehnte sich gegen den rauen Stamm, ihre Augen halb geschlossen, während sie sich fragte, ob Legolas jemals erfahren würde, dass sie noch am Leben war.
„Ich komme zurück zu dir", flüsterte sie schließlich, entschlossen, sich nicht von der Dunkelheit verschlingen zu lassen, die in ihrem Herzen lauerte. Sie wusste nicht, wie sie den Weg zurück zu den Gefährten finden sollte, aber sie würde es versuchen – für Legolas.
Zur selben Zeit starrte Legolas weiterhin in die Nacht, seine Gedanken ununterbrochen bei Lúthëa. Er spürte eine seltsame Verbindung, ein schwaches Flüstern, das ihn drängte, nicht aufzugeben, sie nicht loszulassen. Doch so sehr er sich auch danach sehnte, sie wiederzusehen, so sehr fürchtete er auch, dass er sich bloß an ein Hirngespinst klammerte.
„Ich werde dich finden, Lúthëa", murmelte er schließlich entschlossen in die Dunkelheit, als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel zu färben begannen. „Egal, wo du bist."
Und so trugen die beiden, getrennt durch das Schicksal, aber verbunden durch ihre Herzen, denselben Entschluss in sich: sich wiederzufinden, koste es, was es wolle. Die Reise würde lang und voller Gefahren sein, doch die Liebe, die sie teilten, war stärker als jede Herausforderung, die noch vor ihnen lag.
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