*Kapitel 27*
In der Hälfte des Aufstiegs, fiel ihr eine Farbe ins Auge, die sonst eigentlich nicht in diese Höhe des Schlosses gehörte: hellgrau. Das Hellgrau der Köchinnen und ein geflochtener schwarzer Zopf, kein hochgesteckter Knoten.
Eigentlich müsste sie weiter, aber sie wollte wissen was vor sich ging. DIe Neugier siegte.
Eine Küchendienerin lehnte sich gefährlich weit aus dem Gang hinaus, um um die Ecke zu spähen.
"Entschuldige, aber sind Köchinnen hier oben nicht eigentlich nicht erlaubt?" Vera hob ihre Hand und legte sie der Frau auf die Schulter, diese zuckte zusammen und drehte sich um. Große braune Augen blickten reumütig in ihre.
"Jelika? Was tust du hier?"
Jelika schwieg. Ihr Mund öffnete und schloss sich, aber kein Ton überwand ihre Lippen. Es tat Vera leid, sie so erschreckt zu haben, dabei sollte eine Köchin, die die erste weibliche Wächterin werden wollte, weniger schreckhaft sein.
Und sie hätte sich nicht so von mir überraschen lassen dürfen... Sie hätte mich hören müssen, wenn ich ein Angreifer gewesen wäre...
Jelika atmete ungestört von Veras abfälligen Gedanken tief durch und schien sich zu fangen.
"Ich werde empfohlen."
"Was?"
"Dem König. Der Oberste Wächter wird mich dem König empfehlen, der mich dann den Sternengeistern empfiehlt." Die HAare in Veras Nacken stellten sich auf. Jelika hatte es tatsächlich geschafft diese sturen alteingesessenen Yackköpfe zu bezirzen. Eine Wächterin. Es würde eine weibliche Wächterin geben. Stolz auf dies Frau, die neue Wege bahnen wollte erfüllte sie.
"Gratuliere. Weißt du schon wann die ZEremonie stattfindet?"
"Zu Mondhoch, aber genaueres wollte ich gerade herausfinden."
"Entschuldige ich wollte dich nicht erschrecken."
"Schon in Ordnung, ich schätze ich sollte mich jetzt daran gewöhnen Augen in meinem Rücken zu haben." Jelika strahlte mit allen Zähnen, was ihre runden Wangen betonte. Jelika hatte keine harten Kanten, sie war von Kindesbeinen an im Palast gewesen, hatte nie größeren Hunger gekannt. Aber auch nie das Gefühl kompletter Sättigung, erinnerte Vera sich. An den raren Tagen, wenn sie ein Yack erlegt hatte, hatten sie und die Risstossorios so viel Essen können, dass ihnen die Bäuche weh taten und es war trotzdem noch für weitere Tage Fleisch übrig gewesen.
Für die Diener wurde entschieden wie viel sie bekamen, das suchten sie sich nicht selbst aus. Jelika war vermutlich noch nie in ihrem Leben völlig satt gewesen.
"Ich kann es nicht glauben seit drei Wintern tue ich alles was Ko von mir will und endlich hat er zu seinem Wort gestanden." Die Frau fuhr sich durch die Haare, konnte ihr Glück kaum fassen, dabei hatte sie es sich selbst verdient.
"Das ist dein Verdienst, nicht seine Gnade, das weißt du?", Vera fasste Jelika an beiden Schultern und sah ihr in die Augen. Es war wichtig, dass sie ihre eigene Kraft und ihre Leistung verstand.
Jelika nickte.
"Danke." Vera ließ sie los.
"Du hast es dir verdient und ich werde dich natürlich nicht melden, aber lass dich nicht noch von wem anders erwischen." Sie musste wirklich dringend weiter. Die angehende Wächterin nickte und Vera drehte sich um und lief los. Sie kam jedoch nicht umhin, der Frau, die eine unsichtbare Grenze überwunden hatte, noch einmal über die Schulter zu winken und mit einem Lächeln auf den Lippen wieder zu den Stufen zurückzukehren.
Sie war zu spät, viel zu spät, aber es hatte sich zumindest für Jelika gelohnt. Hoffentlich war Lia nicht erbost, auch wenn die Prinzessin bisher eher freundlich aufgetreten war, konnte man schließlich nie wissen was eine Königliche erboste.
„Entschuldige, dass ich..."
"Du kommst genau richtig", unterbrach Lia sie bereits beim Betreten der Gemächer. Kaum, dass Vera einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte stand die Prinzessin bereits Nase an Nase vor ihrem Gesicht und schob sie zurück in den Flur. Die Dienerin stolperte zu einem Stopp, fand jedoch ihr Fußwerk schnell wieder. Zumindest versuchte Lia es, sich an ihr vorbei zu schieben, doch an Veras breiten Schultern kamen die schmalen Knochen der Königlichen nicht wirklich vorbei.
Einen angenehmen Abstand wiederherstellend schob Vera Lia von sich und lehnte sich in die Türöffnung.
"Wo willst du denn so aufgeregt hin, Prinzessin?" Lia schnaubte.
"Komm mit du stures Yack, sonst schließt sich unser Zeitfenster wieder." Erneut versucht sie an Vera vorbeizutreten. Erneut scheiterte sie.
"Yackdung." Vera lachte auf, ihr gefiel dieses Katz-und-Maus-Spiel.
"Na, na diese Ausdrucksweise ziemt sich doch mit Sicherheit nicht für eine Prinzessin." Doch Lia schien keine Zeit für Scherze zu haben.
"Vera, ich habe bereits den ganzen Morgen auf dich gewartet und weigere mich noch einen Sonnenstrahl mehr vergehen zu lassen, bevor wir meine Idee überprüfen."
"Welche Idee?"
"Wie wir deine Erinnerungen an deine leiblichen Eltern wecken können, natürlich." Als hätte man ihr mit einem Eisklotz ins Gesicht geschlagen, ließ Vera verdutzt die Arme sinken. Der war die Realität wieder, die kribbelige Freude über Jelikas Errungenschaften fiel in sich zusammen und sammelte sich in einem schweren Klumpen in ihrer Magengrube.
"Bitte was? Lia, ich habe keine Erinnerungen an meine Eltern, ich wurde ausgesetzt als Baby, schon vergessen?" Seit ihrem Ausflug in die königliche Bibliothek hatte Lia an einem Plan gebrütet, wie sie weiter vorgehen sollten. Es schien sie hatte eine Lösung gefunden und war dabei in ihrer Begeisterung übers Ziel hinausgeschossen. Vera wurde unwohl bei dem Gedanken, aber gleichzeitig stieg auch die Wut wieder an. Wenn Lia eine Idee hatte, dann kam sie ihrer Rache näher.
"Falsch." Lias Frohsinn würde Vera noch Kopfschmerzen bereiten, wenn die Prinzessin weiter in ihrer quietschend begeisterten Tonlage sprach.
"Lia, ich komme doch mit, nicht dass ich dir ernsthaft einen Wunsch ausschlagen dürfte, aber kannst du mir vorher bitte kurz erklären, was genau du vorhast, damit ich als deine Zofe entscheiden kann, ob es zu gefährlich ist und mich mal wieder meinen Posten kosten könnte?" Sie mochte ihre Stellung als dauerhafte Zofe der Prinzessin und die Achtung, die es ihr bei den Dienern einbrachte. Ganz davon abgesehen, dass es sie mittlerweile fast vollständig vom Küchendienst befreite, da Lia immer mehr und mehr speziell nach ihr verlangte. Manchmal auch, um sich einfach nur bis lange nach Mondhoch zu unterhalten, wenn die Prinzessin mal wieder Schlafprobleme oder starke Schmerzen hatte und abgelenkt werden wollte.
Solange sie noch hier war, wollte Vera ihre privilegierte Stellung gern behalten.
"Ich dachte mir, wenn alles nichts bringt und die Information verschollen scheint, müssen wir eben direkt zur Quelle und damit meine ich genau das. Zur Quelle."
"Lia du sprichst in Rätseln." Einmal nur wünschte sich Vera eine einfache Lösung mit klaren Angaben, war das zu viel verlangt?
"Du erinnerst dich an die Rolle mit den Grotten der Weisen, die ich dir gezeigt habe?"
"Ja, aber wir hatten die Weisen doch bereits ausgeschlossen, da sie die Informationen meiner Geburt vermutlich selbst gestrichen haben." Die Weiße ergänzte in Gedanken die Weisen des Schlosses zu ihrer Liste der Menschen, die büßen würden.
"Das stimmt", Lia tippe Vera auf die Nase, " aber was sie nicht gestrichen haben ist dein Gedächtnis und es gibt verschiedene Quellen dort unten in den Grotten der Weisen. Manche Wasser sollen Kräfte haben,zum Beispiel das der Namensgrotte. So gibt es aber auch Quellen die verschollenes Aufdecken, übernatürliche Heilung herbeiführen oder die wahre Form von etwas hervorbringen."
"Und dein Plan ist?", langsam aber sicher ließ Vera sich von Lias Aufregung anstecken, wenn die Prinzessin derart überzeugt von etwas war, lag sie meistens richtig. Sie konnten einen Schritt weiter kommen in ihrer Suche. Vera würde ihre Rache bekommen.
"Wir werden einen der Weisen bitten, dir Zugang zur Quelle der Entschleierung zu geben. Ich habe mich daran erinnert, als mir mein Cousin zweiten Grades beim letzten Abendessen von seinem Vater erzählte. Der nach einem Sturz vom Pferd das Gedächtnis verloren hatte und nach dem Baden in der heiligen Quelle war es so gut wie vollständig wiederhergestellt."
"Du hast jemandem von unserer Suche erzählt?" Entsetzen machte sich in Vera breit, doch Lia schüttelte bereits angewidert den Kopf.
"Natürlich nicht Kresstian wollte nur prahlen, dass es meinem Großonkel wieder besser geht. Um mögliche Machtspiele zu verhindern, schätze ich." Natürlich, eine mögliche Lücke in der Macht musste sofort überspielt werden, wie es schien. Selbst innerhalb der Familie. Nach allem, was Lia erzählte, schien das Königshaus Vera immer mehr und mehr, wie ein Käfig voller ausgehungerter Berglöwen, die nur darauf warteten, einander ein Bein abzunagen.
"Und du glaubst jetzt, wenn ich mich an meine leiblichen Eltern erinnern kann, bringt diese Quelle es zum Vorschein?"
Lia nickte begeistert und ein Lächeln stahl sich auf Veras Gesicht.
"Du weißt, ich sage es nicht gern, Prinzessin, aber ich glaube, diesmal hast du dich selbst übertroffen."
Die Prinzessin strahlte.
****
"Gut hier herunter müssen wir noch, siehst du die Treppe? halte dich an der Wand fest." An der Wand aus Eis ohne Einkerbungen, selbstverständlich, Vera verdrehte die Augen. Sie befanden sich unterhalb der Bibliothek in einem sich windenden Gang. Eine Art leere Vorkammer hatten sie bereits passiert.
"Ich dachte, hier würde es vor Weisen, die uns den Weg versperren, nur so wimmeln." Vera sprach in Lias Rücken.
"Das meinte ich eben mit unserem Zeitfenster, ich habe die Routinen der Wächter und Weisen in den letzten Tagen durch die Wände erspürt, um eine Lücke für uns zu finden. Ich kann allerdings nicht sagen was uns dort unten erwartet. Ich war dort selbst noch nie."
"Na das klingt äußerst vielversprechend, Prinzessin." Rumpelte Vera, um ihre eigene Nervosität zu übertünchen. Sie mochte es nicht, in einem Gang ohne Abzweigungen gefangen zu sein. Falls ihnen jemand entgegenkam oder nach ihnen die Treppe herunter stieg, waren sie ausgeliefert. Um ihr Unbehagen noch zu verstärken, wechselte das Material um sie herum von geschlossenem Eis, zu Stein, welcher hier und dort aus den Eiswänden hinauslugte. Bei den Mondzwilligen, nun konnten ihnen nicht einmal mehr Lias Kräfte helfen, durch den Stein unterhalb des Eises kam die Prinzessin nicht.
"Lia, vielleicht sollten wir", hob Vera an, doch die Prinzessin unterbrach sie.
"Sh..."
Ihr Gang weitete sich zu einer Höhle, größer als der erste Thronsaal. Vera atmete ehrfürchtig ein, auch Lia sah sich aufmerksam um.
"Halt." Ein mittelalter, sehr bleicher Mann mit Armen dünner als Lias, trat ihnen in den Weg. Der Oberkörper blank bis auf eine Art festes Tuch, welches er über eine Schulter und um seine Hüfte geschlungen hatte. Auf der Brust über dem Herzen prangte eine eisblaue Wellenlinie.
Das Symbol der Weisen.
Lia hob an, sie vorzustellen und ihre Bitte zu formulieren, doch die Augen des Mannes wurden trübe weiß, bis seine Pupillen fast verschwanden.
Erschrocken atmete Lia ein.
"Was bei den Geistern?" Dieses Mal war es Vera, die Lia unterbrach. Die Zofe legte einen Arm vor die Prinzessin und versuchte, sie hinter sich zu schieben. Lia protestierte nicht, reckte sich jedoch, um an Veras Arm vorbeizuschauen.
Der Weise hob einen dürren Arm und entfaltete einen eingerollten Finger von seiner Hand.
„Du", hauchte der Weise.
„Du hast die Seele des großen Geistes in den Augen und die Macht des Eises im Herzen", er deutete auf Vera.
„Du hingegen," sein knochiger Arm wanderte zu Lia weiter, „du hast die Güte des Schnees im Herzen und die Weitsicht der Sternengeister in den Augen."
Da hatte er etwas vertauscht. Lia war doch die Prinzessin des Eises nicht sie, aber Vera konnte nicht abstreiten, dass Weisheit und Weitsicht nicht unbedingt zu ihren Talenten zählten und eher auf Lia zutrafen. Außerdem schien der Weise ohnehin nicht ganz bei Sinnen, seine trüben Augen nichts sehend. Wer sein Leben in dunklen Eishöhlen fristete, verlor wohl früher oder später den Verstand.
„Zusammen teilt ihr die Macht des Eises, wie es einst die legendären Großgötter taten."
"Die alten Götter sind tot," rutschte es Vera über die Lippen und sie musste die Augen verdrehen. Noch mehr Fanatiker an einem Tag konnte sie wirklich nicht ertragen. Lia stach Vera in die Seite.
"He", sie drehte sich zur Prinzessin um, doch diese schien dem Weisen tatsächlich zu lauschen.
„Licht", er sprach in ihrem Rücken und deutete weiterhin auf Lia.
"Nimm die Hand runter, du bedrohst die Prinzessin." Vera drehte sich wieder um und hob den Arm, um seinen weg zu schlagen.
"Vera, nicht", zischte Lia.
Bei den Geistern, na gut, dann würden sie sich sein Geschwafel wohl anhören.
„Und Dunkel", sein Blick glitt zurück zu Vera, den Arm ließ er sinken. „Zusammen entscheidet ihr über unser aller Tage Ende, vereint seit ihr die größte Macht der Eislande."
Die Prinzessin trat, um Vera herum und legte dem Mann zwei Finger auf die Stirn. Er verneigte sich leicht.
"Du hast deine Prophezeiung gegeben, die Geister danken dir. Kehre nun zurück."
"Lia, was tust du da?", doch Lia schwieg. Bat sie somit still darum, ihr zu vertrauen.
Der Mann begann schnell zu blinzeln, seine Augen zuckten wie wild geworden hin und her. Sein Körper hing schlaff, schien sich kaum auf den Beinen zu halten, als ihn die seltsame Macht, die die Grotte erfüllt hatte, wieder verließ, doch sie schien noch nicht gehen zu wollen. Die Hände des Mannes schnappten nach Lia und er zischte ihr etwas ins Ohr.
"Schicksal...bereits...aufgetragen—", mehr verstand Vera nicht. Der Zofe lief ein Schauer über den Rücken. Lia wurde bleich, sie verlor jegliche Restfarbe ihrer Gesichtshaut.
"Lia?"
"Es hat sich einfach richtig angefühlt, das zu tun. Ich kann es nicht erklären."
Lia zu vertrauen, schien keine Frage der Abwägung mehr. Ihr zu vertrauen schien Schicksal zu sein. Sie hätte sich weniger schuldig fühlen sollen, als sie es tat. Vera erwischte sich dabei den wirren Worten glauben schenken zu wollen und besann sich schnell eines Besseren.
"Lia, wir gehen." Ihre Rache war unwichtig. Lias Sicherheit nicht. Die Weiße versuchte einen Schritt zurückzutreten, doch Lia weigerte sich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top