*Kapitel 22*
Es klopfte an die großen Türen des ersten Vorraumes und die beiden Frauen schreckten auf. Hatte jemand die verbotenen Themen, die sie besprachen, gehört? Irgendjemand wollte, dass diese Informationen vergessen wurden und wer die Macht hatte, derartiges geschehen zu lassen hatte auch die Macht sie zu finden.
„Prinzessin, geht es ihnen gut?"
Lia schüttelte mit großen Augen an Vera gewandt den Kopf und steckte die Schriftrolle zwischen die Falten ihres Kleides. Versiegelnd fuhr sie sich mit dem Daumen über die Lippen. Vera verstand.
In einer glockenhellen Stimme, die ihrer nicht entsprach, rief sie Lia den Wächtern zu.
„Wie oft habe ich ihnen bereits gesagt, sie sollen mich nicht beim Lesen stören." Unterdessen huschte Vera zurück in ihren Gang, um wieder zum ungesehenen Beobachter zu werden.
Lia riss die Tür auf, vergaß dabei ihre Schwäche zu betonen und steckte den Kopf durch den entstandenen Spalt. Entsetzt traten die Wächter auf den anderen Fuß und starrten in ihr knochiges Gesicht. Allen Beteiligten war bewusst, dass das gerade nicht hätte geschehen dürfen. Vera lief ein entzückter kalter Schauer über den Rücken beim Anblick des Ausdrucks von Angst in den Augen der Männer. Er war gerechtfertigt, angebracht. Die Prinzessin sollte deutlich mehr gefürchtet werden. Lia kaschierte ihren Fehler mit einem Husten und versicherte in zarter Stimme, dass sie gleich draußen wäre. Die Tür ließ sie unberührt, sodass die Wächter sie wieder schließen durften, was diese umgehend selbstsicherer auch taten.
Ohne ein weiteres Wort trat sie an Veras Gang und legte eine Hand an die Wand aus Eis. Veras Gang schloss sich. Vor ihren Augen bildete sich in Wimpernschlägen Eis so dick, wie ihr Unterarm. Lia nickte ihr noch einmal zu, bevor das Blau ihre Augen überdeckte und die Bibliothek nicht mehr sichtbar war. Unwohlsein darüber, dieser Person so sehr zu vertrauen, dass sie sich von ihr einschließen lies, breite sich in Vera aus, doch sie erkannte, dass ihr aktuell keine andere Wahl blieb. Sie hoffe inständig, dass sie die Entscheidung nicht in naher Zukunft bereuen würde.
Der Gang erwies sich dieses Mal als Abkürzung in die ersten unteren Level des Schlosses. Dort wo Eis und Stein sich trafen endete er. Vera horchte auf Stimmen und Schritte bevor sie hinaustrat, nur um hinter sich eine geschlossene Wand vorzufinden. Voller Bewunderung strich sie mit der Hand über die kalte solide Fläche, bevor sie sich auf den Weg zu den Färbern machte.
Heute würde verkündet werden, wer die Beförderung erhielt, wie Delano in seiner theatralischen Art am Vortag angekündigt hatte. Er genoss, die Aufmerksamkeit, die seine Rolle mit sich brachte manch ein mal etwas zu sehr für Veras Geschmack. Es hatte mehrere Zyklen der Evaluation gebraucht hatte er berichtet, doch die Verzierer waren zu einer Entscheidung gelangt. Es würde sich zeigen, ob Vera mit einem Vor- oder einem Nachteil in die Konsequenzen ihrer Wette mit Hain ging oder ob sie doch eher rausgeworfen wurde für ihre nicht wirklich versteckte Drohung.
Hain.
Sie konnte nicht abstreiten, dass er ihr gefiel. Mit seinen glatten, gleichzeitig kantigen Gesichtszügen und Augen, die nie seine Gedanken verreiten. Eine Eigenschaft, die sie selbst sehr zu schätzen wusste. Ihre kaum unterdrückte Anziehung schickte Wärme in ihren Nacken, die erlosch, als sie den bereits vollen Raum der Färber sah.
Ihr war nicht klar, was die anderen Färber als zusätzliche Aufgaben hatten, aber sie schafften es immer vor ihr an den Töpfen zu stehen. Schliefen sie in diesem Raum?
Vera warf ihre Lederschürze über, schnürte sie zu und klopfte Mic begrüßend auf den Rücken. Bevor er den Mund öffnen und etwas erwidern konnte trat Delano gefolgt von einer klein und stämmig gebauten Frau mit ungewöhnlich breiten Schultern aus dem Nebenraum.
Delano klatschte in die Hände und alle Färber wandten sich ihm zu. Manche wischten hastig ihre Hände an de Schürzen ab, doch ihre Haut darunter blieb das matschige Grau, dass vom zu häufigen Kontakt mit der Farbe entstand.
„Das ist Janis."
„Die oberste Verziererin, sie kommt direkt nach Delano", raunte Mic.
„Danke für den Beitrag", Delano versah Mic mit einem tadelnden Blick. Der Kleine sank ein Stück tiefer in den Boden, obwohl jedem im Raum klar war, dass Delano immer ein schützendes Auge auf ihn hatte.
„Am besten du stellst dich selbst vor und ernennst den neuen Verzierer, schließlich arbeitet sie ab jetzt primär für dich."
Sie. Das kleine, aber feine Wort entging Vera nicht.
Die Frau hob ihre Hand zum Gruß.
„Mein Name ist Janis. Sprecht mich einfach mit Nis an und wie viele von euch bereits wissen, bin ich die oberste Verziererin. Es ist Monde her, dass wir einen Neuzugang hatten und es wird hoffentlich auch wieder Monde dauern, bis es erneut nötig wird. Viele von euch werden keine zweite Chance bekommen." Zustimmendes Gemurmel ertönte.
„Ihr könnt euch meinen Namen merken oder es lassen, es kümmert mich nicht. Nur eine von euch sollte sich ihn doch merken, weil sie fortan für mich arbeiten wird." Die wenigen Männer im Raum ließen die Schultern sinken, auch ihnen war nun klar, dass keiner von ihnen die Beförderung erhalten würde.
Vermutlich ist es Hisli.
Es würde Sinn ergeben. Eine erfahrene Färberin und eine Freundin von Delano, die er gerne in einer besseren Stellung sehen würde. Zusätzlich eine bisher sehr freundlich und klug wirkende Person, die von allen geachtet wurde. Hisli hätte es verdient. Sie war die offensichtliche Wahl.
„Wer von euch ist Vera?"
Nein, oder?
Veras Gesicht ruckte zur kleinen Frau in der Mitte des Raumes. Mit Sicherheit hatte sie sich verhört. Das war der falsche Name. Doch ihr verräterisches Herz schlug bereits höher, das war, was sie eigentlich gewollt hatte, auch, wenn es unverdient war.
Freude war vielleicht immer unverdient.
Mic neben ihr quietschte.
„Ich wusste es."
Auch Vera bedachte ihn mit einem mürrischen Blick, doch dieses Mal ließ er sich nicht beirren und deutete mit einem Finger auf sie.
Vera trat vor.
„Ich bin Vera."
Nis trat zu ihr und schlug ihr auf die Schulter.
„Dann willkommen bei den Verzieren. Du wirst deine Kollegen überleben. Mach daraus, was du willst."
Es war nicht an ihr zu fragen und dennoch rollte es von ihrer Zunge.
„Warum ich?"
Nis schmunzelte.
„Wir mochten dein Feuer, kleiner Drache. Viele von uns haben das bereits verloren. Außerdem warst du eine der Wenigen, die eine ordentliche Pinselführung an den Tag gelegt haben. Der große Sonderling hier kann nicht mal eine gerade Linie ziehen. Geschweige denn etwas Kunstfertiges zu erschaffen." Delano ließ sich von seiner Unterstellten beleidigen und nahm es mit einem Lachen.
„Ich bin gut eingesetzt dort, wo ich bin, danke für deine Besorgnis." Nis rollte die Augen, wie eine große Schwester es über ihren Bruder tat. Es war schwer einschätzbar, wie alt sie jedoch tatsächlich war. Ihre Größe vereinfachte es nicht. Alt genug, um Kinder zu haben aber nicht alt genug für die ersten Falten, auch wenn diese sich immer früher in die Gesichter, der jung Sterbenden schürften.
Jetzt traten auch die Färber auf sie zu. Allen voran Mic und beglückwünschten sie zu ihrer neuen Position. Einer Position, die mit Sicherheit viele von ihnen gewollt hatten, aber niemand schien ihr zu grollen. Mit Sicherheit waren sie einfach nur sehr gut darin es zu verstecken.
Hisli trat heran.
„Es", hob Vera an, doch sie wurde von der dunklen Frau bereits unterbrochen.
„Wenn ich gewollt hätte, hätte ich diese Position haben können, aber ich wollte nicht, wenn du dich erinnerst."
„Du hast meine Gedanken erkannt." Was war mit den Menschen in diesem Schloss los, sie schienen ihr mehr und mehr widernatürlich begabt.
„Sie standen dir ins Gesicht geschrieben. Im Übrigen sind wir alle hier, weil wir es gewählt haben. Die Färber nehmen ausschließlich Freiwillige auf. Das heißt wir bleiben auch an einem Ort, an dem wir sein wollen, wenn wir nicht befördert werden. Wir verlieren nichts." Hisli tippte Vera auf die Stirn.
„Und jetzt lächle, Weiße, du hast gerade einen begehrten Preis gewonnen."
Eine Last sank von Veras Schultern und sie erlaubte sich Freude zuzulassen. Es hatte funktioniert. Ihre wilde, verrückte Idee hatte funktioniert. Ehe sie sich versah' spannten sich ihre Lippen zu einem Lachen auf.
Dankend nahm sie die Glückwünsche an. Unabhängig davon, ob sie nun der Meinung war sie zu verdienen oder nicht.
Doch sie verdiente sie, beschloss Vera. Sie hatte sie sich erarbeitet mit etwas, das niemandem schadete. Sie hatte nicht jagen, kein Leben beenden und niemandem dienen müssen. Dafür anerkannt zu werden fühlte sich gut an.
„Verabschiedet euch nicht zu überschwänglich." Nis löste die Menge auf.
„Sie wird euch erhalten bleiben, da mir bewusst ist, dass ihr sie auch braucht." An Vera gewandt fügte sie hinzu.
„Ich habe mit Delano besprochen, dass du nun halb für mich und halb für ihn arbeiten wirst. Immer abwechselnd, außer vor Festbällen, wenn größere Massen an Bestellungen anstehen. Genauso, wenn neue Wächter ernannt werden. Ihre Uniformen sind mit am meisten Arbeit, wenn der König das wüsste, würde er sie mit Sicherheit billiger gestalten."
Zustimmend nickte Vera. Viele der Färber lachten.
„Gut. Ich werde dich für heute Mitnehmen einarbeiten und dir deinen neuen Arbeitsplatz zeigen. Ab übermorgen kannst du dann selbstständig deine Aufgaben erfüllen. Wir haben keine Hände frei, um deine zu halten. Verstanden."
Irritiert nickte Vera erneut. Ihr war nicht klar, wann sie den Eindruck erweckt habe eine Schwachstelle zu sein.
„Keine Sorge, du siehst nicht so aus, Kleine. Es war nur zur Klarstellung, damit keine falschen Erwartungen aufkommen." Die ehemalige Färberin schnaubte. Wie konnte diese Frau, über die sie zwei Köpfe hinaus ragte es wagen, sie als klein zu bezeichnen.
„Behalte deine Schürze ruhig an." Mit einer Hand an ihrem Arm führte Nis Vera Richtung Abstellkammer.
„Delano, ich überlasse euch wieder euren Aufgaben."
„Ihr habt es gehört, husch husch", scheuchte er die übrigen kichernden Färber zurück an ihre Töpfe.
Vera sah über ihre Schulter zu Mic, der nun wieder allein in seiner Ecke stand und ihr zum Abschied kurz wank.
„Bis Morgen. Ich will keine Flecken sehen", warf sie ihm zu und bevor er sich beschweren konnte, war Nis mit ihr in die Abstellkammer getreten.
Nur, dass diese keine abgeschlossene Kammer war, wie Vera bisher angenommen hatte. An ihrer Rechten Seite wurde sie von einem schweren mehrere Felle dicken Flickenteppich verschlossen. Als hätte jemand alle möglichen zur Verfügung stehenden Materialien, die er finden konnte, vernäht. Schnell trat Nis hindurch und verschloss die Öffnung in der Wand sorgfältig wieder. Das Gebilde aus Fellen ragte über die Ränder des Durchgangs hinaus und deckte diesen komplett ab. Wie ein Deckel auf einem Topf.
Dahinter befand sich ein Flur, in den viele einzelne offene Kammern geschlagen waren.
Jede Kammer bis auf eine in der Mitte und eine am Ende war besetzt mit einem Verzierer und die in einer Reihe stehenden Arbeiter gaben ihre Arbeit an den jeweils nächsten weiter, sodass jeder nur eine bestimmte Verzierung anbrachte. Der Eine steckte Federn fest. Der andere färbte kleine Lederstücke. Wieder ein anderer wirkte als würde er Knöpfe aus Metall bearbeiten. Das Klopfen seines kleinen Hammers mischte sich mit den Gesprächen, den Tropfen von Farbe, Klacken von Pinseln und Schieben von Stoffen und kleinen Töpfen.
Nis führte Vera zur freien Einkerbung in der Wand, die nicht mehr besaß als eine mannshohe Höhlung und eine steinerne Arbeitsplatte. Dennoch war es mehr Freiraum als Vera im Schloss gewohnt war und sie atmete die deutlich kühlere Luft genussvoll ein.
„Du bist für die Pinselarbeit zuständig. Ranken und Schnörkel für den Adel gerade Striche auf den Wächteruniformen. Farben und Pinsel findest du im Vorratsraum hinter dir, wie du weißt."
Ihr wurde ein Stück Leder mit verschiedenen Mustern gereicht, die Vera genauer betrachtete und gleichzeitig mit dem Finger nachfuhr.
„Das sind deine Aufgaben. Jedes Muster sollte bestfalls gleich aussehen. Lerne sie, bis du keinen Pinsel mehr halten kannst. Für heute wirst du noch nichts anderes tun, aber ich gehe davon aus, dass du bei deinem nächsten Besuch reif für deine erste Wächteruniform sein wirst. Die müssen regelmäßig ausgebessert werden. Keiner dieser Halbwilden achtet darauf sie in Ordnung zu halten."
Auf ihre Kritik hin musste Vera schnauben. Nis war ihr sympathisch. Sie stieg noch in Veras Ansehen, als sie sich darauffolgend bereits verabschiede und zu ihrer eigenen Mulde zurückkehrte. Ganz am Ende des Flurs, die letzte Kontrollinstanz.
„Willkommen bei den verschenkten Talenten", warf sie ihr noch über die Schulter zu.
Anstatt sich über ihr Verhalten zu wundern, kam es Vera fast schon passend vor, exzentrisch wie es auch war.
Mit ihrer nächsten Ausatmung dankte sie im Stillen den Sternengeistern für diesen neuen Platz. Seit sie bei den Färbern angefangen hatte verspürte sie ein Gefühl von Zugehörigkeit und auch, wenn hier kein wohlwollender Empfang, wie im Raum nebenan stattgefunden hatte, kam es ihr vor, als wäre sie, vielleicht zum ersten Mal, am richtigen Platz.
Es machte wett, dass Hain nun einen Vorteil über sie gewonnen hatte, denn wenn sie ehrlich war, war sie sehr gespannt, wie er seinen Gefallen einlöste.
Und erneutfühlte es sich an, als konnte sie bei diesem Tausch nur gewinnen. Genaugenommenhatte sie es bereits.
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