* Kapitel 19 *
„Ich habe eine erste Idee, wo wir anfangen können nach Informationen über deine Eltern zu suchen", begrüßte Lia, unmittelbar nachdem Vera ihre Räume betrat. So aufregend diese Suche auch war und so gemein ihre Rachegedanken gegen ihren Schädel pochten, ganz wohl war ihr der Gedanke nicht, dass es nun wirklich real werden konnte.
Will ich diesen Menschen wirklich gegenübertreten?
Brauche ich das?
Entschuldigend hob sie die frische Wäsche für Lias Bett in die Höhe. Eine perfekte Ausrede, doch Lia wank schnell ab.
„Jaja, das kann ich im Zweifel selbst tun. Wir haben nicht besonders viel Zeit bis deine nächste Schicht auf dich wartet schätze ich. Es gibt wichtigeres, mit der wir sie verbringen können als meine Schlafstelle zu richten." Seit einem halben Mondzyklus lernten sie gemeinsam in Lias Räumen und sowohl die Stimme der Frau als auch ihre nicht zu bremsende Suche nach neuem alten Wissen waren Vera kein Fremdwort mehr. Lia war fast ein wenig verrückt, was ihre Suche anging, was sie genau suchte, wusste sie dabei vermutlich selbst nicht. Zumindest teilte sie ihre Gedanken diesbezüglich nicht.
Was in Ordnung war. Schließlich blieb sie die Prinzessin und Vera blieb eine Dienerin, auch wenn Lia die meiste Zeit steht's bemüht war diesen Fakt zu vergessen.
Zusammen mit Veras Schreibkünsten hatte auch die beidseitige Sympathie Fortschritte gemacht. Wüsste sie es nicht besser, hätte Vera Lia fast als eine befreundete Seele bezeichnen können.
Doch sie und vor allem Hain, wusste es besser. Lia blieb die Prinzessin und das bedeutete auch, dass sie Möglichkeiten hatte und öffnete, die Vera niemals allein erlangt hätte.
Besänftigt schmunzelte sie und legte die Rollen auf der Matratze ab. Sie rollte die Augen in den Höhlen gutmütig und legte den Kopf in Lias Richtung schief. Ihr Gegenüber musste nichts von ihren kalten verräterischen Gedanken wissen.
„Was schwebt dir vor, Prinzessin?" Ihr Titel mehr ein Spitzname als eine Beleidigung.
„Mein Lieblingsort im Palast."
„Der da wäre?"
„Die Bibliothek."
„Warum bin ich nicht überrascht?"
Vera hatte bereits von der Bibliothek gehört. Noch vor wenigen Monden wäre ihr der Raum gefüllt mir Schriftrollen als gigantische Platzverschwendung erschienen, aber heute knisterte es ihr in den Fingern beim Gedanken an all das verschlossene Wissen. Der natürlichen Ordnung folgend hatten nur königliche und hochrangige Wächter freien Zugang. Möglicherweise auch Bree und Delano, wenn man die Notwendigkeit für Recherche im künstlerischen Kontext anerkannte. Was der Adel zu seinen eigenen Gunsten mit Sicherheit tat.
„Wo gehst du eigentlich hin, immer nachdem wir uns sehen? Das habe ich mich schon länger gefragt." Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen.
„Zu den Färbern", deutete Vera an. Wusste Lia davon was in den Farbhöhlen vorging?
Die Prinzessin verzog das Gesicht und die Freude wisch augenblicklich aus ihren Zügen.
„Oh nein. Nicht du."
„Du weißt davon?"
„Ich trage nicht umsonst immer weiß." Sie zuckte mit der Schulter. Versteifte sich dabei jedoch sichtlich unangenehm und rieb sich den Nacken.
„Bist du tatsächlich so feige, dass du einfach sterben willst?"
„Wie hast du es erfahren?" Sie sprachen gleichzeitig und Vera hatte den Impuls den Mund offen zu lassen bei der ihr entgegengebrachten Dreistigkeit. Doch nur die leeren Gänge und hellblauen Wände hörten ihre Worte.
„Was?"
„Du hast mich gehört", Lia verzog das Gesicht, nicht im Ansatz beschämt über ihre offene Anklage, die mit Sicherheit als tadelige Manieren in ihren Reihen gelten würde.
„Nein, das möchte ich nicht, jemand muss es tun und ich tue es gerne."
„Es ist Selbstmord", ihr Gegenüber klang nicht mittleidvoll, sondern angeekelt.
„Du wärst überrascht was ich aushalte. Prinzessin", schob sie nach. Beide Frauen von ungleicher Größe sahen sich an. Lia blickte zu ihr auf, verengte die Augen zu Schlitzen und sah trotz allem über ihre Nasenspitze zu ihr hinab. Vera ließ, einfach weil es niemand anderes als Lia sehen würde, ein wenig ihre Seele durch die Augen scheinen. Eine Bestie schmunzelte zur Prinzessin hinab.
Ihre fleischlosen Knochen wären nicht genug für eine halbe Mahlzeit, gurrte ihr kaltes Herz. Vera war schon lange nicht mehr verwundert über ihren Hang zur Grausamkeit. Solange sie nicht nach den Stimmen handelte konnten die Gedanken ruhig anwesend sein. Sie gingen auch wieder vorbei.
Seltsam war jedoch, dass Lia keinen Schritt zurück trat. Im Gegenteil, sie reagierte nicht ängstlich, wie sie, ihrer körperlichen Unterlegenheit nach sollte. Zumindest falls sie einen auch nur im Ansatz ausgeprägten Überlebensinstinkt besaß.
Die Wände um sie herum knackten, wie Fingerknöchel.
„Ebenfalls." Ihre weiße Robe waberte hinter ihr her, als sie weiterging. Heute umfing ein leichter Kragenansatz ihren Hals und wie immer versteckten lange Ärmel und ein Bodenlanger Rock ihren Arme und Beine. Ihre Eiskrone trug sie nicht. An Tagen wie diesen hätte man sie fast für normal halten können. Vera musste den Schneidern ein stummes Kompliment aussprechen, für die Schichten, die ihre Kanten kaschierten.
Lia drehte sich halb zu ihr um.
„Kommst du?"
„Wenn du das noch möchtest?"
Lia schnaubte und blies Luft gegen ihre Haare.
„Oh bitte, wenn ich ein bisschen offene Böswilligkeit nicht ertragen könnte, würde ich die Ratstreffen mit meinen Cousins und Cousinen nicht überleben. Ich finde es bei Zeiten sogar sehr angenehm, dass du es wenigstens offen und ehrlich tust." Ungewollt knotete sich Veras Mangen zusammen. Ansätze einen schlechten Gewissens machten sich breit.
Sie nickte nur und schloss zu der jungen Frau auf, die immer noch mit ihr befreundet sein wollte.
„Ich habe es mir übrigens selbst zusammengereimt." Lia sah sie nicht an während sie sprach sondern betrat einen weiteren endlosen gang mit deutlich höheren Decken.
„Was?" Ihre eigenen Kurzsilbigkeit setzte ihr zu. Sie musste sich dringend klügere Antworten überlegen. Es war in Ordnung aus der Wildnis zu stammen und sich über Grunzen und Brüllen verständigen zu können, aber auch nur in Zura selbst. Dort waren alle so. Hier kam sie sich manchmal vor, wie ein Bär mit nur halben Kopf. Sie wollte kein Hinterwäldler mehr sein, jetzt wo die Möglichkeit bestand es nicht sein zu müssen. Es war spannend zu ergründen wozu sie fähig wäre, wenn ihr Rang sie nicht hindern würde.
„Ich behalte die Dienerzahlen und Verwaltungsangaben im Blick und mir ist aufgefallen, dass die Färber eine deutlich geringere Lebzeit haben. Auffällig geringer."
„Du liegst nicht falsch. Es ist ein offenes Geheimnis unter der Erde." Kein Schaden bestand darin, Lia etwas zu erzählen, dass sie bereits wusste.
„In den Büchern steht auch etwas über die Pflanzen drin, die vermutlich verwendet werden, um zu färben. Sie kommen von den verlassenen Inseln um Musashia und sind in den meisten Fällen bei längerem Kontakt oder konzentrierter Einnahme zum Beispiel im Essen, giftig."
„Die Färber sterben daran", Vera konnte ihren wütenden Unterton nicht unterdrücken.
„Nicht nur die Färber." Lias helles Gesicht wurde dunkel. Ihre Augen zu tief, als würde sie in die Vergangenheit sehen.
„Was?" Ihre Aussage war zu kryptisch um nicht ernstzunehmend zu sein. Wer wurde noch in diesem Schloss vergiftet und zu welchem Zweck? Das Schloss kam Vera immer mehr, wie der unsicherste Ort im Königreich vor.
„Sagen wir ich habe das vermutet und bereits versucht es bei meinem Vater vorzubringen."
„Kein gutes Ergebnis nehme ich an?"
„Er wechselt seine farbliche Kleidung einmal täglich, um sie nicht zu lange auf seiner Haut zu haben und trägt ungefärbte Unterkleider zum Schutz. Alles weitere interessiert ihn nicht." Lia sah aus, als wollte sie sich vor Scham übergeben.
„Die Königin?"
Ein gehetzter Blick, trat in Lias Augen und Vera sah davon ab weiter nachzufragen. Die junge Frau hatte offensichtlich Angst vor der Königin. Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Mutter. Beide schwiegen als ihnen Bewegungen im nächsten Gang auffielen. Sie schimmerten durch die hellen Wände hindurch. Zwei dunkle Punkte, die neben einem großen Ovalen Fleck standen, der nur die Türen der Bibliothek darstellen konnte.
„Es ist besser ich betrete die Bibliothek allein."
„Hätte ich dann nicht besser in deinen Gemächern gewartet", Vera deutete hinter sich. Die Enttäuschung doch nicht gut genug zu sein, um den wertvollen Raum zu betreten oder mit ihr gesehen zu werden schluckte sie bitter herunter.
„ich sagte es ist besser ich betrete sie allein. Nicht, das du nicht mit kommen solltest. Nur nicht mit mir. Ich halte es für eine gute Idee, wenn nicht darüber gesprochen wird, dass eine Dienerin Zugang zum Wissen des Königreiches hat."
„Und wie komme ich dann dort hinein", sie Nickte mit dem Kopf Richtung nächsten Gang.
„Unsichtbar machen kann ich mich leider nicht. Hätte mir schon sehr geholfen weißt du." Lia schmunzelte.
„Folge dem Gang." Ihr blieb keine Zeit in Frage zu stellen, wo ein Gang sein sollte und sie beide gegen eine feste Wand lehnten.
Was folge, war ein seltsames Kribbeln an ihrem gesamten Körper und mit kaum versteckter Verwunderung beobachtete Vera, wie Lia sie in die Wand hinein drückte, an welcher sie beide gerade noch gelehnt hatten. Der Horror darüber, dass sie keine Kontrolle darüber hatte was gerade geschah wurde von der Begeisterung verdrängt, dass die Gesetzte der Natur zu ihren Gunsten außer Kraft gesetzt wurden.
Die Sensation endete schnell und die Prinzessin zog ihre Hände zurück. Sie verschwammen innerhalb eines Wimpernschlags. Vera legte die Hand auf das Eis vor sich und fand es fest und solide vor. Kein Durchgang, wo nie einer gewesen war. Nur Lias verschwommene Form auf der anderen Seite, die um die Ecke hinter die dickere und nicht durchsichtige Wand Richtung Bibliothek huschte. Sie sah ihre weißen Schlieren verschwinden.
Bei den Sternengeistern.
Um sie herum befand sich ein enger Gang. Gerade großgenug für eine Person in ihrer Größe. Die Wände waren glatt und undurchsichtig, wie auch das Ende des Ganges, durch welches sie ihn gerade noch betreten hatte.
„Magie", huschte es ihr mit kaum verhohlener Freude über die Lippen. Macht und sie war faszinierend.
Vera folgte dem Gang, welcher sich anfänglich gerade und anschließend leicht abfallend, um einen Hohlraum auf der anderen Seite der Wand schlängelte. Sie konnte die große freie Fläche fast spüren. Sie trat die vor ihr liegenden Treppenstufen hinauf und lugte durch die Öffnung.
Die Bibliothek war nicht nur ein Raum, sondern viele auf unterschiedlichen Höhen befindende Räume um Gänge, die sich alle in einer riesigen Halle bündelten. Vera war völlig allein darin, das Wissen des Königreichs nur einen Handgriff entfernt und mittlerweile würde sie es auch lesen und nutzen können.
Zu ihrer linken öffneten sich die verzierten Türen und sie duckte sich in ihren Gang zurück. Kein Nutzen lag darin jetzt ihre Deckung und ihren Geheimen Eintritt zu verraten. Stimmen halten aus dem Eingang wieder.
„Wie sie wünschen, ihre Hoheit, ziehen sie wie immer am rechten Wandbehang, wenn sie wieder hinausgelassen werden möchten."
Die Diener hatten keine Ahnung, dass Lia jeden Raum betreten und verlassen konnte, wann immer sie wollte. Bei den Geistern, sie konnte sich sogar eigene Raume aus dem Nichts erschaffen. Zu ihrem eigenen Nutzen hoffte Vera, dass dies auch so bleiben würde.
Erst nachdem sich die großen Türen der Bibliothek hinter ihr geschlossen hatten, mehrere Gänge von den Hauptflügeln der Königlichen entfernt sprach Lia wieder und Vera trat aus ihrem Gang heraus.
„Sie mag mich nicht besonders."
„Deine Mutter?"
„Manchmal kommt es mir so vor als hätte sie sogar etwas gegen mich. Was lächerlich ist, was soll ich schon getan haben. Hätte ich nicht die Macht des Eises geerbt würde ich niemanden interessieren. Ich bin nicht mehr als eine repräsentative Figur." Die Worte perlten von ihren Lippen. Sie sprach sie mehr zu sich selbst, weil sie sie hören musste ihre verletzte Beschwerde, die sie nie öffentlich würde aussprechen können.
Vera war mehr als bewusst, was sie mit dieser Information alles anrichten konnte. Die Prinzessin vertraute ihr und das in einem viel zu hohen Maße.
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