* Kapitel 15 *

„Du bist mehr als ein Gefäß", rutsche es Vera über die Lippen. Lia schmunzelte.

„Na das hoffe ich doch und jetzt komm, ich habe einen Bürgerkrieg zu verhindern und du hast Lesen zu lernen." Sie packte sie am Arm und zog sie auf die Matratze, als wäre es nichts Besonderes. So einfach entstand eine unmögliche Freundschaft, weil Lia sie schlichtweg in ihre Existenz wollte.

Ich habe einen Bürgerkrieg zu verhindern.

Es war also mehr als einige wenige unzusammenhängende Rebellengruppen, das Ganze war in den letzten Wochen wie es schien größer geworden. Und Lia sah sich in der Verantwortung es zu unterbinden. Verglichen damit schien die Aufgabe bildliche Zeichen verstehen zu lernen nicht besonders groß, aber es war ein Anfang. Abseits davon würde sie Hain darauf ansprechen, er musste seine Leute an den Mauern warnen.

Ob Rebellen ins Schloss eindrangen, dass war ihr egal, aber die Handwerker an den Türmen hatten es nicht verdient den Auseinandersetzungen zum Opfer zu fallen, nur weil sie gezwungen waren den König zu verteidigen. Sie alle hatten Familien, die trauern würden. Der König hingegen würde nicht trauern, um keinen Einzigen von ihnen, wenn er die Abwesenheit überhaupt bemerkte. Maximal würde er sich an einem Luftzug stören, der seinen Nacken traf, weil der zuständige Handwerker verstorben war.

Lia lenkte Vera unwissentlich von ihren morbiden Gedanken ab, indem sie den Glasschreiber und eine neue Rolle Leder vom Tisch nahm und sich neben sie auf die Matratze setzte. DAS Bett war so groß, dass sie ganz bequem nebeneinander Platz fanden. Beide Frauen lehnten mit dem Rücken an der Eiswand, ohne dass die Kälte durch ihre Kleider sank und ohne, dass das Eis unter ihrer Körperwärme schmolz. Im gesamten Schloss geschahen tagtäglich seltsamere Dinge, sodass Vera sich nicht mehr über diese kleine Beugung der Naturgewallten wunderte. Zumal sie vermutlich auf Lia zurückzuführen war.

Lias hellblaues Kleid bauschte sich um ihre Knie, ihre schmalen Beine stachen an den Knöcheln daraus hervor. Sie strich es glatt und entrollte das Leder darauf. Mit der rechten Hand hielt sie dieses fest und kratze mit der Linken, in welcher sie den Schreiber hielt ein Zeichen darauf.

Sie strich mit dem Finger darüber, zum Test ob es trocken und genug in die Haut eingesunken war. Es verschmierte nicht. Anschließend deutete sie darauf.

„Ich weiß nicht, wie viel du weißt."

„Wenig", entgegnete Vera trocken und blickte interessiert auf das Zeichen. Dieses kannte sie, da es zu ihrem Namen gehörte und sie diesen bereits ein zwei Mal aufgeschrieben gesehen hatte. Wann immer jemand versuchte ihr ihre geheime Bezahlung zukommen zu lassen war diese in ein Stück Leder gewickelt unter ein paar Steinen an der Rückseite ihrer Höhle abgelegt worden. Mit ihrem Namen darauf für alle Fälle.

„Aleph", teilte sie ihr Wissen mit.

Lia nickte anerkennend.

„Gut. Ich denke es ist das einfachste dir das Alphabet aufzuschreiben, die Buchstaben einzeln durchzugehen und dir die Rolle mitzugeben, dann kannst du sie lernen. Wann immer du etwas zu wissen glaubst sag Bescheid und ich korrigiere gegebenenfalls. Dann sehen wir, wie wir ansetzen müssen."

Etwas zu wissen glaubst, die Formulierung stieß Vera bitter auf, aber es war wahr. Es war gut möglich, dass die Menschen von Zura eine andere Schrift und Lautsprache entwickelt hatten als die Menschen im Palast.

Lia schrieb den nächsten Buchstaben und dieser Kam Vera bereits nicht mehr bekannt vor. Ihr wurde bewusst, wie viel Arbeit, auf sie wartete und sie zweifelte ernsthaft an, ob es das wert war.

Die Prinzessin sah zu ihr hinüber und bemerkte, dass Unwissen in ihrem Blick.

„Beth", erklärte sie. Vera blinzelte zur Bestätigung, dass sie es gehört hatte.

Es folgten Caru, Daloth, Eka und Fayin, welche bis auf Eka alle Neuland darstellten. Beim nächsten Zeichen unterschieden sich ihre Kenntnisse.

„Gimel", las Lia.

„Nein, Greno, das Zeichen für Brot", schüttelte Vera den Kopf.

„Nein, das ist Gimel, einer der Laute aus denen alles gebildet wird."

„Wir verwenden es in der Familie als Greno, für, Brot, die Grundalge der Ernährung."

„Ich verstehe warum, ihr es verwendet, das macht schon Sinn. Es ist nur falsch."

„Aber wie falsch ist etwas, dass ein gleichwertig ausgedachtes Konstrukt ist?"

Lia lachte.

„Stimmt, aber ich bringe dir hier mal die allgemein anerkannte Version bei. Zumindest hier in Moja." Schätzungsweise war die vom Adel anerkannte und verwendete Version, tatsächlich die Eigentliche, wenn man bedachte, dass adelige Person die Hauptverwender von schriftlicher Sprache waren ganz unabhängig der deutlich höheren Bevölkerungszahlen außerhalb des Palastes und der umliegenden kleineren Schlösser und Lordschaften. Die wichtigen Personen des Landes verwendeten Gimel nicht Greno.

Vera dachte an Zuna, wie gerne hätte sie ihr erklärt, wie die mächtigen sprachen und schrieben. Die kleine hätte die Informationen in ihrem Wunsch selbst aufzusteigen aufgesaugt, wie ein Stück weiches Yackfell.

Falls, sie jetzt immer noch etwas mit dem Adel zu tun haben wollte, nach der Nacht des schwarzen Mondes. Zuna dachte vermutlich Vera seie tot. Die Nachricht an sie bekam höhere Priorität, die kleine sollte nicht mit der Last eines anderen Leben auf den Schultern umgehen müssen.

„Glaubst du, ich könnte eine Nachricht senden? Oder könntest du es tun?", es war dumm und wagemutig derartiges zu fragen, wenn ihr Vertrauen und ihr freundlicher Umgang miteinander noch so frisch war, aber eine bessere Möglichkeit oder Gelegenheit würde nicht kommen. Die Diener sendeten keine Lederrollen und die königlichen Boten waren die schnellsten und zuverlässigsten im Land.

„Eine Nachricht, wohin?"

„Nach Zura. Jemand sollte wissen, dass ich noch lebe."

„Du meinst an deine Ziehfamilie?" Das Wort stieß Vera sauer auf. Galle stieg ihr in den Rachen, verätzte leicht ihre Kehle.

„Die einzige wirkliche Familie, die ich habe. Mein biologische Ursprung ist nichts für mich. Wertlos." Lia verzog das Gesicht, was Vera überraschte.

„Ich halte das für keine gute Idee."

„Wieso?", was auch immer das Risiko war, es würde vermutlich nicht die Schuldgefühle aufwiegen, die die jüngste der Ristossorios gerade ertrug.

„Es ist besser man denkt du wärst tot, denn dann hat dich der König, früher oder später zumindest, vergessen. Mach ihn nicht noch darauf aufmerksam was dir am Wichtigsten ist. Das wäre viel zu einfach. Mach es nicht interessant für ihn." Lias Antwort troff vor Kalkül, schien aber eine ernstgemeinte Warnung.

Mach es nicht interessant für ihn.

Als wäre es ein Spiel, als wäre sein Land ein Amüsement für ihn. Seine Leute nichts weiteres als Figuren auf einem Spielbrett. Aber geschlagene Figuren lagen nicht einfach nur daneben und warteten bis sie wieder aufgestellt wurden. Da draußen starb man, wenn entschieden wurde einen Zug gegen jemanden auszuführen. Niemand sprach mehr darüber oder sagte etwas dagegen aus Angst der nächste zu sein.

Vielleicht hatten die Rebellen nicht ganz Unrecht. Vielleicht waren sie mehr als eine Gruppe wagemutiger Verrückter.

Hoffentlich war Tam nicht unter ihnen. Vera wusste nicht was sie täte, wenn sie ihrem alten Freund im Kampf gegenüberstünde, oder besser gesagt, sie wusste es sehr genau und das war es was ihr Angst machte.

Der Fakt, dass sie ihre Seite im Falle eines Rebellenangriffs längst gewählt hatte.

„Dann keine Nachricht." Sie würde eine andere Möglichkeit finden. Sie würde Hain fragen, er hatte ebenfalls genug Verbindungen, die eine solche Möglichkeit eröffneten und er stand mit ziemlicher Sicherheit auf ihrer Seite der Rechnung. Lia musste nicht eingeweiht sein, dann würde es der König auch nicht erfahren, manche Dinge musste der Adel nicht wissen. Bei wichtigen Dingen war es besser der Adel wusste es nicht.

Lia nickte ihr betroffen zu, die Schatten in ihren Augen deuteten darauf hin, dass sie wusste, dass die Idee noch längst nicht verworfen war.

„Weißt du. Es wird einen Tag geben, da vertraust du mir mehr und ich freue mich schon darauf."

Vera lief es kalt den Rücken hinunter, was nichts mit dem Eis in ihrem Rücken zu tun hatte. Es fühlte sich an als hätte Lia ihre Gedanken gehört, sie mit ihren stechenden Augen einfach aufgedeckt. Freigelegt, wie zugeschneite Eisvogeleier.

Es behagte ihr ganz und gar nicht dermaßen bloß zu liegen. Vera hatte sich nie für jemanden gehalten, der einfach zu durchschauen war und nahm sich vor ihre Mauern in Lias Gegenwart höher zu errichten.

Egal, wie vertraut ihr ihre Gesichtszüge und starken Wangenknochen bereits waren.

Die restlichen Buchstaben folgten. Die wenigsten kannte Vera, manche verwendete sie anders, aber sie hütete sich noch einmal etwas anzumerken. Mimte die wissbegierige hörige Dienerin, die sie sein sollte. Sie hatte eine Rolle zu erfüllen und Lias Kommentar zu ihrer Familie und dem Wert, den diese für jeden anderen außer ihr hatte, hatte sie zurück auf ihren Platz verwiesen.

Sie waren nicht ebenbürtig. Vielleicht im Geiste, aber niemals im Stand. Es war Energieverschwendung so zu tun, wenn es sowieso keiner von ihnen wirklich glaubte.

„Ich werde jetzt auf Zeichen zeigen und du liest sie mir vor. In Ordnung?" Vera tat wie ihr gehießen.

„Mem, Wylosh, Ro."

„Nein", unterbrach Lia.

„Resh?"

„Hier in Moja, ja?"

Sie unterdrückte ein Augenrollen.

„Was heißt es in Zura?"

„Ro. Wasser." Lia fasste sich ans Kinn, fuhr sich in den Nacken, wie um ihn zu lockern. Sie saß schon lange mit ihre Knochen in einer Position. Viel Druck auf wenig Fläche verteilt.

„Interessant hier ist es ähnlich. Wasser, schreibt man bei uns Resha." Sie verband die beiden Zeichen für Resh und Aleph.

„Nur einzeln ausgesprochen haben sie ihren vollen Wortlaut, verbindest du sie zählt nur der erste Laut, den du hörst, abgesehen vom ersten Zeichen, welches im gesamten gelesen wird." Sie stellte es sehr einfach dar, doch Vera brummte der Schädel. Eine Jägerin war wohl nicht dafür gemacht stillzusitzen und mit dem Kopf zu arbeiten, auch wenn das der Hauptteil ihrer Handlungen im Schnee gewesen war. Warten auf den richtigen Moment, die Bedingungen zum eigenen Vorteil anpassen, die Falle zuschnappen lassen und zuschlagen.

Das hier war ähnlich, nur, dass die Bedingungen nicht zu ihrem Vorteil lagen.

Skeptisch sah sie zu Lia. Ihr Kopf genoss es sich etwas bewegen zu können. Die Prinzessin blinzelte, als fiele ihr etwas ein.

„Natürlich, sind Namen die Ausnahmen der Regel. Schreibst du einen Namen, zählt immer nur der erste Laut eines Zeichens." Vera deutete auf Lias Glasschreiber.

„Darf ich?", ein wenig Punkte sammeln und prahlen konnte sie zumindest auch. Es war dumm den Gegenüber wissen zu lassen, wie viel man verstand und wusste, aber Lia war gerade nicht der Feind. Ihr wurde der Glasschreiber mit wachsamen Augen gereicht.

Weitaus uneleganter als die Prinzessin kritzelte Vera ihren Namen auf das Leder. Sie musste sich noch an das Gewicht des feinen Glases mit seinen Riffeln, um die Tinte zu sammeln, in ihrer Hand gewöhnen. Es war lange her, dass sie geschrieben hatte. Doch unter den Bewegungen ihres Gelenks entstand ihr Namen aus dem Nichts.

Vav. Eka. Ro. Aleph.

Vera. Ihre Namensendung hatte sie ohnehin immer weggelassen.

„Sehr gut." Lia klatschte doch tatsächlich aufmunternd in die Hände. Es verwirrte Vera wie freimütig die Prinzessin mit ihrem Lächeln umging. Ihr wurde der Schreiber vorsichtig aus der Hand genommen, fast schon Fragend in der reinen Bewegung.

Die Prinzessin schrieb unter Veras zu gerade Zeichen, in leicht schräg gelegten Buchstaben.

Lamed. Yod. Aleph.

Ein seltsames Gefühl fuhr ihr durch den Körper, als nun doch ihr ganzer Name vor ihr stand und ihr entgegen sah. Ein Name der gleichzeitig zwei Menschen meinte und dennoch nur sie.

Lia schien erneut das Selbe zu denken.

„Es ist schon ungewöhnlich, dass wir auf diese Weise durch unsre Namen verbunden sind."

„Weißt du noch von anderen Fällen." Lia legte die Stirn in Falten.

„Nicht wirklich, das ist es was es so ungewöhnlich für mich macht. Ich müsste mal in der Bibliothek nach alten Akten suchen."

„Ihr habt Akten über eure Bürger?"

„Bevölkerungslisten, die ein paar hundert Monde zurückreichen, ja." Für sie war es etwas völlig Gewöhnliches. Zugang zu einem solchen Schatz an Wissen zu haben.

„Kann ich es mir auch ansehen?"

„Natürlich." Lia sah sie an.

„Ich hatte ohnehin vor dich mitzunehmen, dann können wir auch Namen von potentiellen Eltern für dich durchgehen und schauen ob, ich weiß nicht, du irgendetwas spürst."

Vera hob eine Augenbraue.

„Ich bin nicht der besonders sensibelste Mensch." Zumindest nicht was Menschen betraf. Energien von Tieren oder den Sternengeistern hatte sie von Zeit zu Zeit wahrgenommen. Aber mehr auf eine Art, die ihr verriet ob etwas Richtig war oder wo sich Beute finden würde. Nie hatten die leuchtenden Punkte ihr ausführliche Antworten auf Fragen gegeben, die sie sich steht's untersagt hatte zu stellen. Egal, wie oft sie sie stumm und Körperlos in den Himmel gerufen hatte.

Leicht schmunzelnd stupste Lia sie mit der Schulter an. Es stach mehr als Vera ihr zeigte.

„Ich dafür schon. Mein Draht nach oben war schon immer etwas, sagen wir, anders. Schätze ich." Eine kryptische Formulierung, aber wie sollte man auch etwas ausdrücken von dem man nur glaubte es wäre vorhanden. Nie hatte jemand in Zura physische Beweise für Sternengeister gesehen.

Auch wenn, die gefärbte Haut auf Lias Stirn, eine andere Sprache sprach. Es war mit Sicherheit ein Trugschluss des Lichts, dass ihr Zeichen bei ihren Worten dunkler leuchtete als sonst.

Ein Stern mit den Verästelungen einer Schneeflocke darum herum. Die unterste Spitze fiel zum Nasenrücken hinab, ohne diesen zu berühren. An Lia sah es auf morbide Weise passend. Der Kontrast zwischen ihrer hellen Haut, den Augen und seltsamen Haaren ergab an ihr Sinn.

Vielleicht weil Lia die Einzige war, die dieses Zeichen tatsächlich verdiente.

Ich habe einen Bürgerkrieg zu verhindern. Ergo, den König und die Königin interessiert es nicht. Oder, die fatalistischere Möglichkeit, sie wollten sogar, dass sich ihr Volk beim Versuch zu den Obrigkeiten vorzudringen gegenseitig abschlachtete. Aber Lia interessierte es, mehr als sie wollte es nicht. Es wiedersprach ihr genug, dass sie aktiv nach Lösungswege dagegen suchte.

Das war es war ein Herrscher tun sollte.

Nicht fett in seinem Thron über die Ränder quellen und sich mit den ausgehauchten Seelen seines Volks in bunte Gewänder hüllen.

„Danke." Ein Wort enthielt so viel, noch während es ihr über die Lippen trat. Ein Wort, dass ihre bloße Existenz pries.

„Es ist nichts. Nur ein paar Zeichen, das wird schon." Die leichte Röte auf Lias Wangen verriet, dass ihr bewusst war, dass es nicht nur um ein paar Zeichen ging. Sie saß gerade nicht Vera gegenüber sondern stellvertretend ihrem Volk und sie richtete sich mit Güte und Offenheit daran und spottete nicht über seine Verfehlungen und sein Unwissen.

Stattdessen, sah die Prinzessin des Eises, ihr geradewegs in die eisblauen Augen undbot einen Weg die Fehler zu ändern.   

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