Das Vermächtnis von Perlacorall
8. Dezember 2018
Keuchend und triefend nass drehte sich der breite Seemann schwermütig auf den Rücken und atmete schwer.
,,Es war grauenhaft!"ächzte er stoßweise und außer Atem, ,,Das komplette Schiff wurde in die Tiefe gerissen, die Schreie!! Überall die Schreie!!"
Um den geschockten Mann herum hatte sich eine Traube der Besatzung der Yanka gebildet, darunter jene, die ihn aus dem sterbenskaltem Wasser an Board gezogen hatten. Neugierig, was der geschockte Seemann zu berichten hatte, beugten sie sich um ihn herum, erst Käpten Nowlin schaffte Platz für den schwer atmenden Mann.
,,Auf welchem Schiff befanden Sie sich, Seemann?"fragte er und richtete den Oberkörper des Mannes ein Stück auf, um seine Atmung zu erleichtern.
,,RMS Gladiator."keuchte der Mann fast unverständlich und wischte sich mit der großen Hand über das furchige Gesicht und durch den völlig durchnässten, grau-schwarzen Bart.
,,RMS Gladiator?"wiederholte Nowlin verwundert, ,,Die liegt über 100 Seemeilen nördlich von hier, wie haben Sie den Weg bis hierher geschafft? Was ist mit ihrem Schiff geschehen, wurdet ihr angegriffen?"
,,Es war überall!"rief der Mann stattdessen und seine Atmung wurde bei der Erinnerung schneller und abgehackter, ,,Überall Schreie und seine Arme! Seine Arme waren über 100 Meter lang! Es war schrecklich! Und dann ... dann ... "
,,Was geschah dann?"hakte einer der Besatzungsmitglieder neugierig nach und alle Aufmerksamkeit lag uneingeschränkt auf dem gerade dem Tod entronnenen Seemann.
,,Mit einem Ruck!"sprach der Mann weiter und seine Pupillen waren panisch verkleinert. Nowlin musterte den Mann besorgt. Er musste für Tage im Wasser geschwommen sein, sein Trauma vom Geschehenen ließ ihn übertreiben. Armer Irrer.
,,Es war überall!! Überall diese Arme! Und dann dieses schreckliche Geräusch!! Das Geräusch!" Immer hektischer wurde der traumatisierte Mann und sein Kopf schnellte hin und her, als würde er das Gesehene noch einmal hautnah erleben, ,,Ich bin von Board gefallen!! Wasser, überall Wasser! Und dann ... das grausamste Wesen, dass ich je gesehen habe!! Ein Monster! Ein Ungetüm aus Sagen!! Es ist vom Teufel persönlich entsandt um uns zu vernichten!! Seine Augen!! Seine verdammten Augen! Es hatte keine Augen im Kopf und da ... Da hatte es plötzlich große, rote Augen, die mir ein Loch in die Seele brennen wollten!!"
Der Mann wurde immer lauter und seine Atmung schneller. Nowlin versuchte den geschockten Mann zu beruhigen und der Schiffsarzt, der inzwischen bei der Versammung angelangt war, versuchte an den Mann heran zu kommen, doch dieser zappelte, drehte sich hin und her und sein angstvolles Gesicht deutete auf den Alptraum hin, den er erleben musste.
,,Beruhigen Sie sich! Es ist vorbei!"redete Nowlin gegen die laute Stimme des Mannes, doch seine Panik war unübertroffen.
,,Es ist mir gefolgt!! Es wollte mich!! Seine albastaweiße Haut blendete mich und seine 100 Arme!! Sie waren überall!! Sie töteten alle!! Alle auf dem Schiff, alle meine Freunde!! Meine Kameraden!!" Verzweifelte Tränen traten aus den panisch geweiteten Augen des Mannes heraus, ,,Sie sind alle ... alle tot!! Keiner hat überlebt!! Das Monster hat sie alle gefressen!! Es hat ihnen die Köpfe abgebissen!!"
,,Reißen Sie sich zusammen, Mann!"rief Nowlin nun ungeduldiger, ,,Es ist vorbei, das Monster ist weg!"
,,Nein!! Es ist mir gefolgt!!"schluchzte der Mann, ,,Im Rettungsboot konnte ich entkommen, doch es kam mir nach!! Es kam mir verdammt nochmal nach und zerstörte mein Boot!! Es wollte mich!! Was wollte es von mir?! Was haben ich getan?!" Plötzlich erschrak der Mann und sein Gesicht wurde starr, ,,Wie müssen weg."stellte er fest und wurde panischer, ,,Wir müssen hier weg!! Er wird bald hier sein!! Bitte!! Wir müssen hier sofort weg!! Er kommt hier her!! Er ist mir gefolgt!!"
,,Aber wer denn?!"rief Nowlin und versuchte den Mann am Boden zu behalten, während dieser aber schrie und gegen den Käpten ankämpfte, ohne irgendwen wirklich zu bemerken.
Ein dumpfes Geräusch drang vom Bug her. Irgendetwas war gegen das Schiff gestoßen. Stille legte sich über die panisch gemachte Besatzung. Keiner wagte sich zu bewegen, gar zu atmen. Sekundenlang hörte man nur das kalte Meer und die Möwen über ihnen. Die Möwen. Sie schwirrten kreischend über das Meer und flogen tief, als witterten sie ein Festmahl.
Nowlin ahnte übles, als ihm plötzlich eine grausige Erkenntnis klar wurde, und mit einem Ruck wurde er am Kragen zu dem traumatisierten Mann gezogen.
,,Er ist hier!"hauchte er und sein panisch starrer Blick war bewegungslos aufs Meer gerichtet, ,,Er ist hier!! Gottverdammt!! Das Ungetüm ist hier!!"
In das Geschrei des panischen Mannes mischten sich jetzt die brechenden Wellen und im nächsten Moment tauchte ein gigantischer, weißer Kopf aus dem Wasser auf ...
... Es war der Krake!! Sein großer, harpunenartiger Kopf schnitt durch die Wasseroberfläche und unter meinen Männern machte sich Panik breit, spätestens dann, als das grausige Geräusch eintrat. Es klang, wie das verzerrte, surreal laute Reiben zweier Eisenplatten übereinander, die durch den Ozean schallten. Eine Zumutung für die Ohren und ich verstand, was den angeschwemmten Seemann so verrückt gemacht hatte.
Das weiße Monster umkreiste uns, wie ein Geist des Todes. Der Seemann begann irre zu lachen und sprang ins Wasser, wir konnten nichts mehr für ihn tun. Ich gab den Befehl, die Rettungsboote runter zu lassen, als unser Schiff erneut erschüttert wurde.
Ich glaube, ich habe meine Crew nie so schnell die Boote herab lassen sehen. Kaum 10 Minuten später waren die ersten zwei Boote unten und ich hatte aus der Kapitänskajüte alle wichtigen Logbücher und Karten gesichert mitgenommen. Mit dem dritten und letzten Boot entkamen ich und noch 7 weiterer meiner Besatzung, darunter auch mein Steuermann.
Schnell hatten wir zu den restlichen beiden Rettungsbooten aufgeschlossen und ruderten zu so schnell es geht weg von unserem Schiff. Der Krake hatte nicht davon abgelassen und die Yanka wurde oft stark erschüttert. Bald schon musste ich mein Fernrohr zu Hilfe nehmen, um unser Schiff sehen zu können.
Doch was ich da sah, verwunderte mich. Der Krake war nicht mehr zu sehen. Er hatte offenbar abgelassen und wie ein Geisterschiff trieb die Yanka nun auf dem dunkler werdenden Meer. Doch ich gab den Befehl zur Rückkehr nicht. Ich konnte meine Männer nicht der Gefahr aussetzen, dass der Krake vielleicht nicht doch noch da war.
Ein solches Ungetüm habe ich noch nie gesehen, ich hörte nur aus Geschichten darüber. Der weiße Riesenkrake aus den Tiefen des Ozeans, der bereits eine Handvoll Schiffe auf dem Gewissen haben soll. Bisher glaubte ich nicht an derlei Seemansgarn, doch nach so einem Ereignis hat leugnen keinen Zweck.
Der Menschenfressende Riesenkrake, die Ausgeburt des Teufels, ist real ...
Mit den Fingern strich Nick Nowlin andächtig über die alten, vergilbten Seiten des Logbuches seines Vorfahren. Damals, vielleicht irgendwann im 16. Jahrhundert, denn mehr konnte man vom verwischten Datum nicht mehr erkennen, dachten die Menschen tatsächlich, sie wären einem menschenfressenden Riesenkraken begegnet.
Heute wusste man, dass sie lediglich einem sehr seltenen Kolosskalmar begegnet waren, der aus den Tiefen des Meeres aufgeschreckt war und an die Oberfläche kam. Die RMS Gladiator war ein recht kleines Fischerboot, was erklärt, wieso der Kalmar das Boot angegriffen und zerstört hat. Er hatte lediglich Hunger. Die Yanka, das Schiff von Nicks Vorfahren, hatte er in Ruhe gelassen, weil es ein recht massives Schiff war und der weiße Kalmar keinen Grund hatte, es wirklich anzugreifen.
Was den jungen Mann mehr interessierte, war, wieso ist dieses große Wesen vom tiefsten Grund des Ozeans überhaupt aufgestiegen. Was veranlasste eines der größten Meereslebewesen, seinen gewohnten Lebensraum zu verlassen und an die Oberfläche zu steigen, um zu jagen?
Es musste ein noch größeres Wesen sein. Eines, gegen das selbst so ein großer Koloss nicht ankommen kann. Und genau das hat sich Nick zur Aufgabe gemacht, zu erforschen. Seit der Meeresbiologe und Schatzjäger vor 2 Jahren bei einer Auktion das Logbuch seines Vorfahren, Jagomir Nowlin, entdeckt und ersteigert hatte, war er von der Suche nach diesem geheimnisvollen Wesen fasziniert, so sehr, dass sein Hauptgeschäft, versunkene Schiffe zu finden und mit den uralten Schätzen Geld zu machen, in den Hintergrund gerückt war.
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