Kapitel 11 ~ Mein Weg
Rolf war fort, verschwunden in der Ferne, und Milena stand da, wie festgewurzelt. Ihr Herz raste, doch sie konnte sich nicht rühren. Sie hatte nie vorgehabt, Ärger zu machen, aber es gab keinen anderen Weg – zumindest keinen, der so sicher erschien. Auch wenn es egoistisch wirkte, musste sie an sich selbst denken. Ein tiefer Seufzer entwich ihren Lippen, bevor sie sich schließlich umdrehte und einfach loslief. Der Wald breitete sich vor ihr aus, dicht und unheimlich, doch Milena lief weiter, ohne nachzudenken. Äste knackten unter ihren Füßen, das Laub raschelte, und der Wind trug die Geräusche der Nacht mit sich – jedes Knacken ließ ihren Puls schneller schlagen. Die Dunkelheit senkte sich über den Wald, als sie tiefer hineinlief, immer auf der Suche nach einem sicheren Ort. Ihr Atem ging flach, ihr Körper wurde schwerer, doch sie konnte nicht stehen bleiben. Nicht jetzt. Schließlich entdeckte sie eine kleine Lichtung, umringt von dichten Bäumen, die wie eine schützende Mauer wirkten. Milena ließ sich erschöpft auf den Boden sinken, ihre Beine zitterten, ihr Kopf dröhnte. Sie hatte es geschafft – fürs Erste.
Die Müdigkeit überfiel sie wie eine Welle. Ohne es zu wollen, fielen ihre Augen zu, und sie glitt in einen tiefen Schlaf, während der Wald um sie herum leise flüsterte. Aber in den Schatten lauerten die Geräusche der Nacht, und Milena wusste – der wahre Kampf hatte erst begonnen.
Am nächsten Morgen weckte sie die brennende Sonne, die durch das dichte Blätterdach auf ihr Gesicht fiel. Milena blinzelte müde und fühlte sofort den stechenden Schmerz in ihrem Rücken und den dumpfen Druck in ihrem Kopf. Eine Nacht auf dem harten Waldboden forderte ihren Preis. Seufzend setzte sie sich auf, zog die Knie an die Brust und streckte langsam ihren Körper, bis ein lautes Knacken ihren Rücken durchfuhr. "Das hätte ich mir auch anders vorgestellt", murmelte sie leise, bevor sie sich mühsam auf die Beine kämpfte. Der Hunger nagte an ihr, und sie fluchte innerlich, weil sie so unüberlegt losgelaufen war – ohne Proviant, ohne Plan. Sie musste dringend Wasser finden. Also machte sie sich auf die Suche nach einem Fluss, ihre Sinne wachsam für jedes Geräusch im stillen Wald. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis das sanfte Rauschen von Wasser ihre Ohren erreichte. Erleichtert ließ sie sich an den Uferrand sinken und tauchte die Hände in das kalte, klare Wasser. Es war ein wohltuender Schock, als die kühle Flüssigkeit ihren trockenen Hals hinunterrann. Für einen Moment schien die Welt in Ordnung.
Doch dieser Moment währte nicht lange.
Etwas regte sich in ihrem Nacken – ein unwohles Kribbeln. Langsam hob sie den Blick und erstarrte. Auf der anderen Seite des Flusses erhob sich eine massive Gestalt. Zuerst dachte Milena, sie hätte einen Baumstamm übersehen, doch dann erkannte sie das dunkle Glitzern pechschwarzer Schuppen. Ein Drache. Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Das war nicht Ashkarn – dieser Drache war kleiner, aber nicht weniger gefährlich. Milena schluckte schwer und versuchte, ruhig zu bleiben. Sie wusste, jede hektische Bewegung könnte ihr das Genick brechen. Langsam, ganz langsam, begann sie sich rückwärts zu bewegen. Der Drache hatte sie vielleicht noch nicht bemerkt. Ihre Füße berührten kaum den Boden, während sie sich immer weiter von der gefährlichen Bestie entfernte. Kein Zweig durfte knacken, kein Geräusch sie verraten.
Als sie den Drachen schließlich nicht mehr sehen konnte, erhöhte sie ihre Schritte – noch immer vorsichtig, aber schneller. Erst als sie sicher war, dass sie außer Reichweite war, ließ sie die Anspannung los und rannte. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und das Adrenalin ließ ihre Gedanken rasen. Sie hatte es überlebt. Fürs Erste. Aber irgendetwas sagte ihr, dass dies nicht die letzte Begegnung mit diesem Drachen gewesen war.
"Du bist ja immer noch hier im Wald!" Milena schrak zusammen, als plötzlich eine mächtige Gestalt neben ihr auftauchte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie Ashkarn erblickte, der im Schatten der Bäume wie aus dem Nichts aufgetaucht war.
"Ähm... ja, es tut mir leid wegen dem Jäger", stammelte sie, bemüht, die zitternde Stimme unter Kontrolle zu bringen. "Ich hatte keine Ahnung, dass mir jemand gefolgt ist."
Der Drache schnaufte verächtlich, heiße Luft stieg aus seinen Nüstern auf, und ohne ein weiteres Wort setzte er sich in Bewegung. Seine Schuppen schimmerten im fahlen Licht des Waldes, während er lautlos zwischen den Bäumen hindurchglitt. Ohne lange nachzudenken, lief Milena hinter ihm her. Nach einer Weile fasste sie all ihren Mut zusammen. "Kann ich dich etwas fragen?", wagte sie schließlich. Doch Ashkarn schien sie gar nicht zu bemerken. Sein massiger Körper bewegte sich weiter, und er hielt seinen Blick fest auf den Weg vor sich gerichtet.
"Warum... warum sitzt der Hass zwischen Menschen und Drachen so tief?" Ihre Stimme klang klein im Vergleich zu der erdrückenden Stille des Waldes.
Zu ihrer Überraschung hielt der Drache plötzlich inne. Er hob seinen gewaltigen Kopf in den Himmel, seine Augen leuchteten wie brennende Kohlen in der Dunkelheit. Für einen Moment glaubte Milena, er würde antworten – doch stattdessen wandte er sich ab und lief weiter, als sei ihre Frage im Nichts verhallt.
Gerade als sie dachte, er würde gar nichts mehr sagen, dröhnte seine tiefe Stimme durch die Nacht. "Der Hass…", begann er, seine Worte wie Donner in der Ferne, "er währt schon seit mehr als fünfhundert Jahren. Doch unter uns Drachen gibt es eine alte Legende. Sie besagt, dass einst ein König die Macht des Cyanith entdeckte – ein Kristall von unermesslicher Stärke. Besessen von seinem Verlangen nach Macht, wollte er uns Drachen unterwerfen, uns zwingen, ihm zu dienen." Milena hielt den Atem an. Ihre Gedanken rasten, als Ashkarn weiter sprach. "Wir Drachen wehrten uns, und so entbrannte ein Krieg. Ein Krieg, der viele Leben kostete. Die Narben dieses Krieges tragen beide Seiten bis heute, obwohl die Wahrheit längst im Nebel der Zeit verloren ist. Manche sagen, es seien nur Erzählungen, Legenden. Doch für uns Drachen sind es Erinnerungen an den Schmerz und die Verrätereien der Menschen."
Er blieb kurz stehen, seine Augen glühten, während er zu ihr herabsah. "Manche Dinge vergehen nie, Milena. Manche Wunden… heilen nie." Damit lief er einfach weiter. Milena lief schweigend nebenher und fühlte sich so etwas sicherer.
Ob es nun eine Legende war oder nicht, trotzdem muss man doch etwas tun können.
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