Kapitel 1

„Nielema! Frau!"

Nielema seufzte, als sein Drache in ihm aufgeregt gegen die Mauer stieß, die Nielema mental um den ihn herum aufgebaut hatte, damit Nielema sich nicht unkontrolliert verwandelte.

Das passierte in der letzten Zeit nämlich immer wieder. Es bedarf nur einer Kleinigkeit, eine kleine Provokation oder ein dummes Wort und sein Drache brach aus ihm heraus, ohne dass Nielema es wollte. Oder eben der Duft einer Frau.

Die ganzen mentalen Übungen zur Beruhigung, die er von Kindesbeinen an gelernt hatten, halfen im Moment absolut gar nichts.

Calarion hatte es ihm erklärt. Er stand kurz vor seiner Brunft und deswegen war sein Drache außer Rand und Band.

Nielema hatte versucht, ihn auf andere Weise zu beruhigen, nämlich in dem er die ein oder andere Frau bestiegen hatte, doch der Drache begnügte sich nur kurze Zeit damit, bevor er wieder die Eine forderte, die Calarion ihm ausgesucht hatte.

Aber er hatte keine Ahnung, wer von den Frauen die Seine war.

Zuerst hatte er an Lana gedacht, weil sie es fertig brachte, ihn zu beruhigen, doch es wurde schnell klar, dass sie zu seinem Bruder gehörte.

Enne, die wie eine Schwester für ihn war, hatte ihn auch bestimmt abgelehnt.

Leider schien sein Drache im Moment ziemlich anspruchslos zu sein, was die Sache für Nielema nicht einfacher machte.

Sobald sich einer der Bräute näherte, wurde der Drache aufgeregt und wollte mit aller Gewalt ausbrechen, um bei der Frau zu sein.

So wie auch jetzt.

Dabei war es Lana, die auf ihn zukam.

Nielema hob warnend eine Hand und stützte sich mit der anderen Hand auf seinen Knien ab. Keuchend versuchte er den Drachen unter Kontrolle zu bringen, der mit aller Gewalt aus ihm heraus wollte.

„Moment!", knirschte er, aber Lana wäre nicht Lana gewesen, wenn sie sofort auf ihn gehört hätte. Statt stehen zu bleiben, kam sie noch näher und sprach mit leiser Stimme auf ihn ein.

„Lass es sein, Fu. Du bekämpfst den Falschen. Lass Nielema in Ruhe. Ich bin es und dein König wird es nicht gerne haben, wenn du seine Braut bespringen willst."

Nielema lachte leise. Lana hatte sich in den Kopf gesetzt, dass sie alle Drachen einen Namen gab, so dass man sie als die eigenständige Wesen erkannte, die sie nun mal waren.

Den Drachen seines Bruders nannte sie Rion und seinen Fu. Sie hatte ihm sogar erklärt, dass sie einen niedlichen Namen für seinen Drachen ausgesucht hatte, um ihn schon alleine damit zu beruhigen, wenn sie seinen Namen rief.

Es funktionierte seltsamerweise sogar.

Fu hörte auf in ihm zu toben und senkte seinen Kopf.

„Lana! Königin!", kam es knurrend aus Nielema.

Lana klatschte lachend in die Hände.

„Ja, Fu! Endlich hast du es verstanden. Und nun ruhe dich aus und lass Nielema eine Pause."

Fu zog sich zurück, aber nicht ohne, dass er schnaubte und Nielema lautstark eine schwarze Wolke ausstießen ließ.

Nielema verzog das Gesicht und schmatzte ein paar Mal, um den Geschmack von Feuer und Kohle loszuwerden.

„Er macht mich noch wahnsinnig!", murmelte Nielema.

Lana seufzte und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du hältst dich gut, Nielema. Dein Bruder ist wirklich sehr stolz auf dich. Aber so langsam sollte sich mal jemand für dich entscheiden."

Sie streckte sich leicht.

„Spürst du nicht so eine Art Verbindung zu einer der Frauen?"

Nielema verdrehte genervt die Augen.

„Ich bin ein Drachenwandler, kein Hellseher. Frag doch mal Calarion, ob er eine Verbindung spürte."

Den letzten Teil des Satzes zog er in die Länge, was sie zum Lachen brachte.

„Du bist lustig, Nielema. Ich verstehe nicht, warum jemand Angst vor dir haben könnte."

Er schnaubte leise.

Lana und Enne waren so ziemlich die einzigen Frauen, die keine Angst vor ihm hatten. Lana, weil sie mit jedem Drachen zurecht kam und Enne kannte ihn und seine Zornesausbrüche schon einige Jahre. Sie wusste, dass er zwar schnell zornig wurde, aber er beruhigte sich auch innerhalb kürzester Zeit.

Die anderen fünf Frauen schienen ihn meiden zu wollen. Sogar Jefrandt, der nun wirklich kein netter Zeitgenosse war, schienen sie eher zu mögen als ihn.

Lana lehnte sich leicht an ihn.

„Es wird sich schon ergeben. Keine Angst. Calarion und ich werden dafür sorgen, dass Fu dich in Ruhe lässt und nur hinauskommt, wenn er soll."

Sie holte tief Luft.

„Ich bin aber nicht deswegen hergekommen. Ich habe eine Bitte an dich."

Er hob eine Augenbraue.

„Eine Bitte?"

Sie nickte eifrig.

„Du kennst doch meine Freundin."

Nielema ging vorsichtig einen Schritt zurück.

Und ob er Immi kannte. Sie schien am meisten vor ihm Angst zu haben. Er näherte sich ihr kaum, weil er befürchtete, sie könnte in seiner Nähe in Ohnmacht fallen, so blass wie sie immer wurde, sobald sie ihn sah.

Lana schien sein Zögern nicht zu bemerken. Vielleicht wollt sie es auch gar nicht.

„Sie ist vor Stunden in die Stadt gegangen, um sich um die Armen zu kümmern. Ich hätte sie ja begleitet, aber Calarion..."

Nielema grinste, als sie mit den Schultern zuckte. Er konnte sich schon denken, dass Calarion etwas anderes im Sinn hatte, als seine Braut in die Stadt zu lassen.

„Ich denke, sie hat sich verlaufen und ich wollte dich bitten, sie zu suchen und sie nach Hause zu bringen."

Nielema zuckte unmerklich zusammen, während Fu neugierig aus der Wartestellung kam.

„Immi hasst mich.", behauptete er.

Lana schnalzte mit der Zunge.

„Sie hasst dich doch nicht. Du bist ihr einfach etwas zu temperamentvoll. Wenn du dich zügeln kannst...und das kannst du, mein Freund...dann würde sie dich mögen. Da bin ich mir sicher."

Nielema war sich da nicht so sicher, aber er wusste auch, dass er Lana das nicht zu erzählen brauchte. Wenn die zukünftige Frau seines Bruders sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ sie sich schwer davon abbringen. Das hatte Calarion selbst schon am eigenen Leib erfahren müssen und beinahe hätte er dadurch seine Braut verloren.

Er seufzte leise.

„Ich werde Immi suchen, aber wenn sie schreiend vor mir davonrennt und zitternd in einer Ecke hockt, dann ist das deine Schuld."

Lana lachte schallend, hielt sich dann aber eine Hand vor dem Mund. Die Erziehung der Ordensschwester steckte immer noch tief in ihr. Ihr wurde beigebracht, dass eine Frau leise zu sein hatte. Auch daran musste Calarion noch arbeiten, fand Nielema.

Er legte seiner zukünftigen Königin einen Arm um die Schulter.

„Lana, ich bin es. Nielema. Bei mir brauchst du dich nicht so zu benehmen. Ich mag es, wenn du laut lachst!"

Sie lächelte ihn traurig an.

„Dein Bruder mag es auch, aber eure Minister sind anderer Ansicht."

Wieder ging er einen Schritt zurück. Das waren Probleme, die seinen Bruder angingen. Er hielt sich da zurück, denn er eignete sich nicht dafür sich an Regierungsangelegenheiten zu beteiligen. Und was die private Seite anging, nun, da hatte er seine eigenen Probleme. Er sollte sich nicht einmischen.

Stattdessen machte er das Unmögliche.

„Ich gehe dann Immi suchen und bringe sie zu dir zurück."

Lana grinste ihn an.

„Wähle das kleinere Übel, richtig?"

Nielema ging an ihr vorbei.

„Genau, Lana. Genau das."





Immi seufzte leise, als sie vor der nächsten hohen Mauer stand. Sie hatte sich verlaufen. Schon wieder.

Eigentlich sollte es ihr verboten werden, dass sie alleine durch die Drachenstadt lief, denn obwohl sie durch hohe Mauern geschützt war und ihr andere schon versichert hatten, dass die große Stadt sehr übersichtlich war, verlief sie sich regelmäßig. Sogar im Schlosspark nahm sie mal eine falsche Abzweigung und wunderte sich dann, warum sie vor einer Mauer stand.

Eigentlich begleitete Lana sie immer, wenn sie das Bedürfnis verspürte Gutes zu tun, aber seit Lana Calarion als ihren Mann akzeptierte, war sie nicht mehr so oft bei den anderen Frauen.

Immi war nicht traurig darüber. Sie freute sich für Lana. Sie hatte einen guten Mann und verdiente alles Glück der Welt.

Sie straffte sich und hob den schweren Korb an die Hüfte. Wenn sie nur das Schloss sehen würde, dann wäre es wohl einfacher für sie.

„Wie kann es sein, dass eine Hellseherin absolut keinen Orientierungssinn hat.", schimpfte sie leise mit sich selbst.

So langsam wurde es dunkel und sie schimpfte einfach weiter leise mit sich selbst. Warum hatte sie das Angebot der Schwestern, bei denen sie heute ausgeholfen hatte, nicht angenommen, dass eine der Frauen sie zum Schloss bringen würde? Jetzt konnte sie nur hoffen, dass Lana oder Enne bemerkten, dass sie noch nicht wieder zurück war, aber das schien eher unwahrscheinlich. Enne zog sich immer wieder zurück und kam erst spät in das Gemach, dass sie teilten. Und Lana wohnte nun zusammen mit Calarion.

Erneut holte sie tief Luft und lief die Mauer entlang. Irgendwann musste sie an das große Tor kommen und von dort aus kam sie leicht zum Schloss.

„Na, schau mal an. Wen haben wir denn hier?"

Einen Moment erstarrte sie, doch dann ging sie weiter, als ob sie nichts gehört hätte. Manchmal funktionierte es und die Männer, die ihr hinterher riefen verloren schnell das Interesse. Doch dieses Mal war es nicht so. Sie wurde am Arm gepackt und gegen einen männlichen Körper gedrückt.

„Wo willst du denn hin, kleiner Engel? Bleib doch noch bei uns. Wir können in die Schenke und dort etwas zusammen trinken."

Immi hob einen Moment den Kopf.

Zuerst hatte sie die Hoffnung, dass es Krieger waren, die dem König dienten. Ihnen hätte die glaubhaft versichern können, dass sie eine Drachenbraut ist und sie hätte den Männern befohlen, sie ins Schloss zu bringen.

Doch diese Männer hier waren weder Soldaten, noch Bauern oder Handwerker. Es waren Männer von der Straße. Ihre Leiber stanken erbärmlich und jedes Wort, dass der Kerl, der Immi immer noch festhielt, aussprach, wehte wie ein Todesdampf in ihre Nase. Nicht einmal der schwarze Drache stank so erbärmlich und der galt immerhin als Todesbote und sonderte bei seiner Verwandlung immer einen Schwefelgeruch aus.

„Lasst mich gehen."

Sie versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen, aber wie immer versagte sie und es kam nur ein lächerliches Piepsen heraus.

Die Männer, die sich nun um sie und den Kerl versammelt hatten, grölten.

„Die schüchterne Maus wird aufmüpfig."

Eine Hand presste sich fest um ihre linke Brust und ließ Immi kurz aufschreien. Ihren Korb ließ sie fallen und sie stöhnte schmerzvoll auf, als er brutal weiter knetete.

Er beugte sich über sie und Immi meinte, sie würde bald ohnmächtig werden von seinem Gestank.

„Wir werden viel Spaß haben. Ich hatte noch nie eine heilige Frau!"

Ein dunkles Knurren ertönte und trotz der Dunkelheit konnte man ein paar schwarze Augen sehen, die sich den Männern und Immi näherten.

„Du wirst auch jetzt keine heilige Frau haben, denn sie ist eine Drachenbraut."

Die Stimme war tief und bedrohlich, so dass einige Männer schon flohen. Nur der ungehobelte Kerl, der sie immer noch in seinen Armen gefangen hielt, rührte sich kein Stück.

„Eine Drachenbraut? Dieses kleine Ding? Wer bist du, dass du solche Reden schwingen kannst."

Die Stimme, die nun schon nicht mehr menschlich klang, knurrte.

„Du willst wissen, wer ich bin? Das könntest du bald bereuen."

Die dunklen Augen kamen näher und man erkannte nun rote Schuppen.

Endlich schien der Kerl hinter ihr zu begreifen, wen er vor sich hatte.

„Drache!", flüsterte er und Immi stöhnte leise, als der bestialische Gestank ihr nun direkt ins Gesicht gehaucht wurde.

„Mein Name ist Nielema. Ich bin der rote Drache, was bedeutet, dass ich auch der Kriegsdrache bin. Du berührst eine Frau, die für einen von uns Drachen bestimmt ist. Sag mir, hast du Todessehnsucht?"

Nielema kam ins schwache Licht der Fackel, die schon an der Mauer angezündet worden war, um etwas Helligkeit in die dunkle Nacht zu bringen.

Immi unterdrückte ein Keuchen. Nielema war nun größer, als er es sonst war. Schuppen hatten sich schon auf seiner Haut gebildet und die Augen waren tiefschwarz. Das und die Tatsache, dass seine Stimme nun so tief und unmenschlich war, zeigten ihr, dass er kurz davor stand, sich zu verwandeln.

Auch der Kerl hinter ihr schien das so zu sehen, denn er ließ sie los und rannte davon.

Immi konnte ihre Augen nicht von Nielema lassen.

Sie wusste, wer er war.

Nielema war der Drache, der für sie bestimmt war. Jeden hätte sie akzeptiert, aber bei ihm zögerte sie. Er war brutal, hitzköpfig und sie hatte gehört, dass er schon viele Menschen getötet hatte, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.

Dennoch war er hier, stand vor ihr und ließ den Mann laufen, der ihn offenbar in solche Wut versetzte, dass er kurz vor der Wandlung stand.

Sie sollte Angst haben. Wie immer, wenn er in ihrer Nähe war, doch dieses Mal kam sie mutig ein Stück nach vorne. Sie hatte keine Ahnung, woher sie den Mut nahm, aber sie hielt eine Hand an seine Wange.

„Beruhige dich, Nielema. Sie sind weg."

Er schnappte erschrocken nach Luft, als er sich beinahe sofort wieder in einen Menschen zurück verwandelte. Sogar seine schwarzen Augen wurde nach der Berührung wieder hellblau.

Einen Moment schien er sich sammeln zu müssen, um zu begreifen, was gerade geschehen war. Dann legte er den Kopf fragend zur Seite.

„Wie...wie hast du das gemacht? 

Sie lächelte ihn schüchtern an.

Nein, sie würde es ihm noch nicht erklären, dass sie wusste, dass sie seine Braut war. Sie würde ihm auch nicht sagen, dass sie manchmal schon ihre gemeinsame Zukunft sah, die ihr noch immer Angst einjagte. Sie würde ihm auch noch nicht sagen, dass eine einzige Berührung von ihr genügte, um ihn und seinen Drachen ruhig zu stellen.

Stattdessen lächelt sie nur.

„Du kennst mich nicht und du hast kein Bedürfnis danach, mich zu schützen. Vielleicht bin ich dir nicht wichtig, Nielema."

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