Kapitel 15
Meriwan saß auf der Karre, die sie auf den Hof von Sucala bringen sollte. Die Drachenprinzen und selbst der König hatten es sich nicht nehmen lassen, ihnen eine gute Ausstattung mitzugeben, damit sie einen optimalen Start in das neue Leben hatten. Ihre drei kleineren Geschwister schnatterten aufgeregt, während Sucala sie lächelnd beaufsichtigte.
Bist du nicht empört darüber, dass wir uns auf deinen Hof einnisten?"
Sucala hob erstaunt den Kopf.
"Ob ich empört darüber bin, dass wieder Leben auf den Hof kommt? Nein. Außerdem war es der Wunsch meines Sohnes, dass ihr ein gutes Zuhause bekommen würdet. Du wirst sehen, dass es Platz genug für uns alle hat. Sogar für deine beiden anderen Brüder, wenn sie euch besuchen kommen. Nein, ich bin froh, dass ich dort nicht alleine leben muss."
Da war sich Meriwan nicht so sicher, ob Wiko und Vastnela sie je besuchen kommen würden. Auch wenn sie es nie spüren lassen würden, hegten sie einen Groll gegen Racola und konnten nicht verstehen, dass Meriwan mit seiner Mutter verkehrte und auch noch seine Geschenke annahm. Wie sollten sie aber auch verstehen, was sie selbst nicht verstand?
Es waren nun zwei Wochen nach der Schlacht und immer noch fehlte jede Spur von Racola.
Die Drachen schienen es aber auch nicht wirklich eilig zu haben ihn zu suchen, was Meriwan auch verstehen konnte. Racola war zwar mehr oder weniger verwandt mit ihnen, aber er war eben auch ein Aufrührer gewesen, der gegen sie gekämpft hatte.
Stattdessen bereiteten sie die Hochzeitszeremonie vor, die in einer Woche stattfinden sollte. Das war in ihren Augen wichtiger, als Racola zu suchen, der ihre Hilfe auch immer wieder abgelehnt hatte.
Die Bräute hatten Meriwan gebeten noch zu bleiben, bis die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbei waren, aber sie hatte abgelehnt. Sie war einfach noch zu verwirrt über ihre Gefühle für den ehemaligen Anführer der Drachenjäger. Sie wusste, dass sie ihn sehr gerne mochte, aber in der kurzen Zeit hatte sich nicht viel entwickeln können, auch wenn man an seinen Geschenken sah, dass er sich immerhin Gedanken um sie gemacht hatte.
Jeder im Schloss schien außerdem zu wissen, dass Racola und sie...ja, was eigentlich? Eigentlich konnte ihr niemand etwas vorwerfen, denn sie war nie mit Racola ein Paar gewesen. Wenn nur diese Gefühle nicht wären, die sie immer hatte, wenn sie an ihn dachte, dann würde sie es bestimmt auch glauben. Doch sie dachte andauernd an ihn.
"Du denkst gerade an ihn, habe ich Recht? Du denkst an meinen Sohn."
Meriwan hatte nicht einmal bemerkt, dass Sucala sich ihr gegenüber gesetzt hatte.
Sie seufzte leise.
"Ich weiß nicht, warum er das getan hat, Sucala. Er kennt mich doch kaum. In der Zeit, die wir zusammen verbracht haben, beschimpfte ich ihn und wir stritten oft. Dennoch sorgt er für mich, als ob ich...nun ja... als ob er Gefühle für mich hätte."
Sucala stöhnte genervt und nahm dann Meriwans Hand.
"Mein liebes Kind, verstehst du es immer noch nicht? Racola ist sich ebenfalls unsicher, aber wenn die ganze Situation anders wäre, dann bin ich mir sicher, dass er um dich geworben hätte."
Meriwan kicherte bei diesem Wort.
"Geworben? Ich hatte eher den Eindruck, er nimmt sich, was er will."
Sucala schüttelte lächelnd den Kopf.
"Den Eindruck könnte man haben, nicht wahr? Vor allem, weil er Lili einfach bei sich behalten hatte, obwohl er wusste, dass sie nicht die Seine war."
Meriwan schnaubte.
"Mich behielt er ebenfalls."
Sucala sah sie an.
"Hat er dir einen Grund genannt?"
Meriwan stutzte, als sie sich dunkel daran erinnerte, dass er wirklich erklärt hatte, warum er sie behielt. Er hatte Angst um sie gehabt. Er wollte sie nicht gehen lassen, weil die Kämpfe in der Drachenstadt schon begonnen hatten. Erst begleitete er sie und als er wirklich sicher sein konnte, dass sie in Sicherheit war, ließ er sie gehen.
Meriwan hob einen Finger.
"Warum hat er Lili gehen lassen?"
Sucala runzelte die Stirn.
"Das hat er nicht. Sie ist vor ihm geflohen. Und bevor du fragst, warum sie geflohen war: Racola wollte sie zwingen bei ihm zu bleiben. Er war sehr wütend darüber, dass sie ihm nicht gehorchte. Nun frage ich dich, war er je so aufgebracht über dich, dass er kurz davor war, alles kurz und klein zu schlagen?"
Nein, das war er nicht. Sogar als sie ihn beschimpfte blieb er ruhig und erklärte ihr sogar, dass er ihre Wut verstand und er wirklich an allem Schuld sei. Ja, er war bei ihr anders gewesen, als bei Lili. Zwar nicht am Anfang, aber dann...
"Es ist alles noch neu für mich. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich weiß nciht einmal, ob er noch lebt."
Sucala nickte verständnisvoll.
"Das weiß ich auch nicht, aber immerhin stehen wir unter dem Schutz der Drachen und haben ein Zuhause, dass uns niemand wegnehmen wird. Das ist schonmal sehr beruhigend. Alles andere wird sich fügen. Aber Racola ist nicht tot. Das spüre ich."
"Das ist er, der Anführer der Drachenjäger."
Racola wurde grob von seinem Lager hochgehoben und auf den Boden gestoßen. Er stöhnte vor Schmerzen auf.
"Was soll das? Seht ihr nicht, dass er nur noch einen Arm hat? Außerdem glüht er vor Fieber!"
Racola starrte etwas verwirrt die Männer an, deren Gesichter ihm wie Fratzen erschienen. Seit einiger Zeit konnte er Traum nicht von der Realität unterscheiden. Der Heiler sagte ihm einmal in einer Minute, in der Racola klar im Kopf war, dass er ihm den Arm abnehmen musste, da das Fleisch faulte und sein Leben bedrohte. Deswegen war er immer wieder im Fieber und in einer Art Drogenrausch gefangen und sah Dinge, die nicht so geschahen.
Einmal hatte er Meriwan an seinem Lager sitzen sehen. Das war einer der guten Träume gewesen. Sie hatte immer wieder sein Gesicht berührt und gelächelt, sobald er ihren Namen murmelte. Immer wieder hatte sie ihm versichert, dass sie auf ihn warten würde, was er ihr ausreden wollte. Aber sie war einfach zu stur, um auf ihn zu hören.
An anderen Tagen träumte er von den Toten der Schlacht und der Angriffe auf Drachenstadt, die ihn anklagten und ihn noch mehr Schmerzen bereiten. Immer wieder bat er um Verzeihung, aber sie kamen wieder und die Vorwürfe gegen ihn begannen erneut.
Nun knallte er mit dem Gesicht auf die Erde, als man ihm wieder in den Rücken stieß. Manchmal vergaß er, dass ein Arm fehlte und wollte sich genau damit abstützen.
"Es ist egal, ob ihm ein Arm fehlt oder er vor Fieber glüht. Weißt du, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hat, Heiler?"
"Das weiß ich sehr wohl. Ich höre ihn jeden Tag mit den Dämonen in sich kämpfen."
Racola hörte ein Schnauben.
"Er hat noch viel Schlimmeres verdient, als sich mit seinen eigenen Dämonen auseinander zu setzen. Aber deine Fürsorge und das saubere Bett hat er nicht verdient. Wir nehmen ihn mit."
Der Heiler schien damit nicht einverstanden zu sein.
"Wo bringt ihr ihn hin? Ich muss immer noch seine Verbände wechseln."
Einer der Männer lachte hämisch.
"Bemühe dich nicht. Wir bringen ihn in den Kerker im Schloss. Wenn er Glück hat, hilft ihm jemand, ansonsten..."
Den Rest des Satzes ließ er offen, doch Racola hatte auch nur ein Wort gehört.
Schloss!
Dort lebte sie.
Die Frau, die ihn noch am Leben hielt, nur weil er an sie dachte.
"Meriwan...", murmelte er, aber offenbar nicht leise genug.
Irgendjemand stieß ihm in den Rücken.
"Hör auf den Namen meiner Schwester zu murmeln. Willst du sie in Gefahr bringen?", zischte ihm jemand ins Ohr.
Er brachte Meriwan in Gefahr, wenn er sie rief?
Das wollte er nicht.
Man packte seinen linken Arm und zog ihn in die Höhe.
"Ich bringe ihn in den Kerker."
"Alleine? So erfahren bist du nicht, Wiko."
Der Mann neben ihn lachte.
"Schau ihn dir doch an. Der Dreckskerl bekommt nichts mehr mit. Soll ich Nielema Meldung machen?"
Wieder hörte man Gelächter.
"Der Kriegsdrache hat genug mit der Hochzeit zu tun und nicht die beste Laune, weil es seiner Meinung nach nicht schnell genug geht. Am besten läufst du ihm nicht über den Weg."
Der Mann, den sie Wiko nannten, lachte schallend und zog Racola mit sich.
Racola seufzte erleichtert, als er den kühlen Regen spürte, der auf sein erhitztes Gesicht tropfte.
"Du bist wirklich wahnsinnig. Du versteckst dich schwer verletzt mitten in der Drachenstadt. Wenn dich andere erkannt hätten, wärst du wohl tot, weil sie dich zu Tode geprügelt hätten."
Er starrte auf den Kerl neben ihn.
"Wer bist du?", fragte er stockend.
Der Kerl runzelte die Stirn.
"Ich bin Wiko, Meriwans Bruder."
Racola versuchte ein Lächeln.
"Meriwan. Bringst du mich zu ihr?"
Wiko schüttelte den Kopf, sah Racola allerdings verwirrt an.
"Das würdest du im Moment nicht überleben. Sie ist mit deiner Mutter und meinen Geschwistern auf diesen Hof übergesiedelt. Die Reise dorthin würde dich umbringen. Und wenn ich dich nicht im Kerker abliefere, bringen sie mich um."
Racola nickte.
Das leuchtete selbst ihm ein. Er wollte Meriwans Bruder auch keine Schwierigkeiten machen.
"Ich werde versuchen, mich um dich zu kümmern. Zumindest kann ich Verbände wechseln. Aber solange keiner der Drachenprinzen in den Kerker kommt, wirst du wohl eher schlecht behandelt."
Racola stöhnte leise, als der Schmerz wieder zurück kam.
"Verdient...", murmelte er.
Wiko machte einen unwirschen Laut.
"Das wird sich noch zeigen."
Die Hochzeitszeremonie der Drachen wurde am anderen Tag abgehalten und ging nicht sehr lange, aber die Feierlichkeiten danach dauerten einige Wochen.
Jedes Viertel feierte auf seine eigenen Art die Hochzeit und Boten brachten den Frischvermählten die Spezialitäten des Viertels. Den Menschen war es dabei egal, ob die Drachen anwesend waren oder nicht.
Der Krieg war vorbei und die neuen Anführer der Drachenjäger hatten Friedensgespräche angeboten, die aber erst stattfinden sollten, wenn Drachenstadt die Feiern beendeten.
Das waren also zwei Gründe um zu feiern und das nutzte man auch aus.
Die Drachen selbst flogen mit ihren Bräuten zu ihren speziellen Plätzen, die ein Mensch nicht erreichen konnte und genossen die Zeit zu zweit.
Keiner von ihnen wusste, dass Racola im Kerker war und sie erfuhren erst bei ihrer Rückkehr, dass man ihm in ihrer Abwesenheit den Prozess gemacht hatte.
Sie ahnten auch nicht , dass die Richter vom Volk zu harten Urteilen gezwungen wurden. Niemand hatte Erbarmen mit dem Krüppel, wie sie ihn nun nannten. Bevor dir Drachen wieder zurück kehrten, hing er schon zwei Tage am Pranger und hatte es nur Meriwans Brüdern zu verdanken, dass er in der Dunkelheit Essen und Trinken bekam. Am Tag verhöhnte man ihn und bewarf ihn mit faulen Obst und Gemüse. Manchmal auch mit Steinen, aber er nahm das alles klaglos hin, was ihm auch etwas Bewunderung einbrachte.
Doch dann kam der Tag, an dem die neuen Anführer kamen und man sie zu ihm brachte, um zu zeigen, was passierte, wenn man die Drachen bedrohte.
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