Kapitel 14
Meriwan ließ das Messer fallen, dass sie einem der Verletzten abgenommen hatte, um nach Racola zu sehen. Es war beinahe schon ein lächerlicher Zufall, dass sie nur eine Mauer aus Eis von Racola trennte.
Als sie dann endlich Racola sah, wurde er und Anuwe angegriffen und sie konnte nicht anders, als Racola zu verteidigen.
Der Drachenjäger lag vor ihr und seine starren Augen blickten sie beinahe vorwurfsvoll an.
Sie keuchte und rieb sich ihre Hände, die auf einmal sehr kalt geworden waren.
Sie hatten den Mann umgebracht. Und nicht, weil er für die Toten in der Drachenstadt verantwortlich war, sondern weil er Racola bedrohte.
Racola!
Sie drehte sich um, aber er war verschwunden. Nur Lefko, der weiße Drache, lag auf der Erde.
Meriwan rannte auf ihn zu und schrie nach Velion. Die Wunde blutete stark, obwohl der Speer ihn augenscheinlich nur gestreift hatte.
Schnell riss sie ihren Unterrock in Stücke und drückte den Stoff auf die Wunde, was den Drachen aufstöhnen ließ.
"Keine Sorge. Ich habe deinen Bruder gerufen. Er wird bald hier sein und dir helfen."
Doro!
Einen Moment musste sie lächeln. Selbst dann, da er verletzt und voller Schmerzen war, dachte er an seine Braut. Das war irgendwie schön. Anders als der Mann, dem sie das Leben gerettet hatte. Der konnte nicht schnell genug vor ihr davon laufen.
"Ich hole sie, sobald Velion hier ist. Das verspreche ich dir, Drache."
Es dauerte eine geraume Zeit, bis der Silberdrache neben ihnen landete und sich in einen Menschen verwandelte.
Meriwan wandte den Blick ab, denn Velion war nackt und es schien ihn im Moment nicht zu kümmern, ob es schicklich war oder nicht.
"Lefko!", rief er und hockte sich vor den Drachen.
Sofort hörte man das Brummen, von dem Meriwan wusste, dass es die alten Drachensprache war. Velion hob seine Hände über die Wunde, dich sich zwar schloss, aber eine Narbe hinterließ. Nach einer Weile wurde der Drache ruhiger und wandelte sich schließlich in einen Menschen.
Meriwan reichte Velion einen großen Stofffetzen, um Anuwe wenigstens notdürftig zu bedecken.
Velion grinste sie an und legte einen Finger auf Anuwes Stirn.
"Er wird schlafen. Das ist das Beste im Moment. Die Drachenjäger haben wohl ein Gift gefunden, dass uns schaden kann. Wenigstens tötet es uns nicht."
Er seufzte erleichtert.
"Lefko sagte mir, dass Racola sich zwischen ihn und dem Speer geworfen hat."
Meriwan nickte.
"Ihn hat es übel erwischt, aber er war schneller weg, als ich schauen konnte."
Velion seufzte.
"Nun ja. Es ist vielleicht besser so."
Meriwan runzelte die Stirn.
"Wie meinst du das?"
Velion seufzte.
"Du weißt selbst, dass viele Menschen in Wikuna gestorben sind und die Bewohner geben nun mal Racola die Schuld."
Meriwan schüttelte entsetzt den Kopf.
"Aber...er hat sich geändert. Er wollte für alles büßen."
Velion nickte.
"Das weißt du, das weiß ich...aber die Menschen werden es ihm nicht verzeihen. Auch deswegen haben wir seinen Tod vortäuschen wollen, was wohl nicht ganz hingehauen hat."
Er stand auf, lief ein Stück zur Seite und wandelte sich wieder in den Drachen. Dieser schaute Meriwan an und sie meinte, dass sie Mitleid in seinem Blick erkannte, bevor er sich in die Lüfte erhob, um weiter für Wikuna zu kämpfen.
Sie blieb bei Anuwe, der weiterhin schlief.
Noch nie hatte sie so etwas wie Selbstmitleid verspürt. Immer schon war sie ihren Weg gegangen, der sie schließlich auch in Schloss und damit auch in gewisser Weise zu Racola geführt hat. Sie konnte zwar immer noch nicht genau sagen, ob sie diesen Mann liebte, aber sie hätte ihn gerne noch einmal gesprochen, nur um zu erfahren, was wirklich zwischen ihnen beiden war und vor allem, ob er auch so dachte wie sie. Gerne hätte sie Racola näher kennengelernt, aber er machte sich davon, ohne dass er ihr diese Möglichkeit gab.
Sie verstand, dass er wütend war, weil sie seine letzte Bitte nicht erfüllte und dass er sie in gewisser Weise schützen wollte, aber er hätte es ruhig ihr die Entscheidung überlassen können.
"Ich befürchte, in der Hinsicht werde ich dir Männer nie verstehen.", erklärte sie den schlafenden Anuwe. "Ihr solltet auch uns in Entscheidungen mit einbeziehen. So schwach, wie ihr denkt, sind wir nicht."
Racola rannte vom Schlachtfeld, bis seine Beine den Dienst versagten und er in einen Graben fiel. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb er liegen und schloss einen Moment die Augen.
Im war bewusst, dass er sich wie ein Feigling verhielt, aber als er Meriwan sah, wurde er wütend. Er hatte ihr doch das Versprechen abgenommen, dass sie nicht bei dieser Schlacht dabei sein würde und was machte diese unmögliche Frau? Sie widersetzte sich ihm und rettete ihm auch noch das Leben.
Es gab für Racola in dem Moment, als sie Arunde getötet hatte nur zwei Möglichkeiten. Entweder er stellte sich ihr und es würde wieder zum Streit oder zu einem Kuss kommen, oder er lief davon. Er hatte sich für das Davonlaufen entschieden, um sie zu schützen. Zumindest redete er sich das ein.
Laut stöhnend versuchte er aufzustehen. Sein rechter Arm hing nutzlos an seinem Körper und Racola wusste, dass er unbrauchbar bleiben würde. Wenn es zum Wundbrand kam, würde er ihn vielleicht sogar ganz verlieren.
Fluchend versucht er aus den Graben zu klettern, was ihm nicht gelang. Wieder legte er sich auf den Rücken und stöhnte vor Schmerzen.
"Wo wollen wir denn hin?"
Eine Schwertspitze bedrohte seine Kehle.
Racola schluckte hart und schaute zu dem Krieger, der mit einigen seiner Kumpane vor ihm stand.
"Der ist keine Gefahr mehr, Dular. Schau dir seinen Arm an."
Das Schwert wurde gesenkt und der Krieger, der diesen Dular auf die Verletzung aufmerksam machte, hockte sich vor Racola und riss ihm den Ärmel der Tunika weg, die sowieso nciht mehr zu gebrauchen war. Racola zischte leise, als der Schmerz wie ein brennender Eisenstab durch sein gesamten Oberkörper ging.
"Er ist ein Drachenjäger. Nun, Mann, ich sage es nicht gerne, aber du läufst in die falsche Richtung. Auf diesen Weg gelangt man direkt nach Wikuna und nicht in das Drachenland."
Das wusste Racola natürlich, aber ihm war nicht klar, was ihn auf seiner eigenen Burg erwartete. Deswegen wählte er das scheinbar kleinere Übel, nämlich sich in Wikuna zu verstecken. Das er dabei gerade in die Arme von Drachenkrieger geriet hatte er nicht in seinen Berechnungen berücksichtigt.
Einer der Krieger schnitt seine Tunika nun komplett auf und versorgte die Wunde. Als sie die Wunde sahen, zischten alle.
"Das sieht nicht gut aus.", meinte der Älteste von ihnen. "Ich habe solche Wunden schon gesehen. Wir bringen dich zu einem Heiler."
Racola wurde es heiß und kalt.
"Nicht zu Velion.", murmelte er und schrie dann auf, als einer der Krieger ihn Branntwein über die Wunde goss.
Die Krieger lachten.
"Ich denke, nicht einmal der Silberdrachen könnte deinen Arm retten. Außerdem ist er ein viel beschäftigter Mann. Im Moment vertreibt er mit seinen Brüdern gerade die letzten uneinsichtigen Kerle von deiner Sippe."
Sie zeigten in Richtung des Schlachtfeldes und Racola bemerkte, dass es merklich ruhiger geworden war. Man sah keine Blitze oder Feuersäulen mehr. Es waren nur noch zwei Drachen in der Luft. Der goldene und der schwarze Drache. Sie schienen etwas zu suchen. Racola konnte sich schon denken, dass sie ihn suchten.
Die Krieger um ihn herum runzelten die Stirn, als sie die Verletzung sahen.
"Das war ein Speer. Nur Drachenjäger benutzen Speere. Warum griffen dich deine eigenen Leute an?", meinte einer der Krieger nachdenklich, als er die Wunde genauer betrachtete.
Racola lehnte den Kopf zurück.
"Ich habe einen Drachen beschützt.", murmelte er, was bei den Männern Gelächter auslöste.
"Ein Drachenjäger, der einen Drachen beschützt. Wenn ich alles glaube, aber das klingt nun irgendwie seltsam."
Der Mann, der seine Wunde versorgt hatte, nahm einen Strick und band den Arm ab, bis es kaum noch blutete.
"Du kannst froh sein, dass du uns in die Arme gelaufen bist. Unser König befahl uns jeden Verletzten zu behandeln, egal ob Freund und Feind. Deine Sippe ist da nicht unbedingt dafür."
Er stemmte Racola auf seine Schulter.
"Dann komm, Drachenjäger. Bringen wird dich zu einem Heiler. Allerdings habe ich keine Hoffnung, dass der Arm erhalten bleiben kann."
Das befürchtete Racola auch. Er unterdrückte einen Schrei, als die Männer ihn vom Boden aufhoben und ihn auf einen Wagen legten, der voller Waffen war, die sie offenbar nicht benötigt hatten. Calarion hatte seinen Rat ernst genommen und war gut vorbereitet gewesen. Einige andere Verletzte saßen schon im Wagen und machten bereitwillig Platz, als Racola sich neben sie setzten.
"Wie heißt du?", fragte einer der Krieger.
Racola holte tief Luft.
"Acol. Mein Name ich Acol."
"Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich befürchte, wir finden unseren Vetter nicht."
Jefrandt nahm dankbar von Enne die Hose entgegen und schlüpfte hinein.
Nielema zuckte mit den Schultern.
"Er ist ein Krieger. Wenn er nicht gefunden werden will, dann werden wir ihn tatsächlich nicht finden. Aber wenn es euch beruhigt, bin ich ihm in der Schlacht begegnet. Da sah er recht munter aus."
Velion schnaubte.
"Er ist wahrscheinlich schwer verletzt."
Alle Drachen sahen zu ihm.
"Woher weißt du das?", Fragte Kanoran.
Anuwe, der immer noch auf einer Trage lag und von Doro betreut wurde, richtete sich auf.
"Ein Drachenjäger wollte mich töten, als ich einen Verletzten in Sicherheit bringen wollte. Racola hat sich zwischen den Speer und mich geworfen. Wenn der Speer mich voll erwischt hätte..."
Er erläuterte es nicht weiter, aber Doro schlug sich die Hand vor den Mund.
"Racola hat dich also gerettet?", fragte sie mit zitternder Stimme.
Anuwe nickte.
"Das hat er, aber ich habe gesehen, dass der Speer ihn erwischte. Wenn das Gift auch ihm schadet, dann kann er nur hoffen, dass er bald zu einem Heiler kommt."
Calarion wirkte nachdenklich.
"Was machen wir mit Sucala und Meriwan?"
Kanoran schnalzte mit der Zunge.
"Das, was Racola wollte. Er hat uns eine Nachricht zukommen lassen in der stand, dass die beiden Frauen und die Geschwister von Meriwan auf den Hof gehen können. Der alte Knecht lebt schon lange dort und kann sie unterstützen. Außerdem ließ er uns reichlich Münzen zukommen, dass die Bildung der Kinder nicht zu kurz kommt."
Calarion hob sein Kinn und sah Kanoran an.
"Wann haben wir denn diese Nachricht bekommen?"
Kanoran grinste ihn an.
"Kurz vor der Schlacht. Und bevor du fragst, ich kannte den Jungen nicht, der mir die Nachricht überreichte und ich bezweifle auch, dass wir ihn je wieder sehen werden."
Calarion zog scharf die Luft ein.
"Nun, da du die Nachricht bekommen hast, unterbreitest du Meriwan den Vorschlag."
Velion lachte.
"Bist du jetzt beleidigt, weil Kanoran die Nachricht bekommen hat und nicht du?"
Calarion schnaubte.
"Bin ich nicht. Wir sollten hier aufräumen und dann nach Hause gehen. Ich denke, wir können nun die Zeremonie bald einläuten und unsere Frauen heiraten. Es wird wirklich Zeit."
Damit waren wirklich alle einverstanden, denn Ruhe hatten sie wirklich alle verdient.
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