Kapitel 5
"Darf ich um diesen Tanz bitten?"
Doro drehte sich zu Anuwe um und automatisch breitete sich ein Lächeln auf ihren Gesicht aus. Er verneigte sich leicht vor ihr und hob ihr seine behandschuhte Hand entgegen. Ihr stockte kurz der Atem. Anuwe sah in seiner Uniform, die er nur zu solchen Anlässen trug, einfach sagenhaft aus. Mit dem weißen Stoff sah er mehr denn je wie ein Märchenprinz aus. Fehlte nur noch ein weißes Pferd, welches er nicht hatte. Wozu auch. Als Drache konnte er überall hinfliegen, wo er wollte.
Sie reichte ihm die Hand und nickte, brachte aber kein Wort hervor.
Obwohl Anuwe jünger als sie war und sich manchmal wie ein großes Kind benahm, hegte sie liebevolle Gefühle für ihn. Wenn nur ihre Vergangenheit ihnen nicht im Weg stehen würde, hätte sie ihm schon längst gestanden, dass sie ihn sehr gerne mochte, aber sie hatte einfach Angst, dass er sie ablehnen würde, wenn er erfuhr, was sie alles tun musste, um zu überleben.
Doch jetzt schien er nur Augen für sie zu haben und das Gefühl war wundervoll.
Er begleitete sie zur Tanzfläche und nahm sie dann in seine Arme. Sie spürte, trotz der Uniform, seine harten Muskeln und unterdrückte ein Seufzen. So gerne hätte sie sich an ihn geschmiegt und sich von ihm küssen lassen.
"Ich würde zu gerne wissen, was in deinem Kopf vorgeht.", murmelte er.
Einen innigen Moment gönnte sie sich, indem sie ihre Stirn an seine Schulter lehnte und seufzte.
"Nur dein Wohl, Anuwe."
Er schnaubte.
"Wenn es das wäre, dann würdest du dich nicht immer zurückziehen. Glaube nicht, ich merke das nicht, Doro."
Bevor sie antworten konnte, wirbelte er sie herum, so dass sie sein Gesicht sehen konnte. Er war wütend, unterdrückte es aber dieses Gefühl.
"Bitte, ich weiß, dass du ungeduldig wirst, aber ich habe meine Gründe, warum ich dich auf Abstand halte."
Er runzelte die Stirn.
"Das ist nicht einmal gelogen.", meinte er leise zu sich selbst.
Doro schnaubte.
"Ich habe dich noch nie angelogen, Anuwe."
Er lachte bitter.
"Aber du willst mich nicht haben. Ich bin dir wahrscheinlich zu kindisch. Ich habe das schon verstanden und versucht mich zu ändern."
Das wusste sie doch. Er hatte sich wirklich sehr geändert. Immerhin hatte sie ihn schon vor der Zeremonie erlebt. Das damals einzig Erwachsene an ihm, war seine Höflichkeit. Aber ansonsten konnte man ihn schon als Kindskopf bezeichnen, der mit seinen schlechten Witzen und Quengeleien nerven konnte. Das hatte sich grundlegend geändert. Er übernahm Verantwortung für die Kinder. Für die Größeren hatte er Ausbildungen besorgt und die Kleineren hatten gute Betreuungen. Er ging sogar weiter, als es Kala gegangen war und besorgte Heiler, die in der Villa lebten, um immer parat zu sein, wenn ein Notfall eintrat und die sich auch um die Behinderungen von einigen kümmerten. Er hatte Umbauten vornehmen lassen, damit die Villa kindgerechter wurde und dabei selbst mit angepackt. Er wurde zum Mann und manchmal hegte sie die Hoffnung, dass er es wegen ihr tat.
"Nein, Anuwe. Du bist mir nicht zu kindisch. Ich mag dich wirklich sehr."
Einen Moment schien er verblüfft zu sein.
"Auch nicht gelogen.", murmelte er erneut, bevor er sich räusperte.
"Aber dann verstehe ich nicht, warum du mich immer von dir stößt? Du magst mich sehr, ich liebe dich...wo ist das Problem?"
Sie schloss die Augen und lehnte wieder ihre Stirn an seine Schulter. Sie konnte einen kleinen Seufzer nicht unterdrücken.
"Ich möchte dir nicht weh tun, Anuwe. Ich bin nicht die Richtige für Dich. Du sagst, du liebst mich, aber du kennst mich nicht. Wenn du mich wirklich kennen würdest, könntest du anders darüber denken. Ich bin mir sicher, dass du veranlasst, mich aus dem Schloss zu jagen. Ich warte jeden Tag darauf, dass die Wache kommt, und mich darüber informiert, dass man einen Fehler gemacht hat."
Er hob ihr Kinn mit einem Finger an.
"Der goldene Drache macht keinen Fehler bei der Brautsuche, Doro. Das mussten auch die anderen feststellen. Nur du wehrst dich gegen mich und ich verstehe nicht, wieso. Mich interessiert deine Vergangenheit nicht, Doro. Wenn du es mir erzählen willst, dann höre ich dir zu, aber glaube nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändert. Ich werde dich nicht davon jagen."
Tränen traten in ihre Augen.
"Sei nicht so nett zu mir, Anuwe. Du warst das immer, obwohl ich es nicht verdient habe. Sei gemein, schimpfe mich aus und ignoriere mich. Wenn ich mich noch mehr in dich verliebe, wird es mir das Herz brechen, wenn ich dich verlassen muss."
Er schnaubte.
"Bei den alten Drachen, was muss ich tun, dass du mir glaubst, Doro? Ich werde dich nicht verjagen! Wie oft soll ich dir das noch sagen? Warum machst du es uns so schwer?"
Sie schluchzte.
"Ich will dich nicht beschämen, Anuwe. Das hast du nicht verdient."
Er ließ sie abrupt los.
"Es ist hoffnungslos, habe ich Recht? Du willst mir nicht zuhören und vor allem willst du nicht verstehen!"
Sie sah sich beschämt um, aber Anuwe hatte sie unbemerkt in eine ruhige Ecke gebracht und keiner beachtete sie.
"Verzeih, dass ich nicht so klug..."
Er hob die Hand.
"Hör auf damit! Du bist nicht dumm, nur unheimlich stur. Ich dachte schon, dass Lana und Lili stur wären, aber du übertriffst sie damit alle. Aber ich habe verstanden. Ich soll dich also ignorieren? Gut, das werde ich. Und zwar so lange, bis du mir endlich erklärst, warum du dich so gegen mich sperrst. Und ich erwarte die ganze Geschichte, nicht nur diese verfluchten Splitter, die du mir an den Kopf wirfst und die alles erklären sollen."
Er drehte sich um und ließ sie einfach stehen.
Zitternd lehnte sie sich gegen das große Fenster, vor dem sie stand. Sie umarmte sich selbst, denn ihr wurde kalt ohne Anuwe in ihrer Nähe.
War das nicht, was sie wollte? Er sollte sich von ihr fernhalten. Doch schon jetzt spürte sie, dass sie ihn vermissen würde. War es ein Fehler, ihm nicht alles zu sagen? Wen wollte sie eigentlich beschützen? Ihn oder sich selbst?
Sie starrte in die Nacht hinaus und sah den weißen Drachen, wie er davon flog. Sie unterdrückte ein leises Schluchzen.
"Weißt du, er bemüht sich wirklich um dich."
Erschrocken drehte sie sich Jefrandt zu, der unbemerkt neben sie getreten war.
Sie senkte sofort den Kopf, wie sie es bei jedem Prinzen tat.
Er lächelte leicht.
"Lass das doch bitte. Erzähle mir lieber, was du an meinem Bruder nicht magst. Ich weiß, er ist ein Schwachkopf und sein Verhalten ist manchmal nervend."
Sie riss die Augen auf.
"Anuwe ist kein Schwachkopf und er ist viel erwachsener geworden. Außerdem ist er zu jedem nett. Er hat mich beachtet, als es noch keiner von euch getan hat. Nun ja, du warst nicht da, aber hättest du dich mit mir, einer einfachen Magd, unterhalten? Anuwe tat es, er ist ein edler und großzügiger Mann."
Jefrandt lachte ungläubig.
"Mann? Anuwe? Manchmal ist er eher ein Bengel."
Sie hob einen Finger.
"Nein, das ist er nicht. Ihr gesteht euch nicht ein, dass er sich wirklich geändert hat, weil ihr es nicht sehen wollt. Wenn ihr ihm nur einmal zuhören würdet und nicht all seine Einfälle als Blödsinn abtun würdet, dann könntet ihr erkennen, was für ein kluger Kopf und wunderbarer Mann er ist."
Jefrandt lächelte breit.
"Du liebst meinen Zwillingsbruder! Du liebst ihn wirklich. Und dennoch hast du ihn vergrault. Willst du mir erzählen, warum du es getan hast?"
Sie senkte den Kopf.
"Ich kann es keinem erzählen. Ich würde euch nur Schande bereiten."
Jefrandt lachte dröhnend und tippte gegen ihre Stirn.
"Du liegst so falsch, Mädchen. Du solltest es wirklich Anuwe erzählen. Du wirst dich wundern, wie egal es ihm sein wird."
Sie runzelte die Stirn.
"Wie meinst du das?"
Er grinste sie an.
"In mir steckt mehr, als die Menschen ahnen. Und auch Anuwe hat Fähigkeiten, die euch Menschen bisher verborgen blieben. Ich kann dir nur raten, es ihm bald zu erzählen, bevor es zu spät ist."
Doro nickte.
"Wegen dem Krieg."
Er schüttelte den Kopf.
"Nicht unbedingt. Aber Calarion wurde schon einmal gebeten, einen Bund zu lösen. Wenn er eine andere Braut für Faköle gefunden hätte, wäre es auch soweit gekommen. Und da du der Meinung bist, du bringst Schande über uns, wird er sehr schnell handeln, du verstehst?"
Doro hielt den Atem an.
Dann würde sie Anuwe wirklich verlieren. Wenn sie es nicht schon getan hatte.
Hamiran stand in einer dunklen Ecke und betrachtete den Eingang der Villa, in der Doro ein- und ausgehen sollte.
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er gar nicht mehr in Betracht gezogen, was ihm dieses Mädchen noch einbringen würde.
Damals musste er sie zähneknirschend ziehen lassen, denn schon alleine ihre Jungfräulichkeit hatte ihm den größten Teil der Kosten wieder eingebracht. Damals war ihm nicht bewusst, wie gut sie rechnen konnte und war sehr erstaunt, als sie ihm nach nur wenigen Wochen präsentierte, dass sie schon mehr eingenommen hatte, als er für sie ausgab.
Diesen Fehler hatte er einmal gemacht, doch er lernte ebenfalls schnell.
Hamiran wusste, dass die Neuigkeit, dass eines seiner ehemaligen Mädchen nun eine Drachenbraut war, ihm eine neue, nicht enden wollende Einnahme ermöglichte, wenn er es schlau genug anstellte.
Racola und seine Drachenjäger waren ihm völlig egal. Er wollte die Drachen nicht bekämpfen, denn sie hatten ihm nichts getan. Sie störten ihn nicht, also störte er sie ebenfalls nicht. Er hielt den Kontakt zu den Drachenjäger nur aufrecht, um schnell genug abhauen zu können, wenn der Krieg losging.
Doch bis dahin sollte er sein Vermögen noch etwas aufstocken.
Gerade, als er sein Versteck verlassen wollte, sah er eine Kutsche, aus der eine kleine Gestalt ausstieg, die er sehr gut kannte.
Er lachte leise.
Doro war also wieder in die Villa zurückgekehrt und der Drache begleitete sie nicht. Das waren wundervolle Neuigkeiten. Er würde einen Jungen hierher schicken, der ihm berichten sollte, ob Doro alleine blieb. Sollte das der Fall sein, war er ein gemachter Mann.
Pfeifend machte er sich auf.
Doro würde bereuen, dass sie ihn kannte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top