Kapitel 49
Malik setzte sich an den Rand eines kleinen achteckigen Brunnens. „Warum bist du hier? Ich bin nicht so naiv zu glauben, es wäre wegen mir oder wegen Agba. Du sagtest selbst, du seist geflohen und wenn ich dem Glauben schenken darf, was du nicht gesagt hast, tatest du gut daran nicht mehr zurückzukehren."
Kasar nahm nun ebenfalls Platz. Langsam begann er zu berichten. Von einer attraktiven Herzogin, von einer geheimnisvollen Frau in seinen Träumen und den Edelsteinen, von dem Siegel auf seinem Rücken und der Folter durch fanatische Priester, von seinen Tagen im Dschungel und der Rettung Doms im letzten Moment. Anfangs kamen seine Worte stockend, doch je länger er erzählte, desto flüssiger wurde sein Bericht. Am Ende schien er erleichtert zu sein. „Ich denke, damit bist du der einzige Mensch dieser Welt, der alles weiß."
Ein Schmetterling flog durch die Luft und ließ sich auf einer Blüte nieder. Er breitete seine blau leuchtenden Flügel aus und sonnte sich. Sina hatte Schmetterlinge geliebt.
„Zwei Dinge", sagte Malik und vertrieb damit seine Jugendfreundin aus seinem Kopf. „Du solltest deiner Freundin die ganze Wahrheit verraten und nicht nur einen Teil. Ich verstehe, warum du niemandem vertraust. Aber sie hat dir immer wieder geholfen, obwohl du sie immer nur weggestoßen hast."
„Das weiß ich jetzt auch. Ich hoffe nur, es ist nicht zu spät."
Malik zuckte mit den Schultern. „Das weiß wohl nur Beladah. Zweitens: Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass du vielleicht mehr bist, als du glaubst? Dass die Magie, die tief in dir schlummert vielleicht etwas ganz anderes ist als die Magie der Begabten oder der Edelsteine? Auch ein Kamel ist ein Huftier und trotzdem kein Pferd. Du warst nicht immer Kasar und du wirst nicht immer Senn bleiben."
„Du wirst weise, mein Freund." Wie zwei alte Männer beobachteten sie eine junge Dienerin, die ihre Anwesenheit nicht bemerkte. Mit einem Eimer bewegte sie sich rasch durch den Garten. „Sie ist hübsch", bemerkte Malik.
„Sie ist deine Dienerin, für sie wäre ein Rang als Konkubine sicher ein Aufstieg."
„Du hast doch nicht gerade etwa vorgeschlagen..." Malik riss in gespieltem Entsetzen die Augen auf.
„Du hast mich mit einem Kamel verglichen", entgegnete Kasar schlagfertig und beide Männer brachen in Gelächter auf.
„Bitte komm zu meiner Hochzeit", sagte Malik unvermittelt. „Ich wäre froh, wenigstens einen Freund dort zu haben, von Dominic einmal abgesehen."
„Heirate sie nicht. Lern sie kennen, gib ihr eine Chance. Aber heirate sie nicht. Wenn das Volk dich wirklich liebt, wird kein Arlen es wagen, dich zu stürzen. Jeder hofft doch auf sein Glück. Niemand wird das seinem Emir verwehren wollen."
Malik erhob sich und klopfte Kasar auf die Schulter. „Ich werde über deine Worte nachdenken."
Er führte den Seylaner durch den Palast und erzählte von seinem Leben. Kasar lauschte interessiert seinen Worten, aber manchmal glitt sein Blick in die Ferne. Schon als sie noch zusammen in der Gosse gespielt hatten, nachdem Malik den gleichaltrigen Jungen zu seinem Freund erkoren hatte, war dies manchmal der Fall gewesen. Der Emir übte sich in Geduld, so wie er es schon immer getan hatte.
„Wissen die Assassinen, dass du hier bist?", fragte er schließlich unvermittelt, nur um die Reaktion seines Gegenübers zu beobachten.
Kasar zuckte nicht mit der Wimper, aber er versteifte sich kaum wahrnehmbar. Hätte Malik ihn nicht so gut gekannt, ihm wäre es niemals aufgefallen. „Ich hoffe nicht", antwortete er schließlich überraschend ehrlich. „Doch ich glaube schon."
„Ich hätte dem längst einen Riegel vorschieben müssen", murmelte Malik verärgert. „Bis vor zwei Jahrhunderten waren die Assassinen eine unabhängige Organisation, die für Recht gesorgt hatte, wenn die Wachen des Emirs dazu nicht in der Lage waren. Sie standen für Gerechtigkeit. Aber inzwischen sind sie gierig und töten meine Untertanen ohne Ehre. Sie halten sich nicht mehr an ihren Kodex. Doch dort draußen in der Wüste sind sie geschützt. Ich bin machtlos dagegen und muss weiter mit ansehen, wie sie Unschuldige niedermetzeln."
„Auch ich habe viele getötet. Ich bin nicht besser."
„Warum bist du geflohen?"
„Weil ich etwas Unverzeihliches begangen habe. Ich konnte nicht mehr nach ihren Regeln leben. Eigentlich konnte ich es nie. Aber es war für mich der einzige Weg zur Freiheit. Doch schlussendlich konnte ich es wohl doch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren."
„Sie werden dich jagen, jetzt wo du wieder hier bist. Bleib hier. Bei mir. Es ist nicht leicht, in den Palast einzudringen."
„Sie können es", antwortete Kasar bitter. „Ich würde dein Angebot wirklich gerne annehmen. Aber ich muss den Edelstein finden."
„Ich kann dir helfen. Bitte. Ich will dich nicht wieder verlieren. Schon gar nicht an die Assassinen."
„Was ist mit Alyn und Rosena?"
„Sie können ebenfalls hierbleiben. Ich wohne in einem Palast. Weißt du, wie viele Zimmer hier leer stehen? Ich bin der Emir von Skaramesch. Ich werde doch wohl noch meinen Freund und seine Begleiterinnen beherbergen dürfen."
„Ich werde mit Alyn sprechen", willigte Kasar schließlich zögernd ein.
Malik zog einen seiner Ringe vom Finger. „Hier. Ich werde den Wachen sagen, dass wer auch immer diesen Ring vorzeigt, sofort zu mir gebracht werden soll."
Zögernd ergriff Kasar ihn und steckte ihn sich an den Finger. „Danke."
Sie stießen auf die schwarze Frau, die nun wesentlich entspannter wirkte als zu Beginn. Sie grinste breit und zeigte dabei ihre weißen Zähne. „Deine Bäder sind wundervoll", sagte sie in Akrid. „Und deine Dienerinnen erst. Ich danke dir vielmals."
Sie ergriff Maliks Hand und drückte ihn an sich. Dieser ließ es völlig überrumpelt geschehen. Dann wandte sie sich an Kasar. „Senn! Ich wusste gar nicht, dass du mit dem Emir bekannt bist. Das hätte uns jede Menge Zeit ersparen können."
Kasar warf einen Seitenblick auf Malik. „Das wusste ich ebenfalls nicht."
Schließlich kam auch der junge Mann zurück in Begleitung einer Wache. Er wirkte ebenfalls sehr zufrieden, auch wenn sich ein Hauch Ungeduld in seine Körperhaltung geschlichen hatte. „Das muss ich unbedingt Rosena erzählen."
Kasar wandte sich an den Emir. „Vergiss meinen Rat nicht."
Malik lächelte. „Du den meinen auch nicht."
Sie verabschiedeten sich nicht voneinander. Das hatten sie noch nie getan. In ihren kindlichen Augen hatte ein Abschied Lebewohl bedeutet und kein Wiedersehen. Stumm wünschte Malik seinem alten Freund viel Glück. Wenn seine Worte wahr waren, würden die Assassinen nicht eher ruhen, bis sie ihn in ihre Fänge bekommen hatte. Er war nicht so dumm zu glauben, dass Kasar ihn tatsächlich um Obdach bitten würde. Schon damals vor fast fünfzehn Jahren, als sie sich kennengelernt hatten, war Kasar auf seine Unabhängigkeit bedacht gewesen. Jetzt ergab sein Verhalten Sinn. Die Assassinen waren nicht für ihre Nachsichtigkeit bekannt. In der Hand hielt er einen noch ungeöffneten Brief, den Kasar ihm überreicht hatte. Er stammte ebenfalls von Dominic. Malik fragte sich, warum dieser sich die Mühe gemacht hatte, zwei Briefe zu verfassen.
Ben Ahib kam auf ihn zu. „Euer Großmächtigkeit", sagte er leicht missbilligend. „Dürfte ich erfahren, was es mit diesem Mann auf sich hat? Ihr wart über drei Sanduhren nicht aufzufinden."
Malik schüttelte den Kopf. „Nein, Ben Ahib. Aber du wirst sicher bald von ihm hören."
Er konnte sehen, dass sein Berater sich keinen Reim auf seine rätselhaften Worte machen konnte. Zum ersten Mal erlebte er Ben Ahib sprachlos. Es gefiel ihm.
„Kommt mit. Ich habe einige Entscheidungen gefällt." Wie ein treuer Hund folgte ihm der Berater. „Ich möchte die Prinzessin aus dem Hause Adjar kennenlernen. Ladet sie ein, meinen Palast zu besuchen."
„Darf ich fragen, warum auf einmal?"
Malik lächelte nachsichtig. „Wenn sie meine Gemahlin wird, sollte sie dann nicht das Leben im Palast kennenlernen?"
Auch wenn sein Berater immer noch zweifelnd dreinblickte, konnte er nichts gegen dieses Argument vorbringen. „Hat es etwas mit Eurem Besuch zu tun?"
„Ben Ahib, ich habe es schon einmal gesagt. Du bist neugieriger, als dir gut tut. Wenn ich die Prinzessin kennenlernen möchte, ist das der Wunsch des Emirs und wie sagt man so schön? Der Wunsch des Emirs ist Befehl. Also kümmere dich darum."
Er wandte sich ab und ging pfeifend davon. Trotz der schrecklichen Nachrichten war er guter Dinge.
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