Kapitel 34

Zu meiner Überraschung klopfte es am Spätnachmittag des dritten Tages, an dem ich niederlag und allmählich vor Langeweile wahnsinnig wurde, zögerlich an der Tür. Ich war gerade wieder eingedöst, aber schreckte durch das Geräusch hoch.

Langsam trat Mika ein. Der junge Mann sah sich misstrauisch um, als befürchte er, jemand anderen als mich vorzufinden. Angestrengt richtete ich mich auf.

„Ich..." Er stockte und trat verlegen von einem Bein aufs andere.

Ich hob eine Augenbraue. „Glaub mir, bei meinem derzeitigen Wohlbefinden werde ich wohl kaum aus dem Bett springen und dich töten. Du kannst dich also beruhigt hinsetzen."

Dann räusperte ich mich, denn manchmal versagte mir noch die Stimme.

„Wie geht es dir?", fragte Mika, nachdem er auf dem Stuhl Platz genommen hatte, der extra für die Besucher von Argur herangeschafft worden war.

Ich rang mir ein Lächeln ab. „Nun, ich werde es gemäß der Prognose des weiblichen Anteils auf diesem Schiff überleben. Das kann ich auch nicht bestreiten. Trotzdem bin ich dankbar, wenn sich das als die erste und letzte Grippe in meinem Leben herausstellt."

Er lachte nervös. Dann suchte er nach den richtigen Worten. „Ich habe dir wohl nie... richtig gedankt, dass du mich damals aufgegabelt hast."

„Dieser Dank gebührt nicht mir, sondern Alyn. Sie hat mich damals überredet, dich vorm Erfrierungstod zu retten."

„Oh..." Irgendwie wirkte er enttäuscht. „Ro hat nichts gesagt?"

Ich runzelte die Stirn. Er nannte sie Ro? So wie Alyn es manchmal tat? War ich ein schlechter Freund, wenn ich sie nicht bei ihrem Spitznamen rief? „Nein. Rosena sagt nicht viel. Sie hat ein gutes Herz, aber sie ist einfach zu schüchtern, als dass sie einfach Befehle gibt oder mutige Entscheidungen fällt."

Verlegen spielte Mika mit seinen Fingern. „Spricht sie ab und zu von mir?"

Ich seufzte. „Mika. Warum bist du wirklich hier?"

Er wurde bleich. „Ich... vielleicht sollte ich gehen." Er schob seinen Stuhl zurück und wollte aufstehen, als meine Hand unter der Decke hervorschoss und ihn am Handgelenk packte. „Setz dich wieder hin und bereite einem gefährlich gelangweilten Mann keine Unannehmlichkeiten."
Zögerlich gehorchte er. Erschöpft ließ ich ihn los. Diese kleine Kraftaufwendung hatte mich mehr angestrengt als erwartet.

„Jetzt noch einmal in Ruhe. Du magst Rosena sehr gerne, nicht wahr?" Der junge Mann nickte betreten und mit glühend roten Wangen. „Nun bist du zu mir gekommen, um herauszufinden, ob sie ebenso empfindet."

Ich konnte sehen, dass er vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre. Trotzdem brachte er den Mut auf, erneut zu nicken. Allerdings wagte er es nicht, mir dabei ins Gesicht zu sehen. Stattdessen starrte er auf die Holzbohlen.

„Dir ist bewusst, dass Rosena keine leichte Kindheit hatte?"

„Ja, Herr", sagte er und ich zog die Stirn kraus, als ich feststellte, dass er mich anredete wie seinen Vorgesetzten.

„Und du willst sie trotzdem?"
„Das macht sie umso begehrenswerter. Ich bewundere sie." Der Junge lächelte, als er offenbar an meine Reisebegleiterin dachte. „Sie hat sich mir anvertraut und das macht mich stolz."

„Das solltest du ebenfalls tun", erwiderte ich kurzerhand.

Verdattert schaute er mir nun doch ins Gesicht. „Wie bitte? Ich hab' ihr alles erzählt."

Langsam wiederholte ich meine Worte. „Du verheimlichst etwas. Junge, ich habe dich in einer deiner schlimmsten Stunden gesehen. Ich habe die Verzweiflung und das Elend auf deinem Gesicht erkannt, als ich dich - sternhagelvoll wie du warst - gestützt habe. Dein Bruder liebt dich und auch der Rest der Mannschaft bringt dir Freundschaft entgegen. Nichtsdestotrotz muss etwas geschehen sein, dass dich zu einem menschlichen Wrack gemacht hat. Rosena behauptet, du hast dich ihr geöffnet, aber sie ist ein gutes Mädchen. Auch wenn ihr Schlimmes widerfahren ist, übersieht sie die Abgründe, die sich in einzelnen Menschen auftun. Niemals hast du ihr alles offenbart. Nicht nach so kurzer Zeit. Du wärst nicht dem Alkohol verfallen, wenn du dich ausgesprochen hättest. Ich kenne Menschen wie dich."

Ich nahm seinen Blick, der wie ein aufgescheuchtes Reh herumirrte, mit dem meinen gefangen. „Du kannst vielleicht den Rest der Welt belügen, aber nicht mich. Glaub mir, die volle Wahrheit wird euch nur enger binden. Aber mangelndes Vertrauen wird euch auseinanderreißen."

Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann sackte er zusammen. „Es stimmt. Es..."

Ich hob müde eine Hand. „Du brauchst es mir nicht zu erzählen. Es geht mich nichts an. Aber wenn du es mit Rosena wirklich ernst meinst, musst du dich ihr anvertrauen. Es wäre sonst nicht gerecht."
„Sie wird mich wegstoßen", seufzte der Junge und bettete sein Gesicht in seine Handflächen.

„Nein", widersprach ich. „Sie wird sich geehrt fühlen. Es wird ein Vertrauensbeweis sein, den sie nicht einfach ignorieren kann. Sie hat Angst, dass du es nicht ernst meinst, weil sie weder so attraktiv noch so strahlend ist wie Alyn. Rosena ist ein sensibles Mädchen und sie hat immer Angst, nicht gut genug zu sein. Du wirst ihr beweisen, dass auch du schwerwiegende Probleme hast. Lass dir von ihr helfen."

Verschämt dachte ich an Rosenas Monolog, den ich belauscht hatte.

„Vielleicht sollte ich das tun", gab Mika langsam zu.

Ich grinste hinterhältig. „Ich gebe euch beiden meinen Segen. Aber zwei Dinge solltest du dir merken. Erstens: Du wirst auf sie warten müssen. Sie hat dir sicher von unserem Auftrag erzählt oder ist zumindest vage darauf eingegangen. Glaub mir, sie besteht darauf, mich zu begleiten und ich werde sie nicht davon abhalten. Zweitens: Solltest du sie jemals verletzen, wirst du schneller ein Messer im Rücken haben, als du dich umdrehen kannst. Ich mag vielleicht momentan geschwächt sein, aber das wird kein Zustand auf Dauer bleiben."
Der junge Mann war bleich geworden.

Ausgelaugt ließ ich mich in mein Kissen zurücksinken. „Ich bin müde. Du solltest gehen."

Eilig murmelte er etwas und verschwand.

Schlaf wollte sich bei mir trotzdem nicht einstellen. Immer wieder wälzte ich mich hin und her, meine Worte im Kopf rekapitulierend. Ich hatte ihn dazu aufgefordert, die Wahrheit zu sagen, doch selbst verschwieg ich Alyn noch zu viel. Ich musste ehrlich zu ihr sein. Bald würde ich ihr alles erzählen, beschloss ich. Dann schlief ich ein.

Als Rosena das nächste Mal in unsere Kajüte kam, summte sie vergnügt vor sich hin.

„Ach Senn", rief sie übermütig. „Ich bin so glücklich. Ist heute nicht ein wunderschöner Tag?"
Ich konnte ihr da nicht wirklich zustimmen. Deshalb wunderte ich mich über ihre seltsam ausgelassene Stimmung. „Ist etwas vorgefallen?", fragte ich vorsichtig.

Bei Frauen konnte man nie wissen.

Sie lachte. „Was sollte denn sein? Ich habe doch nur festgestellt, dass heute einfach alles großartig ist."

Ich zog eine Grimasse. „Der Meinung bin ich nicht wirklich."

Als sie mein Gesicht bemerkte, schlug sie verlegen die Hände vors Gesicht. „Bei den Göttern, das tut mir leid. Ich habe wohl nicht nachgedacht. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen."

„Es ist schon in Ordnung. Hast du mit Mika gesprochen?"

Zarte Röte färbte ihre Wangen. „Ja. Er ist so aufmerksam." Sie seufzte schwärmerisch. „Und er sieht auch noch so gut aus."

Ich zuckte mit den Schultern. So genau hatte ich mir den Jungen auch nicht angeschaut.

„...und er vertraut mir." Über diese Tatsache schien sie sich am meisten zu freuen. Sie schmiss sich in die Hängematte und schaukelte vergnügt hin und her, während sie vor sich hin summte und immer wieder seufzte. Ihre Beine baumelten zu den Seiten hinab, ein Stiefel rutschte ihr fast vom Fuß, sie bemerkte es jedoch nicht.

Ich rollte mit den Augen. Dann bekam ich es jedoch mit der Angst zu tun. „Du wirst Alyn und mich auf der Suche nach dem nächsten Edelstein begleiten, oder?", fragte ich unsicher. Ich hätte nichts zu Mika sagen sollen. Was interessierte mich das gemeinsame Glück von ihm und Rosena? Immerhin ging es hier um mein Leben.

Das sollte ich nicht ständig aus den Augen verlieren. Ich hatte durch meine erbärmlichen Versuche die ganze Welt zu retten, schon zu viel Zeit verschwendet. Die Welt war schlecht und daran konnte ich nichts ändern. Alyn hatte einen schlechten Einfluss auf mich. Wäre sie nicht so begehrenswert würde ich Abstand von ihr halten. Aber sie war wie eine Droge.

„... mir überhaupt zu?"

Träge wandte ich den Kopf. Rosena hatte sich aufgesetzt und schien mit einem Mal sehr ernst. Wie weggeblasen war ihre träumerische Stimmung. „Ich werde dich bis zum bitteren Ende begleiten. Ich habe dir so viel zu verdanken. Außerdem besitzen die Oberen kein Recht, über unser Land zu bestimmen. Wir brauchen jemanden, der Seyl am Herzen liegt und nicht jemanden, der es nur als Geldquelle sieht."

„Du weißt schon, dass, sollte uns das wirklich gelingen, du einmal Teil der Regierung sein wirst?"

Sie wurde bleich. Fast bereute ich es, sie daran erinnert zu haben. Vermutlich hatte sie die Konsequenzen, die folgten, wenn sie mich begleitete, noch nicht wirklich durchdacht. Möglicherweise würde sie nun anders entscheiden, was mich in eine schwierige Situation brachte.

„Daran habe ich noch gar nicht gedacht", meinte sie, immer noch völlig schockiert.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich schon. Ich dachte, du solltest es erfahren. Ich möchte nicht, dass du dazu gezwungen wirst, ein Amt zu bekleiden, dass du gar nicht haben möchtest, nur weil dich niemand vorgewarnt hat."

Sie lächelte. „Danke. Aber ich werde dich trotzdem begleiten. Vielleicht findet sich ja eine Lösung. Wahrscheinlich brauchst du mich sowieso nicht."

„Vielleicht", murmelte ich.

„Hast du schon daran gedacht, dass du vielleicht auch zu einem Ratsmitglied gewählt werden könntest?"
Erstaunt blickte ich sie an. „Theoretisch wäre das vielleicht möglich, aber es wird nie passieren. Ich bin ein Verbrecher, Rosena. Ich weiß, dass du und Alyn diese Tatsache gerne vergesst, aber das ändert nichts daran. Niemand mit meiner Vergangenheit hätte Aussicht auf Erfolg. Außerdem will ich das gar nicht. Ich bin ein Mann der Tat und nicht jemand, der sein Leben an einem Tisch verbringt und dort mit anderen Menschen über die Zukunft ganzer Reiche entscheidet."

Sie schwieg bedrückt. Natürlich, Rosena wollte das ebenso wenig wie ich, aber ihr würde keine Wahl bleiben, sollte einmal der Welt ihre Existenz offenbart werden.

„Du würdest dich aber um das Volk sorgen und wärst nicht auf deinen eigenen Vorteil bedacht", platze sie auf einmal heraus.

Ich lächelte. „Rosena, ich glaube, du musst noch viel über Menschen lernen."

Sie runzelte die Stirn ob meines milden Tadels. Dann stand sie auf. „Ich sehe mal nach Mika."

Offenbar hatte ich sie gekränkt.

Die Wahrheit war niemals angenehm.

Auf einmal drehte Rosena sich noch einmal um. „Du musst noch viel über dich lernen", sagte sie leise, dann wurde sie knallrot. Als wäre sie entsetzt darüber, diese Worte wirklich ausgesprochen zu haben. Leise in sich hinein murmelnd, verschwand sie aus unserer Kajüte.

Warum hinterließen mir die Menschen, mit denen ich Umgang pflegte, immer so kryptische Nachrichten?

Meine Nase begann zu kribbeln und ich musste niesen. Die nächsten Stunden widmete ich mich wieder dem Auskurieren meiner Grippe. Mich hatten diese vielen Gespräche so erschöpft, dass ich einschlief.

Am fünften Tag nach unserem Aufbruch kam Alyn auf einmal hereingestürzt. Ihre Wangen glänzten vor Aufregung. „Skaramesch!", rief sie atemlos aus. „Wir sind in Skaramesch."

Sofort war ich auf den Beinen. Eilig schlüpfte ich in mein Hemd und folgte ihr. Draußen an der Reling stand eine Gruppe von Matrosen und deutete aufgeregt auf das vor uns liegende Land. Der Dschungel Jamars war grünen Feldern gewichen, auf denen sich einige ferne Gestalten abrackerten. Dahinter konnte ich trockenes und steiniges Land erkennen.

„Wie kann das sein?", wunderte sich einer der Matrosen und ein anderer zuckte mit den Schultern.

Lapislazuli, schoss es mir durch den Kopf. Sie hatte uns tatsächlich eine unterstützende Strömung geschickt.

Die Luft hatte einiges an ihrer Feuchte eingebüßt und stattdessen einer angenehmen Wärme Platz gemacht. Palmen säumten die Grenzen der Felder und spendeten Schatten.

„Wenn das so weitergeht, werden wir in drei Stunden Agba erreichen", verkündete Degendan.

Ich putzte mir die Nase. So hatte ich mir die Ankunft in der Stadt nicht vorgestellt, deren Name auf Akrid nichts anderes bedeutete als ‚die Strahlende'. Ich verschwand unter Deck und beschloss Farah noch einen kurzen Besuch abzustatten.

Ob die Stute wusste, dass wir das Land ihrer Vorväter besuchten? Sie schien jedenfalls merklich entspannt, denn ihre Augen waren geschlossen und der Kopf leicht gesenkt. Nur ihre Ohren zuckten mal in die eine, mal in die andere Richtung.

Sie würde sich freuen, endlich wieder ausreichend Bewegung zu bekommen. Leise entfernte ich mich wieder, denn ich gönnte ihr die Ruhe.

Alyn wartete in unserer Kajüte bereits auf mich. „Du solltest nicht so viel herumrennen", ermahnte sie mich.

Ich winkte ab und setzte mich auf die Bettkante. „So schwach bin ich nun auch nicht."

Sie lachte und hockte sich neben mich. „Vor ein paar Tagen hat sich das aber noch ganz anders angehört."
Ich zuckte mit den Schultern. „Vor ein paar Tagen wäre ich ja auch fast gestorben. Aber jetzt habe ich es überlebt und mir geht es wieder gut."
Sie seufzte. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob du gerade einen Scherz gemacht hast oder es todernst meinst."

„Wenn wir den dritten Edelstein finden wollen, muss ich kräftig sein. Die Wüste kann sehr erbarmungslos sein. Wenn ich die ganze Zeit nur herumliege, werde ich eher schwächer als stärker. Mir geht es wirklich gut."

„Dein Wort möge von den Göttern gehört werden. Wehe du übernimmst dich. Dann werde ich dich nicht mehr aus dem Bett lassen, bis du vollständig genesen bist."

Ich grinste. „Ich verspreche dir, mich zurückzuhalten."

Alyn erwiderte nichts, sondern begann wortlos unsere Sachen zusammenzupacken. Etwas später traf Rosena auf uns und tat es ihr gleich.

Als wir an Deck traten, hatten die Felder am Ufer des Sidun kleineren Gruppierungen von Häusern Platz gemacht. Weiter flussabwärts wurden diese planlosen Ansammlungen immer größer, bis sie schließlich ineinander übergingen.

Nach einer Weile versperrte uns eine hohe Mauer, die direkt aus dem Sidun gewachsen zu sein schien, die Sicht. Dahinter konnte ich die typischen Geräusche einer Stadt hören. Menschen die sich lautstark äußerten, Bellen von Straßenkötern und das Rattern von Karren.

Höhere Gebäude ragten über die Mauer hinweg, schmale Türme, runde Kuppeln. Agba war in der Tat strahlend.

Ein Teil des Flusses war umgeleitet worden, um ein Hafenbecken zu schaffen, dessen Einfahrt von zwei Türmen flankiert war. Zwischen den beiden spannte sich eine hohe Brücke, von Passanten und Fuhrwerken gleichermaßen genutzt. Die künstliche Insel, die den Sidun von seinem Seitenarm trennte, beherbergte einen der größten Märkte Agbas. Das Geschrei der Händler, die sich gegenseitig unterboten, drang an mein Ohr.

Das dicke Eisengitter, mit dem man den Hafen im Falle von Gefahr abriegeln konnte, war heute bis zum Anschlag hochgezogen. Als wir unter der Brücke hindurchsegelten, konnte ich die glänzenden Eisenspitzen erkennen.

Der Schatten des riesigen Bauwerks fiel auf unser Schiff, sodass die Luft sich schlagartig kühler anfühlte. Am anderen Ende öffnete sich der Hafen für uns und gab uns den Blick auf die prachtvolle Stadt frei.

Staunend stand Rosena neben mir. Ihr Mund war halb geöffnet, als hätte sie vergessen ihn zu schließen. „Das ist Agba?"

Ich nickte. „Agba, die größte Stadt der bekannten Welt. In ihr leben bestimmt dreimal so viele Einwohner wie in Krylanid."

„Ich hätte nie gedacht, dass sie so großartig aussieht."

Mika legte den Arm über ihre Schulter. „Ich kann dich gerne herumführen."

Rosena warf einen unsicheren Blick auf mich. Als warte sie auf mein Einverständnis. „Du brauchst nicht meine Erlaubnis. Geh ruhig. Alyn und ich kümmern uns derweil um eine Herberge. Wir können uns zur ersten Abendstunde wieder an der Wellenkönigin treffen."

Begeistert klatschte Rosena in die Hände. „Danke. Das wird bestimmt toll."

Ich warf Mika einen strengen Blick zu. „Pass gut auf sie auf. Der Glanz Agbas mag leicht trügen, denn auch hier herrscht Elend wie in jeder anderen großen Stadt auch."

Er nickte eifrig.

Ein Boot kam an uns herangerudert. Die Matrosen ließen ein Seil hinab, an dem die Nussschale befestigt werden konnte. Eine Strickleiter wurde ausgerollt und ein Mann betrat das Deck. Er war in weite, helle Leinentücher gekleidet. Auch seine Hose hatte einen großzügigen Schnitt um die Beine.

Suchend blickte er sich um. „Wo ist denn der Kapitän Mervik?", fragte er mit tiefer Stimme.

Aöwe trat vor. „Er ist leider verhindert, deshalb habe ich an seiner Stelle das Kommando inne."

Der Mann runzelte die Stirn. „Eine Frau?"

Aöwe verschränkte verärgert die Arme. „Ist das ein Problem?", fragte sie mit schneidender Stimme. Der Skara war davon recht unbeeindruckt. Abfällig ließ er seinen Blick an der Piratin auf und abwandern. „Ja", erklärte er schließlich kurzerhand.

Zornig stemmte Aöwe die Fäuste in die Seiten. „Das lasse ich mir..."

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte den Skara entschuldigend an. „Ich bin die Vertretung von Kapitän Mervik", erklärte ich. „Leider habe ich mich die letzten Tage etwas unwohl gefühlt. Verzeiht das Auftreten dieser Frau, sie stammt aus den Dschungeln Jamars und ist Eure Kultur nicht gewöhnt."

Der Mann zuckte mit den Schultern. „Ich verzeihe Euch nochmal, da Ihr einen guten Grund habt. Aber nicht jeder wird so tolerant sein wie ich."
Ich nickte und bedankte mich. Argur wies den Mann zum Steuerrad und gemeinsam navigierten sie die Wellenkönigin zu einem Stellplatz.

Aöwe blieb kochend vor Wut zurück. „Was erlaubt sich dieser unverschämte Kerl?", rief sie aus.

„Skara sind der Ansicht, dass es Aufgabe der Frauen ist, die Kinder großzuziehen und Haus und Hof zu verwalten. Sie sehen es nicht gerne, wenn eine Frau arbeitet. Vor allem, wenn es sich bei dieser Arbeit um eine Männerdomäne handelt. Grundsätzlich jedoch bleiben die skarschen Frauen daheim, von gelegentlichen Besuchen auf dem Markt einmal abgesehen. Es ist ihre Kultur. Solange du in Skaramesch verweilst, wirst du wohl damit leben müssen."

Aöwe schnaubte, aber sie schien sich allmählich damit abzufinden. Sie trat an die Reling und betrachtete stirnrunzelnd die Stadt.

„Du kannst Skarsch?", fragte Alyn neugierig.

Ich seufzte. „Ich habe einmal für eine Weile in Skaramesch gelebt."

Alyn schien gewillt, weiterzufragen und auch Rosena hatte sich interessiert zu uns gesellt.

Zu meinem Glück wurden wir jedoch unterbrochen. Die Wellenkönigin tat einen letzten Ruck, dann stand sie still.

Der Lotse trat auf mich zu. „Ich wünsche noch einen angenehmen Aufenthalt und gute Geschäfte in Skaramesch."

Mit diesen Worten ging er von Bord.

Während die Matrosen begannen, das Schiff zu entladen, holten meine beiden Gefährtinnen und ich die Pferde. Farah reckte den Hals und ihre Augen funkelten. Sie schien begierig darauf, endlich wieder festen Boden unter den Hufen zu haben.

Wir verließen das Schiff. Eifrig schritt Farah voran, während ihre Ohren hin- und herzuckten. Als wir am Kai standen, atmete ich tief ein.

Ein ärmlich gekleideter Junge mit zotteligem Haar eilte an mir vorbei und rammte mich dabei aus Versehen. Er murmelte mit gesenktem Blick eine Entschuldigung und wollte weiterhetzen.

Ich packte ihn mit meiner freien Hand am Kragen. „Würdest du mir bitte meinen Beutel zurückgeben?", fragte ich zuckersüß.

Der Junge wurde bleich und beteuerte seine Unschuld. Selbst als ich ihn finster anstarrte, blieb er stur. „Gib mir den Beutel und ich lasse dich ziehen. Solltest du ihn mir nicht freiwillig überlassen, hole ich ihn mir zurück und dann kannst du deine Gebeine aufsammeln. Ich mag vielleicht nicht so aussehen, aber ich mache keine Witze. Ich mache nie Witze."

Meine Drohung schien ihn überzeugt zu haben, denn dieses Mal kramte er verlegen mein Eigentum hervor.

Ich schnappte den Beutel, musste dafür aber auch den Jungen loslassen. Dieser machte sich eilig aus dem Staub.

Alyn und Rosena hatten das Schauspiel mit großen Augen mit angeschaut.

Ich drehte mich zu ihnen um, ein schiefes Grinsen im Gesicht. „Tja", sagte ich. „Willkommen in Agba, der schillernden Perle der Wüste."

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